Unser Kampf um die Befreiung geht weiter

Zu Abahl­a­li­base Mjondolo, der Bewegung der Hütten­dorf­be­woh­ne­rInnen aus Durban in Südafrika bestehen seit ihrem ersten Besuch in Wuppertal vor drei Jahren gute Kontakte. Das Wupper­taler Infor­ma­ti­ons­büro Nicaragua veröf­fent­licht nun in seinem „Rundschreiben 2014″ einen Artikel von S´buZikode, den wir – verbunden mit vielen solida­ri­schen Grüßen nach Durban – an dieser Stelle dankens­wer­ter­weise übernehmen dürfen.

Das „Recht auf die Stadt“ und die Bewegungen für würdiges Wohnen ist ein Thema, mit dem wir uns im Infobüro seit einigen Jahren immer wieder befassen. Vor drei Jahren haben wir hierzu eine Rundreise durch südame­ri­ka­ni­sche Länder gemacht und uns mit städti­schen Selbst­or­ga­ni­sa­tionen in Uruguay, Argen­ti­nien, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolum­bien und Venezuela getroffen ; unsere Gespräche, Refle­xionen und Eindrücke haben wir im Nahua-Script 13 dokumen­tiert. Im April 2013 haben wir uns an der Tagung cross_solidarity betei­ligt, wo u.a. die trans­na­tio­nale Koope­ra­tion von Recht-auf-Stadt - Initia­tiven in Europa voran­ge­trieben wurde. Aktuell beobachten wir die Trans­for­ma­ti­ons­pro­zesse in Brasi­lien, die dort – auch aufgrund der Vorbe­rei­tung der WM 2014 und der Olympiade 2016 – mit einer so rasenden Geschwin­dig­keit voran­gehen, dass sie sogar die Umbrüche in Istanbul mit seinen Mega-Projekten übertreffen, welche im letzten Juni bekannt­lich die wochen­langen Gezi-Park-Proteste provo­zierten.

Eine wichtige und zudem sehr mitglie­der­starke, dabei konse­quent basis­de­mo­kra­tisch organi­sierte Bewegung ist Abahl­a­li­Ba­seM­jon­dolo, die Bewegung der Hüttenbewohner_innen, aus Südafrika.Wir hatten das Glück, in den letzten Jahren schon dreimal Aktivist_innen dieser Bewegung in Wuppertal zu Besuch zu haben, und waren beein­druckt von ihrer Basis­ori­en­tie­rung und nicht zuletzt von ihrem konse­quenten Inter­na­tio­na­lismus. So war es für Abahlali selbst­ver­ständ­lich, ein Solida­ri­täts­schreiben an die zapatis­ti­sche Gemeinde San Marcos Avilés zu senden, als diese im November 2012 Opfer von parami­li­tä­ri­schen Angriffen wurde. Auch von uns Wupper­taler Recht-auf-Stadt-Aktivis­t_innen wollten sie wissen, wie sie uns z.B. gegen die Räumung Sozialer Zentren oder das Todsparen der Städte unter­stützen können.

Erfah­rung mit staat­li­cher Repres­sion hat Abahlali selbst leider zu Genüge. Ähnlich wie in manchen latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern mit ursprüng­lich linken oder progres­siven Regie­rungen, so sind auch zahlreiche Slumbewohner_innen in Südafrika heute von der Politik des ANC (African National Congress) mehr als enttäuscht. Vor allem Abahlali hat massiv unter staat­li­cher Repres­sion zu leiden : In den letzten Monaten fanden mehrfach Mordan­schläge auf Mitglieder der regie­rungs­kri­ti­schen Bewegung statt, die bislang nicht aufge­klärt wurden.

