129 (Hintergrundtext)

Hausdurch­su­chungen, Telefon- und E-Mail-Überwa­chung, Einblick in Konto­be­we­gungen, monate­lange Personen- und Wohnungs­ober­va­tionen, Peilsender an PKW … die Palette der polizei­li­chen Sonder­be­fug­nisse bei Ermitt­lungs­ver­fahren nach §§129 a und b StGB bieten fast alles, was das Herz staat­li­cher Überwa­che­rInnen höher­schlagen läßt. Anders als bei „normalen“ Straf­ver­fahren müssen den §§129, 129a und 129b StGB keine Straf­taten zugrun­de­liegen – es handelt sich um Organi­sa­tions- und Gesin­nungs­pa­ra­gra­phen, mit deren Hilfe Gruppen und Netzwerke durch­leuchtet und krimi­na­li­siert werden können. Zur Einord­nung der Vorwürfe gegen unsere Freundin Latife, die am Mittwoch den 26.06. verhaftet wurde, möchten wir hier einen Überblick über Geschichte und Charakter der §§129 geben. Worum handelt es sich bei den Paragra­phen, die die Wortkeule „terro­ris­tisch” benutzen, um von vornherein Solida­rität zu erschweren ?

Geschichte der §§129, 129 a, 129 b
(basiert auf einem Artikel der Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg von 2003)

Der Ursprung des Paragra­phen 129 ist bereits in der Arbei­ter­be­we­gung zu finden. Der Paragraph wurde erstmals im Reichs­straf­ge­setz­buch von 1871 und seinen Staats­schutz­ar­ti­keln erwähnt. Mit den Paragra­phen 129 sollte die mit dem Kommu­nismus sympa­thi­sie­rende Arbei­ter­be­we­gung getroffen werden. Durch die Sozia­lis­ten­ge­setze von 1878 wurde die Grund­lage dafür geschaffen, jedes Eintreten für sozia­lis­ti­sche Ziele als Tätig­werden für eine verbo­tene Verei­ni­gung nach Paragra­phen 129 zu verfolgen. 1890 mussten die Sozia­lis­ten­ge­setze unter dem Druck der wachsenden Arbei­ter­be­we­gung aufge­hoben werden. Der §129 blieb jedoch in Kraft, wenn auch seines politi­schen Anwen­dungs­ge­bietes beraubt.

In der Weimarer Zeit diente der §129 vor allem der Verfol­gung der KPD, die damals von November 1923 bis März 1924 im gesamten Reichs­ge­biet verboten war. In dieser Zeit hatte sich die Arbei­ter­schaft eine überpar­tei­liche Hilfs­or­ga­ni­sa­tion geschaffen, die „Rote Hilfe”, die politi­schen Gefan­genen und ihren Verwandten Unter­stüt­zung gewähren sollte. Diese Tätig­keit war für die Staats­schutz­rechts­spre­chung Grund genug , die „Rote Hilfe”, als eine staats­feind­liche Verbin­dung zu betrachten und Aktivis­tInnen wegen „Vorbe­rei­tung zum Hochverrat zu verfolgen”. Die Kommu­nis­ten­pro­zesse der Weimarer Republik haben gemeinsam, dass die angeklagten Handlungen selbst völlig legale Tätig­keiten einschlossen. Über die Konstruk­tion der „Vorbe­rei­tung zum Hochverrat” wurde es jedoch möglich, auf diesem Weg die Gesin­nung der Angeklagten zu verfolgen.

Diesen zeitrau­benden und lästigen Umweg ersparten sich die Nazis. Schutz­haft­be­fehle wegen kommu­nis­ti­scher oder anarchis­ti­scher Umtriebe und die Verbrin­gung der Inter­nierten in Konzen­tra­ti­ons­lager führten vielfach zur physi­schen Vernich­tung der Kader und Aktivis­tInnen der revolu­tio­nären Arbei­ter­be­we­gung. Der Paragraph 129 blieb zwar bestehen, war aber auf diese Weise entbehr­lich geworden. Der Paragraph blieb auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Kraft. Unter dem Einfluss des Kalten Krieges und dem Antikom­mu­nismus wurden der §129 im Jahre 1951 verschärft. Seitdem existiert der Straf­tat­be­stand „Unter­stüt­zung einer krimi­nellen Verei­ni­gung”.

In den 1950er Jahren diente die Verschär­fung des §129 in erster Linie der Krimi­na­li­sie­rung der Anhän­ge­rInnen der KPD, die 1956 durch das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt verboten worden war. Für die Unter­stüt­zungs­hand­lung einer „krimi­nellen Verei­ni­gung” genügte die bloße Bereit­schaft, für eine verbo­tene Verei­ni­gung werbend tätig zu werden. Anfang der 1970er Jahre kam ein neuer Anwen­dungs­be­reich für den Gesin­nungs­pa­ra­gra­phen hinzu : Die militanten Struk­turen um RAF, RZ und Bewegung 2. Juni. Hier genügte der BRD das bestehende Instru­ment des §129 nicht mehr. Sonder­ge­setze und Sonde­rechts­spre­chung wurden instal­liert. Das Sonder­ge­setz­ge­bungs­paket Nr. 2 von 1976 schuf den §129a, und mit dem kleinen „a” entstand in der deutschen Rechts­spre­chung auch die „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung”. Für den so genannten „Terro­rismus”  wurde damit ein Ausnah­me­recht geschaffen. Ausge­hend vom Begriff der terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung wurde darüber­hinaus das Haftrecht verschärft.

