In der Rechtskurve verunfallt

Zum (vorläu­figen) Abschluss der Reihe „Politik in der Rechts­kurve“

Zwei Wochen vor der Bundes­tags­wahl konnten wir Regina Wamper vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozial­for­schung für unsere fünfte und vorerst letzte Veran­stal­tung der Reihe „Politik in der Rechts­kurve“ gewinnen. Im Rahmen der lokalen Aktions­tage zur „We‘ll come United“-Demonstration in Berlin richteten wir unseren Fokus nach den voran­ge­gangen Diskus­sionen zu rechter Politik auf den Philip­pinen, in der Türkei und Frank­reich auf die Diskurs­ver­schie­bungen in Deutsch­land. Heute ist der Unfall in der Rechts­kurve passiert, die Wahl gelaufen, mit der AfD sind rechts­ex­treme Einstel­lungen in Frakti­ons­stärke parla­men­ta­risch vertreten und alle anderen Parteien versu­chen rechten Diskursen hinterher zu laufen.

Erfreut stellen wir jedoch fest, dass ein Ergebnis dieses Rechts­rucks ein inzwi­schen gestei­gertes Inter­esse ist, seit dem 24. September häufen sich Veran­stal­tungen zum Thema und die meisten sind gut besucht. Für uns ist das ein geeig­neter Zeitpunkt, unsere Reihe vorerst zu beschließen, eine Fortset­zung im nächsten Jahr ist jedoch angedacht. Denn noch immer sind wir davon überzeugt, dass im trans­na­tio­nalen Maßstab „eine monokau­sale Betrach­tung der politi­schen Entwick­lung (…) nicht erfolg­ver­spre­chend [ist].“ Erst das Heraus­ar­beiten des Verbin­denden von autoritär-caesa­ris­ti­schen und libertär-rechten, national-chauvi­nis­ti­schen oder klerikal-faschis­ti­schen Konzepten, die sich zu einem scharfen weltweitem Abbiegen nach Rechts summieren, lassen sich wirksame Gegen­stra­te­gien entwi­ckeln.

Wir werden deshalb nicht nur einen Beitrag zu unserer Veran­stal­tung mit Bernard Schmid zu Frank­reich noch nachrei­chen (er ist übrigens am 2. Dezember wieder Gast in Wuppertal), sondern auch noch ein Zwischen­fazit der bishe­rigen Reihe insge­samt erarbeiten. Denn das haben die Diskus­sionen schon gezeigt : So unter­schied­lich die Ausprä­gungen rechter Politik sind, es ist jeweils die Kraft durch­ge­setzter Narra­tive, die ihren Erfolg ausma­chen. Dass wir uns mit Regina Wamper abschlie­ßend um Diskurs­ver­schie­bungen in Folge des „Sommers der Migra­tion“ in Deutsch­land geküm­mert haben, war deshalb folge­richtig.

Zur Veran­stal­tung „Flucht und Asyl : Diskurs kaputt?“ am 8.9.2017

Das Sprechen und Schreiben über Flucht und Geflüch­tete hat sich seit dem „Sommer der Migra­tion“ deutlich verän­dert. Sagbar­keits­räume sind verschoben, Tabus sind gebro­chen, Problem­set­zungen verdreht worden ; was vor drei Jahren noch als politisch und moralisch verwerf­lich galt, wird mittler­weile mit „Sachzwängen“ begründet und als normal gesetzt. Diese Verschie­bung ist nicht allein von AfD, Pegida und deren Kampf­me­dien durch­ge­setzt worden - sie spiegelt sich ebenso in der Bericht­erstat­tung und den Kommen­tar­spalten deutscher Leitme­dien. Regina Wamper hat zusammen mit Marga­rete Jäger die Tages­zei­tungen taz, FAZ und Süddeut­sche Zeitung ein Jahr lang (von August 2015 bis Juni 2016) in Hinblick auf ihre Bericht­erstat­tung in Leitar­ti­keln und Kommen­taren zum Themen­feld Flucht, Asyl und Migra­tion ausge­wertet. (Die Studie steht als pdf-Download zur Verfü­gung).

