Verstärkte Arbeit notwendig. Wir müssen reden !

Am Samstag fand in Wuppertal-Elber­feld eine Demons­tra­tion in Solida­rität mit ukrai­ni­schen Antifa­schis­tInnen und im Gedenken an den Befrei­ungstag am 8.Mai statt. Die Demo, die sich unter dem Motto „Nie wieder Krieg - Nie wieder Faschismus!” gegen die Unter­stüt­zung ukrai­ni­scher Nazis durch die CDU/C­SU/SPD-Regie­rung wandte, war gleich­zeitig ein antina­tio­nales State­ment zur geostra­te­gi­schen Kriegs­trei­berei kapita­lis­ti­scher Macht­blöcke in den USA, der EU und in Rußland. Ein Resultat der Demovor­be­rei­tungen : Wir müssen reden. Bericht.

Trotz eines zu Beginn heftigen Maire­gens versam­melten sich am letzten Samstag zwischen 50 und 60 Menschen am Kersten­platz, um bei einer antina­tio­nalen Demons­tra­tion in Wuppertal Solida­rität mit den Opfern des Faschismus zu zeigen. Aktueller Anlass der Demo war das Massaker im ukrai­ni­schen Odessa, bei dem von Faschisten und Hooli­gans mehrere dutzend Menschen im Gewerk­schafts­haus verbrannt worden waren. Die Demo richtete sich gegen die offene Unter­stüt­zung der ukrai­ni­schen Nazis durch die Bundes­re­gie­rung und die ehema­lige Regie­rungs­partei « Die Grünen ». Gleich­zeitig wurde eine grund­sätz­liche Gegner­schaft zu allen natio­na­lis­ti­schen Konstruk­tionen betont. Antifa­schis­ti­sche Arbeit kann nicht an Staaten delegiert werden, weder an fremde Mächte wie Russland, noch im eigenen Land. Daran sollte zwei Tage nach dem 8.Mai erinnert werden.

Die aufgrund des Wetters und einiger anderer Faktoren leider etwas kleiner als erwartet ausge­fal­lene Demons­tra­tion – u.a. hatte sich die Polizei mit dem geplanten Ort der Auftakt­kund­ge­bung im Zentrum Elber­felds nicht einver­standen erklärt – erreichte an diesem Samstag­mittag dennoch durchweg inter­es­sierten Menschen. Auch vor diesem Hinter­grund war es notwendig, dass sich die antifa­schis­ti­sche Linke erstmals öffent­lich zu diesem Thema positio­nierte, um die Ausein­an­der­set­zung damit nicht rechts­of­fenen Platt­formen wie den so genannten « Montags­mahn­wa­chen » zu überlassen.

Klein aber kraftvoll: Demo am Samstag in Elberfeld

Klein aber kraft­voll : Demo am Samstag in Elber­feld

Bei den durchweg infor­ma­tiven Redebei­trägen wurden verschie­dene Aspekte deutlich. In ihnen ging es zunächst natür­lich um die Lage in der Ukraine und um die Verant­wort­lich­keiten für die dort entstan­dene Situa­tion. Dabei wurden die EU und die Bundes­re­pu­blik sowie die USA als Haupt­ver­ant­wort­liche für die erste Macht­über­nahme militanter Faschisten in Europa nach dem zweiten Weltkrieg benannt. Auch die « pro-europäi­schen » und « pro-russi­schen » kapita­lis­ti­schen Macht­zen­tren der Ukraine, und die mit ihn verbun­denen Partner aus der EU, den USA oder Rußland wurden als verant­wort­liche Akteure der Krise und der zuneh­menden Anhei­zung des Konflikts benannt. Die Solida­rität gilt allen in der Ukraine, die einen Bürger­krieg fürchten, den Antifa­schis­tInnen, die den parami­li­tä­ri­schen und militä­ri­schen Truppen des Kiewer Regimes entge­gen­treten und jenen, die rassis­ti­sche und antise­mi­ti­sche Gewalt durch Nazis und Faschisten zu fürchten haben.

