Pressemitteilung zum inakzeptablen Urteil gegen Latife

Übernommen von der Website zum Prozess

Drei Jahre und drei Monate Haft für Latife

Unsere Freundin Latife wurde am 16. Februar 2017 vor einem vollbe­setzten Saal 2 des Neben­ge­bäudes des OLG Düssel­dorf zu drei Jahren und drei Jahren Haft wegen „Mitglied­schaft in einer auslän­di­schen terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung” verur­teilt. Der Haftbe­fehl bleibt zunächst gegen Auflagen ausge­setzt. Diese Phase würde nach einer Revisi­ons­ent­schei­dung des BHG enden. Noch am Abend nach dem Urteil waren sich Latife, ihre beiden Anwälte und wir einig : Wir machen jetzt erst Recht weiter ! Latife kündigte an, sich nicht zum Schweigen bringen zu lassen und ihre Prozesserfah­rung dafür zu nutzen, den notwen­digen Kampf gegen die Paragra­phen 129 a und b voran­zu­bringen, die Rechts­an­wälte begannen unmit­telbar, eine Strategie für den erfol­genden Revisi­ons­an­trag zu entwi­ckeln und uns war klar, dass auch die Solida­ri­täts­ar­beit nun in eine neue Phase eintreten muss.

Wir werden die Zeit bis zur Revisi­ons­ent­schei­dung des Bundes­ge­richts­hofs nutzen, um an der Dokumen­ta­tion des Verfah­rens zu arbeiten.

Nachfol­gend veröf­fent­li­chen wir die gemeinsam mit ihren Anwälten verfasste Presse­er­klä­rung

Presse­mit­tei­lung der Rechts­an­wälte und Unter­stüt­ze­rInnen von Latife Cenan-Adigüzel zur Verur­tei­lung der Wupper­ta­lerin wegen „Mitglied­schaft in einer auslän­di­schen terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung“ (§129b StGB)

Am Donnerstag, den 16. Februar fiel nach einem andert­halb­jäh­rigen Verfahren vor dem 5. Staats­schutz­senat des Oberlan­des­ge­richts Düssel­dorf das Urteil gegen unsere Mandantin und Freundin Latife Cenan-Adigüzel. Sie wurde zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten verur­teilt. Das Urteil folgt damit auf den Tag genau dem Antrag der Oberstaats­an­wältin Olschak. Die Haftan­ord­nung bleibt bestehen, wird aber vorläufig gegen Auflagen weiter außer Vollzug gesetzt. Latife Cenan-Adigüzel kündigte in ihrem Schluss­wort an, gegen eine Verur­tei­lung Revision einzu­legen.

Verur­teilt wurde Latife für eine angeb­liche Mitglied­schaft in der als terro­ris­tisch einge­stuften türki­schen DHKP-C. Nachge­wiesen werden konnte ihr jedoch ausschließ­lich ihre Arbeit als Vorsit­zende der Anato­li­schen Födera­tion. Diese wird vom deutschen Staat als so genannte Tarnor­ga­ni­sa­tion der DHKP-C in Deutsch­land betrachtet, ist bis zum heutigen Tag als Verein jedoch nicht verboten.

Das Konstrukt der Tarnor­ga­ni­sa­tion ist höchst fragwürdig und wurde im Laufe des Verfah­rens seitens der Vertei­di­gung Latife Cenan-Adigü­zels mehrfach mit verschie­denen Beweis­an­trägen hinter­fragt ; diese wurden jedoch allesamt vom Senat zurück­ge­wiesen. So konnten auch Zweifel an den die Konstruk­tion der General­staats­an­walt­schaft zugrunde liegenden Beweis­mit­teln nicht ausge­räumt werden.

Die Zuschau­er­plätze des Saals 2 im Hochsi­cher­heits­ge­bäude am Düssel­dorfer Kapellweg waren zur Urteils­ver­kün­dung bis auf den letzten Platz besetzt ; an die sechzig Personen hatten sich den Tag freige­nommen, um der Verhand­lung beizu­wohnen und Latife zu unter­stützen. Unter den Besuche­rInnen waren viele Freun­dinnen, Nachbarn und politi­sche Mitstrei­te­rinnen der seit 35 Jahren in Deutsch­land lebenden Angeklagten.

