Fast vierzig Prozent Zugewinn – und nun ?

Eine lokale Analyse und Betrach­tung für Wuppertal zur Bundes­tags­wahl am 24.September von der Website „Politik in der Rechts­kurve“.

Wuppertal liegt voll im westdeut­schen Trend der Ergeb­nisse zur Bundes­tags­wahl vom 24. September. Die rechte AfD kann in Wuppertal die Anzahl ihrer Stimmen in nur vier Monaten verdop­peln. Auch die LINKE legt zu, „Wohlfühl­kieze“ bleiben stabil, sind aber nicht immun gegen rechte Zugewinne. Die Ost-West-Diffe­renz in der Stadt ist verfes­tigt.

Das Ergebnis der AfD in Wuppertal liegt mit 10,8% ziemlich exakt auf dem Niveau der Ergeb­nisse für die Partei in Westdeutsch­land (10,7%), aber über dem Ergebnis in NRW (9,4%), (im Osten Deutsch­lands wählten 21,7% die AfD). In NRW gehört Wuppertal neben vielen Ruhrge­biets­städten damit zum oberen Mittel­feld der rechten Ergeb­nisse. Deutlich besser schnitt die AfD ledig­lich im Norden des Ruhrge­biets ab (in Essen II 15%, in Duisburg II 15,4%, in Gelsen­kir­chen 17%). In Münster (4,9%), Köln (5%-8%) und in Düssel­dorf I (7,9%) bekam die AfD hingegen unter­durch­schnitt­lich wenige Stimmen. Angesichts eines eher wenig präsenten AfD-Wahlkampfs in der Stadt ist es ernüch­ternd, dass sich Wuppertal in den Gesamt­trend der Wahl einreiht. Im Gegen­satz zu anderen Städten ist es hier nicht gelungen, den Trend zu rechter Politik zu brechen. Und es wird nicht einfa­cher werden. Nach dieser Wahl muss einkal­ku­liert werden, dass die AfD auch im lokalen Umfeld zukünftig deutlich präsenter sein wird. Von den etwa 400 Mio. Euro, die ihr durch Parla­ments­zu­ge­hö­rig­keiten in den nächsten vier Jahren zufallen, wird ganz sicher auch ein Teil nach Wuppertal fließen.

Nach der Landtags­wahl im Mai konsta­tierten wir „13.574 Wupper­ta­le­rInnen wählen rechts“. Das waren verdammt viele, doch die Zahl ist seit dem Mai nochmals deutlich größer geworden. Bei der Bundes­tags­wahl am 24.September machten 20.645 Menschen ihr Kreuz bei einer der rechten Parteien. Alleine auf die AfD entfielen 18.931 Stimmen. Im Vergleich zu den 12.586 Stimmen bei der Landtags­wahl sind das 50% mehr. Auch wenn die höhere Wahlbe­tei­li­gung bei der Bundes­tags­wahl berück­sich­tigt wird, ist das eine Steige­rung um 37,8% – geht man davon aus, dass die Wahlan­teile gleich­blei­bend verteilt worden wären. (Im Landes­schnitt von NRW hat die AfD nach dieser Berech­nung ebenfalls 38% Stimmen im Vergleich zur Landtags­wahl hinzu­ge­wonnen.) Diese Steige­rung um fast 40% in nur vier Monaten ist besorg­nis­er­re­gend und löst Fragen nach der Ursache aus. Handelt es sich um einen bundes­po­li­ti­schen Effekt, oder ist die eindeutig rechts positio­nierte Bundes-AfD wählbarer, als die sich unter Markus Pretzell gemäßigter gebende Landes-AfD ? Dagegen spricht das eher stabile, jedoch margi­nale NPD-Ergebnis, die nach 567 Stimmen im Mai immer noch von 423 Nazis in Wuppertal gewählt wurde.