Gerd-Peter Ziele­zinski, Stadt­ver­ord­neter der Partei DIE LINKE, gab zudem einen Überblick zu den Wahlak­ti­vi­täten rechter Gruppie­rungen in Wuppertal, die bei den Kommu­nal­wahlen am 25.Mai aufgrund organi­sa­to­ri­scher Mängel zwar nicht alle flächen­de­ckend antreten können, durch eine Konzen­tra­tion der Stimmen auf die verblie­benen Kandi­da­turen aber eher gefähr­li­cher geworden sind. Es gälte zu verhin­dern, dass es einer rechten Gruppe gelingt, im Wupper­taler Stadtrat einen - auch finan­ziell attrak­ti­veren – Frakti­ons­status zu erlangen. Der 25.Mai wurde auch im Hinblick auf das in einigen europäi­schen Ländern wie Holland oder Frank­reich bei der Europa­wahl zu erwar­tende gute Ergebnis « neu-rechter » Parteien als dring­liche Mahnung aufge­fasst, jegli­chem Natio­na­lismus noch entschlos­sener entge­gen­zu­treten.

Bei einer Zwischen­kund­ge­bung vor der Wupper­taler SPD-Zentrale gab es einen Beitrag der VVN-BdA zu den Konti­nui­täten der Zusam­men­ar­beit Deutsch­lands mit ukrai­ni­schen Faschisten. Gerade vor dem geschicht­li­chen Hinter­gund der deutschen Beset­zung wurden die Wupper­taler SPD-Bundes­tags­ab­ge­ord­neten aufge­for­dert, sich für eine sofor­tige Beendi­gung der Unter­stüt­zung des Kiewer Regimes durch den deutschen SPD-Außen­mi­nister einzu­setzen. Dass es sich bei den Swoboda-Mitglie­dern in der Kiewer Regie­rung und dem meist mit parami­li­tä­ri­schen Siche­rungs­auf­gaben betrauten « Rechten Sektor » um Nazis handelt, ist inzwi­schen so offen­kundig wie fundiert belegt, das wurde in der Rede heraus­ge­stellt. Die Hoffnungen auf eine Kursän­de­rung der SPD sind jedoch nicht allzu groß – schließ­lich hat die SPD eine gewisse Tradi­tion der Koope­ra­tion mit Ultra­na­tio­na­listen. Das wurde deutlich, als vor der SPD-Zentrale an die Rolle der Sozial­de­mo­kratie im Jugosla­wien-Krieg erinnert wurde. Auch der von Gerhard Schröder im Nachhinein als « völkerr­rechts­widrig » bezeich­nete Krieg gegen Jugosla­wien wurde in Zusamen­ar­beit mit natio­na­lis­ti­schen Kräften vorbe­reitet, nachdem diese zunächst für einen Bürger­krieg bewaffnet worden waren. Der Vertei­di­gungs­mi­nister, der damals mit jenem serbi­schen „Hufei­sen­plan” aufwar­tete, der ein milti­tä­ri­sches Eingreifen erzwingen sollte, war der Sozial­de­mo­krat Schar­ping.

Abschlusskundgebung am Mahnmal

Abschluss­kund­ge­bung am Mahnmal

Beim kurzen Stopp auf dem nach dem Wupper­taler kommu­nis­ti­schen Wider­stands­kämpfer Otto Böhne benannten Platz auf dem Ölberg hörten die Teilneh­me­rInnen der Demons­tra­tion ein kurzes Referat zum Leben und zur Ermor­dung Otto Böhnes, der bereits im Februar 1934 infolge schwerer Folter im KZ Kemna bzw. Börger­moor verstarb. Die Rede leitete den zweiten Teil der Demo ein, die dem Gedenken anläss­lich des Befrei­ungs­tages am 8.Mai gewidmet war. Bei der Abschluss­kund­ge­bung am Mahnmal aller Wupper­taler Opfer des Natio­nal­so­zia­lismus im Deweerth’schen Garten schloss sich dabei der thema­ti­sche Kreis, als eine Aktivistin über das Schicksal ukrai­ni­scher Zwangs­ar­bei­te­rInnen in Wuppertal berich­tete.