In ihrem Schluss­wort nahm Latife Cenan-Adigüzel zunächst zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen Stellung : Sie führte aus, dass sie in dem beinahe zweijäh­rigen Verfahren, das sie selber als eine „Tragi­ko­mödie“ bezeich­nete, keinen Vorwurf habe vernehmen können, den sie aus ihrem Rechts­emp­finden heraus als straf­würdig akzep­tieren könne. Jeder aufrechte Antifa­schist müsse ebenso gegen Rassismus, Faschismus und Ungerech­tig­keit angehen, wie sie es immer getan habe – auch in ihrer Zeit als Vorsit­zende der Anato­li­schen Födera­tion. Dafür habe sie ausschließ­lich demokra­ti­sche Rechte wahrge­nommen ; alles was sie getan habe, habe sie aus eigenem Entschluss und Überzeu­gung getan ; nichts sei in jemandes Auftrag oder auf Verlangen einer überge­ord­neten Organi­sa­tion geschehen.

Ein Urteil gegen sich wertete sie als mittel­bare Unter­stüt­zung derje­nigen, die sie gerne zum Schweigen bringen würden : Der türki­sche Staat, der sie als linke Opposi­tio­nelle gerne hinter Gittern sähe, aber auch deutsche staat­liche Behörden, deren Verstri­ckung in die rassis­ti­schen NSU-Morde sie als Antifa­schistin schon lange vor der Selbstent­tar­nung des NSU benannte. Abschlie­ßend betonte Latife, dass sie immer noch glaube, dass sich Gerech­tig­keit durch­setze, und forderte den Senat auf, nicht jemanden zu verur­teilen, der sich aktiv für jene demokra­ti­schen Rechte stark mache, die von anderen immer massiver bedroht würden. Sie kündigte an, gegen eine mögliche Verur­tei­lung weiter juris­tisch vorzu­gehen. Nichts und niemand würden sie jemals zum Schweigen bringen.

Als nach einer Unter­bre­chung mit der Urteils­ver­kün­dung fortge­setzt wurde, zeigte sich, dass der eindring­liche Appell unserer Mandantin und Freundin, eine Vertei­di­gerin der Demokratie nicht zu verur­teilen, auf taube Ohren gestoßen war : Der Vorsit­zende Richter Schreiber begrün­dete das Urteil in weiten Teilen so, als wäre das Verfahren mit zahlrei­chen Beweis­an­trägen der Vertei­di­gung und Diskus­sionen auch über die politi­sche Tragweite vollständig an ihm vorbei gegangen.

So wurde die Fragwür­dig­keit der „Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung“, die im Laufe des Verfah­rens immer wieder zur Sprache gekommen war, erneut mit dem lakoni­schen Hinweis beiseite gewischt, die Entschei­dung, die DHKP-C bzw. die Anato­li­sche Födera­tion in Deutsch­land zu verfolgen, sei ein autonomer Akt der Exeku­tive. Sie sei daher juris­tisch nicht überprüfbar. Der 5. Staats­schutz­senat bekannte sich damit, wie schon während des Verfah­rens, erneut dazu, ein williges Werkzeug deutscher Regie­rungs­po­litik zu sein.

In Hinblick auf die Taten, die Latife persön­lich zur Last gelegt wurden, gestand Richter Schreiber selber zu, dass trotz inten­sivster Überwa­chungs­maß­nahmen über Monate hinweg – so wurden sämtliche Telefo­nate unserer Mandantin und Freundin abgehört und ein Peilsender an ihrem Auto angebracht – keinerlei Hinweise auf Weisungen seitens einer DHKP-C-Führungs­ebene bekannt geworden seien. Als Vorsit­zende des migran­ti­schen Vereins „Anato­li­sche Födera­tion“ habe sie sich jedoch pauschal der Mitglied­schaft und Unter­stüt­zung der DHKP-C schuldig gemacht, sodass alle Aktivi­täten, beispiels­weise auch die Organi­sa­tion angemel­deter Demons­tra­tionen und die Durch­füh­rung politi­scher Bildungs­ver­an­stal­tungen im Inter­esse der DHKP-C statt­ge­funden hätten.