Für den Begriff „Terro­rismus” gibt es kein allge­mein gültiges Defini­ti­ons­mo­dell. Jeder Staat schafft sich qua Defini­tion und je nach Bedarf, seine eigenen „Terro­risten”. Im aktuellen Fall, den Protesten in der Türkei, können dann auch schon einmal Fans eines Fußball­clubs wie die Besiktas-Ultras von der Regie­rung als „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung” bezeichnet werden. Diese Unklar­heit in der Defini­tion des Begriffs hat viele juris­ti­sche Fachleute dazu gebracht, den §129a als zu willkür­lich und nicht rechts­staat­lich zu bezeichnen. Die derzeit für Deutsch­land gültige Defini­tion lautet : „Terro­rismus ist nach der Defini­tion der Verfas­sungs­schutz­be­hörden der nachhaltig geführte Kampf für politi­sche Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durch­ge­setzt werden sollen, insbe­son­dere durch schwere Straf­taten, wie sie in § 129a Absatz 1 Straf­ge­setz­buch genannt sind, oder durch andere Straf­taten, die zur Vorbe­rei­tung solcher Straf­taten dienen (und) durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswir­kungen einen Staat oder eine inter­na­tio­nale Organi­sa­tion erheb­lich schädigen“ (Wikipedia)

Nach den Anschlägen vom 11.September 2001 wurde der §129 um einen weiteren Sonder­pa­ra­gra­phen, den §129b, erwei­tert, der den Straf­tats­be­stand auf „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gungen im Ausland” auswei­tete, was konkret bedeutet, dass die Defini­ti­ons­willkür anderer Staaten mittelbar in die deutsche Rechts­spre­chung einfließt.

Der § 129 b – Kampf­mittel gegen die migran­ti­sche Linke und die inter­na­tio­nale Solida­rität (Grund­lage der folgenden Abschnitte : Broschüre der „Roten Hilfe e.V.” „Der Hunger des Staates nach Feinden” von 2009 – komplett als pdf-Download oder online)

Unter dem Deckmantel des weltweiten „Kampfes gegen den Terro­rismus” wurde nach dem 11. September 2001 neben vielen weiteren Einschrän­kungen der Bürge­rIn­nen­rechte der Paragraf 129b in das politi­sche Straf­recht der BRD einge­führt. Seit dem 1. September 2002 sind demnach Organi­sa­tionen, die im Ausland agieren und von staat­li­cher Seite als krimi­nell oder terro­ris­tisch einge­stuft werden, in der BRD nach den §§ 129 zu verfolgen. Von den Charak­te­ris­tika unter­scheidet er sich hinsicht­lich polizei­li­cher Ermitt­lungs­me­thoden und -befug­nisse nicht vom alten §129a. Er basiert in jeder Hinsicht auf den bereits beschrie­benen §§129, stellt jedoch eine Perfek­tio­nie­rung im Sinne der Repres­si­ons­or­gane dar. Vor der Einfüh­rung des neuen Gesetzes war es den Repres­si­ons­be­hörden zwar auch schon möglich, mit den Verei­ni­gungs­pa­ra­grafen gegen migran­ti­sche Struk­turen vorzu­gehen, wovon haupt­säch­lich türki­sche und kurdi­sche Genos­sInnen betroffen waren und sind. (…) Der Paragraf 129b erleich­tert jedoch die Krimi­na­li­sie­rung von inter­na­tio­na­lis­ti­scher (Solida­ri­täts-) Arbeit, da nicht mehr nachge­wiesen werden muss, dass die jewei­lige Organi­sa­tion auch im Inland besteht. Des Weiteren muss eine direkte Betei­li­gung an straf­baren Handlungen im Ausland nicht nachge­wiesen werden, wenn von einer Mitglied­schaft ausge­gangen wird.

Dem entspre­chend sind neben einigen islamis­ti­schen Organi­sa­tionen haupt­säch­lich linke Struk­turen von dem neuen Paragrafen betroffen : Von den 27 Ermitt­lungs­ver­fahren nach §129b gegen Organi­sa­tionen einge­leitet wurden (im Jahr 2007), richteten sich elf gegen linke Gruppie­rungen, nämlich sieben gegen die TKP/ML, drei gegen die DHKP-C und eines gegen die PJAK (Partei für ein freies Leben in Kurdi­stan). Vorwand waren angeb­liche „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gungen”, die inner­halb der Parteien jeweils existieren sollen. Im Fokus stehen insbe­son­dere die „Sympa­thie­wer­bung” sowie das Sammeln von Spenden­gel­dern für die betrof­fenen Organi­sa­tionen.

Infor­ma­tions- und Öffent­lich­keits­ar­beit, die positiv auf diese Gruppie­rungen Bezug nimmt, oder die finan­zi­elle Unter­stüt­zung von Aktivi­täten, die ihnen in irgend­einer Form zugute kommen könnten, werden damit zur Zielscheibe staat­li­cher Verfol­gungswut.

