BREAK ISOLATION ! * Refugee Summer Camp 2012

Solida­rität gegen das koloniale Unrecht und die Angriffe auf unsere Leben

Hier gibt es den Aufruf in anderen Sprachen (Cagri Türkce, call English, Farsi, Appel Francais, Arabic)

Freun­dinnen und Freunde, Schwes­tern und Brüder, Mitstrei­te­rinnen undMit­streiter,

wir vom THE VOICE Refugee Forum und der KARAWANE für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen organi­sieren in diesem Sommer ein Sommer­camp.

Wir laden euch ein, mit uns gemeinsam zehn Tage lang nach vorn zu schauen und zu disku­tieren, wie unsere Selbst­or­ga­ni­sie­rung weiter gestärkt und entfaltet werden kann. Wir wollen die bisher in prakti­schen Kämpfen gelebte Solida­rität unter­ein­ander verfes­tigen und uns rüsten für zukünf­tige Kämpfe. Wir wissen aus unserer langjäh­rigen Erfah­rung der organi­sierten Kämpfe gegen das deutsche Abschie­be­system und all seinen Formen, dass Selbst­be­stim­mung und Selbst­er­mäch­ti­gung von uns Flücht­lingen - den unmit­telbar vom kapita­lis­ti­schen System bedrohten Menschen - Kern einer Bewegung zur Überwin­dung von Ausbeu­tung und Unter­drü­ckung sind. Wir wissen, dass wir nur mit einem scharfen und klaren Fokus und einer wachsenden Basis diesem Ziel näher­kommen können. Seit der Konfe­renz gegen koloniales Unrecht 2009 arbeiten wir perma­nent am Aufbau lokaler Flücht­lings­ko­mi­tees und Gemein­schaften in den Lagern und in unter­schied­li­chen Städten. Auf unserem weiteren Wege wollen wir die Solida­rität zuein­ander und die Bezie­hungen zwischen den bereits bestehenden und neu entste­henden lokalen Gruppen ausbauen und stärken.

Auf dem Flücht­lings­camp wollen wir unsere bishe­rige Arbeit reflek­tieren, das politi­sche Umfeld analy­sieren und uns politisch bilden. Wir wollen die Erfah­rungen aus vergan­genen erfolg­rei­chen Kämpfen an die neuen Aktivis­tinnen und Aktivisten weiter­geben sowie unsere Schwä­chen beleuchten. Es ist an der Zeit, zwischen all den tagtäg­li­chen Kämpfen zu analy­sieren, wo wir stehen und wie der weitere gemein­same Weg aussehen kann.

Wir sehen aktuell, dass trotz aller Kämpfe und Wider­stände gegen Abschie­bungen, Residenz­pflicht und Polizei­bru­ta­lität die Angriffe des deutschen Staates auf Flücht­linge und Migran­tInnen – insbe­son­dere unter der Einwir­kung der System­krise – massiv verstärkt werden. Rassismus als Spaltungs- und Herrschafts­in­stru­ment wird intensiv genutzt, damit die Verur­sa­cher von Hunger und Not, von Famili­en­tren­nung und Isola­tion weiterhin den Reichtum an sich reißen können.

Heute sind wir Zeugen, wie trotz aller sozialen und politi­schen Aufstände und Massen­re­bel­lionen die Zerstö­rung unserer Länder, unserer Lebens­räume und unserer Gesell­schaften durch die westli­chen Länder im Stil eines neuen Weltkriegs voran­ge­trieben werden. Wir müssen zusehen, dass trotz der entfal­teten Kraft der Proteste die Entschei­dungen über die Macht in unseren Ländern weiterhin in Runden außer­halb unserer Konti­nente getroffen werden. Dies ist keine neue Erfah­rung, doch die Offen­heit, mit der sie zutage tritt, ist eine weitere Ohrfeige und Ernied­ri­gung - und offen­bart unsere eigene Schwäche. Durch den zielge­rich­teten Export von Kriegs­ma­te­rial, wirtschaft­liche Sanktionen und politisch-militä­ri­sche Inter­ven­tionen sollen jede Trans­for­ma­tion der Ausbeu­tungs­ver­hält­nisse verhin­dert und jedes Bestreben nach tatsäch­li­cher Unabhän­gig­keit erstickt werden. Das Militär­bündnis NATO hat die Welt in einen perma­nenten Kriegs­zu­stand versetzt und bedroht weiterhin unsere Familien in den Ländern, die wir verlassen mussten.