Neben Schil­de­rungen des Moments der Befreiung durch US-ameri­ka­ni­sche Truppen in Wuppertal (der Tag der Befreiung der Stadt ist der 15.April) wurde auch das spätere Schicksal der von den deutschen Besat­zern versklavten Zwangs­ar­bei­te­rInnen angespro­chen. Einige von ihnen wurden in der stali­nis­ti­schen UdSSR der Kolla­bo­ra­tion mit dem Feind bezich­tigt und litten Zeit ihres Lebens unter dieser Situa­tion. Zu einigen Angehö­rigen besteht noch immer ein Kontakt. So wurde am Rande der Kundge­bung bekannt, dass der Insti­tua­tion, die mit Geldern des Entschä­di­gungs­fonds für Zwangs­ar­bei­te­rInnen politi­sche Bildungs­ar­beit in Kiew leistete, nach der Macht­über­nahme durch das neue Regime die Bankkonten gesperrt wurden. Die Mitar­bei­te­rInnen sind nun ihren Job los, es steht zu befürchten, dass sich die neuen Macht­haber des Geldes der Zwangs­ar­bei­te­rInnen bemäch­tigen wollen.

Korrektur : Wir wurden in der Sache nochmal kontak­tiert. Die Sache sieht so aus : Die Entschä­di­gungs­zah­lungen durch die Stiftung Erinne­rung, Verant­wor­tung und Zukunft  (Gelder der Wirtschaft und steuer­fi­nan­ziert) an die ehema­ligen Zwangs­ar­bei­te­rInnen wurden 2007 beendet. Aus Erträgen des Stiftungs­ver­mö­gens werden u. a. diverse Projekte unter­stützt. Auch jene der Stiftung „Verstän­di­gung und Toleranz” in Kiew. Die die Gelder verwal­tende Bank scheint nun pleite zu sein, sodass seit drei Monaten keine Gehälter mehr an die Mitar­bei­te­rInnen der Stiftung ausge­zahlt werden konnten und in Zwangs­ur­laub geschickt, bzw. gekün­digt wurden.

Es gibt also keine Erkennt­nisse darüber, dass die jetzigen Macht­haber Zugriff auf die Gelder der Stiftung Verstän­di­gung und Toleranz hatten”

Wir bitten, das Mißver­ständnis zu entschul­digen.

Über das abschlie­ßende State­ment zweier Genos­sInnen, die zwei Tage zuvor in Frank­furt die mit den ukrai­ni­schen Antifa­schis­tInnen solida­ri­sche Gedenk­demo zum 8.Mai mitin­iti­iert hatten, waren die Anwesenden sehr erfreut. In ihrer Rede mahnten sich nachdrück­lich, die Anstren­gungen gegen einen erstar­kenden Faschismus zu bündeln und zu verstärken.

So sieht die Tafel übrigens inzwischen aus.

So sieht die Tafel übrigens inzwi­schen aus.

Das Resultat der Demo und der Diskus­sionen in ihrer Vorbe­rei­tung wird eine verstärkte Arbeit zum Thema sein. Die Zielset­zung muss darin bestehen, den vielen Menschen, die irritiert und besorgt die politi­schen Entwick­lungen und die medialen Kampa­gnen zum Thema verfolgen, ein eigenes antifa­schis­ti­sches Angebot zum Austausch und zum Handeln machen zu können. Das Inter­esse der zufäl­ligen Passanten und Nachba­rInnen, aber auch eigene, zur Zeit nur schwer zu beant­wor­tende Fragen zur Einschät­zung der Gesamt­ent­wick­lung lassen es notwendig erscheinen, sich inhalt­lich weiter und vertiefter mit der europa­weiten Zunahme « neu-rechter » Handlungs­op­tionen und speziell auch mit der Entwick­lung in der Ukraine zu befassen.

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Zur Situation in der Ukraine : Aufbruch in den Abgrund

Die imperialen Staaten betreten die ukrai­ni­sche Bühne, rasseln mit den Waffen­sys­temen und veran­stalten Krisen-Palaver­runden zur Lage auf der Halbinsel Krim. Das bedeutet auch eine Verla­ge­rung des medialen Inter­esses : Weg von den Ereig­nissen in Kiew und der westli­chen Ukraine, hin zu den Wendungen und Recht­fer­ti­gungen der ganz großen Gewalt­täter der Weltge­schichte. Die ohnehin schon unreflek­tierte Bericht­erstat­tung zum Umsturz des Euromaidan droht nun endgültig zur reinen Propa­ganda zu verkommen.