Bereits im Jahre 1999 lag ein entspre­chender Vorent­wurf zum §129b beim Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium, der auf Vorschlag des „Rates der Innen- und Justiz­mi­nister der EU” entworfen wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch Einschrän­kungen der Bürge­rIn­nen­rechte in diesem Umfang nicht durch­setzbar. Dies änderte sich mit dem 11.09.2001, welcher insofern eine Bedeu­tung für die Einfüh­rung des §129b hat, dass er die Grund­lage bildete, jegliche Geset­zes­ver­schär­fungen im Bereich der „Inneren Sicher­heit” unter dem Vorzei­chen des inter­na­tio­nalen „Kampfes gegen den Terro­rismus” zu legiti­mieren. Weltweit wurde im Zuge des 11. September die „Chance” genutzt, auf inter­na­tio­naler Ebene Geset­zes­ver­schär­fungen, deren Entwürfe schon lange Zeit vorher in den Schub­laden lagen, ohne großen Wider­stand durch­zu­setzen und anzuglei­chen. Die Erwei­te­rung der §§129, welche schon 1999 von der EU disku­tiert wurde, muss in diesem Zusam­men­hang gesehen werden.

Seit der Einfüh­rung des §129b in das politi­sche Straf­recht gab es bis dato (Anm.: 2009) mehr als 150 Ermitt­lungs­ver­fahren. Er dient in der Praxis haupt­säch­lich der Ausschnüf­fe­lung und Einschüch­te­rung von politi­schen Struk­turen. (…) Bisher sind die wirkli­chen Auswir­kungen des §129b schwer absehbar. Der erste Prozess gegen eine revolu­tio­näre Organi­sa­tion aus dem Ausland, die türki­sche DHKP-C (Revolu­tio­näre Volks­be­frei­ungs­partei-Front) läuft derzeit in Stutt­gart Stamm­heim. Der Ausgang des Verfah­rens gegen die fünf Angeklagten wird maßgeb­lich sein für die folgenden Prozesse. (Anm.: Die genannten Prozesse, sowie weitere Verfahren u.a. in Düssel­dorf sind größten­teils inzwi­schen beendet. Zumeist wurden mehrjäh­rige Haftstrafen verhängt.)

Die ebenfalls im Zuge des 11. September 2001 geschaf­fenen so genannten „Terror­listen” von EU und USA beruhen nicht auf rechts­staat­li­chen Prinzi­pien, sondern gehor­chen politi­schen Spiel­re­geln. Personen und Organi­sa­tionen, die auf diesen Listen geführt werden, gelten als „terro­ris­tisch” mit allen dazuge­hö­rigen repres­siven Konse­quenzen (z.B. §§129/a/b-Verfahren). Der terro­ris­ti­sche Charakter einer Gruppie­rung muss in aktuellen Verfahren nicht mehr nachge­wiesen werden : Sobald eine Organi­sa­tion auf besagten Listen steht, ist sie „terro­ris­tisch”. (…) Bei näherer Betrach­tung der Listen wird schnell deutlich, zu wessen Bekämp­fung sie geschaffen wurden. Neben einigen islamis­ti­schen Verei­ni­gungen finden sich auf ihnen fast ausschließ­lich revolu­tio­näre Organi­sa­tionen wie die FARC in Kolum­bien, die PFLP in Paläs­tina, die DHKP-C und die PKK in Kurdi­stan, die ETA im Basken­land usw. Der §129b, ebenso die „Schwarzen Listen”, sind wie schon die §§129/a neue Mittel einer präven­tiven Repres­sion der Herrschenden. Sie müssen durch uns als solche benannt und bekämpft werden.

Mathias Krause für den Bundes­vor­stand der Roten Hilfe : 30 Jahre „Deutscher Herbst” –  Weg mit Paragraph 129a !

Auf dem Höhepunkt der staat­li­chen Repres­sion, die sich in den 1970er Jahren gegen die gesamte radikale Linke richtete und die vor genau 30 Jahren im „Deutschen Herbst” gipfelte, wurde 1976 ein Gesetz verab­schiedet, der dem inner­staat­li­chen Kampf gegen die Linke völlig neue Dimen­sionen verlieh : Der Paragraph 129a, der die „Bildung und Unter­stüt­zung einer terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung” ahndete, sah keinerlei indivi­du­ellen Tatnach­weis mehr vor. Wer – tatsäch­lich oder angeb­lich – einer Gruppe angehörte, die nach der Defini­tion der Repres­si­ons­or­gane als „terro­ris­tisch” einge­stuft wurde, verlor im Zuge der Ermitt­lungen wesent­liche Grund­rechte.

Mit dem Vorwand einer 129a-Ermitt­lung ließen sich nahezu jede Überwa­chungs- und Bespit­ze­lungs­maß­nahme begründen, Vertei­di­ger­rechte und prozes­suale Standards außer Kraft setzen und Haftbe­din­gungen exerzieren, die inter­na­tional zu Recht als „weiße Folter” bezeichnet wurden. Es ging nicht allein um die staat­liche Zerschla­gung der bewaffnet kämpfenden Gruppen, die zum Staats­feind Nummer Eins aufge­baut wurden, sondern um die Verun­mög­li­chung einer offenen Diskus­sion um notwen­dige politi­sche Strate­gien inner­halb der Linken. Wer nicht von vornherein eine eindeu­tige Distan­zie­rung signa­li­sierte oder sich in devoten Ergeben­heits­adressen an den Staat erging, wurde als RAF-Sympa­thi­santIn gebrand­markt und mittels des neu gewon­nenen Anti-Terror-Paragra­phen kaltge­stellt. Persön­liche Kontakte konnten durch dieses Repres­si­ons­in­stru­ment ebenso zum Straf­tat­be­stand werden wie politi­sche Diskus­sionen oder das Publi­zieren misslie­biger Texte.