AfD kann überall dazuge­winnen

Bei Betrach­tung der Wupper­taler Einzel­er­geb­nisse fällt zunächst auf, dass die AfD in allen Wahlbe­zirken, also in allen Milieus und allen Lagen, in ähnli­cher Weise dazu gewinnen konnte. Negativ inter­pre­tiert bedeutet das, dass auch Viertel mit noch im Mai sehr schlechten Ergeb­nissen für die Partei nicht immun gegen den Rechts­ruck sind. Positiv betrachtet, flacht sich die Kurve der Zugewinne in den bisher als AfD-Hochburgen geltenden Wahlbe­zirken zuneh­mend ab. Ergeb­nisse von mehr als 20% bleiben die Ausnahme (ihr bestes Ergebnis erzielte die AfD mit 24,76% in Ronsdorf-Ost, Wahlbe­zirk 210, 52 Stimmen). Dabei gibt es einzelne Ausreißer, bei denen sich ein genauerer Blick auf die Bedin­gungen lohnen würde. Im Wahlbe­zirk 114 (Steinweg, Barmen 86 Stimmen) ist es der Partei gelungen, mit 22, 75% vor der SPD stärkste Partei zu werden, die hier noch bei der Landtags­wahl fast doppelt soviele Stimmen wie die AfD bekam. (SPD Landtags­wahl : 32,12%; Bundes­tags­wahl : 22,49%)

Auffällig ist die nach wie vor geringe Wahlbe­tei­li­gung in jenen Wahlbe­zirken, in denen die AfD beson­ders gute Ergeb­nisse erzielen konnte. Vielfach liegt dort die Betei­li­gung an der Wahl nach wie vor unter 50%. Ebenso auffällig ist die nach wie vor bestehende Ost/West-Diffe­renz. Mit wenigen Ausnahmen wie Ronsdorf-Ost oder in Vohwinkel (ausge­rechnet im Wahlbe­zirk 88 am Elfen­hang) befinden sich alle Bezirke mit überpro­por­tional hohen AfD-Anteilen in Wupper­tals Osten ; in Barmen, Oberbarmen, Langer­feld und Hecking­hausen. Dass es nicht ein hoher Anteil an Bewoh­ne­rInnen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist, der beispiels­weise für die Ergeb­nisse in Oberbarmen verant­wort­lich ist, zeigt das Beispiel der im Norden Elber­felds liegenden Gathe, die in Lokal­presse und von AfD-Hetzern oft als Hort des Bösen skanda­li­siert wird. Hier konnte die AfD nur 7,23% holen (42 Stimmen), weit hinter die LINKE, die an der Gathe zweit­stärkste Partei wurde (24,44%, 142 Stimmen).

Alle Einzeler­ge­nisse zeigen, dass die beiden großen Parteien SPD und CDU in ihren Hochburgen jeweils deutlich verloren haben. Doch während im Osten davon vor allem die AfD profi­tierte, war es in einigen Wahlbe­zirken des Elber­felder Nordens die LINKE. Sie konnte zum Beispiel im Wahlbe­zirk Schles­wiger Straße, im Herz des noch bei der Landtags­wahl zwischen rechts und links heftig umkämpften Bezirkes um den Platz der Republik, diesmal mit 24,44% stärkste Partei werden (152 Stimmen). Die AfD erhielt hier ledig­lich 40 Stimmen oder 6,43% (fast gleich­blei­bend zu Mai). In anderen Wahlbe­zirken am Opphof sieht das Wahler­gebnis nicht so gut aus. Auf der östli­chen Seite des Platz der Republik, am Engeln­berg, konnte die AfD die LINKE jetzt als dritte Kraft ablösen (AfD 13,38%, 84 Stimmen, die LINKE 11,62% 66 Stimmen). Die „andere Seite“ der Elber­felder Nordstadt bleibt also, bei konstant niedriger Betei­li­gung und teils katastro­phalen Ergeb­nissen für SPD und CDU,  ein umkämpftes Gebiet.

Der Ölberg bleibt nach wie vor Ort linker Hegemonie. Die LINKE konnte bei schon vorher guten Werten auch bei der Bundes­tags­wahl nochmals deutlich zulegen. Am Hombü­chel (29,67%, 214 Stimmen), in der Marien­straße (28,20%, 247 Stimmen) und auch in der Helmholtz­straße (26,37% 173 Stimmen) wurde sie stärkste Partei. Die AfD kam in diesen Bezirken auch diesmal nicht über die 5%, konnte aber dennoch überall an absoluten Stimmen rund 30% zulegen. Das sind im Vergleich zur Landtags­wahl im Mai jeweils zwischen sieben und zehn in der unmit­tel­baren Nachbar­schaft wohnende Wähle­rInnen mehr. Auch auf dem Ölberg gibt es Wahlbe­zirke mit größeren AfD-Zugewinnen. Sie konnte im Wahlbe­zirk 10 (das Gebiet Ekkehard­straße, Grüne­walder Berg und der untere Teil des Ölberges) zum Beispiel ihr Ergbnis von 2,91% auf 6,37% steigern. Gleich 18 Nachba­rInnen mehr als im Mai haben hier nun rassis­tisch gewählt, bei der Landtags­wahl waren es nur 13 gewesen.

