Die Stadt als Beute : Geschäftsmodelle und Gegenmaßnahmen

Veran­stal­tung mit Knut Unger, Aktiver des « Europäi­schen Aktions­bünd­nisses für das Recht aufWohnen und die Stadt », Miete­rIn­nen­verein Witten

Mittwoch, 16.April, 19 Uhr, Wagen­halle in der Alten Feuer­wache, Gathe, Wuppertal-Elber­feld. Der Eintritt ist frei (Spenden sind natür­lich willkommen…)
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Die Stadt, Lebens­um­feld der meisten Menschen, wurde längst zur Beute erklärt. Priva­ti­sie­rungen, Speku­la­tion und Anlage­sys­teme prägen zuneh­mend das Bild der Städte und auch die Lebens­wirk­lich­keit der in ihr lebenden Menschen. Kein Lebens­be­reich bleibt von diesen Entwick­lungen verschont. Die urbanen Trans­for­ma­tionen treffen Stadt­pla­nung, Infra­struktur, Handel, gesell­schaft­li­ches Mitein­ander und auch das Wohnen.

Die Geschichte der Wandlung der Städte zu Profit­ma­schinen reicht in die letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhun­dert zurück. Inzwi­schen sind die Folgen für immer mehr Menschen direkt spürbar. Immer mehr Stadt­raum wird für fragwür­dige Zwecke priva­ti­siert und der allge­meinen und freien Nutzung entzogen, immer mehr prägen Inves­to­ren­in­ter­essen städte­bau­liche Entwick­lungen. In Wuppertal ist dies beim Großpro­jekt am « Döppers­berg » gut zu besich­tigen. Im Buhlen um Inves­toren haben sich die Städte dabei auf ein Ratten­rennen unter­ein­ander einge­lassen, das den Stadt­be­woh­ne­rInnen nur selten nützt. Denn immer öfter bleiben dafür soziale, kultu­relle oder stadt­pla­ne­ri­sche Kernauf­gaben kommu­naler Politik auf der Strecke – und damit Lebens­qua­lität für alle.

Gleich­zeitig wurde auch das Wohnen in den Städten zur frei handel­baren Ware. Der Staat hat sich aus der Aufgabe, ein bezahl­bares Dach über dem Kopf für alle zu ermög­li­chen, fast vollständig zurück­ge­zogen. Heute gehören die meisten großen Wohnsied­lungen – in den siebziger Jahren gefei­erte Sozial­woh­nungsbau-Projekte und Ausdruck eines allge­mein anwach­senden Lebens­stan­dards – meist großen inter­na­tio­nalen Anlage­ge­sell­schaften. In den Innen­städten der Boomtowns herrscht mittler­weile teils blanke Wohnungsnot, immer mehr Mietwoh­nungen werden zu Eigentum und Kapital­an­lage umgewidmet. Selbst in bislang schrump­fenden Städten wie Wuppertal ziehen Mieten stetig an. Weniger sprung­haft als in den großen Städten und dennoch nicht zu übersehen, beginnen Gentri­fi­zie­rungs­pro­zesse auch hier ganze Bevöl­ke­rungs­gruppen aus der Innen­stadt an den Rand der Stadt zu vertreiben, wo sie dann in den Fängen der privaten Großver­mieter landen.

Für wen also wird diese Politik gemacht ? Welchen Vorgaben folgt sie ?

Die Kritik an den Trans­for­ma­tionen der Städte bleibt vielfach hinter den tatsäch­li­chen Ursachen zurück. Häufig sind die Geschäfts­mo­delle und Absichten der Akteure urbaner Trans­for­ma­tion unbekannt oder erscheinen auf den ersten Blick zu kompli­ziert. Eigenes Wissen um die Abläufe und Motive ist jedoch notwendig, um wirkungs­volle Gegen­maß­nahmen entwi­ckeln zu können. Denn die urbane Profit­ma­schine funktio­niert nach eigenen Regeln. Sie eröffnet aber auch neue Chancen zur gemein­samen Gegen­wehr.