Ausgangs­punkt und Prämisse ihrer Diskurs­ana­lyse ist die Annahme, dass Medien nicht (nur) Vermitt­lungs­in­stanz von Wirklich­keit sind, diese also nicht (nur) abbilden, sondern dass sie Wirklich­keit selbst mitpro­du­zieren : Diskurse, die Art wie über gesell­schaft­liche Probleme und politi­sche Entwick­lungen berichtet wird, wirken selbst wiederum auf gesell­schaft­liche Realität ein. Die unter­suchten Leitme­dien bilden dabei ein relativ breites Spektrum von öffent­li­chem Diskurs ab und beein­flussen ihrer­seits Diskurse im Alltag und auch die Wahrneh­mung gesell­schaft­li­cher Probleme in der deutschen Mehrheits­be­völ­ke­rung. Die Analyse von Regina Wamper und Marga­rete Jäger bezieht sich zunächst auf den Flucht­dis­kurs in deutschen Medien, die Verschie­bungen in der gesell­schaft­li­chen Problem­wahr­neh­mung werden Unter­su­chungs­ge­gen­stand einer Folge­studie des DISS sein.

De-Legiti­mie­rung von Flucht : Wer ist noch „legitim Geflüch­teter“?!

Die Auftei­lung bzw. Unter­tei­lung von Geflüch­teten in „gute“ und „schlechte“ begann bereits unmit­telbar nach der Entschei­dung gegen eine Schlie­ßung der Grenzen im Spätsommer 2015 und bezog sich zunächst auf Flücht­linge mit „guter“ versus „schlechter Bleibe­per­spek­tive“ – wobei eine „schlechte Bleibe­per­spek­tive“ vor allem dieje­nigen hatten, die aus den Westbal­kan­staaten kamen und vorwie­gend Roma und arm waren. zu dem Zeitpunkt wurde eine schnelle Ableh­nung und Auswei­sung der „schlechten“ noch mit der nun notwen­digen schnellen Integra­tion der „guten“ Flücht­linge begründet, wobei das Narrativ impli­zierte, dass die notwen­digen Integra­ti­ons­res­sourcen nicht für alle zur Verfü­gung stünden. Dabei wurde selbst die ehren­amt­li­chen Flücht­lings­hilfe als begrenzte Ressource aufge­fasst. Die Forcie­rung von Abschie­bungen wurde dadurch gleichsam zum humani­tären Akt und zur Unter­stüt­zung der freiwil­ligen Flücht­lings­un­ter­stüt­zung durch die Bevöl­ke­rung.

In den Folge­mo­naten war aller­dings zu beobachten, dass immer weniger Personen unter den Begriff „legitim Geflüch­tete“ subsum­miert wurden : Zunächst fielen die Afgha­nInnen heraus, und nachdem der Innen­mi­nister äußerte, es sei unver­ständ­lich, dass Menschen ein Land verließen, in welches die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land Soldaten schicke, gingen die zuvor relativ hohen Schutz­quoten für Afgha­nInnen tatsäch­lich zurück. Später wurden allge­mein die zuvor noch als „Schutz­su­chende“ Bezeich­neten zu „illegalen Einwan­de­rern“: Angela Merkel nutzte diesen Ausdruck im Kontext des EU-Türkei-Deals ab November/Dezember 2015 auch für dieje­nigen, die immer noch die griechi­schen Inseln erreichten. Die Trennung zwischen „guten“ und „schlechten“ Flücht­lingen erfolgte jetzt nicht mehr unter Bezug auf Herkunfts­länder und (unter­stellte) Flucht­gründe, sondern auch in Hinsicht auf den aktuellen Ort des Aufent­halts und den Zeitpunkt der Flucht. Alle, die sich ohne Visum entlang der Flucht­routen aufhielten und alle, die noch nicht in Deutsch­land angekommen waren, waren nun zu „illegi­timen Einwan­de­rern“ geworden.