War der §129a zunächst noch als außer­ge­wöhn­liche Abwehr­maß­nahme im Kampf gegen die Stadt­gue­rilla begründet worden, wurde er sehr bald zum festen Bestand­teil der staat­li­chen Repres­sion gegen die gesamte Linke. Der Fall Ingrid Strobl führte der Öffent­lich­keit vor Augen, dass bereits die Beschäf­ti­gung mit „anschlags­re­le­vanten Themen”, also letzt­lich jede radikale kriti­sche Ausein­an­der­set­zung mit den herrschenden Verhält­nissen, zu langen Haftstrafen führen konnte.

Im Kampf gegen die PKK dienten nach der Verhaf­tung Abdullah Öcalans banale Autobahn­blo­ckaden kurdi­scher Linker zur Konstruk­tion einer terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung. Seit der Einfüh­rung des §129b ist nicht einmal mehr irgend­eine politi­sche Aktivität inner­halb der BRD mehr nötig, um eine Organi­sa­tion als „terro­ris­tisch” zu verfolgen. Auch der bewaff­nete Kampf gegen Unter­drü­ckung in Staaten, die die BRD im weitesten Sinne als Verbün­dete betrachtet, kann nun zum Vorwand der Krimi­na­li­sie­rung verwendet werden.

Die Krimi­na­li­sie­rung antifa­schis­ti­scher Gruppen wie der Autonomen Antifa [M] oder der Antifa Passau, die in den 1990er Jahren nach §129(a) verfolgt wurden, stellte selbst eine vollkommen offen und im legalen Rahmen handelnde außer­par­la­men­ta­ri­sche Opposi­tion unter Terro­ris­mus­ver­dacht. Zu Verur­tei­lungen kommt es trotz der diffusen Vorwürfe, die zur Behaup­tung einer Zugehö­rig­keit zu einer inkri­mi­nierten Gruppe führen können, nur in den seltensten Fällen. Vielmehr dient der §129a in Wirklich­keit der Durch­leuch­tung linker Struk­turen und ist damit ein klassi­scher Ermitt­lungs­pa­ra­graph, der den Repres­si­ons­or­ganen nahezu jedes noch so fragwür­dige Bespit­ze­lungs­in­stru­ment an die Hand gibt, ohne dass sich ein konkreter Tatver­dacht jemals erhärtet.

Heute, fast zehn Jahre nachdem die RAF ihre Auflö­sung bekannt gegeben hat, erlebt der §129a im Zuge einer gezielt geschürten Antiter­ror­hys­terie eine neue Blüte. Dabei wird er weniger gegen islamis­ti­sche Organi­sa­tionen, die zur Begrün­dung immer neuer Geset­zes­ver­schär­fungen dienen, einge­setzt, sondern weiterhin haupt­säch­lich gegen die außer­par­la­men­ta­ri­sche Linke. Dabei wird einfache Sachbe­schä­di­gung als Vorwand benutzt, um eine ganze politi­sche Szene mit Prozessen und langjäh­rigen Haftstrafen unter menschen­ver­ach­tenden Bedin­gungen zu bedrohen. Die Hausdurch­su­chungen im Umfeld des G8-Gipfels zeigen ebenso wie die jüngsten Verhaf­tungen, die sich gegen angeb­liche Mitglieder der »militanten gruppe« richteten, dass der Antiter­ror­pa­ra­graph weiterhin in erster Linie die Ausfor­schung, Einschüch­te­rung und letzt­lich Zerschla­gung linker Organi­sie­rungs­ver­suche zum Ziel hat.

Die Ermitt­lungen nach §129a sind ausschließ­lich politi­sche Repres­si­ons­maß­nahmen, die mit klassi­scher Straf­ver­fol­gung ebenso wenig zu tun haben wie die mögli­cher­weise folgenden Prozesse, in denen auf sämtliche rechts­staat­li­chen Standards verzichtet wird, als faire Verfahren bezeichnet werden können. Folglich können wir als linke Solida­ri­täts­or­ga­ni­sa­tion uns nicht darauf beschränken, den einzelnen absurden Tatvor­würfen mit entlas­tendem Material zu begegnen. Politi­sche Prozesse verlangen eine politi­sche Antwort, die in diesem Fall nur heißen kann : Weg mit den Paragra­phen 129, 129a und 129b ! Für die sofor­tige Freilas­sung aller politi­schen Gefan­genen !

Artikel teilen

Erschwerte Haftbedingungen (Hintergrundtext)

Am Mittwoch, den 26.06. wurde in den frühen Morgen­stunden unter anderen auch unsere Genossin und Freundin Latife bei einer Aktion der General­bun­des­an­walt­schaft und des LKA Düssel­dorf verhaftet. Im Beisein ihrer erst vierzehn­jäh­rigen Tochter wurde Latife von einem in die Wohnung stürmenden SEK überwäl­tigt, gewaltsam zu Boden geworfen und umgehend mitge­nommen. Anlass der Aktion und der zeitgleich statt­fin­denden Durch­su­chungen mehrerer Räume in Wuppertal und anderen Städten, ist ein Ermitt­lungs­ver­fahren nach §129b in „Verbin­dung mit §129a”.  (siehe Artikel zun den §§129)