Wir haben für die Veran­stal­tung mit Knut Unger (Europäi­sches Aktions­bündnis für das Recht auf Wohnen und die Stadt, Miete­rIn­nen­verein Witten) einen Referenten gewinnen können, der über die Hinter­gründe der urbanen Trans­for­ma­tion und der Finan­zia­li­sie­rung des Wohnens fundiert berichten kann. Zuletzt war er Mitor­ga­ni­sator der Proteste gegen die inter­na­tio­nale Immobi­li­en­messe « MIPIM » im franzö­si­schen Cannes, bei der sich alljähr­lich Großin­ves­toren, Stadt­ver­wal­tungen, Finanz­in­dus­trie und Bauplaner treffen, um die Beute unter sich aufzu­teilen. Erstmals seit 25 Jahren wurde in diesem März am Rande der Messe von Betrof­fenen der urbanen Trans­for­ma­tion protes­tiert. In seiner tägli­chen Arbeit hat Knut Unger immer häufiger mit den Folgen der Finan­zia­li­sie­rung des Wohnungs­marktes zu tun. Neben einer Beschrei­bung der Geschäfts­mo­delle von Anlage­ge­sell­schaften und der damit einher­ge­henden Verän­de­rung städti­scher Planungen wird daher auch das « Wohnen als Ware » thema­ti­siert werden. Im Anschluss gibt es Gelegen­heit zur Diskus­sion.

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Unterstützung für Anti-MIPIM-Proteste in Cannes !

In Cannes – Le Pen-Kernland in Frank­reich – findet in diesen Tagen die große immobi­li­en­messe „MIPIM” statt, bei der sich Großver­mieter, fette Inves­toren, Betreiber von Shopping­malls, Gated Commu­nities und immer neuen Yacht­häfen mit kommu­nalen Vertre­te­rInnen treffen, um ungestört die „Big Deals” des nächsten Jahres einzu­leiten und abzuschließen. Wenn urbane Kämpfe in Istanbul, Rio, London, Paris, Berlin, Hamburg oder auch der Rhein-Ruhr-Region eines wirklich eint, dann ist es die Anwesen­heit ihrer gemein­samen Feinde in Cannes. Dieses Jahr versucht ein inter­na­tio­nales Bündnis erstmals die traute Ruhe der urbanen Ausplün­derer zu stören : Ab Mittwoch findet in Cannes ein „Tribunal” statt, bei dem die schlimmsten Akteure gegen ein Recht auf Wohnen und ein Recht auf Stadt öffent­lich angeklagt werden.

Die Proteste gegen die „MIPIM” haben bereits im Vorfeld für viel Aufre­gung gesorgt : Bis gestern sah es so aus, als würde der Bürger­meister der Stadt, in der zu 80% rechts gewählt wird, Bernard Brochand, alle Proteste gegen das Get-Together der Heuschre­cken und Platt­ma­cher als „undemo­kra­tisch” verbieten. Erst im letzten Moment ist es durch Verhand­lungen gelungen, das Ganze an einer anderen als der ursprüng­lich geplanten Stelle in Cannes statt­finden zu lassen. Zusätz­lich zum Tribunal wird es in vielen europäi­schen Städten aber auch unter­stüt­zende Aktionen für die Proteste geben. So sollte ursprüng­lich Londons Bürger­meister Boris Johnson, der „heimliche Star” der Messe – bei der ansonsten Inves­ti­ti­ons­vor­haben für Istanbul und Rio de Janeiro im Fokus stehen – bereits in London an der Abreise zur Côte d’Azur gehin­dert werden.

In jedem Fall erscheinen die Akteure des inter­na­tio­nalen immobi­li­en­marktes durch die Störung überrascht, waren sie es doch gewohnt, dass die urbanen Bewegungen bislang nicht so gut vernetzt agieren wie sie und ihre Inter­es­sen­ver­treter in den Stadt­ver­wal­tungen.

Zu den Protesten gegen die „MIPIM” ist heute im „Neuen Deutsch­land” ein inter­view mit dem so-Ko-Mitstreiter Knut Unger (Miete­rIn­nen­verein Witten, Reclai­ming Spaces) erschienen, der an der inter­na­tio­nalen Vernet­zung der Proteste betei­ligt war. Wir dokumen­tieren unten das Inter­view.

Weitere Infor­ma­tionen :

Aufruf auf deutsch zu den Protesten
Info zum neuen Veran­stal­tungsort (engl.)
Markt­platz der Immobi­li­en­spe­ku­lanten – „Neues Deutsch­land”
Fünf Großver­mieter aus NRW bei der MIPIM (engl.)
Der Ausver­kauf sozialer Wohnungen in NRW (engl.)

Dokumen­tiert : Inter­view mit Knut Unger (»Europäi­sches Aktions­bündnis für das Recht auf Wohnen und die Stadt«) im „Neuen Deutsch­land” vom 11.März 2014 :

Ein Tribunal gegen die Speku­la­tion

nd : Sie betei­ligen sich an den Protesten gegen die Immobi­li­en­messe in Cannes. Welche Bedeu­tung hat die MIPIM für die Branche und beson­ders für die Verdrän­gung ärmerer Bevöl­ke­rungs­teile aus vielen europäi­schen Innen­städten ?