Dabei war die Lage in der Ukraine zuvor schon unüber­sicht­lich und Ursache vieler – auch inner­halb der Linken – erbit­terter Inter­pre­ta­ti­ons­ver­suche dessen, was dort zu geschehen schien. Viele jubelten den Aufstän­di­schen in Kiew und anderen Städten naiv-unkri­tisch zu, andere sahen in den hier verbrei­teten Bildern und Videos überall Nazis. Distan­ziert-kriti­sche Nachfragen nach überfäl­ligen Distan­zie­rungen der angeb­lich so bunten Opposi­tion auf dem Maidan von den gut erkenn­baren Nazis und Natio­na­listen fanden kaum Gehör. Lieber wurde Fragenden eine absurde Nähe zu russisch-imperia­lis­ti­scher Propa­ganda unter­stellt.

Wir waren deshalb dankbar, dass sich für das (lesens­werte) „Lower Class Magazine” Schrei­bende auf den Weg nach Kiew machten, um selber nachzu­sehen, was dort passiert. Ihr Bericht liegt nun vor, wir dokumen­tieren ihn gerne auf unserer Seite. Er bestä­tigt uns in unseren Vorbe­halten gegen­über der natio­na­lis­ti­schen Ausrich­tung der opposi­tio­nellen Bewegung in der Ukraine und den gleich­zei­tigen Natio­na­lismen weiter Teile des russi­schen Bevöl­ke­rungs­teils.

Es bleibt die Hoffnung, dass sich nicht unbemerkt ein faschsti­sches Regime etabliert, während alle auf eine echte oder vermeint­liche Kriegs­ge­fahr starren.

Aufbruch in den Abgrund
Einschät­zungen und Eindrücke aus der Ukraine
von Peter Schaber-Nack – Lower Class Magazine vom 27.02.2014

Wir waren ja nur kurz da, aber haben viel erlebt. Viele Gespräche geführt, mit Befür­wor­tern und Gegnern des Aufstandes, der vergan­genes Wochen­ende den vorma­ligen ukrai­ni­schen Präsi­denten Viktor Januko­witsch zur Flucht veran­lasste. Wir haben viele Nazis und Faschisten getroffen, viele „normale Leute“ auf beiden Seiten, einige Wissen­schaftler und Intel­lek­tu­elle und sehr wenige (aber immerhin) Linke. Was sich ergeben hat, kann man hier lesen.

Die Bewegung auf der Straße wird von Rechten und Faschisten dominiert. Daran besteht unserer Auffas­sung nach kein Zweifel. Die Symbolik des deutschen Faschismus und der ukrai­ni­schen NS-Kolla­bo­ra­teure ist überall, wirklich überall zu sehen. Die schwarz-rote Fahne der Ukrai­ni­schen Aufstän­di­schen Armee und der Organi­sa­tion Ukrai­ni­scher Natio­na­listen, die während des Zweiten Weltkriegs Zehntau­sende Polen und Juden ermor­deten und an der Seite Hitler-Deutsch­lands gegen die Sowjet­union kämpften, ist die – nach verschie­denen Formen ukrai­ni­scher Natio­nal­fahnen in blau-gelb – die präsen­teste auf dem Platz. Haken­kreuze gibt es immer wieder mal an den Wänden, sehr promi­nent ist das Kelten­kreuz, die Wolfs­angel, SS-Runen. Schilder und Embleme mit Schwarzen Sonnen finden sich ebenso wie die Symbole von Combat 14 oder Parolen aus der Zeit der ukrai­ni­schen Kolla­bo­ra­tion mit dem deutschen Faschismus.

Wer sind die Faschisten ? Die Partei Swoboda („Freiheit“) von Oleg Tjagnibok ist sehr präsent. Sie hat sich in der Übergangs­re­gie­rung einfluss­reiche Posten gesichert, unter anderem den, des General­staats­an­walts. Sie vertritt ein sozial-demago­gi­sches Programm, in dem sie Verspre­chungen von höheren Löhnen, Priva­ti­sie­rungs­stopps und Kontrolle über den Banken­sektor festschreibt, das aber auch zahlreiche offen rassis­ti­sche, milita­ris­ti­sche und in Richtung Autori­ta­rismus weisende Passagen enthält. Im wesent­li­chen geht es ihr in ihrem Programm um ein ethnisch „rein ukrai­ni­sches“ Land, das eine selbstän­dige und starke Nation werden soll.