Seither (seit dem Mittwoch­abend) befindet sich Latife im Gefängnis. Zuerst in Dinslaken, inzwi­schen wurde sie nach Gelsen­kir­chen verlegt. Ihre Haftbe­din­gungen entspre­chen der üblichen Isala­ti­ons­haft­be­din­gungen bei Verfahren wegen der §§129. Das bedeutet, es ist weder ihren Freunden noch ihrer Familie, (Latife ist verhei­ratet und hat zwei Töchter), erlaubt, mit ihr Kontakt aufzu­nehmen. Außer zum Vollzugs­per­sonal besteht ihr einziger mensch­li­cher Kontakt zur Zeit zu ihrem Anwalt. Obwohl es Unter­su­chungs­ge­fan­genen prinzi­piell erlaubt ist, in der Unter­su­chungs­haft eigene Kleidung zu tragen, wurde sie zunächst gezwungen, Klamotten der JVA anzuziehen. Das ist reine Schikane und der Versuch, ihr den letzten, nach der Verhaf­tung verblie­benen Rest eigener Persön­lich­keit zu nehmen.

Um deutlich zu machen, worum es bei den „verschärften Haftbe­din­gungen” in Verfahren nach §§129 geht, geben wir nachfol­gend einen Überblick über einige diese Bedin­gungen. Er basiert auf einer Broschüre der „Roten Hilfe e.V.”,  die zum Download als pdf-Datei komplett angehängt ist, aber auch online gelesen werden kann. (via Scribd : „Der Hunger des Staates nach Feinden”, Rote Hilfe e.V., 2009) Im wesent­li­chen sind die nachfol­gend beschrie­benen Haftbe­din­gungen bis heute Bestand­teil von Isola­ti­ons­haft – auch bei Latife.

Isola­ti­ons­haft ist in Deutsch­land zunächst einmal die Einzel­haft, bei der der Kontakt zu anderen Gefan­genen und zur Außen­welt durch beson­dere Haftbe­din­gungen verhin­dert wird. Der Begriff der Isola­ti­ons­haft ist alt und weltweit verbreitet. In Deutsch­land erhielt er durch die Haftbe­din­gungen für Gefan­gene aus der Rote Armee Fraktion (RAF), der Bewegung 2. Juni oder der Revolu­tio­nären Zellen (RZ) ab den siebziger Jahren des letzten Jahrhun­derts Bedeu­tung. Zu dieser Zeit wurde die Einzel­haft von der BRD perfek­tio­niert und die „verschärften Haftbe­din­gungen” immer weiter ausge­baut. Damals entstanden auch „Tote Trakte”, wie etwa in Köln Ossen­dorf, die ebenfalls noch heute genutzt werden.

Im Jahr 1967 richtete die Deutsche Forschungs­ge­mein­schaft (DFG) im Sinne von „grund­le­gender Verwer­tung von Wissen­schaft” Sonder­for­schungs­be­reiche (SFB) an fast allen Hochschulen ein. Der Psych­iater und bekannte Spezia­list für soziale Isola­tion und senso­ri­sche Depri­va­tion, Jan Gross, wurde in diesem Zusam­men­hang in der Univer­si­täts­klinik Hamburg Leiter des SFB 115 „Isola­tion und Aggres­sion”. Er hatte sich u.a. zuvor mit Experi­menten zur Beein­fluß­bar­keit von Personen unter Isola­ti­ons­be­din­gungen befasst. Grund­lage waren Menschen­ver­suche in den USA, die sich bereits in der 1940ern intensiv mit Gehirn­wä­sche beschäf­tigten.

Auch Gross unter­nahm mit Forscher­kol­legen in den Jahren 1971 bis 1974 Labor­ver­suche mit Menschen, die er in einer „stillen” Kammer beobach­tete. Dabei handelt es sich um einen nach außen schall­iso­lierten und nach innen schall­schlu­ckenden Raum. Die einsei­tige Abhän­gig­keit und Möglich­keit der Manipu­la­tion sollten dabei zum Ausdruck kommen und die dadurch erhöhte Beein­fluß­bar­keit belegt werden. In einem Manuskript hielt er fest : „Dieses Moment kann sicher eine positive Rolle in der Bestra­fungs­kunde spielen, und zwar dort, wo es um die Umerzie­hung des einzelnen oder einer Gruppe geht und wo die Ausnut­zung einsei­tiger Abhän­gig­keiten und Manipu­la­tion mit solchen Zuständen wirksam den Prozeß der Umerzie­hung beein­flußen können”. In seiner Abhand­lung ging er sehr genau auf die Folgen von Einzel- und Isola­ti­ons­haft ein.

Aus der Kritik alter Folter­me­thoden, beispiels­weise denen des NS-Faschismus, entwi­ckelten Gross und seine Kollegen die neuen : exakter, effek­tiver, leiser und unsicht­barer. Sie orien­tierten sich an den modernen Folter­me­thoden in Vietnam, den USA und der BRD und entwi­ckelten sie weiter. Erklärte Ziele waren die Entwick­lung von Strate­gien zur Reduzie­rung, Kanali­sie­rung und Kontrolle von aggres­sivem, unange­passtem oder wider­stän­digem Verhalten sowie Umerzie­hung und die Erlan­gung „wahrer” Geständ­nisse in Verhören. (…)