Latife wurde unter­stellt, sie habe sich selbst in die Struktur der DHKP-C ein- und unter­ge­ordnet und damit der mitglied­schaft­li­chen Unter­stüt­zung schuldig gemacht. Diese Unter­stel­lung ist tatsäch­lich durch nichts belegt. Heran­ge­zogen werden ledig­lich bei ihr beschlag­nahmte Fotos, Filme und Bücher sowie die Teilnahme an Veran­stal­tungen, durch die sie nach Auffas­sung des Senats ihre „innere Überein­stim­mung“ mit den Zielen der DHKP-C belegt hätte.

Der Vorsit­zende Richter konzen­trierte sich in seinem Vortrag daher auch auf eine emotio­nale Ausein­an­der­set­zung mit der Ideologie der DHKP-C in der Türkei und auf den Versuch des Nachweises, dass deren Taten aufgrund der „Tötungs­ab­sicht“ außer­halb politi­scher Betrach­tungen zu beurteilen seien. So könne auch die vom Senat selber konsta­tierte Tatsache syste­ma­ti­scher Folte­rungen und ethnisch-religiöser Verfol­gung in der Türkei nicht zur weiteren Betrach­tung heran­ge­zogen werden. Die mündliche Begrün­dung des unver­hält­nis­mäßig harten Urteils gegen eine hier lebende Migrantin entwi­ckelte sich im weiteren Verlauf zu einer Abhand­lung über „menschen­ver­ach­tende Ideolo­gien“.

Dass dabei als Vergleichs­maß­stab ausge­rechnet islamis­ti­sche Terro­risten und der faschis­ti­sche „Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Unter­grund“ (NSU) heran­ge­zogen wurden, können wir nur als einen Versuch des persön­li­chen Angriffs auf unsere Freundin und Mandantin und als Versuch der Provo­ka­tion gegen­über den Besuche­rInnen des Prozesses werten. Stand und steht doch im Fokus der politi­schen Aktivi­täten Latife Cenan-Adigü­zels der Kampf gegen Rassismus und Faschismus, und hatte sie doch schon früh auf den rechts­ter­ro­ris­ti­schen Hinter­grund der willkür­li­chen Morde an Migran­tInnen durch den NSU hinge­wiesen. Es war nachvoll­ziehbar, dass Teile des Publi­kums anschlie­ßend den Gerichts­saal verließen.

Für uns als Rechts­an­wälte und Unter­stüt­ze­rInnen ist jedoch nicht nur die große Härte, mit der das Gericht unsere Mandantin und Freundin schuldig gespro­chen hat, ein Grund zur Kritik : Durch das Urteil wird der Anwend­bar­keits­rahmen des Paragra­phen 129b so ausge­dehnt, dass dieser künftig praktisch auf alle politisch aktiven Menschen anwendbar ist. Sollte das Urteil Bestand haben, benötigt die Justiz keine Beweise für konkrete indivi­du­elle Unter­stüt­zungs­hand­lungen. Die bloße Aktivität in einem Verein, der zwar intern bei Ermitt­lungs- und Justiz­be­hörden als „Tarnor­ga­ni­sa­tion“ angesehen wird – offiziell jedoch als legaler Verein bestehen bleibt, würde für Verur­tei­lungen zu mehrjäh­rigen Haftstrafe nach §129b ausrei­chen.

In der Welt der Geheim­dienste, die in das Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel an mehreren Stellen invol­viert waren, werden solche Konstruk­tionen „Honeypot“ genannt. Gemeint sind damit als Fallen instal­lierte oder weiter gedul­dete Struk­turen, mit denen „Unwis­sende“ abgeschöpft werden um sie anschlie­ßend zu verfolgen. Angesichts der existenz­be­dro­henden Folgen von Verur­tei­lungen nach Paragraph 129a+b StGB halten wir eine solche Praxis juris­tisch wie mensch­lich für vollkommen inakzep­tabel.