Der Protest gegen die Verur­sa­cher des Elends auf unseren Konti­nenten nimmt stetig zu. Aber auch die jungen Menschen hier in Mittel­eu­ropa fangen an, die Lügen ihrer Verschleie­rungs­pro­pa­ganda zu erkennen und setzen sich gegen Abschie­bungen, Ausbeu­tung und Milita­ri­sie­rung ein. Trotz alldem und trotz unserer aller Kämpfe werden die europäi­schen Außen­grenzen jeden Tag stärker militä­risch abgeschottet und das Lager­system inner­halb der EU ständig weiter­ent­wi­ckelt. Die Randstaaten Europas müssen für die Kernstaaten die Flücht­linge abfangen und abwehren. Die Lager und die militä­ri­sche Abschot­tung werden immer weiter ausge­la­gert. Immer mehr Länder werden zu Vasallen der Bekämp­fung der erzwun­genen Migra­tion und erledigen für die europäi­schen Staaten die dreckige Arbeit auf dem afrika­ni­schen und asiati­schen Konti­nent. Die Folgen sind verhee­rend und Zeugnis der kolonialen und genozi­dalen Ideologie der herrschenden Eliten.

Obwohl wir als Mensch­heit in der Lage sind, Nahrung für die gesamte Erdbe­völ­ke­rung zu produ­zieren, verhun­gert alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren. 37 000 Menschen verhun­gern jeden Tag. Eine Milli­arde sind perma­nent schwers­tens unter­ernährt. Alle 60 Sekunden stirbt ein Mensch durch Schuss­waffen. 500 000 Menschen sterben jedes Jahr durch Schuss­ver­let­zungen. Deutsche Konzerne belegen hingegen den dritten Rang der weltweiten Rüstungs­ex­porte. Der Kapita­lismus hat längst seine goldene Maske verloren. Die Zerstö­rung der Erde schreitet voran und tötet nicht nur die Menschen, sondern zerstört auch die Lebens­grund­lage zukünf­tiger Genera­tionen. Daher wird unser Protest als ein Teil des Kampfes gegen diese perma­nente Zerstö­rung immer bedeu­tender und ist zwingend notwendig.

Unser gerechter Wider­stand erreicht immer mehr Menschen. Vergli­chen mit dem Ausmaß der Zerstö­rung und der Häufig­keit der Angriffe erscheint er aber geschwächt. Die politi­sche Klarheit und die Analyse und Ausar­bei­tung der Herrschafts- und Macht­struk­turen erfor­dert Zeit, kollek­tive Unter­su­chung und Erkenntnis. Wir sind selbst aber Kinder des Kolonia­lismus und des Kapita­lismus. Zersplit­te­rung und Konkur­renz­ver­halten inner­halb unserer eigenen Wider­stands­be­we­gungen schwä­chen die gesamte Bewegung gegen das kapita­lis­ti­sche Diktat.

Wir sind geprägt von den Auswir­kungen des „kolonialen Erbes“ - der kolonialen Menta­lität. Wir hängen zusammen und sind mitein­ander verbunden durch die Kette, die im Kolonia­lismus zwischen den unter­drü­ckenden und den unter­drückten Gesell­schaften entstanden ist. Nicht nur unsere Bewegung wird geschwächt durch Infil­tra­tion und Manipu­la­tion durch vermeint­liche Verbün­dete, deren verstecktes Ziel die Durch­set­zung einer eigenen Agenda ist, die teilweise nur die Siche­rung des eigenen Lebens und des eigenen Status umfasst. Diese Einflüsse aber schwä­chen den Kern der Bewegung, der in der Selbst­be­stim­mung und Selbst­er­mäch­ti­gung der unmit­telbar Betrof­fenen besteht.

Deshalb rufen wir - The VOICE Refugee Forum und die KARAWANE für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen - Euch dazu auf, zu dem zehntä­gigen Treffen nach Thüringen zu kommen. Bringt euch in den Entwick­lungs­pro­zess für den Aufbau selbst­be­stimmter und selbst­or­ga­ni­sierter Flücht­lings­ge­mein­schaften und -komitees ein. Seid Teil der Solida­ri­täts­platt­form der Flücht­linge im Rahmen des Netzwerks der KARAWANE. All dieje­nigen, deren Ziel es ist, sich mit dem Kampf der Flücht­linge zu verbinden und eine wirksame Überwin­dung von Rassismus und kolonialer Menta­lität anzustreben, rufen wir auf, zum Camp nach Thüringen zu kommen.