Der Kampf gegen Rechts wird in den Vierteln geführt

Das macht deutlich, dass auch die Gegenden, in denen sowohl im Alltag als auch bei den Wahlen bislang kaum etwas vom Rechts­ruck der Gesell­schaft zu spüren gewesen ist, nicht immun dagegen sind. Es wäre ein Fehler zu glauben, die oft so genannten „Wohlfühl­kieze“ als dauer­haft gesichert gegen rassis­ti­sche Tendenzen anzusehen. Denn was bedeutet „Wohlfühl­kiez“ über (noch) beruhi­gende Wahler­geb­nisse hinaus ? Wenn die Wahlbe­zirke betrachtet werden, in denen die AfD eher wenig Zustim­mung findet, dann lässt sich häufig ein großes zivil­ge­sell­schaft­li­ches Engage­ment auch außer­halb der Wahlpe­ri­oden feststellen. Viele Initia­tiven und Inter­ven­tionen – nicht zuletzt auch linke – sind für ein Klima verant­wort­lich, in dem sich eine Kritik am Bestehenden eher konstruktiv artiku­liert. Diese Alltags­ar­beit jedoch ist im wahrsten Sinn des Wortes viel zu oft prekär – unhono­riert, freiwillig und sie wird sehr oft mit zu wenigen Aktiven geleistet. Kleine Änderungen der Lebens­um­stände der Betei­ligten oder der Umgebung können ausrei­chen, die Arbeit in den Kiezen einschlafen zu lassen.

Wenn Viertel, die über sehr hetero­gene Nachbar­schaften definiert werden, einen sozio-kultu­rellen Wandel durch­laufen – so, wie es anläss­lich der sehr spezi­ellen Wupper­taler Form von Gentri­fi­zie­rung gerade auf dem Ölberg passiert – besteht die Gefahr, dass zuvor gewach­sene linke Inter­ven­ti­ons­mög­lich­keiten margi­na­li­siert werden können, wenn nicht bewusst an ihnen weiter­ge­ar­beitet wird. Da kann die Schlie­ßung einzelner Lokale die als Orte des Austauschs dienten, schon reichen, wesent­lich an Einfluss zu verlieren. Dabei geht es nicht um Agita­tion sondern um perma­nenten Austausch mit den Nachba­rInnen. Es geht darum, ein Gesamt­klima zu schaffen, in dem rechte Entwick­lungen gar nicht Fuß fassen können. Angesichts von etwa 50% Nicht­wäh­le­rInnen auch auf dem Ölberg könnten auch dort Wahler­geb­nisse künftig überra­schend negativ ausfallen, wenn die Erwei­te­rung von Sagbar­keits­räumen und rechte Diskurs­ver­schie­bungen zugelassen werden. Ähnli­ches gilt für die Gegend um den Mirker Bahnhof und die Wiesen­straße.

Die nach der Landtags­wahl disku­tierte Alter­na­tive, besser in anderen, scheinbar schon „gekippten“ oder zumin­dest „umkämpften“ Vierteln zu inter­ve­nieren statt sich auf das eigene Quartier zu konzen­trieren, ist keine. Die eigenen Viertel dürfen nicht vernach­läs­sigt werden, so richtig es zweifellos ist, ein rechtes Überge­wicht auch in Hecking­hausen oder Ronsdorf nicht einfach hinzu­nehmen. Doch schon nach der Landtags­wahl stellte sich die Frage, wie das von der radikalen wie der parla­men­ta­ri­schen Linken gestemmt werden soll. Ohne die eigene Basis zu vergößern, wird das nicht funktio­nieren. Bevor Inter­ven­tionen außer­halb eigener Zonen erfolgen können, muss deshalb in Teilen ein Neuaufbau statt­finden. Es könnte sein, dass der „Schock“, den viele angesichts der Wahl dann doch empfunden haben, eine Reorga­ni­sa­tion auf breiterer Basis erleich­tert.