Auch die Benen­nung von Problemen verschob sich zuneh­mend : Die Bericht­erstat­tung wendete sich von Problemen ab, die Flücht­linge aufgrund der Notwen­dig­keit und der Bedin­gungen ihrer Flucht haben. Statt­dessen richtete sich die Aufmerk­sam­keit immer mehr auf die angeb­li­chen oder tatsäch­li­chen Probleme, die die meistens übertrieben darge­stellte hohe Zahl der Geflüch­teten für das Land mit sich bringt : Angefangen von Manage­ment-Problemen bei der Aufnahme und Unter­brin­gung, knappen Ressourcen an Wohnraum oder Deutsch­kursen, bis hin zu einem diffusen Bedro­hungs­sze­nario durch eine „unkon­trol­lierte Zuwan­de­rung“. Als Bedro­hungs­sze­nario entwarfen manche Journa­lis­tInnen zu Recht die zuneh­menden rassis­ti­schen Mobili­sie­rungen, die sie jedoch als angeb­lich unaus­weich­liche Folge der Migra­ti­ons­be­we­gung oft wieder den gestie­genen Flücht­lings­zahlen zuschrieben.

Aus „Schutz für Schutz­su­chende“ wird „Schutz vor Schutz­su­chenden“

Die Phrase von der „kippenden Stimmung“, womit das baldige Ende der zuvor noch ausge­ru­fenen „Willkom­mens­kultur“ gemeint war, wurde in allen unter­suchten Medien spätes­tens ab Oktober 2015 wie ein Mantra wieder­holt und die Prognose durch die ständige Wieder­ho­lung zuneh­mend unhin­ter­fragbar. Unter­stellt wurde dabei häufig, dass Migra­tion zu Rassismus und mehr Migra­tion zu mehr Rassismus führt – eine Behaup­tung, die empirisch nicht belegbar ist. Zugleich wurde die Hilfs­be­reit­schaft vieler Menschen schon ab Ende September 2015 zunächst verein­zelt, dann immer häufiger als naiv abgewertet. In einer grotesken Ursache-Wirkungs-Verdre­hung wurde die zuvor gefei­erte „Willkom­mens­kultur“ von einem FAZ-Autoren sogar verdäch­tigt, als „Pull-Faktor“ zu wirken, die Menschen mit Teddy­bären und selbst­ge­ba­ckenem Kuchen also erst nach Europa zu locken.

Während einer­seits bis zum Ende des Jahres 2015 die Integra­tion der Angekom­menen proble­ma­ti­siert wurde, wobei noch immer auch die Bedürf­nisse und Probleme der Geflüch­teten argumen­tativ einbe­zogen wurden, richtete sich die mediale Kritik somit zunächst gegen die „naiven“ Helfer und Unter­stüt­ze­rinnen. Wenn Geflüch­tete nicht durch die von ihnen produ­zierte Hilfs­be­reit­schaft nach Europa „gelockt“ würden, ergäbe sich gar kein Anlass für „die Sorgen der Bürger“ und damit kein Anlass für Rassismus. Die damals sprung­haft zuneh­menden Angriffe auf geplante und bewohnte Unter­brin­gungen und die damit verbun­denen Bedro­hung der Geflüch­teten wurden so unaus­ge­spro­chen dem hilfs­be­reiten Teil der Gesell­schaft in die Schuhe geschoben. Das von der AfD und „Pegida“ bis heute verwen­dete Narrativ der „Volks­ver­räter“ findet in dieser perfiden Argumen­ta­tion in den Diskursen zum Ende des Jahres 2015 einen seiner medialen Vorläufer.

Spätes­tens nach den sexis­ti­schen Übergriffen in der Silves­ter­nacht 2015/2016 in Köln wurden Flücht­linge dann selbst nicht mehr als Bedrohte, sondern ihrer­seits als die Bedro­henden darge­stellt. Aus „Schutz für Geflüch­tete“ wurde „Schutz für Deutsche“, womit sich der Mainstream-Diskurs endgültig den Argumen­ta­ti­ons­mus­tern der AfD annäherte. Diese neuer­liche Verschie­bung fiel zeitlich mit hekti­schen politi­schen Maßnahmen zum Fernhalten, zur Entrech­tung und schnellen Auswei­sung der (nicht erwünschten) Flücht­linge zusammen. Der EU-Türkei-Deal, die Asylpa­kete 1 und 2, die Beschleu­ni­gung von Abschie­bungen wurden dementspre­chend auch in der Presse angesichts „zu vieler Geflüch­teter“ immer mehr zu notwen­digen Sachzwängen erklärt.