Unger : Bei der MIPIM kommen alle großen Akteure des Immobi­li­en­ge­schäftes zusammen : Inves­toren, Archi­tekten, Stadt­planer, Banken, Politiker sowie die Verkäufer und Vermarkter der Grund­stücke und Wohnquar­tiere. Hier werden auf höchster Ebene nicht nur konkrete Geschäfte gemacht, sondern auch Kontakte geknüpft, um Großpro­jekte auf den Weg zu bringen.

Sie selber sind im Mieter­verein Witten aktiv. Gibt es Auswir­kungen der inter­na­tio­nalen Immobi­li­en­spe­ku­la­tion auch auf Ihre Stadt und das Ruhrge­biet insge­samt ?

Seit ungefähr einem Jahrzehnt ist eine Inter­na­tio­na­li­sie­rung der Großver­mieter auf dem deutschen Wohnim­mo­bi­li­en­markt zu verzeichnen. Nach dem Platzen der Immobi­li­en­blasen in den USA und in Teilen Europas haben sich viele Akteure auf Deutsch­land kapri­ziert. Auch in Witten sind mittler­weile mindes­tens zehn Prozent aller Mietwoh­nungen im Besitz von Konzernen wie Annington oder Gagfah. In Dortmund sind es sogar rund 20 Prozent.

Träger der Proteste ist unter anderem das »Europäi­sche Aktions­bündnis für das Recht auf Wohnen und die Stadt«. Wie ist dieses entstanden, und wie arbeitet es ?

Anfang 2013 haben sich Vertreter verschie­dener Initia­tiven getroffen, um darüber zu beraten, wie man auf die Krise in Europa und ihre schlimmen sozialen Folgen für viele Menschen auch europa­weit vernetzt reagieren kann. Die erste gemein­same Aktion war dann ein Europäi­scher Aktionstag mit Demons­tra­tionen und Kundge­bungen in vielen Städten am 19. Oktober. Beson­dere Bedeu­tung hatte auch die Entwick­lung in Ungarn, nachdem die dortige Regie­rung begann, Obdach­lose zu krimi­na­li­sieren. In Budapest und anderen Städten organi­sierten wir einen Aktionstag, an dem auch viele Unter­stützer aus anderen Ländern teilnahmen. In diesem Sinne wollen wir weiter arbeiten, und deswegen kommen wir jetzt auch nach Cannes.

Was ist bei den Protesten in Cannes konkret geplant ?

Wir wollen eine Art Anti-MIPIM in Form eines Tribu­nals durch­führen. Dort sollen Vertreter aus verschie­denen Ländern und Städten schil­dern, welche Folgen die grassie­rende Immobi­li­en­spe­ku­la­tion konkret hat. Beson­ders drama­tisch ist die Lage derzeit in Spanien und Italien, wo viele Menschen von Zwangs­räu­mungen bedroht sind.

Die Bundes­re­gie­rung hat im Koali­ti­ons­ver­trag Schritte gegen unzumut­bare Mietpreis­sprünge verein­bart. So sollen Mieten bei Neuver­trägen künftig nur noch maximal zehn Prozent über der ortsüb­li­chen Vergleichs­miete liegen dürfen. Wie bewerten Sie dies ?

Gerade in den ärmeren Stadt­teilen im Ruhrge­biet hätte das keinerlei Effekt. Beim Auslaufen der Sozial­bin­dung von Wohnungen - und das ist eines unserer größten Probleme - greift diese Maßnahme überhaupt nicht. Außerdem sollen derar­tige Kappungs­grenzen nicht überall einge­führt werden, sondern nur in Städten mit beson­ders angespannter Wohnsi­tua­tion und starkem Zuzug, wie zum Beispiel Berlin.

Was wären die wichtigsten Schritte, um das Recht auf Wohnen durch­setzen zu können ?

Das Recht auf angemes­senes Wohnen muss in allen EU-Ländern durch­ge­setzt werden. Derzeit führen jedoch die Spardik­tate der Troika in Südeu­ropa dazu, dass immer mehr Menschen ihre Wohnungen verlieren. Länder wie Portugal werden gezwungen, soziale Schutz­be­stim­mungen für Mieter außer Kraft zu setzen. Wir brauchen eine koordi­nierte Politik für die gesamte EU, um ein Recht auf Wohnen zu schaffen. Kernele­mente wären ein Verbot von Zwangs­räu­mungen, möglichst umfas­sende Mieter­schutz­ge­setze und öffent­li­cher Wohnungsbau mit dauer­hafter Sozial­bin­dung.

Fragen : Rainer Balce­ro­wiak

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