Isola­ti­ons­haft ist zwar keine Erfin­dung deutscher Behörden und Gerichte. Sie wurde in der BRD aber aber perfek­tio­niert, verwis­sen­schaft­licht und „export­reif” gemacht. Von der Deutschen Forschungs­ge­mein­schaft (DFG) wurde dies 1973/74 mit einer Summe von 2,8 Millionen DM finan­ziert. Die Anwen­dung der Isola­ti­ons­haft beruht auf den Ergeb­nissen dieser Forschung. Unter den Begriff werden u.A. folgende Haftbe­din­gungen gefasst :

Einzel­haft

Isola­ti­ons­haft wird seit 1970, als es die ersten Gefan­genen aus der RAF gab, vom BGH (Bundes­ge­richtshof) auf Antrag der Bundes­an­walt­schaft angeordnet. Vom ersten Tag ihrer Haft (und häufig jahre­lang) waren alle betroffen, gegen die aufgrund des §129a U-Haft verhängt wurde bzw. die nach §129a verur­teilt wurden– unabhängig vom Tatvor­wurf : Gefan­gene aus der RAF, aus Wider­stands­gruppen und in den 90ern zahlreiche Gefan­gene, die der Mitglied­schaft in der PKK beschul­digt wurden.

Sie wurden in Einzel­zellen unter­ge­bracht und in den Gefäng­nissen sowie nach außen von mensch­li­cher Kommu­ni­ka­tion abgeschnitten. Die gegen die Gefan­genen auf dem Weg der Verfü­gung durch Anstalts­leiter oder Richter erlas­senen Haftum­stände in den einzelnen Knästen sind nicht bei allen Gefan­genen und zu jeder Zeit gleich gewesen, aber sie ähnelten sich. Die Maßnahmen sind vielfältig : Nicht­be­legte Zellen über, unter, rechts und links von der geräusch­iso­lierten Zelle des Gefan­genen, Panzer­glas­fenster oder Fenster mit Sicht­blenden und Fliegen­gitter, luftdichte Zellen­türen, weiße Wände und Einrich­tungen, das Verbot etwas an die Wand zu hängen, Blechklo, Blech­spüle, eine einge­mau­erte Blech­platte als Spiegel­er­satz und Beton­fuß­boden. Ständige Neonröh­ren­be­leuch­tung, nahezu ununter­bro­chene optische und akusti­sche Überwa­chung, tägliche bzw. wöchent­liche Zellen­kon­trollen und Leibes­vi­si­ta­tion bei völliger Entklei­dung, stünd­li­ches nächt­li­ches Wecken, Tragen von Anstalts­klei­dung, Fesseln bei Bewegungen im Freien, Einschrän­kungen und Überwa­chung des Brief­ver­kehrs und der Besuche, Trenn­scheibe bei Besuchen, Besuche nur mit nächsten Verwandten und Anwält/inn/en, keine Teilnahme an üblichen Gemein­schafts­ver­an­stal­tungen, Verbot und Verhin­de­rung von verbaler und optischer Kontakt­auf­nahme nach innen und außen.

(…)

Kontakt­sperre

Einen Tag nach der Entfüh­rung des Alt-Nazis, ehema­ligen NSDAP-Mitglieds und damaligen Präsi­denten des Bundes­ver­bandes der Deutschen Indus­trie und der Bundes­ver­ei­ni­gung der Deutschen Arbeit­ge­ber­ver­bände, Hanns-Martin Schleyer, durch die RAF im Jahr 1977 wurde gegen alle aufgrund des §129a verfolgten Gefan­genen eine Kontakt­sperre verhängt. Die Haftbe­din­gungen verschärften sich dadurch drastisch. Verboten waren der Bezug von Zeitungen und Zeitschriften, der Rundfunk­emp­fang, der Empfang und die Versen­dung von Briefen und sämtliche Besuche. Diese extreme Isola­ti­ons­maß­nahme schnitt für die Gefan­genen jegli­chen Kontakt unter­ein­ander und zur Außen­welt – einschließ­lich der Verbin­dung zu ihren Anwält/inn/en – ab. Den staat­li­chen Behörden waren die Gefan­genen umso schutz­loser ausge­lie­fert.

Entschei­dungen von Gerichten, daß die Besuche von Verteidiger/innen auszu­nehmen seien, wurden mißachtet. Die Bundes­re­gie­rung berief sich bei der Zwangs­maß­nahme der Kontakt­sperre, für die es keine Rechts­grund­lage gab, auf einen „überge­setz­li­chen Notstand”. In einem bis dahin nie dagewe­senem Tempo, 24 Tage nach Verhän­gung der Kontakt­sperre, wurde das Kontakt­sper­re­ge­setz (§§31ff. des Einfüh­rungs­ge­setzes zum Gerichts­ver­fas­sungs­ge­setz) in zweiter und dritter Lesung im Bundestag beschlossen. Mit dem In-Kraft-Treten erhielt der illegale Zustand, in dem die Gefan­genen gehalten wurden, eine Geset­zes­grund­lage. Während der Kontakt­sperre kamen in den Gefäng­nissen von Stutt­gart- Stamm­heim und München-Stadel­heim die Gefan­genen aus der RAF Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Ingrid Schubert ums Leben. Irmgard Möller überlebte, durch Messer­stiche schwer verletzt.