Die absurde Propa­ganda von der „Lügen­presse“

Im Zuge dessen rückte zuvor auch für konser­vativ bürger­liche Kommen­ta­toren noch Unfor­mu­lier­bares immer mehr in den Bereich von akzep­ta­blen Forde­rungen : zeitlich unbegrenzter Sonder-Lager­zwang, keine Einschu­lung von Flücht­lings­kin­dern, das Ertrinken-Lassen vor den Grenzen Europas oder das völker­rechts­wid­rige Refou­le­ment (Zurück­schieben) von Flüch­tenden in Länder, in denen sie recht- und schutzlos sind. Heute ist all dies skanda­löse aber kaum noch hinter­fragte Realität. Boots­un­glücke im Mittel­meer sind inzwi­schen europäi­scher Alltag, Rettungs­or­ga­ni­sa­tionen werden als krimi­nelle Organi­sa­tion behan­delt und Sklaven­handel und Verge­wal­ti­gungen oder Folter in libyschen „Auffang­zen­tren“ führen nicht zum Ende der Koope­ra­tion mit der selbst­er­nannten libyschen Küsten­wache.

Als De Maiziére den EU-Türkei-Deal im April 2016 mit dem Satz „Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig.“ kommen­tierte, hatte er Recht - nicht mit dem „Ansatz“, aber mit dem Gewöh­nungs­ef­fekt. Die heute jetzt auch parla­men­ta­risch vertre­tenen rassis­ti­schen und menschen­ver­ach­tenden Aussagen und Forde­rungen der AfD und ihrer Anhän­ge­rInnen wurden durch die „Leitme­dien“ bereits früh norma­li­siert und vorbe­reitet. Es ist ein absurder Vorgang, dass diese mediale Diskurs­ver­schie­bung nach rechts hinter der Propa­ganda der AfD von einer angeb­li­chen „Lügen­presse“ beinahe verschwindet. Der Zeitraum einer „flücht­lings­freund­li­chen“ Bericht­erstat­tung, auf den sich diese Propa­ganda beruft, war kurz – schon im September 2015 sind viele „Leitme­dien“ nach rechts abgebogen.

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Fast vierzig Prozent Zugewinn – und nun ?

Eine lokale Analyse und Betrach­tung für Wuppertal zur Bundes­tags­wahl am 24.September von der Website „Politik in der Rechts­kurve“.

Wuppertal liegt voll im westdeut­schen Trend der Ergeb­nisse zur Bundes­tags­wahl vom 24. September. Die rechte AfD kann in Wuppertal die Anzahl ihrer Stimmen in nur vier Monaten verdop­peln. Auch die LINKE legt zu, „Wohlfühl­kieze“ bleiben stabil, sind aber nicht immun gegen rechte Zugewinne. Die Ost-West-Diffe­renz in der Stadt ist verfes­tigt.

Das Ergebnis der AfD in Wuppertal liegt mit 10,8% ziemlich exakt auf dem Niveau der Ergeb­nisse für die Partei in Westdeutsch­land (10,7%), aber über dem Ergebnis in NRW (9,4%), (im Osten Deutsch­lands wählten 21,7% die AfD). In NRW gehört Wuppertal neben vielen Ruhrge­biets­städten damit zum oberen Mittel­feld der rechten Ergeb­nisse. Deutlich besser schnitt die AfD ledig­lich im Norden des Ruhrge­biets ab (in Essen II 15%, in Duisburg II 15,4%, in Gelsen­kir­chen 17%). In Münster (4,9%), Köln (5%-8%) und in Düssel­dorf I (7,9%) bekam die AfD hingegen unter­durch­schnitt­lich wenige Stimmen. Angesichts eines eher wenig präsenten AfD-Wahlkampfs in der Stadt ist es ernüch­ternd, dass sich Wuppertal in den Gesamt­trend der Wahl einreiht. Im Gegen­satz zu anderen Städten ist es hier nicht gelungen, den Trend zu rechter Politik zu brechen. Und es wird nicht einfa­cher werden. Nach dieser Wahl muss einkal­ku­liert werden, dass die AfD auch im lokalen Umfeld zukünftig deutlich präsenter sein wird. Von den etwa 400 Mio. Euro, die ihr durch Parla­ments­zu­ge­hö­rig­keiten in den nächsten vier Jahren zufallen, wird ganz sicher auch ein Teil nach Wuppertal fließen.