Wir freuen uns, dass S´buZikode (Ehren­prä­si­dent der Bewegung der Hüttenbewohner_innen, Abahl­a­li­ba­seM­jon­dolo, Durban, Südafrika) uns für dieses Rundschreiben einen Artikel zur Verfü­gung stellt, in dem er seine Organi­sa­tion, ihren hartnä­ckigen Kampf für würdiges Wohnen und ihren Konflikt mit der Regie­rung schil­dert. Der folgende Artikel ist am 11.November im Guardian erschienen ; wir haben ihn leicht überar­beitet und in gekürzter Form aus dem Engli­schen übersetzt :

Mitglieder unserer Bewegung der Hüttenbewohner_innen sind Misshand­lung und Mord ausge­setzt. Aber wir werden nicht zulassen, dass unsere Städte zu Geldau­to­maten für die Reichen werden. von S‘buZikode

Unsere Bewegung der Hütten-Bewoh­ner_innen ‚Abahl­a­li­ba­seM­jon­dolo (ABM), wurde 2005 in Durban gegründet und hat heute mehr als 12.000 Mitglieder in mehr als 60 Hütten­sied­lunge (1). Wir organi­sieren Kampa­gnen gegen Zwangs­räu­mungen und für öffent­li­chen Wohnungsbau. Wir kämpfen für eine Welt, in der die mensch­liche Würde wichtiger ist als privater Profit und in der Land, Städte, Wohlstand und Macht gerecht geteilt werden.

Wenn wir als Abahlali-Mitglieder unseren Platz in unseren Städten einnehmen, dann tun wir das in aller Beschei­den­heit, aber mit Nachdruck. Wir haben vor Gericht viele wichtige Schlachten gewonnen, einschließ­lich der Abwehr des Slum-Gesetzes (2) von Kwa-Zulu-Natal. Aber trotz unseres juris­ti­schen Sieges wurden tausende Hüttenbewohner_innen gewaltsam vertrieben, um Platz zu schaffen für die Baupro­jekte bei der Fußball WM 2010. Die meisten der Räumungs­opfer wurden in Transit-Camps (3) gepfercht, wo sie, fernab von allen urbanen Dienst­leis­tungen, verrotten sollen. Einige dieser Lager – z.B. Isipingo südlich von Durban – wurden in Überflu­tungs­ge­bieten gebaut. Er gab Verspre­chungen, diese Leute über ein staat­lich unter­stütztes Wohnungs­bau­pro­gramm mit Wohnungen zu versorgen. Aber die Städte haben sich gewei­gert. Statt­dessen profi­tieren korrupte Politiker_innen. Mit den Förder­mit­teln begüns­tigen sie loyale Mitglieder des regie­renden ANC und erhalten Gegen­leis­tungen von den beauf­tragten Bauun­ter­nehmen. In der Folge werden die Häuser miserabel gebaut und nur gegen Schmier­gelder vergeben.

Deshalb machen wir weiter mit unseren direkten Aktionen, um unsere Rechte vom Papier in die Wirklich­keit zu übertragen.

Wenn uns Grund­stücke zum Wohnen verwei­gert werden, dann besetzen wir ungenutztes Land. Der Staat und die Reichen bezeichnen dies als Straftat. Wir aber nennen es Demokra­ti­sie­rung der Stadt­pla­nung. Für uns ist es die Verwirk­li­chung des Rechts auf die Stadt. Wenn sie unsere Hütten räumen, dann bauen wir sie wieder auf. Bei der Marikana (4)-Landbesetzung in Cato Crest, Durban, haben wir unsere Hütten bereits neun Mal wieder aufge­baut.

Wenn sie uns Wasser und Strom verwei­gern, dann schließen wir uns selbst an die Versor­gungs­netze an. Wenn sie  die Verbin­dungen kappen, dann stellen wir sie wieder her. Vor kurzem wurden neun Menschen während einer Versor­gungs­sperre in Reser­voir Hills in der Stadt Durban, angeschossen. Zwei von ihnen, MalizoF­akaza und NhlanhlaMkhize, wurden getötet.