Freunde und Freun­dinnen von Latife
Rechts­an­walt Roland Meister, Essen
Rechts­an­walt Yener Sözen, Remscheid

Wuppertal, Essen, Remscheid, 17. Februar 2017

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Kundgebung für Latife vor dem Urteil

Artikel übernommen von der Website zum Prozess

Der Tag, an dem ein Prozess, der unsere Arbeit zwanzig Monate lang bestimmt hatte, vorläufig zuende gehen sollte, begann mit einer Kundge­bung am OLG in Düssel­dorf bevor das Urteil gegen unsere Freundin Latife verkündet wurde. Ungeachtet der kurzfris­tigen Verle­gung der Urteils­ver­kün­dung ins „Mini-Stamm­heim“ am Kapellweg, blieb es bei der angekün­digten Kundge­bung vor dem Haupt­ge­bäude des Oberlan­des­ge­richts, in dem die meisten der über 50 Verhand­lungs­tage statt­ge­funden hatten.  Wir waren sehr erfreut, dass wir trotz der frühen Uhrzeit ca. 75 Menschen begrüßen konnten. Die Teilneh­menden reprä­sen­tierten das politi­sche Tun unserer Genossin : Ein breites Spektrum von Freunden und Freun­dinnen aus verschie­densten Zusam­men­hängen hatte sich an der Cecili­en­allee versam­melt. Deutsche, türki­sche und kurdi­sche Aktivis­tInnen, unorga­ni­sierte Linke und Menschen aus Partei­struk­turen ließen es sich nicht nehmen, Latife zu ihrem vorerst letzten Prozesstag zu begleiten.

In kurzen Redebei­trägen wurde ein Großteil der Themen behan­delt, die im Verfahren eine Rolle gespielt hatten. Es ging unter anderem um den beson­ders repres­siven Umgang mit politisch tätigen Migran­tInnen in Deutsch­land, um die deutsch-türki­sche Koope­ra­tion der Sicher­heits­be­hörden und die Verschär­fung der politi­schen Straf­ver­fol­gung durch die Auswei­tung der Paragra­phen 129a und 129b und den neuen Paragraph 114, der zukünftig bei so genanntem Wider­stand gegen Polizis­tInnen zwingend mindes­tens eine dreimo­na­tige Haftstrafe vorsieht. Mehrfach wurde dazu aufge­for­dert, der weiteren Krimi­na­li­sie­rung politi­scher Arbeit gemeinsam etwas entge­gen­zu­setzen, ungeachtet mögli­cher Diffe­renzen in anderen Fragen.

Latife selber betonte in ihrem Redebei­trag, dass sie ihre antifa­schis­ti­sche Arbeit auch in Zukunft fortsetzen würde und dass sie ungebro­chen aus dem Verfahren gehe, egal wie das Urteil ausfalle. Die wahren Täter seien die Herrschenden in Ankara und dieje­nigen, die sie hier unter­stützten, um Menschen mundtot zu machen. Latife zeigte sich darüber empört, dass den NSU unter­stüt­zen­dende Organi­sa­tionen wie die NPD nicht verboten würden, dieje­nigen aber, die, wie die Anato­li­sche Födera­tion, schon früh auf das Morden der Nazis aufmerksam gemacht hatten, krimi­na­li­siert würden. Sie bedankte sich für die gezeigte Solida­rität und bei ihren Anwälten für die große Unter­stüt­zung. Roland Meister, einer der beiden Anwälte, sprach zur Kundge­bung über die konkrete Anwen­dung der Paragra­phen 129a und b, deren Wesen es sei, emanzi­pa­tive linke Struk­turen zu verfolgen und zu zerschlagen. Er betonte in seinem Beitrag nochmals, dass es sich bei 129b-Prozessen um expli­zite politi­sche Straf­ver­fahren auf Weisung aus dem Kanzleramt handele. Frau Merkel könne auch dieses Verfahren jeder­zeit durch Rücknahme der Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung stoppen, auch noch um „fünf Minuten vor Zwei“ – für 14 Uhr war die Urteils­ver­kün­dung am Kapellweg angesetzt.

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