Doch bevor das passiert ist, stellt sich eine ganz andere Frage : Was ist eigent­lich mit den großen Parteien ? Auch wenn sie bundes­weit zur Zeit darum bemüht zu sein scheinen, die AfD rechts überholen zu wollen, ihre katastro­phalen Ergeb­nisse auf lokaler Ebene müssten auch sie eigent­lich motivieren, gegen­zu­steuern. Es geht ja auch um „ihre“ Viertel. Es kann nicht sein, dass Alltags­en­ga­ge­ment und „demokra­ti­sche Inter­ven­tion“ weiterhin an Antifa und Linke delegiert werden, die man ansonsten bekämpft. Mehr noch als in Sonntags­reden der Bundes­po­li­ti­ke­rInnen wird sich in den nächsten Jahren an der Präsenz in den Quartieren und Nachbar­schaften festma­chen lassen, ob die „demokra­ti­sche Mitte“ gewillt ist, dem Rechts­ruck etwas entge­gen­zu­setzen. Ein vierjähr­li­cher „Türklin­gel­wahl­kampf“ oder bei Straßen­festen feilge­bo­tene Bratwürste werden dafür aber nicht reichen – da müsste schon mehr kommen. Wenn sie sich perso­nell oder inhalt­lich nicht dazu in der Lage sehen, sollten sie zumin­dest dafür sorgen, dass in der Stadt mehr Mittel als bisher für gesell­schaft­liche Initia­tiven bereit gestellt werden.

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#WelcomeUnited : Erfolgreich nicht geklappt

Der Trick beim Fliegen besteht darin, sich auf den Boden zu werfen und ihn zu verfehlen.
(Douglas Adams – Per Anhalter durch die Galaxis)

Mit einer wunder­schönen Demo-Parade in Berlin endeten zwei Wochen unserer Aktions­tage zu „We‘ll come United“. Mit einem vollem Reisebus fuhren zum Abschluss am frühen Samstag­morgen etwa fünfzig Menschen von Wuppertal zur Demons­tra­tion nach Berlin. Die in den Bus Einstei­genden bildeten dabei die später an der „We‘ll come United“-Parade Teilneh­menden ziemlich gut im Kleinen ab : Die Hälfte der Mitfah­renden waren aktuell oder früher nach Wuppertal (oder in die Umgebung) Migrierte, die anderen haben schon länger ihren Lebens­mit­tel­punkt in der Region. Es fuhren Männer und Frauen, Familien, ältere und junge Menschen. Angesichts des aktuellen, durch die Abschie­bungen verur­sachten Drucks war es nicht überra­schend, dass unter den Mitfah­renden viele Menschen aus Afgani­stan waren. Auch beim comUNITY-carnival in Berlin gab es einen starken afgha­ni­schen Block, der sich hinter einem „Bleibistan“-Banner formierte. Doch es nahmen Menschen aus vielen Comunities teil. Der vor der Demons­tra­tion verbrei­tete Slogan „Alle kommen. Von Überall“, stimmte also teilweise.

Er stimmte natür­lich nur zum Teil, weil nicht „alle“ da waren. Das wurde schon durch die Anzahl der Teilneh­menden deutlich. Obwohl es aufgrund der dezen­tralen Struktur der Parade beinahe unmög­lich war, die Zahl der Anwesenden zu schätzen – es gab zu keinem Zeitpunkt einen zentralen Punkt, an dem es einen Gesamt­über­blick gegeben hätte – wird die später kolpor­tierte Zahl von „etwa zehntau­send“ Menschen wohl stimmen. Sie stellte den oberen Bereich dar, der irgend­wann nach dem Auftakt auf dem Weg zur Zwischen­kund­ge­bung am Lustgarten erreicht worden sein mag. Auch die Zusam­men­set­zung der Teilneh­menden verdeut­lichte, dass der am Beginn der Kampagne stehende Plan, einen größeren Teil jener zu errei­chen, die das millio­nen­fache zivil­ge­sell­schaft­liche Engage­ment für und mit Refugees abbilden, nicht aufging. In weiten Teilen erinnerte die „We‘ll come United“-Parade deshalb an eine Art „Famili­en­fest“ migra­ti­ons­po­li­tisch aktiver und antiras­sis­ti­scher Initia­tiven. So betrachtet, wird aus der vielleicht als eher enttäu­schend klein empfun­denen Zahl 10.000 eine große.