Wenn unsere legalen Demons­tra­tionen, unsere Gerichts­be­schlüsse, unsere Verfas­sung (5) ignoriert werden, wenn wir wie der letzte Dreck behan­delt werden, der vor dem Gesetz nichts gilt, dann engagieren wir uns in der Politik der Störungen. Wir organi­sieren Straßen­blo­ckaden in der Stadt. Vor kurzem haben wir 8 solcher Blockaden an einem einzigen Morgen organi­siert. Es ist eine heftige Zeit für unsere Bewegung. Die Reichen und der Staat haben sich zusammen getan, um uns aus der Stadt zu jagen. Unsere Mitglied­schaft ist multi­eth­nisch, aber es gibt viele Xhosa-sprachige Zuwander_innen aus der Eastern Cape-Provinz unter uns. Immer mehr stellt der ANC in Durban und KwaZulu-Natal diese Nicht-Zulus als Außen­seiter dar, die doch dahin zurück­kehren sollen, wo sie her kommen. Auf diese Weise wird die Idee, dass Südafrika allen gehört, durch eine gefähr­liche Politik der Spaltung ersetzt. Der Staat fühlt sich so sehr bedroht von den Armen, beson­ders von den organi­sierten, den starken Armen, dass er die Rechts­staat­lich­keit aufge­hoben hat. Eine Politik des Blutver­gie­ßens hat die Politik des Friedens abgelöst. Die Polizei wurde milita­ri­siert, und auch die Stadt­ver­wal­tungen haben milita­ri­sierte Einheiten geschaffen, um Landbe­set­zungen zu verhin­dern. Wir wurden geräumt, von ANC-Schlä­gern aus unseren Häusern vertrieben, von der Polizei geschlagen, misshan­delt und beschossen.

Nqobi­leN­zuza, eine 17jährige Schülerin, wurde am 30. September 2013 durch einen Schuss in den Hinter­kopf getötet. Zeugen versi­chern, dass sie von einem höheren Polizei­be­amten erschossen wurde. Aber niemand wurde festge­nommen. Nkulu­le­koG­wala starb, nachdem er am 25. Juni durch 12 Kugeln verletzt worden war. Thembin­ko­si­Qum­belo wurde am 15. März nieder­ge­schossen. Zu all diesen Morden kam es in einer einzigen Commu­nity, in Cato Crest.

Wir glauben, dass diese Morde politisch waren. Führende Politiker aus dem Stadtrat von Durban und aus der Legis­la­tive von KwaZulu-Natal haben auf eine Weise gehan­delt und geredet, die von vielen als Unter­stüt­zung der Morde verstanden wurde. Es gibt eine sehr hohe Arbeits­lo­sig­keit in Durban und keinen Mangel an jungen Leuten, die bereit sind, blutiges Geld einzu­ste­cken.

Der letzte Manase-Bericht (6) legte die massive politi­sche Korrup­tion in der Verwal­tung offen. Aber auch diesmal wurde niemand festge­nommen.

Vieles steht auf dem Spiel. Wenn die Armen in den südafri­ka­ni­schen Städten diese Schlacht nicht gewinnen, dann werden unsere Städte zu Geldau­to­maten für die Politiker und die Reichen. Sie werden zu Städten aus Befes­ti­gungs­mauern und Gewehren, aus Blut und Angst. In Durban und darüber hinaus ist Nelson Mandelas Vision bereits verloren gegangen. Sein Verspre­chen eines allge­meinen Rechts auf freien Zugang zu Wohnraum, Bildung und Gesund­heits­ver­sor­gung wurde nicht verwirk­licht.

Wir haben gelernt : Wenn wir menschen­wür­dige Wohnungs­ver­hält­nisse fordern, machen wir uns Feinde. Wenn wir Land besetzen, werden unsere Feinde noch skrupel­loser. Aber wir können nicht ewig im Schlamm, in der Scheiße, in abbren­nenden Hütten (7) hocken und abwarten. Wahlen haben uns nicht geholfen. Die politi­schen Parteien haben für uns nichts getan. Auch die Zivil­ge­sell­schaft hat uns nichts gebracht. Wir haben keine andere Chance, als unseren eigenen Platz in den Städten und dem politi­schen Leben des Landes einzu­nehmen.