Nach der Landtags­wahl im Mai konsta­tierten wir „13.574 Wupper­ta­le­rInnen wählen rechts“. Das waren verdammt viele, doch die Zahl ist seit dem Mai nochmals deutlich größer geworden. Bei der Bundes­tags­wahl am 24.September machten 20.645 Menschen ihr Kreuz bei einer der rechten Parteien. Alleine auf die AfD entfielen 18.931 Stimmen. Im Vergleich zu den 12.586 Stimmen bei der Landtags­wahl sind das 50% mehr. Auch wenn die höhere Wahlbe­tei­li­gung bei der Bundes­tags­wahl berück­sich­tigt wird, ist das eine Steige­rung um 37,8% – geht man davon aus, dass die Wahlan­teile gleich­blei­bend verteilt worden wären. (Im Landes­schnitt von NRW hat die AfD nach dieser Berech­nung ebenfalls 38% Stimmen im Vergleich zur Landtags­wahl hinzu­ge­wonnen.) Diese Steige­rung um fast 40% in nur vier Monaten ist besorg­nis­er­re­gend und löst Fragen nach der Ursache aus. Handelt es sich um einen bundes­po­li­ti­schen Effekt, oder ist die eindeutig rechts positio­nierte Bundes-AfD wählbarer, als die sich unter Markus Pretzell gemäßigter gebende Landes-AfD ? Dagegen spricht das eher stabile, jedoch margi­nale NPD-Ergebnis, die nach 567 Stimmen im Mai immer noch von 423 Nazis in Wuppertal gewählt wurde.

AfD kann überall dazuge­winnen

Bei Betrach­tung der Wupper­taler Einzel­er­geb­nisse fällt zunächst auf, dass die AfD in allen Wahlbe­zirken, also in allen Milieus und allen Lagen, in ähnli­cher Weise dazu gewinnen konnte. Negativ inter­pre­tiert bedeutet das, dass auch Viertel mit noch im Mai sehr schlechten Ergeb­nissen für die Partei nicht immun gegen den Rechts­ruck sind. Positiv betrachtet, flacht sich die Kurve der Zugewinne in den bisher als AfD-Hochburgen geltenden Wahlbe­zirken zuneh­mend ab. Ergeb­nisse von mehr als 20% bleiben die Ausnahme (ihr bestes Ergebnis erzielte die AfD mit 24,76% in Ronsdorf-Ost, Wahlbe­zirk 210, 52 Stimmen). Dabei gibt es einzelne Ausreißer, bei denen sich ein genauerer Blick auf die Bedin­gungen lohnen würde. Im Wahlbe­zirk 114 (Steinweg, Barmen 86 Stimmen) ist es der Partei gelungen, mit 22, 75% vor der SPD stärkste Partei zu werden, die hier noch bei der Landtags­wahl fast doppelt soviele Stimmen wie die AfD bekam. (SPD Landtags­wahl : 32,12%; Bundes­tags­wahl : 22,49%)

Auffällig ist die nach wie vor geringe Wahlbe­tei­li­gung in jenen Wahlbe­zirken, in denen die AfD beson­ders gute Ergeb­nisse erzielen konnte. Vielfach liegt dort die Betei­li­gung an der Wahl nach wie vor unter 50%. Ebenso auffällig ist die nach wie vor bestehende Ost/West-Diffe­renz. Mit wenigen Ausnahmen wie Ronsdorf-Ost oder in Vohwinkel (ausge­rechnet im Wahlbe­zirk 88 am Elfen­hang) befinden sich alle Bezirke mit überpro­por­tional hohen AfD-Anteilen in Wupper­tals Osten ; in Barmen, Oberbarmen, Langer­feld und Hecking­hausen. Dass es nicht ein hoher Anteil an Bewoh­ne­rInnen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist, der beispiels­weise für die Ergeb­nisse in Oberbarmen verant­wort­lich ist, zeigt das Beispiel der im Norden Elber­felds liegenden Gathe, die in Lokal­presse und von AfD-Hetzern oft als Hort des Bösen skanda­li­siert wird. Hier konnte die AfD nur 7,23% holen (42 Stimmen), weit hinter die LINKE, die an der Gathe zweit­stärkste Partei wurde (24,44%, 142 Stimmen).