Dass der Plan nicht aufgehen würde, die oft politisch meist stimm­losen oder leisen zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteure in die „We‘ll come United“-Strukturen einzu­binden, war schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt klar. Trotz der Betei­li­gung größerer NGOs – u.a. waren attac Deutsch­land, diverse Flücht­lings­räte, die Humanis­ti­sche Union oder medico unter den Mitun­ter­zeich­nern des Aufrufes – gelang es nicht, viele der Menschen in eine politi­sche Manifes­ta­tion einzu­binden, die im Rahmen ihres Engage­ments in teils klein­tei­ligen „Willkom­mens­in­itia­tiven“ der Städte und Stadt­teile mehr und mehr direkt mit den Folgen der Asylrechts­ver­schär­fungen oder mit den zuneh­menden Abschie­bungen konfron­tiert sind. Auch in dieser Bezie­hung standen unsere Bemühungen im Vorfeld der Wupper­taler Aktions­tage vielleicht exempla­risch für die Gesamt­si­tua­tion. Die an den Aktions­tagen Betei­ligten bildeten zumeist das Spektrum emanzi­pa­to­ri­scher und antiras­sis­ti­scher Gruppen in Wuppertal ab, das sich schon seit Jahren mit der Thematik befasst. Ausnahmen bestä­tigen hier eher die Regel.

Es bleibt ein aufzu­ar­bei­tendes Phänomen, warum es nicht gelingt, in den Debatten um Geflüch­tete, Flucht und Zuwan­de­rung, um so genannte Integra­tion oder zu Ursachen von Flucht die realen gesell­schaft­liche Verhält­nisse abzubilden. Bis heute sind Gründe dafür diffus, warum bei zu vielen aus ihrem humani­tärem Engage­ment keine politi­sche Haltung entsteht, wenn die Politik ihr humani­täres Engage­ment behin­dert oder gar konter­ka­riert. Eine Aufar­bei­tung dieses „Neben­ein­ander“ darf dabei nicht bei Kritik an den am 16.9. Abwesenden stehen­bleiben. Auch wir müssen uns fragen, inwie­weit seit dem Sommer 2015 ernst­haft versucht wurde, dem humani­tären Engage­ment unsere politi­sche Einmi­schung solida­risch zur Seite zu stellen – vieles wurde da sicher versäumt. Angesichts der (auch deshalb) weit nach rechts verscho­benen Diskurse und kurz vor einer Wahl, die Feinde einer offenen Gesell­schaft bestä­tigt, konnte die Erwar­tung, das nun nachholen zu können, nicht erfüllt werden.

Aber selbst, wenn es gelungen wäre, am 16. September mehr als zehntau­send Menschen auf die Berliner Straßen zu mobili­sieren, bleibt die Frage, was es in Bezug auf die exeku­tierte Politik europäi­scher Abschot­tung gebracht hätte. In Betrach­tung der auch militä­ri­schen Entschlos­sen­heit, mit der Deutsch­land und Europa dicht­ge­macht werden, fällt die Antwort darauf ernüch­ternd aus. „We‘ll come United“ hätte deshalb auch dann haupt­säch­lich eine Wirkung nach innen gehabt : Als Selbst­ver­ge­wis­se­rung und für ein erneu­ertes Gefühl eigener Stärke. Das wurde mit der Demo-Parade vom Bundes­in­nen­mi­nis­te­rium zum Orani­en­platz auch mit 10.000 Teilneh­menden zweifellos erreicht. Die überein­stim­mende Beurtei­lung aller war, dass es sich um eine der „schönsten“ Demos der letzten Jahre handelte. Schön waren die teilneh­menden Menschen. Schön waren die vielen glück­li­chen Gesichter bei der Demo oder am Straßen­rand. Schön war vor allem die massen­hafte Teilnahme von Geflüch­teten. Schön war auch die hörbare Vielstim­mig­keit, obwohl es durch das Fehlen einer zentralen Kundge­bung nicht immer möglich war, jedem Redebei­trag zu folgen.