Überset­zung : Knut Unger, Miete­rIn­nen­verein Witten/Habitat Netz

  1. Infor­melle selbst­ge­baute Siedlungen, im herrschenden Jargon meist „Slums“ oder „Shanty Towns“ genannt.
  2. Im Jahr 2007 erließ die Provinz­re­gie­rung von KwaZulu-Natal mit dem “Elimi­na­tion and Preven­tion of Reemer­gence of Slums Act” eine Verord­nung, mit der Behörden und Privat­ei­gen­tümer zu Zwangs­räu­mungen von „Slums“ gezwungen werden konnten, ohne dass sich die Bewohner_innen recht­lich wehren konnten. Dagegen richtete sich eine Protest­kam­pagne von ABM, die auch von linken Intel­lek­tu­ellen unter­stützt wurde. Sie gipfelte 2009 in einem juris­ti­schen Sieg vor dem Verfas­sungs­ge­richt.
  3. Es handelt sich um lager­ar­tige Unter­brin­gungs­formen in Behelfs­un­ter­künften ohne Infra­struktur. Berüch­tigt sind die aus Contai­nern errich­teten „Zinkhütten-Siedlungen“.
  4. Abahlali benannte diese Landbe­set­zung nach dem Ort des Massa­kers an Minen­ar­bei­tern, dem im Jahr 2012 34 Menschen zum Opfer fielen.
  5. Die südafri­ka­ni­sche Verfas­sung garan­tiert ein Recht auf angemes­sene Wohnungen. Zwangs­räu­mungen sind nur auf Grund­lage eines Gerichts­be­schlusses erlaubt.
  6. Ein lange Zeit unter Verschluss gehal­tener, ausführ­li­cher Bericht zur Korrup­tion des ANC in KwaZulu-Natal : https://​afriforum​.co​.za/​M​a​n​a​s​e​-​R​e​p​o​r​t​-​1​3​-​F​e​b​-​1​2​.​pdf
  7. Immer wieder brennen Hütten ab, weil das Bauma­te­rial leicht entflammbar ist und die nicht elektri­fi­zierten Hütten mit Kerzen­licht beleuchtet werden.
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Interessanter Link in Vorbereitung der Abahlali-Veranstaltung

Am Freitag veran­staltet das so_ko_wpt zusammen mit anderen Partnern im Wupper­taler Autonomen Zentrum eine Filmvor­füh­rung mit Diskus­sion zu Südafrika. Dazu erwarten wir Gäste der „Bewegung der Hütten­dorf­be­woh­ne­rInnen” (Abahlali baseM­jon­dolo).

Streik der Farmar­beiter am 14.November 2012

Passend zu den Diskus­sionen um europäi­sche Streiks und Gewerk­schaften vom letzten Mittwoch, gibt es auch aus Südafrika aktuell einiges zu Arbeits­kämpfen zu berichten. Unorga­ni­sierte Streiks, die sich auch gegen die großen korrupten Gewerk­schaften richten, nehmen immer weiter zu. Die Welle der „wilden Streiks”, die häufig brutal angegriffen werden (siehe das Massaker von Marikana), wächst unauf­hör­lich an, und hat nach den Minen­ar­bei­tern mit den Farmar­bei­tern nun auch die zweite verblie­bene Bastion alter Apart­heits­struk­turen erfasst. Nach dem Massaker an der Platin-Mine von Marikana sind mehrere Hundert­tau­send in verschie­denen Minen in den Streik getreten. Jetzt auch die Farmar­beiter von De Doorns (Western Cape). Und wie die Minen­ar­beiter haben auch die Farmar­beiter dabei keine Hilfe von ANC oder der in der Provinz Western Cape regie­renden DA (Democratic Alliance) zu erwarten.

Zur Vorbe­rei­tung auf unsere Veran­stal­tung am Freitag empfehlen wir die beiden (leider nur englisch­spra­chigen) Artikel, die über den nachfol­genden Link zu errei­chen sind.

 Self-organised strikes on the mines and farms in South Africa

• Filmvor­füh­rung („Dear Mandela”) und Diskus­sion mit Gästen von Abahlali baseM­jon­dolo
• Autonomes Zentrum Wuppertal, Marko­man­nen­straße 3, Wuppertal-Elber­feld

(Gäste : Muziwa­kehe Ndlalose, Vorsit­zender von Abahlali und Thembani Ngongoma, Mitglied Exeku­tiv­ko­mittee)
Freitag, 23.November 2012 ; ab 19:00 Uhr ; Eintritt : Spende
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