Alle Einzeler­ge­nisse zeigen, dass die beiden großen Parteien SPD und CDU in ihren Hochburgen jeweils deutlich verloren haben. Doch während im Osten davon vor allem die AfD profi­tierte, war es in einigen Wahlbe­zirken des Elber­felder Nordens die LINKE. Sie konnte zum Beispiel im Wahlbe­zirk Schles­wiger Straße, im Herz des noch bei der Landtags­wahl zwischen rechts und links heftig umkämpften Bezirkes um den Platz der Republik, diesmal mit 24,44% stärkste Partei werden (152 Stimmen). Die AfD erhielt hier ledig­lich 40 Stimmen oder 6,43% (fast gleich­blei­bend zu Mai). In anderen Wahlbe­zirken am Opphof sieht das Wahler­gebnis nicht so gut aus. Auf der östli­chen Seite des Platz der Republik, am Engeln­berg, konnte die AfD die LINKE jetzt als dritte Kraft ablösen (AfD 13,38%, 84 Stimmen, die LINKE 11,62% 66 Stimmen). Die „andere Seite“ der Elber­felder Nordstadt bleibt also, bei konstant niedriger Betei­li­gung und teils katastro­phalen Ergeb­nissen für SPD und CDU,  ein umkämpftes Gebiet.

Der Ölberg bleibt nach wie vor Ort linker Hegemonie. Die LINKE konnte bei schon vorher guten Werten auch bei der Bundes­tags­wahl nochmals deutlich zulegen. Am Hombü­chel (29,67%, 214 Stimmen), in der Marien­straße (28,20%, 247 Stimmen) und auch in der Helmholtz­straße (26,37% 173 Stimmen) wurde sie stärkste Partei. Die AfD kam in diesen Bezirken auch diesmal nicht über die 5%, konnte aber dennoch überall an absoluten Stimmen rund 30% zulegen. Das sind im Vergleich zur Landtags­wahl im Mai jeweils zwischen sieben und zehn in der unmit­tel­baren Nachbar­schaft wohnende Wähle­rInnen mehr. Auch auf dem Ölberg gibt es Wahlbe­zirke mit größeren AfD-Zugewinnen. Sie konnte im Wahlbe­zirk 10 (das Gebiet Ekkehard­straße, Grüne­walder Berg und der untere Teil des Ölberges) zum Beispiel ihr Ergbnis von 2,91% auf 6,37% steigern. Gleich 18 Nachba­rInnen mehr als im Mai haben hier nun rassis­tisch gewählt, bei der Landtags­wahl waren es nur 13 gewesen.

Der Kampf gegen Rechts wird in den Vierteln geführt

Das macht deutlich, dass auch die Gegenden, in denen sowohl im Alltag als auch bei den Wahlen bislang kaum etwas vom Rechts­ruck der Gesell­schaft zu spüren gewesen ist, nicht immun dagegen sind. Es wäre ein Fehler zu glauben, die oft so genannten „Wohlfühl­kieze“ als dauer­haft gesichert gegen rassis­ti­sche Tendenzen anzusehen. Denn was bedeutet „Wohlfühl­kiez“ über (noch) beruhi­gende Wahler­geb­nisse hinaus ? Wenn die Wahlbe­zirke betrachtet werden, in denen die AfD eher wenig Zustim­mung findet, dann lässt sich häufig ein großes zivil­ge­sell­schaft­li­ches Engage­ment auch außer­halb der Wahlpe­ri­oden feststellen. Viele Initia­tiven und Inter­ven­tionen – nicht zuletzt auch linke – sind für ein Klima verant­wort­lich, in dem sich eine Kritik am Bestehenden eher konstruktiv artiku­liert. Diese Alltags­ar­beit jedoch ist im wahrsten Sinn des Wortes viel zu oft prekär – unhono­riert, freiwillig und sie wird sehr oft mit zu wenigen Aktiven geleistet. Kleine Änderungen der Lebens­um­stände der Betei­ligten oder der Umgebung können ausrei­chen, die Arbeit in den Kiezen einschlafen zu lassen.