Einschrän­kung von Vertei­di­gungs­rechten

In Verfahren nach §129a StGB kontrol­liert ein Richter die Korre­spon­denz zwischen Verteidiger/innen und Gefan­genen (§148 Abs. 2 StPO). Dieser hält die Post zurück, wenn er der Auffas­sung ist, sie diene nicht dem Zweck der Vertei­di­gung. Dadurch und durch Durch­su­chungen in Zellen und Kanzleien mit einher­ge­henden Beschlag­nah­mungen von Prozeß­un­ter­lagen konnten sich Polizei und Staats­an­walt­schaft einen Einblick in das Vertei­di­gungs­kon­zept verschaffen. Auch der mündliche Verkehr wurde kontrol­liert und akustisch überwacht. Der baden-württem­ber­gi­sche Innen­mi­nister räumte im März 1977 öffent­lich ein, daß in zwei »Ausnah­me­si­tua­tionen« im Stamm­heimer Knast Gespräche zwischen Gefan­genen aus der RAF und ihren Vertei­di­gern heimlich auf Tonband aufge­nommen worden sind.

Neben der 1974 erfolgten Einschrän­kung des Erklä­rungs­rechts des Gefan­genen in der Haupt­ver­hand­lung (Strei­chung des §271a StPO) wurde auch das Recht von Verteidiger/innen, Erklä­rungen abzugeben, beschnitten. (Justiz-)kritische Äußerungen wurden mit Ehren­ge­richts­ver­fahren beant­wortet. Verteidiger/innen wurden von Verfahren ausge­schlossen, u.a. mit der Begrün­dung, sie hätten eine „krimi­nelle” bzw. „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung”, nämlich die Gefan­genen aus der RAF, „unter­stützt”. Mit ähnli­cher Begrün­dung wurden vier Vertei­diger verhaftet und zu Gefäng­nis­strafen und Berufs­verbot verur­teilt. Ziele dieser Eingriffe in das Vertei­di­gungs­recht waren erstens, die Isola­tion der politi­schen Gefan­genen zu verschärfen, diese werden einer der wenigen ihnen verblie­benen Kommu­ni­ka­ti­ons­mög­lich­keiten beraubt ; zweitens eine politi­sche Vertei­di­gung zu verhin­dern und drittens zu verhin­dern, daß die staat­li­chen Maßnahmen gegen die Gefan­genen an die Öffent­lich­keit gelangen. (…)

Funktionen und Folgen der Isola­ti­ons­haft

Senso­ri­sche Depri­va­tion ist die drasti­sche Einschrän­kung der sinnli­chen Wahrneh­mung, durch die sich der Mensch in seiner Umgebung orien­tiert. Sie legt im Laufe der Zeit die Sinnes­or­gane lahm und führt zu seiner Desin­te­gra­tion und extremen Desori­en­tie­rung des isolierten Indivi­duums. Soziale Isola­tion und Senso­ri­sche Depri­va­tion zielen auf das Aushun­gern der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmacks- und Tastor­gane, was zu lebens­be­droh­li­chen Zuständen führen kann. Sie sind durch das Versetzen einzelner in eine total künst­liche, gleich­blei­bende Umgebung das geeig­netste Mittel zur Zerstö­rung spezi­fisch mensch­li­cher Vital­sub­stanz. Isola­ti­ons­haft durch Senso­ri­sche Depri­va­tion wurde in der BRD wissen­schaft­lich erforscht und entwi­ckelt. Sie wider­spricht Prinzi­pien der UN-Menschen­rechts­kom­mis­sion und erfüllt nach inter­na­tional anerkannten Defini­tionen den Tatbe­stand der Folter. Bei der Vollstre­ckung wirkten Ärzt/innen und Psychiater/innen mit, ins- beson­dere bei Zwangs­er­näh­rung und Trink­was­ser­entzug während der Hunger­streiks. Die Sonder­haft­be­din­gungen, insbe­son­dere die Isola­tion, führen zu Kopfschmerzen, Schwin­del­an­fällen, Konzen­tra­ti­ons­schwie­rig­keiten, Einschrän­kungen der Leistungs­fä­hig­keit, Abgeschla­gen­heit, Müdig­keit, Schlaf­stö­rungen, chroni­schem Schnupfen, chroni­scher Bronchitis und Beein­träch­ti­gungen der psychi­schen Funktionen.

Senso­ri­sche Depri­va­tion greift das vegeta­tive Nerven­system an, das die Reaktionen des Körpers auf Umwelt­be­din­gungen reguliert. Direkte Folge davon sind langsames Abnehmen der Kontrolle über das eigene Handeln, Schwie­rig­keiten die Realität zu überprüfen und die Reduzie­rung des Vermö­gens, rational, logisch und zusam­men­hän­gend zu denken. (…) Der syste­ma­ti­sche Reizentzug durch totale Isola­tion sollte zu erhöhter Abhän­gig­keit, zu zwangs­weisen Kontakten zu Verhö­renden, Gefäng­nis­wär­tern u.ä. führen. Daneben hatte er zum Ziel, den Gefan­genen das Gefühl des Ausge­lie­fert­seins zu geben. Mittel- und langfristig sollten damit die politi­schen Gefan­genen und ihr Wider­stand gebro­chen werden. Zweck der Sonder­haft­be­din­gungen ist erstens, die politi­sche Identität der Gefan­genen zu vernichten. Sie sollen vor die Alter­na­tive gestellt werden, entweder „abzuschwören” – und dann in den Normal­vollzug integriert zu werden – oder aber der Isola­tion und damit physi­scher und psychi­scher Zerstö­rung unter­worfen zu sein. Zweiter Zweck ist die Aussa­ge­er­pres­sung und drittens die Gefan­genen zu quälen, Rache zu üben, sie die volle Gewalt des Staates spüren zu lassen.

Export der Isola­ti­ons­haft

Was die Gefan­genen aus der RAF haben durch­ma­chen müssen, ist seit Jahren ein deutsches Export­pro­dukt. Während physi­sche Folter Kennzei­chen von Dikta­turen ist, charak­te­ri­siert Isola­ti­ons­haft Staaten mit demokra­ti­schen und rechts­staat­li­chen Verfas­sungs­grund­sätzen. Europäi­sche und latein­ame­ri­ka­ni­sche Länder haben die Praxis der Isola­ti­ons­haft von der BRD übernommen. Überall war die Einfüh­rung von Isola­ti­ons­haft mit Gefan­ge­nen­kämpfen verbunden.

Der spani­sche Justiz­mi­nister besuchte 1981 seinen deutschen Amtskol­legen. Themen der Gespräche waren unter anderem das Verständnis des deutschen Gefäng­nis­sys­tems und Erfah­rungen mit Hochsi­cher­heits­trakten. In Spanien wurden 1987 die »Europa-Zellen« gegen den Wider­stand der politi­schen Gefan­ge­nen­kol­lek­tive einge­führt. Der spani­sche General­konsul in der Schweiz äußerte zur Einfüh­rung der Einzel­haft gegen politi­sche Gefan­gene in Spanien 1990 ganz offen : „Die einzige Antwort auf diese staats­zer­set­zenden Elemente, die sich auch in der Gefan­gen­schaft nicht zähmen lassen, ist sie vonein­ander zu trennen. Die Bundes­re­pu­blik hat hier gute Erfah­rungen gesam­melt, die unser Vorbild sind.” In Chile entstanden in den 1980ern Pläne zur Syste­ma­ti­sie­rung der Isola­ti­ons­haft nach BRD-Vorbild. Die Durch­set­zung erfolgte 1989 im Rahmen der Demokra­ti­sie­rung nach der Pinochet-Diktatur. Türki­sche Beamte besich­tigten 1990 den Stamm­heimer Knast, um sich über die europäi­sche Gefäng­nis­norm zu infor­mieren. In der Türkei kam es 1991 zu ersten gewalt­samen Verle­gungen von über 100 Gefan­genen in die Isola­ti­ons­zellen des umgebauten Hochsi­cher­heits­ge­fäng­nisses von Eskisehir. Im Oktober 2000 erklärte der türki­sche Justiz­mi­nister Türk, daß bereits in 54 Gefäng­nissen Isola­tions- und Einzel­haft­ab­tei­lungen fertig­ge­stellt seien. Die elf geplanten und zum Teil fertig­ge­stellten F-Typ-Isola­ti­ons­ge­fäng­nisse sind für insge­samt 5.000 politi­sche Gefan­gene vorge­sehen.

Ein Brief Ulrike Meinhofs aus dem Toten Trakt aus der Zeit vom 16.06.1972 bis 09.02.1973 (Quelle)

das Gefühl, es explo­diert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädel­decke müßte eigent­lich zerreißen, abplatzen) - das Gefühl, es würde einem das Rücken­mark ins Gehirn gepreßt, das Gefühl, das Gehirn schrum­pelte einem allmäh­lich zusammen, wie Backobst z.B. das Gefühl, man stünde ununter­bro­chen, unmerk­lich, unter Strom, man würde fernge­steuert - das Gefühl, die Assozia­tionen würden einem wegge­hackt - das Gefühl, man pißte sich die Seele aus dem Leib, als wenn man das Wasser nicht halten kann - das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf : die Zelle fährt ; nachmit­tags, wenn die Sonne reinscheint, bleibt sie plötz­lich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen. Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert - man kann nicht klären, warum man zittert - man friert.

Um in normaler Lautstärke zu sprechen, Anstren­gungen, wie für lautes Sprechen, fast Brüllen - das Gefühl, man verstummt - man kann die Bedeu­tung von Worten nicht mehr identi­fi­zieren, nur noch raten - der Gebrauch von Zisch-Lauten - s, ß, tz, z, sch - ist absolut unerträg­lich - Wärter, Besuch, Hof erscheint einem wie aus Zellu­loid - Kopfschmerzen - flashs - Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrol­lieren. Beim Schreiben : zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile den Anfang der ersten nicht behalten - Das Gefühl, inner­lich auszu­brennen - das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man das rauslassen würde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser ins Gesicht zischen, wie z.B. kochendes Tankwasser, das den lebens­läng­lich verbrüht, entstellt - Rasende Aggres­si­vität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußt­sein, daß man keine Überle­bens­chance hat ; völliges Schei­tern, das zu vermit­teln ; Besuche hinter­lassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mecha­nisch rekon­stru­ieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war - Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet : einen Moment auftauen, erholen - hält auch für paar Stunden an - Das Gefühl, Zeit und Raum sind inein­ander verschach­telt - das Gefühl, sich in einem Verzerr­spie­gel­raum zu befinden - torkeln -

Hinterher : fürch­ter­liche Euphorie, daß man was hört - über den akusti­schen Tag-Nacht-Unter­schied - Das Gefühl, daß jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, das Rücken­mark wieder runter­sackt - über Wochen. Das Gefühl, es sei einem die Haut abgezogen worden.

Artikel teilen