Über ihre Vorschläge zur Bekämp­fung von Auslän­der­kri­mi­na­lität und zur Verein­fa­chung von Abschie­bungen etc. müssen wir uns nicht auslassen, es reicht der Hinweis, dass sie die ukrai­ni­sche Bündnis­partei der NPD ist. Inter­es­sant ist vielleicht, wie wir heute auf einer Presse­kon­fe­renz des Swoboda-Führers Tjagnibok vor dem Parla­ment gehört haben, dass sie abermals eine Verfas­sungs­än­de­rung vorschlägt, die wiederum erneut dem Präsi­denten Macht über das Parla­ment geben soll (genau dagegen sollte ja der Maidan angeb­lich kämpfen). Ach ja : Im übrigen fordert sie die Wieder­her­stel­lung der Ukraine als Atommacht unter Mithilfe der USA. Den EU-Beitritt schlägt auch sie – zähne­knir­schend – vor, denn, so Tjagnibok heute : „Die andere Möglich­keit wäre Russland.“ Sie hatte 16 tote Mitglieder zu verzeichnen, die bei den Kämpfen vergan­gene Woche umkamen, was sie auch publi­kums­wirksam zu nutzen versteht.

In dem Gebiet um den Maidan selbst sind andere Gruppen präsenter, nämlich die, die als „Rechter Sektor“ bekannt geworden sind (obwohl der „offizi­elle“ Rechte Sektor nicht alle Nazi- und Faschis­ten­gruppen jenseits von Swoboda beinhaltet, denn es gibt davon sehr viele und einige sind noch aggres­siver und noch nazis­ti­scher als der „Rechte Sektor“ – erzählt hat man uns hier vor allem von einer Gruppe namens „Bruder­schaft“ und einer, die nach wie vor den Namen Ukrai­ni­sche Aufstän­di­sche Armee führt). Diese rechten Gruppen haben starken Zulauf. Sie unter­halten „Rekru­tie­rungs­büros“ auf den Straßen zum Maidan, bei dem des „Rechten Sektors“ stehen durch­gängig, ob du morgens oder abends vorbei­läufst, zwischen zehn und dreißig Leute an, die darauf warten, zum befehls­ha­benden Komman­danten durch­ge­lassen zu werden, um beitreten zu können. Wichtig ist aber, auch nicht zu vergessen, warum diese – meist jungen – Menschen dem Rechten Sektor beitreten wollen. Fragt man sie, ist die Antwort immer (!) die : „Die Parteien, egal ob Regie­rung oder Opposi­tion betrügen uns, der Rechter Sektor sorgt dafür, dass genug Druck da ist, damit sie das nicht können.“ Und : „Der Rechte Sektor hat am mutigsten gekämpft, immer ganz vorne. Die anderen reden nur, aber sie tun nichts.“ Man kann mit Sicher­heit nicht sagen, dass alle, die dem Rechten Sektor beitreten, gestan­dene Antise­miten und Rassisten sind. Das aller­dings macht das Phänomen nicht ungefähr­li­cher, denn die Führungen der Organi­sa­tionen und deren politi­sche Ziele sind deshalb nicht weniger faschis­tisch.

Es stimmt, dass es Übergriffe – vor allem gegen Kommu­nisten, Mitglieder der früheren Regie­rungs­partei „Partei der Regionen“ oder sogenannte Titushki – gibt. Einen davon, die faschis­ti­sche Stürmung und Beset­zung der Zentrale der Kommu­nis­ti­schen Partei, konnten wir selbst verifi­zieren, über andere haben uns Mitglieder einer unabhän­gigen Kommu­nis­ti­schen Gruppe – Borotba (Kampf) – und Vertreter der Kommu­nis­ti­schen Partei erzählt. Es gibt massive Drohungen, auch gegen die Familien von Linken, Angriffe auf Privat­woh­nungen linker Funktio­näre und Einrich­tungen der kommu­nis­ti­schen Partei. Überein­stim­mend haben uns beide Gruppen erzählt, dass es eine Todes­liste gebe. Dass die ernst genommen wird, meinen auch beide, vieles spricht dafür.