Schön war auch, dass der Demo-Zielpunkt, der Orani­en­platz, einen Bezug zu Kämpfen von Refugees herstellte, die vor dem „Sommer der Migra­tion“ 2015 abliefen und die heute manchen erscheinen mögen, als hätten sie in einem anderen Universum statt­ge­funden. Nicht nur Napulis Rede auf dem „O-Platz” machte deutlich, dass das nicht so ist. Vor allem für erst seit Kurzem Aktive wurde deutlich, das Flücht­lings­kämpfe eine ebensolche Konstante sind wie der bekämpfte Rassismus und andau­ernde Repres­sion und Diskri­mie­rung. Das gehörte zum Verdienst der Demons­tra­tion. „We Stay United“, wie es auf dem Front­banner hieß, war in diesem Sinne auch nicht nur als Ankün­di­gung zu verstehen, sondern konnte als Brücken­schlag zwischen verschie­denen „Genera­tionen“ Geflüch­teter und Unter­stüt­ze­rInnen gelesen werden. Ebenso verdienst­voll war die eindeu­tige Benen­nung tatsäch­lich Verant­wort­li­cher für den Massentod im Mittel­meer, für eine Abschie­be­ma­schi­nerie und für ständige Verschär­fungen des Asylrechts bei der Parade. De Maiziére, Seehofer, Merkel, Gabriel, Stein­meier, Maas oder Kretsch­mann kommen schließ­lich angesichts der öffent­li­chen Fixie­rung auf die rassis­ti­schen Forde­rungen der AfD häufig viel zu gut und ungeschoren weg.

Sie offen benennen zu können war mögli­cher­weise sogar nur deshalb möglich, weil eine sehr breite Mobili­sie­rung nicht geklappt hat und es keine Ausein­an­der­set­zungen mit Gruppen gab, die bei der Verur­tei­lung rassis­ti­scher Positionen gerne Unter­schiede machen. Für die Aktions­tage in Wuppertal lässt sich Ähnli­ches sagen : Die Zusam­men­set­zung der Organi­sa­to­rInnen ermög­lichte sehr konzen­trierte Ausein­an­der­set­zungen mit einigen Themen, die alle beschäf­tigen, die sich mit und für Refugees engagieren. Es ging um wachsenden Kultur­ras­sismus und Neona­tio­na­lismus, um den auch in den „Leitme­dien“ weit nach rechts verscho­benen öffent­li­chen Diskurs, um Antizi­ga­nismus als Konstante mehrheits­taug­li­chen Rassismus, um grund­sätz­liche Probleme des Engage­ments und um die zuneh­mende Krimi­na­li­sie­rung der Rettung und Unter­stüt­zung von Menschen auf der Flucht. Die Veran­stal­tungen der Aktions­tage wurden durchweg als Erfolg wahrge­nommen.

Dass das Programm in diesem Umfang und mit diesem Anspruch reali­siert werden konnte, war der Koope­ra­tion von Initia­tiven und Gruppen zu verdanken, die zuvor manchmal wenig aufein­ander bezogen arbei­teten. Es fanden während der gemein­samen Arbeit Annähe­rungen statt, aus denen sich auch im lokalen Umfeld Kraft schöpfen lässt. Dass das Zusam­men­bringen verschie­dener Akteure nicht in ganzer Breite gelungen ist,  ließ sich so durch die Inten­sität absolut kompen­sieren. Die Aktions­tage mit der abschlie­ßenden Parade haben gezeigt, dass die Bewegung der Migra­tion und ihre Autonomie „unstopp­able“ sind. Wenn „We‘ll come United“ ein Versuch war, „uns auf den Boden zu werfen“, mag er geschei­tert sein. Doch das „Space­ship Solida­rity“ fliegt… Es heißt jetzt „We Stay United!“

Nach und nach werden wir die vielfäl­tigen Aktionen und Veran­stal­tungen unserer Aktions­tage noch aufar­beiten und einzelne Inhalte auch zugäng­lich machen. Die neuge­won­nenen Koope­ra­tionen werden jetzt nicht enden. Die wcuwpt-Website bleibt aus beiden Gründen deshalb online und wird weiter aktua­li­siert.

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