Wenn Viertel, die über sehr hetero­gene Nachbar­schaften definiert werden, einen sozio-kultu­rellen Wandel durch­laufen – so, wie es anläss­lich der sehr spezi­ellen Wupper­taler Form von Gentri­fi­zie­rung gerade auf dem Ölberg passiert – besteht die Gefahr, dass zuvor gewach­sene linke Inter­ven­ti­ons­mög­lich­keiten margi­na­li­siert werden können, wenn nicht bewusst an ihnen weiter­ge­ar­beitet wird. Da kann die Schlie­ßung einzelner Lokale die als Orte des Austauschs dienten, schon reichen, wesent­lich an Einfluss zu verlieren. Dabei geht es nicht um Agita­tion sondern um perma­nenten Austausch mit den Nachba­rInnen. Es geht darum, ein Gesamt­klima zu schaffen, in dem rechte Entwick­lungen gar nicht Fuß fassen können. Angesichts von etwa 50% Nicht­wäh­le­rInnen auch auf dem Ölberg könnten auch dort Wahler­geb­nisse künftig überra­schend negativ ausfallen, wenn die Erwei­te­rung von Sagbar­keits­räumen und rechte Diskurs­ver­schie­bungen zugelassen werden. Ähnli­ches gilt für die Gegend um den Mirker Bahnhof und die Wiesen­straße.

Die nach der Landtags­wahl disku­tierte Alter­na­tive, besser in anderen, scheinbar schon „gekippten“ oder zumin­dest „umkämpften“ Vierteln zu inter­ve­nieren statt sich auf das eigene Quartier zu konzen­trieren, ist keine. Die eigenen Viertel dürfen nicht vernach­läs­sigt werden, so richtig es zweifellos ist, ein rechtes Überge­wicht auch in Hecking­hausen oder Ronsdorf nicht einfach hinzu­nehmen. Doch schon nach der Landtags­wahl stellte sich die Frage, wie das von der radikalen wie der parla­men­ta­ri­schen Linken gestemmt werden soll. Ohne die eigene Basis zu vergößern, wird das nicht funktio­nieren. Bevor Inter­ven­tionen außer­halb eigener Zonen erfolgen können, muss deshalb in Teilen ein Neuaufbau statt­finden. Es könnte sein, dass der „Schock“, den viele angesichts der Wahl dann doch empfunden haben, eine Reorga­ni­sa­tion auf breiterer Basis erleich­tert.

Doch bevor das passiert ist, stellt sich eine ganz andere Frage : Was ist eigent­lich mit den großen Parteien ? Auch wenn sie bundes­weit zur Zeit darum bemüht zu sein scheinen, die AfD rechts überholen zu wollen, ihre katastro­phalen Ergeb­nisse auf lokaler Ebene müssten auch sie eigent­lich motivieren, gegen­zu­steuern. Es geht ja auch um „ihre“ Viertel. Es kann nicht sein, dass Alltags­en­ga­ge­ment und „demokra­ti­sche Inter­ven­tion“ weiterhin an Antifa und Linke delegiert werden, die man ansonsten bekämpft. Mehr noch als in Sonntags­reden der Bundes­po­li­ti­ke­rInnen wird sich in den nächsten Jahren an der Präsenz in den Quartieren und Nachbar­schaften festma­chen lassen, ob die „demokra­ti­sche Mitte“ gewillt ist, dem Rechts­ruck etwas entge­gen­zu­setzen. Ein vierjähr­li­cher „Türklin­gel­wahl­kampf“ oder bei Straßen­festen feilge­bo­tene Bratwürste werden dafür aber nicht reichen – da müsste schon mehr kommen. Wenn sie sich perso­nell oder inhalt­lich nicht dazu in der Lage sehen, sollten sie zumin­dest dafür sorgen, dass in der Stadt mehr Mittel als bisher für gesell­schaft­liche Initia­tiven bereit gestellt werden.

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