Borotba hat seine politi­sche Leitung von Kiew in den Südosten verlegt, in der Haupt­stadt sei man nur noch „im Unter­grund“ tätig, alles andere sei zu gefähr­lich. Borotba selbst hat zu Beginn der Proteste auch versucht am Maidan ein Zelt aufzu­stellen und einen linken Protest gegen Januko­witsch zu organi­sieren, das Zelt ist zerstört, die Aktivisten kranken­haus­reif geschlagen worden.

Nachdem wir nun von den Faschisten gespro­chen haben, wollen wir von denen nicht schweigen, die keine Nazis sind. Als die neue De-Facto-Regie­rung am Mittwoch auf der Bühne sprach, waren hier Zehntau­sende Menschen, selbst­ver­ständ­lich sind die nicht alle Hitler-Jungen oder -Mädels. Die Motive des durch­schnitt­li­chen Demons­tranten gleichen einander. In der Hit-List der meist­ge­nannten Gründe, wer hätte es gedacht : „Wir wollten Januko­witsch weg haben.“ Stimmt nur ein Zehntel dessen, was die Leute erzählt haben – und davon gehen wir aus, wir haben auch mit Ökonomen gespro­chen, mit Journa­listen, und die Medien bringen ja jede Menge Indizien dafür, dass es stimmt, dann muss dieser Typ ein wahrhafter Künstler im Akkumu­lieren von Reich­tü­mern sein. Man geht von zweistel­ligen Milli­ar­den­be­trägen aus, die er sich einge­steckt haben soll. Sein Sohn wurde inner­halb von zwei Jahren vom Teller­wä­scher (naja, nicht ganz… ) zum Milli­ardär, von einem Journa­listen danach gefragt, wie das gehe, sagte der : „Er arbeitet eben.“

Die anderen, die arbeiten, verdienen 3000, 4000 Grivna, umgerechnet irgendwas um die 250 bis 350 Euro oder so, monat­lich. Wir haben den Selbst­test gemacht : Gehst du zum Billa (öster­rei­chi­scher Super­markt auf der Kreschatik-Straße, nur als Anmer­kung für die Piefke) und kaufst dir ein Päckcken Milch, ein Stück Käse, eine Wurst, ein Joghurt und Billig­brot, dann kommst du auf 8 Euro. Rechnet euch aus, wie man über die Runden kommt.

Januko­witsch indes hatte nicht nur dutzende Luxus­autos, Milli­ar­den­ver­mögen im Ausland, eine ukrai­ni­sche Never­land-Ranch, sondern auch einen Zoo. In dem soll es exoti­sche Viecher gegeben haben, deren Fütte­rung Zehntau­sende Euro im Monat kostet. Kein Wunder, dass die Ukrainer, die mit ihrer Handvoll Grivna an der Billa-Kasse stehen, da nicht allzu erfreut drüber sind.

Speziell ist unserer Einschät­zung nach, dass der Kreis, unter dem das erbeu­tete Raubgut verteilt wurde, extrem klein ist. Soll heißen : Auch die Stützen der Macht, die Bullen, die Soldaten usw. sind extrem unter­fi­nan­ziert, und zwar nicht nur in den einfa­chen Rängen. Eine Frau hat uns erzählt, dass ihr Bruder hochran­giger IT-Spezia­list und Offizier in der Armee ist und der verdient umgerechnet 600 Euro im Monat. Vielleicht mit ein Grund, warum der Sturz nicht allzu lang dauerte.

Nun ist Januko­witsch ein Arsch­loch. Aber er ist sicher nicht das einzige. Das Spiel, das in dem Land gespielt wird, ist einfach dieses : Verschie­dene Oligar­chen-Gruppen konkur­rieren um das größte Stück vom Kuchen. Julia Timoschenko oder Petro Poroschenko sind nicht anders als Januko­witsch. Timoschenko ist Januko­witsch im Blut-und-Boden-Look, mehr nicht.

Das aller­dings wissen – im Unter­schied zu den deutschen Politi­kern und Medien­an­stalten – auch die Leute vor Ort. In zwei Tagen konnten wir – außer an den jewei­ligen Wahlständen der betref­fenden Parteien keine Person treffen, die irgend­einen dieser Selbst­be­rei­che­rungs­profis als reale Alter­na­tive angesehen hätte

Neben Januko­witsch und Korrup­tion finden sich bei den „normalen“ Demons­tranten viele Protest­gründe, die eigent­lich eher „linke“ Themen­be­stände sind : Armut und Polizei­ge­walt spielen eine Rolle, auch das Fehlen von demokra­ti­schen Parti­zi­pa­ti­ons­mög­lich­keiten.