Das Camp soll der Stärkung und der Konzen­tra­tion des Flücht­lings­wi­der­stands dienen. Wir wollen alle Diskus­sionen und Analysen an diesem Ziel ausrichten. Uns geht es nicht darum, uns gegen­seitig unter­schied­liche Kampa­gnen und Aktionen der Zukunft zu präsen­tieren oder uns überein­ander zu infor­mieren. Wir wollen die Solida­rität unter­ein­ander durch aktiven Austausch stärken und gemeinsam heraus­finden, inwie­weit unsere eigene Freiheit mit der anderer zusam­men­hängt. Wie mache ich deinen Kampf zu meinem und wie bringen wir uns gemeinsam ein ?

Ein zentraler Punkt wird der Erfah­rungs­aus­tausch der Flücht­lings­ge­mein­schaften über die rassis­ti­sche Politik und Praxis im deutschen Lager- und Abschie­be­system sowie unsere Praktiken der Gegen­wehr und der Selbst­or­ga­ni­sie­rung sein. Die konkreten Erfah­rungen des Wider­stands und der Solida­rität durch­bre­chen den Kreis der Angst und der Ohnmacht. Hierzu gehört auch die Vermitt­lung von techni­schem und organi­sa­to­ri­schem Wissen.

Wir wollen uns auf dem Camp Zeit nehmen, um in Refle­xionen und Analysen über die gegen­wär­tige Situa­tion – sowohl hier wie auch in unseren Herkunfts­län­dern – die daraus resul­tie­renden Anfor­de­rungen und Bedin­gungen für unseren Wider­stand heraus­zu­ar­beiten und dabei unser politi­sches Bewusst­sein zu stärken. Die Kampagne „Krieg gegen Migra­tion – Krieg gegen Flucht“ wird ein Haupt­schwer­punkt des Camps sein. Alle Flücht­linge und Migran­tInnen sind dazu einge­laden, ihre Erfah­rungen zu diesem Thema vorzu­be­reiten und einander mitzu­teilen.

Das ganze Camp wird auf dem Prinzip der Solida­rität aufbauen, denn wir haben gelernt, dass die Solida­rität der Unter­drückten unter­ein­ander unsere schärfste Waffe und unseres Gegners größte Angst ist. Das KARAWANE Festival gegen koloniales Unrecht in Jena 2010 wurde als Bastion der Solida­rität bezeichnet und von allen, die sich dort einfanden, auch so empfunden. Das Camp 2012 will das Prinzip der Solida­rität auf die Ebene der alltäg­li­chen und konti­nu­ier­li­chen Praxis heben. Nach wie vor existiert das Netzwerk der KARAWANE in ursprüng­li­cher Form und bietet Raum für aktive Teilnahme und den Aufbau lokaler Gruppen und Initia­tiven, die den Prozess der Selbst­or­ga­ni­sie­rung und Selbst­er­mäch­ti­gung von Flücht­lingen und Migran­tInnen voran­treiben wollen.

Das Camp wird die Planungen und Konkre­ti­sie­rungen für das Tribunal gegen die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land im Sommer 2013 in Berlin auf die Tages­ord­nung setzen und alle Flücht­linge als Zeugen und Betrof­fene für die syste­ma­ti­schen Menschen­rechts­ver­let­zungen einladen. Dazu gehört auch die Ermuti­gung von Flücht­lings­frauen, deren Situa­tion im deutschen Lager­system oft am schwersten ist. Unsere gemein­same Dokumen­ta­tion wird in Zukunft ein unumstöß­li­cher Beweis gegen alle Versuche der Leugnung der Verbre­chen sein, die gegen uns verübt wurden und werden.

Das Camp wird der Raum unserer kultu­rellen Vielfäl­tig­keit und Ausdrucks­mög­lich­keit sein. Wir laden euch alle dazu ein, eure Talente in Musik, Malerei, Lyrik, Tanz, Sport und Spiel mit in das Camp zu tragen. Eine Kinder­be­treuung vor Ort wird organi­siert.

Wartet nicht auf irgendwen, der Euch eine Lösung verspricht. Er oder Sie wird nicht kommen. