Interview „Das andere sind die kackfrechen Lügen”

Das Inter­view zum Döppers­berg Umbau und zur Initia­tive döpps105 ist ursprüng­lich in der AZ-Massen­zei­tung zum 1.Mai erschienen Es wurde von den Mache­rInnen der Zeitung am 1.April mit Frank Jäger (Tacheles e.V., döpps105) und Loba vom so_ko_wpt geführt. Das dabei angespro­chene Inter­view mit Thomas Wagner und eine vorläu­fige Einschät­zung der Initia­tive döpps105 von unserer Seite gibt es hier : Trotz Mitmach­falle : Die Initia­tive macht weiter.

Das Inter­view : „Das andere sind die kackfre­chen Lügen”

Die Initia­tive döpps105, die sich für die Begren­zung der Umbau­kosten am Döppers­berg stark macht, hat am 14.03. die für ein Bürge­rIn­nen­be­gehren erfor­der­liche Anzahl an Unter­schriften bei der Stadt Wuppertal einge­reicht.

Loba ist aktiv im so_ko Wuppertal (soli-komitee), das sich an der döpps105-Initia­tive betei­ligt hat. Frank ist Berater bei Tacheles e.V. und hat in den letzten Monaten das Bürge­rIn­nen­be­gehren von döpps105 mit voran­ge­trieben. Wir sprachen mit den beiden über Bürge­rIn­nen­be­tei­li­gung in Wuppertal und die Art, wie die Stadt­spitze mit dem Bürge­rIn­nen­be­gehren umgeht, sowie über die inves­to­ren­freund­liche Stadt­ent­wick­lungs­po­litik in Wuppertal.

Frage :  Der Umbau am Döppers­berg wird bekannt­lich viel teurer als geplant. Nun sollen über 35 Millionen mehr inves­tiert werden. Glaubt ihr, dass es bei der angekün­digten Kosten­stei­ge­rung bleiben wird ?

Frank : Es gibt unter­schied­liche Schät­zungen, die so bei über 200 Millionen Euro liegen - der Wupper­taler Unter­nehmer Schmersal, der sehr erfahren in großen Baupro­jekten ist, geht fest davon aus. Die Stadt­spitze versucht, die Frage der Kosten­stei­ge­rung zu umschiffen. Es wird auf jeden Fall teurer ; um wie viel, ist meiner Meinung nach Kaffee­satz­le­serei.

Wie ist denn der aktuelle Planungs­stand beim Umbau ?

Loba : Es gibt Presse­mel­dungen, dass die weiteren Pläne mit dem irischen Unter­nehmen Signa­ture Capital, dem Investor des Geschäfts­hauses vor dem Bahnhofs­ge­bäude, das jetzt auch das Schwe­be­bahn­ge­bäude am Döppers­berg kauft, eng verzahnt abgestimmt werden müssen. Das heißt es könnte am Ende auch auf eine Public Private Partnership (PPP) hinaus­laufen, wo Signa­ture Capital der Stadt unter die Arme greift, aber dafür auch viele Zugeständ­nisse bekommt. Die Rolle von Signa­ture Capital ist bislang noch völlig unklar, aber es könnte auf eine massive Priva­ti­sie­rung öffent­li­chen Raums hinaus­laufen.

Frank : Es gibt aber auch Aufga­ben­felder, die laut Presse jetzt wieder in den Aufga­ben­be­reich der Stadt zurück­fallen, beispiels­weise sind die Kosten für den Pavillon an der Wupper in den Kalku­la­tionen der Stadt noch gar nicht aufge­führt.  Man kann in beide Richtungen speku­lieren – teurer wird es auf jeden Fall.

Die döpps105-Initia­tive hat Unter­schriften gesam­melt : Wie ist jetzt der Stand bei der Initia­tive ?

Frank : Die ersten Treffen gab es im September 2013, die Initia­tive hat sich also erst gegründet, als die Mehrkosten nicht mehr vertuschbar waren. Das haben zwar alle, die das Projekt beobachtet haben, schon lange gewusst. Die Empörung ist aber erst hochge­kocht, als die Stadt die Katze aus dem Sack gelassen hat. Dann formierte sich eine Initia­tive aus unter­schied­li­chen Gruppen und Einzel­per­sonen. Am 18.November ist per Ratsbe­schluss ein früherer Beschluss – nämlich die Baukosten auf 105 Millionen zu begrenzen - aufge­hoben worden. Ziel des Bürge­rIn­nen­be­geh­rens von döpps105 ist es nun, diesen neuen Beschluss, der eine Kosten­stei­ge­rung um 35 Millionen beinhaltet, aufzu­heben. Dafür kamen trotz widriger Bedin­gungen seit Mitte Januar deutlich mehr als die notwen­digen 11.000 Unter­schriften zusammen.

Loba : Es gibt Leute, die sich mit diesem Bürge­rIn­nen­be­gehren schwer getan haben, unter anderen auch ich. Ich bin schon der Meinung, dass das Feld urbaner Trans­for­ma­tion bespielt werden muss, aber dass Bürger­be­gehren ein sehr fragwür­diges Instru­ment sind. Vor allem ist da natür­lich die Kritik daran, dass dabei nur „Wahlbürger” mitma­chen dürfen. Was ist mit unseren türki­schen und arabi­schen Freun­dInnen ? Es geht aber auch um Grund­sätz­li­ches : Der Autor Thomas Walter beschreibt in seinem Buch „Die Mitmach­falle“ sehr eindrück­lich, wie gesetz­liche Betei­li­gungs­ver­fahren in der Regel mögli­chen Wider­stand kanali­sieren, spalten und wirkungslos machen. Der „runde Tisch” bei „Stutt­gart 21” ist da ein Beispiel. Es ist wie bei Wahlen : Wenn Bürge­rIn­nen­be­gehren etwas verän­dern könnten, wären sie verboten. Also gibt es jede Menge Versuche, sie letzten Endes juris­tisch zu blockieren. Auch in diesem Falle werden wir sehen, wie diese 13.000 Unter­schriften mit juris­ti­schen Argumen­ta­tionen vom Tisch gewischt werden. Es wird jetzt spannend, zu sehen, wie die Initia­tive auf die Wirkungs­lo­sig­keit ihres Begeh­rens reagiert.

Die Stadt hat ja schon verlauten lassen, dass sie die Unter­schriften nicht anerkennen wird. Wie will die Initia­tive darauf reagieren ?

Loba : Die Frage ist jetzt, ob die Leute sich auf das juris­ti­sche Spiel einlassen, oder ob sie sagen, wir haben uns so engagiert, und die Stadt inter­es­siert das jetzt alles einen Scheiß­dreck : wir müssen nach anderen Wegen suchen und Struk­turen schaffen, wie wir solchen Entschei­dungen zukünftig wirkungs­voller entge­gen­treten können. Da wird es jetzt verschie­dene Strate­gien geben, und es wäre meiner Meinung nach unsere Aufgabe, dieje­nigen zu stärken, die Recht-auf-Stadt-Struk­turen aufbauen wollen, die in Zukunft wirklich inter­ve­nieren können.

Wie setzt sich die Initia­tive Döpps105 denn zusammen ?

Frank : Die Initi­aitve ist relativ breit aufge­stellt. Viele Leute, die sich vorher nicht in Stadt­po­litik einge­mischt haben, sind jetzt aufgrund dieser Kosten­stei­ge­rung so empört, dass sie sich politi­siert haben. Es gab da keine Partei oder bestehende Struktur, die die Initia­tive dominiert hätte, und auch die Unter­schrif­ten­samm­lung war durchweg selbst­or­ga­ni­siert.

Loba : Es gibt einen für uns spannenden Punkt : Es gibt in Wuppertal mehr Leute als gedacht, die in Initia­tiven tätig sind, die aber oft außer­halb unserer Wahrneh­mung sind. Es gibt Nachbar­schafts­in­itia­tiven, die sich z.B. gegen eine Kanal­ver­le­gung wehren oder gegen die IKEA-Ansied­lung im Wupper­taler Norden und viele andere. Die Menschen organi­sieren sich aber haupt­säch­lich sehr klein­räum­lich, zum Beispiel in Hinblick auf ihre Straße oder Siedlung. Da müssen wir ansetzen, lokale „Mappings” wären ein guter Anfang.

Was waren denn für euch die ursprüng­li­chen Beweg­gründe, sich mit dem Döppers­berg zu befassen?!

Frank : Ich komme aus dem Bereich der Sozial­po­litik, und wir sehen ja, wo das Geld überall fehlt. Jetzt wird nochmal zusätz­lich Geld für den Döppers­berg ausge­geben, der Investor bekommt den roten Teppich ausge­rollt, und dem Rest der Stadt fehlt die Kohle. Was die Kürzungen im Sozial­be­reich oder Bildungs­be­reich angeht, ist das Ende der Fahnen­stange schon lange erreicht. Das war für mich der ausschlag­ge­bende Punkt, zu sagen, das geht einfach nicht. Das andere sind die kackfre­chen Lügen : Im Jahr 2010 wurde das schärfste Kürzungs­paket geschnürt, erfolgten die Weichen­stel­lung für die Schlie­ßung des Schau­spiel­hauses und mehrerer Schwimm­bäder. Im gleichen Jahr wird das Projekt Döppers­berg einge­tütet, und zwar gerecht­fer­tigt mit einer klaren Kosten­de­cke­lung auf die 105 Millionen. Das ist eine große Lügen­ge­schichte, die mich wie viele andere auf die Palme brachte.

Loba : Für mich waren es mehr stadt­pla­ne­ri­sche Aspekte : Wie die Stadt, in der wir leben, nach neoli­be­ralem Zuschnitt umgebaut wird, wessen Inter­essen hier bedient werden, wer die Beute davon schleppt, und wieviel Lebens­qua­lität für die Leute hier übrig bleibt. Es gibt da grund­sätz­liche Fragen : wieviel Einzel­han­dels­fläche wird neu geschaffen, die keineR braucht, warum kann ich in meinem Kiez nicht mehr einkaufen gehen, wieso wird eine Stadt so besin­nungslos zubeto­niert, warum muss der Platz am Kolk, der auch ein Park sein könnte, einem Einkauf­zen­trum wie den ECE-City Arkaden weichen ?

Womit glaubt ihr, was der Döpps-Umbau in den nächsten Jahren für die Stadt bedeutet ? Was denkt ihr, was die Stadt­spitze sich davon verspricht, das auf Teufel komm raus durch­zu­boxen ?

Loba : Für Leute wie den CDU-OB Jung oder den SPD-Mann Reese funktio­niert das ganz schlicht : Jubel­mel­dungen der Lokal­presse, dass die Immobi­li­en­preise auch in Wuppertal anziehen, nehmen die als  positiv wahr. Das berück­sich­tigt aber in keiner Weise die Leute, die für mich Wuppertal ausma­chen, die jetzt schon keine bezahl­baren Wohnungen finden, oder in der Innen­stadt Platz­ver­bote erteilt bekommen. Das inter­es­siert aber Jung und Reese nicht, weil das nicht die Leute sind, für die sie Politik machen. Die machen Politik für ihren Plan einer Zweit­liga-Gentri­fi­zie­rung als Schlaf­stadt für Köln oder Düssel­dorf und für Inves­toren, die aus dieser Stadt Profit rausziehen wollen.

Frank : Es stimmt, dass durch diese Politik ein Drittel der Bevöl­ke­rung abgehängt wird. Es geht darum, genug Leute dafür zu inter­es­sieren, dass dieses Drittel eben auch zur Stadt gehört, nicht einfach abgeschrieben werden kann, und dass dieses Drittel die Stadt in den nächsten zehn Jahren genauso mitge­stalten wird – denn das Thema Döppers­berg wird uns schließ­lich noch bis mindes­tens 2018 begleiten.

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Interview vor der Solingen-Demo zu 1993

Vor den Demons­tra­tionen in Solingen :
Inter­view mit einem Mitor­ga­ni­sator der Wupper­taler Nachbar­schafts­ko­mi­tees in der Elber­felder Nordstadt, zwanzig Jahre nach dem Brand­an­schlag von Solingen.

Die Gesell­schaft hat ein Fisch­ge­hirn“

M. kam Ende der achtziger Jahre nach Wuppertal. Quasi pünkt­lich zur Wieder­ver­ei­ni­gung erreichte er nach einer politi­schen Haft in der Türkei ein « freies » Land im Taumel. Sein Status war der eines Flücht­lings, eines « Asylanten », wie er und tausende andere damals von Medien und Menschen genannt wurden. Als er gerade zwei Jahre hier gelebt hatte, wurden in Hoyers­werda Menschen vertrieben, weil sie « Asylanten » waren. In Rostock brannte wenig später das « Sonnen­blu­men­haus ». Dann verbrannten drei türki­sche Frauen in Mölln.

M., der sich in Initia­tiven gegen die Änderung des Asylrechts engagierte, sah die Einschläge näher­kommen. Am 26.Mai 1993 schließ­lich wurde der Kampf um ein menschen­wür­di­geres Asylrecht in Deutsch­land verloren. Drei Nächte später brannte in unmit­tel­barer Nachbar­schaft seiner neuen Heimat ein von TürkInnen bewohntes Haus. In der Unteren Werner­straße in Solingen wurden fünf türki­sche Mädchen und Frauen getötet, es gab schwer verbrannte Verletzte.

Es waren nicht die einzigen Brände in jenen Tagen. Die anderen sind nur längst vergessen. Es brannte auch in Wuppertal, auf dem so multi­kul­tu­rellen und linken Oelberg. Das rassis­ti­sche Geschehen war direkt bei M. angekommen. Er war nicht nur als einer der ersten bei einem der Brände, er organi­sierte auch ein basis­de­mo­kra­ti­sches Nachbar­schafts­ko­mitee zwischen der Wiesen­straße und der Helmholtz­straße mit. M. brachte die Nachba­rInnen zusammen. Dieser Aufgabe widmet sich M. bis heute. Er organi­siert Kultur und Austausch. M. ist aus dem Viertel, in dem er bis heute lebt und arbeitet, nicht wegzu­denken.

Wenige Tage vor dem Jahrestag des Solinger Brand­an­schlages, fragten wir ihn nach seinen Erinne­rungen und zu seiner Einschät­zung der heutigen Bedeu­tung der damaligen Ereig­nisse.

Du hast uns erzählt, dass du einer von denje­nigen gewesen bist, die Anfang Juni 1993 einen der beiden Brände in der Helmholtz­straße im Elber­felder Norden gelöscht haben. Was war da genau ?

Es gab in dieser Nacht zwei Brände in zwei Häusern in der Helmholtz­straße. Die Hausnum­mern weiß ich nicht mehr. Eines der Häuser war gegen­über der Schule weiter westlich, das andere war in Richtung der Frowein­straße, auf der rechten Seite. Erst brannte es in dem Haus an der Schule, dann in dem anderen. Wir waren an diesem Abend im « La Bohéme » und im « ADA ». Dort erfuhren wir von dem ersten Brand. Wir sind sofort los. Auf dem Weg bekamen wir den zweiten Keller­brand in dem anderen Haus mit. Da waren auch noch Leute in dem Haus und andere Leute draußen. Ich erinnere mich aber nicht mehr genau daran, wer da alles dabei war. Wir sind dann in den Keller rein. Es gab viel Feuer und Rauch da, gemeinsam haben wir versucht zu löschen. Später kam die Feuer­wehr und auch die Polizei. Die haben uns aus dem Keller geschickt. Sie haben gesagt, es sei zu gefähr­lich, wir müssten raus…

War eigent­lich klar, dass es Brand­stif­tung war ? Ist offiziell eine Ursache oder gar ein Täter ermit­telt worden ?

Alle Leute haben sofort gesagt, dass es ein Anschlag ist. Ich weiß es natür­lich auch nicht. Aber in der gleichen Nacht zwei Brände, in der gleichen Straße, nur hundert­vierzig Meter vonein­ander entfernt…

…nur ein paar Tage nach Solingen… Haben die Medien über die Brände in der Helmholtz­straße berichtet ?

Die Westdeut­sche Zeitung hat berichtet. Die haben damals auch ein Foto von mir gemacht. In dem kleinen Artikel wurde über die Brände berichtet. Der in dem Haus an der Schule war ein größeres Feuer mit viel Rauch­ent­wick­lung. Das andere Feuer, wo wir waren, war kleiner, es wurde ja auch schnell versucht zu löschen. Die WZ schrieb, dass die Brand­ur­sache unbekannt sei.

Die Brände in der Helmholtz­straße waren auch der Auftakt für die Nachbar­schafts­ko­mi­tees. Erinnerst du dich daran, wie das angefangen hat ?

Wir hatten schon vorher, nach dem Anschlag in Solingen mit den Nachba­rInnen geredet, um eine Bewachung der Häuser zu organi­sieren. Wir haben überall Zettel verteilt und zu Treffen einge­laden. Da haben die beiden Brände in der Nordstadt dann viele dazu gebracht dahin zu kommen. Bei dem Treffen wurden Wachen einge­teilt : Wer kann zu welcher Stunde kommen ? Die Leute haben sich freiwillig verab­redet, manche haben sich für eine Stunde in der Nacht bereit erklärt zu kommen, andere für länger. Die Leute sind dann durch die ganze Nordstadt gelaufen, haben sich umgeguckt und aufge­passt. Die Sorge war, dass die Rassisten noch mehr Brände legen und noch mehr Menschen verbrennen. In der Nordstadt leben eben sehr viele Migran­tInnen. Es haben sich zuerst viele an den Wachen betei­ligt. Und die Kneipen und Läden in der Gegend haben das unter­stützt. Die Pausen wurden zum Beispiel im « La Bohéme », im « Wirtschafts­wunder » oder im « ADA » verbracht. Und dort gab es immer Kaffee, Tee oder etwas zu essen. Das hatten die Nachbarn für die Nacht­wa­chen vorbe­reitet.

Die Leute, die sich an den Komitees betei­ligt haben, wer waren die ? Waren das die, die man immer schon kannte, also nur Menschen aus der linken Szene ?

Nein. Das waren oft auch ganz andere Leute. Das waren vor allem « ganz normale » Nachba­rInnen, die zu den Meetings gekommen sind. Die Linken aber natür­lich auch. Aus den damaligen Kontakten hat sich später übrigens das « Naba », das Nachbar­schafts­heim am Platz der Republik entwi­ckelt.

Viele spontane Aktionen nach Solingen : Die Gathe am damaligen „La Bohéme”

« Das muss man selber regeln. »

Was wäre eigent­lich passiert, wenn die Nacht­wa­chen auf Nazis getroffen wären ? Ich erinnere mich an Diskus­sionen darüber, wie man reagieren soll, wenn welche angetroffen werden… da gab es unter­schied­liche Auffas­sungen, ob die Polizei gerufen werden soll…

Wir hatten Telefon­listen. Da wären dann sofort einige Leute alarmiert worden. Auch die von mir erwähnten Läden standen auf der Liste.

Hätten die Leute das selber geregelt ? Oder die Polizei gerufen ?

Das hätten wir selber geregelt. Das muss man selber regeln.

Es wurde damals viel über die « Grauen Wölfe » speku­liert. Wie war das im Tal mit den türki­schen Faschisten ? Haben die Natio­na­listen sich an den Wachen betei­ligt ?

Die türki­schen Natio­na­listen waren bei den Komitees gar nicht dabei. Die waren in Solingen an den Abenden da. Wir haben uns mit denen ausein­an­der­ge­setzt. Für uns ist das das gleiche - ob deutsche oder türki­sche Faschisten…

Wir haben bei den Nachbar­schafts­treffen auf die Arbeit aufbauen können, die wir vorher schon mit anderen zu den neuen Auslän­der­ge­setzen gemacht hatten. Da hatten wir uns schon mit vielen Menschen getroffen und Meetings verab­redet. Wir haben Protest­ak­tionen und Demons­tra­tionen gemacht. Alleine in Wuppertal waren da 1.000-1.500 Leute. Da waren verschie­dene Gruppen aktiv. Wir haben mit allen geredet. Außer mit den Faschisten. Mit türki­schen und kurdi­schen Vereinen, mit gläubigen Menschen in den Moscheen und auch mit Konser­va­tiven. Die waren ja alle betroffen. Es gab Meetings im alten « Hasret », im « ADA », oder im « Haus der Jugend ». Das was ein schöner Anfang. Auch ein Lernpro­zess. Wen sprechen wir an ? Nur linke Gruppen, nur eigene Gruppen ? Oder alle, die es angeht ? Die neuen Asylge­setze gingen ja auch die Konser­va­tiven an…

« Da war viel Gerede. »

… Verhin­dern konnten wir die Gesetze aber nicht, obwohl dann – nach Solingen – auch bürger­liche Gruppen zum Beispiel das kommu­nale Wahlrecht für alle oder die doppelte Staats­bür­ger­schaft gefor­dert haben, wie die SPD

… Nein. Das hat nicht funktio­niert. Das war viel Gerede. Die « Grünen » haben zum Beispiel aufge­for­dert, die deutsche Staats­bür­ger­schaft zu beantragen. Da haben wir eine gemein­same Antrags­ab­gabe gemacht. Doch viele haben die Staats­bür­ger­schaft nicht gekriegt. Ich habe zum Beispiel auch einen Antrag auf einen deutschen Pass gestellt. Ich war da schon kein türki­scher Staats­bürger mehr. Ich war heimatlos. Regie­rung und Parla­ment in der Türkei hatten mich ausge­bür­gert. Ich weiß, dass der deutsche und der türki­sche Geheim­dienst mitein­ander Kontakt hatten, danach wollte das Auslän­deramt von mir Nachweise zur Ausbür­ge­rung. Ich sollte in die Türkei zurück­kehren und mir dort eine Bestä­ti­gung abholen. Es hat auch nichts genutzt, dass ich die « amtliche Zeitung » gezeigt habe, in der sie meine Ausbür­ge­rung bekannt­ge­geben haben.

Du hattest durch deine Arbeit in der Türkei Erfah­rungen in der Organi­sie­rung von basis­de­mo­kra­ti­schen Struk­turen. Wie beurteilst du vor diesem Hinter­grund die Nachbar­schafts­ko­mi­tees 1993 ? Hast du eine Erklä­rung dafür, warum diese spontanen Komitees nicht langfris­tiger gearbeitet haben ?

Das kann man nicht verglei­chen, in der Türkei ist das etwas anderes. Dort ist die faschis­ti­sche Bedro­hung perma­nent. Die schossen oft auf Leute oder schlugen sie zusammen. Deshalb haben wir für Einrich­tungen wie Fabriken, Schulen oder die Univer­sität, aber auch für bestimmte Straßen ständig Schutz organi­siert. Das war normal, dass immer welche bis zum neuen Morgen wachge­blieben sind. Hier ist das anders. Niemand weiß genau, wer hat das gemacht ? Wie ist das gemacht worden ? Die Gefahr ist nicht so greifbar, nicht so präsent. Die Leute vergessen sie dann schneller…

… Da spielen sicher auch die Medien eine Rolle. In der Bericht­erstat­tung wurde nach Solingen schnell gelernt : Kaum noch ein Brand wurde als rassis­ti­sche Tat benannt. Es waren nur noch « ungeklärte Ursachen ». Oder es wurden, wie bei den Bränden in Hattingen oder später in Lübeck, sogar die Brand­opfer selber als TäterInnen beschul­digt. Das hat dann Jahre gedauert, bis die freige­spro­chen wurden, die Leute haben vergessen und die wahren Täter wurden nie ermit­telt…

… Das ist ja heute auch noch so. Wie bei den Morden der Nazis vom NSU, da wurde auch jahre­lang geleugnet, dass es rassis­ti­sche Taten waren. Auch da wurden die Opfer beschul­digt, weil sie angeb­lich Geld brauchten oder sonst was… Wir wissen das alles doch schon seit Jahren. Das läuft doch immer so…

« Viele haben gedacht, wann kommt das Feuer ? »

Du bist nur wenige Jahre vor dem Anschlag in Solingen nach Deutsch­land gekommen. Wie hast du die Ereig­nisse 1992/1993 in deiner « neuen Heimat » aufge­nommen ?

Das Wichtigste war für mich wirklich die Zusam­men­ar­beit der Nachbarn in den Komitees. Das war das, was mich am meisten inter­es­siert hat. Das war schön. Da waren auch die Älteren dabei. Die Nachba­rInnen aus der Wiesen­straße, aus der Helmholtz­straße, sehr viele haben versucht zu helfen.

Die Menschen hatten natür­lich auch Angst. Wird meine Wohnung auch brennen ? Passiert uns sowas auch ? Solche Angst kommt bei den « Auslän­dern » dann natür­lich auf. Die türkisch­stäm­migen Leute kannten das doch aus der Türkei. Zum Beispiel die Aleviten. Die türki­schen Natio­na­listen haben dort Wohnhäuser mit einem Kreuz markiert, in denen alevi­ti­sche Leute leben. Da sind in mehreren Städten viele, viele Leute bei Bränden gestorben… Die türki­schen Faschisten gehen auf die gleiche mörde­ri­sche Art vor… Da hatten die Leute natür­lich Angst, hier wieder « markiert » zu werden, als « Türken », oder als « Ausländer ». Und die Angst wird größer, je weniger Infor­ma­tionen sie vom Staat, von der Polizei bekommen. Da war viel Angst in Wuppertal. Damals lebten 14.000 kurdi­sche und türki­sche Menschen hier, und Solingen ist direkt nebenan. Es ist ja damals auch in vielen Orten etwas passiert. Viele haben damals gedacht : Wann kommt das Feuer ? Wir konnten nur vorschlagen, zusam­men­zu­ar­beiten und aufzu­passen.

Haben die Leute heute auch noch Angst ?

Natür­lich haben sie heute auch noch Angst. Aber die Gesell­schaft hat ein Fisch­ge­hirn. Sie vergisst zu schnell. Es passiert etwas, und nach zehn Tagen ist es vergessen. Jetzt haben die NSU-Morde neue Angst gemacht. Dass das rassis­ti­sche Morde sind wussten viele türki­sche Menschen schon lange. Manche türki­schen Medien haben schon früh den Verdacht geäus­sert, dass es rassis­ti­sche Morde sind. Und da sterben zwei, drei, am Ende zehn Menschen. Das macht natür­lich Angst.

« Wir müssen lebendig sein ! »

Wenn du dir heute die Situa­tion mit den Nazis ansiehst und sie mit damals vergleichst, wie schätzt du das ein ? War die Situa­tion damals bedroh­li­cher ? Oder ist die Gefahr heute tatsäch­lich größer ?

Ich finde es heute bedroh­li­cher. Weil es zum Beispiel diese Demons­tra­tionen gibt, die der Staat durch­setzt, weil die Polizei kommt, um den Faschisten zu helfen, weil sie in Vohwinkel zum Beispiel wegsehen, wenn da Nazis offen mit Nazi-Symbolen herum­spa­zieren. Und in der ökono­mi­schen Krise rücken die Rechten zusammen und bieten einfache Antworten an. Schuld sind dann sowieso immer die Ausländer. Hier sind es die Türken, in Frank­reich die Araber, in Holland die Tamilen.

Ob wir vor diesem Hinter­grund die Nachbarn heute nochmal zusammen bekommen würden ?

Ich glaube wir, die linken Gruppen, die Antifa­schisten, müssen das anspre­chen, was die Leute inter­es­siert. Und dafür dann organi­sieren. Vielleicht neue Methoden finden… Wir müssen lebendig sein. Wir müssen das Leben der Leute kennen, ihre Probleme in den Schulen, bei der Arbeit. Die konkreten Probleme.

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