Aller­dings : Diese eigent­lich „linken“ Inhalte sind völlig überformt durch den allge­gen­wär­tigen Natio­na­lismus. Damit meinen wir nicht die Nazis und Faschisten, die ganz normalen Demons­tranten haben – erklärbar aus der ukrai­ni­schen Geschichte – ein völlig überstei­gertes Natio­nal­ge­fühl. Perma­nent schreien sie „Slava Ukraini“, Ruhm der Ukraine. Die Floskel ist mittler­weile zur Grußformen geworden. Du sagst auf dem Platz nicht einfach „Hallo“, sondern „Ruhm der Ukraine“ und der andere antwortet entweder auch „Ruhm der Ukraine“ oder „Ruhm den Helden“, in Anspie­lung auf die Toten der vergan­genen Wochen. Es hat etwas massen­psy­cho­ti­sches, wenn Tausende sich das vor der Bühne gegen­seitig im Chor zubrüllen. Ebenso bei „normalen“ Demons­tranten präsent sind antirus­si­sche Ressen­ti­ments á la „Die Russen sind sind so und so“. Dazu kommt, dass auch dieje­nigen, die sich selbst nicht aktiv in die Tradi­tion der ukrai­ni­schen Hitler-Kolla­bo­ra­teure stellen, kein Problem damit haben, dass das anderen tun. Stepan Bandera ist auch für dieje­nigen ein „Held“, die jetzt nicht unmit­telbar überlegen, Polen oder Juden jagen zu gehen. Es gibt schlichtweg überhaupt kein Problem­be­wusst­sein über diese Kolla­bo­ra­ti­ons­ge­schichte, kriti­sche Distanz existiert nicht (zumin­dest soweit wir das auf dem Maidan beobachten konnten). Weil diese Elementen rechten, natio­na­lis­ti­schen Denkens soweit verbreitet sind, können die Nazis sich als „unsere Jungs an der Front“ vermarkten. (Der Natio­na­lismus funktio­niert übrigens für beide Seiten, denn die einen korrupten Klepto­manen mobili­sieren die, die sie bestehlen, für die „ukrai­ni­sche Nation“, die anderen ihre Klientel mittels russi­schem Natio­nal­ge­fühl.)

Natür­lich gibt es auch in der Ukraine eine Linke. Aller­dings nicht auf dem Maidan. Wie oben gesagt : Du kannst dort kein linkes Zelt hin bauen, weil dir die Selbst­schutz­kräfte des Maidan selbiges wohl relativ schnell dahin rammen würden, wo die Sonne nicht scheint. Es gibt eine Organi­sa­tion namens Avtonomia, die ist anarchis­tisch und ihre Prokla­ma­tionen sind auf Indymedia hin und wieder in Überset­zung erschienen. Wir hatten Email-Kontakt, man hat uns wieder­holt verspro­chen, wir würden einen Gesprächs­partner bekommen, geklappt hat das leider nicht, aus welchen Gründen auch immer. Sehr bekannt dürfte die Gruppe in der Normal­be­völ­ke­rung nicht sein, wir haben ein paar Mal nach ihr gefragt, Reaktion null.

Dann gibt es die Kommu­nis­ti­sche Partei. Eigent­lich sollte sie 150 000 Mitglieder haben, viel zu spüren bekommt man von ihnen nicht. Im Moment vertreten sie die Position, dass sie immer schon gesagt hätten, dass Januko­witsch ein Dieb ist und sie nur mit seiner Partei gestimmt haben, wenn es „zum Wohle der Bevöl­ke­rung war“. Das ist unserer Ansicht nach eine verzerrte Sicht­weise. Alles in allem wollen wir zur KP nicht viel sagen. Zwei Dinge sollten reichen : Unser Ding wäre das nicht, und wenn die Partei nicht selbst­kri­ti­scher und wesent­lich undog­ma­ti­scher wird, und mit ihrem geradezu grotesken Glauben in den Staat und dem entspre­chenden Legalismus bricht, wird das wohl nichts. Insge­samt hat sie viel mit der hiesigen Links­partei gemein, sie ist eine Art parla­men­ta­ri­scher Tradi­ti­ons­wahl­ver­band, dem es am liebsten ist, wenn alles seinen gemäch­li­chen, normalen Gang geht. Der erste Kampf, den sie führen wird müssen, ist der gegen die Überal­te­rung. Denn die junge Genera­tion orien­tiert sich leider nicht nach links, und das hat auch Gründe, die in der Politik dieser Partei liegen. Das Zweite aber : Berei­chert hat sich die Partei selbst offenbar nicht, und im Moment steht sie im Fokus der Angriffe der Faschisten, deshalb verdient sie Solida­rität, wenn auch nicht politi­sche Zustim­mung.

Außerdem haben wir jemanden von Borotba getroffen, einer Gruppe von Kommu­nisten, die sich von der KP abgespalten haben, als diese begann, sich an die Partei der Regionen anzubie­dern. Borotba ist klein aber fein. Diffe­ren­zierte Analysen, ein Gespür dafür, dass es manchmal besser ist, eigen­ständig zu arbeiten, als sich an mächtige Gruppen anzubinden und mehr Aktivismus als bei der ungefähr 150mal so großen KP. Borotba hat sich gegen Januko­witsch und gegen die Opposi­tion ausge­spro­chen und am Anfang auch noch versucht, den Protest zu politi­sieren. Im Moment arbeiten sie an der Schaf­fung antifa­schis­ti­scher Wider­stands­gruppen, nun, da Januko­witsch weg ist, so ihre Ansicht, sei der Haupt­kampf der gegen die Faschisten. Inter­es­sant an ihnen ist, dass sie – ohne sich auf eine Seite zu stellen – die geostra­te­gi­sche Macht­po­litik sowohl Russlands wie auch der westli­chen Imperia­listen kriti­sieren.

Neben den lokalen Playern gibt´s spielen im Kampf um die Ukraine natür­lich auch die Inter­essen der USA, der EU und Russlands eine Rolle. Die USA finan­zieren und unter­stützen die prowest­liche Bewegung in der Ukraine seit langem massiv, man erinnere sich nur an die Episode „Organ­gene Revolu­tion“, in den Haupt­rollen Julia Timoschenko und Viktor Juscht­schenko und an deren Ausgang. Die Europäi­sche Union – allen voran Deutsch­land – haben in der Ukraine bewiesen, dass sie zuneh­mend selbst­be­wusster werden, und ausge­testet, wie weit sie – auch ihrer eignen öffent­li­chen Meinung gegen­über, beim Regime Change gehen können. Insge­samt nehmen sie bewusst einen Bürger­krieg in Kauf, der nicht mehr ein bloßes Gedan­ken­spiel ist, sondern eine tatsäch­liche Bedro­hung.

Was macht Russland, ist im Moment die große Frage. Selbst ein imperia­lis­ti­sches Land wie seine westli­chen Wider­sa­cher, kann es sich nicht ewig leisten, von letzteren aus seinen Einfluss­sphären vertrieben und einge­kreist zu werden. Im Moment sieht es so aus, als würden Truppen an der Westgrenze aufge­zogen, ob das eine Macht­de­mons­tra­tion, ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Kiewer Regie­rung, die Faschisten in Zaum zu halten, oder die Vorbe­rei­tung eines wohl folgen­rei­chen Eingrei­fens ist, ist unklar. Die USA haben ebenfalls den Ton verschärft und Putin vor „schweren Fehlern“ gewarnt. Und auch Klitschko darf öffent­lich­keits­wirksam in der BILD Putin „warnen“. Die Zuspit­zung des imperia­lis­ti­schen Konflikts bedeutet jeden­falls für die Ukraine nichts gutes.

Insge­samt kann man sagen : Gut sieht´s nicht aus, nach dem eupho­ri­schen Aufbruch vom Maidan, das wird auch vielen Demons­tranten bewusst. Staats­bank­rott, Grivna auf dem Allzeit­tief, Faschisten als nicht mehr wegzu­den­kender politi­scher Faktor, einander um die Beute zankende Großmächte. Klar ist : Vorbei ist die Sache lange nicht.

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Hier noch eine Fundsache, die dokumen­tiert, wie die derzei­tigen Macht­ver­hält­nisse in der Ukraine aussehen : Der Nazi Alexander Muzychko mit einem Staats­an­walt…

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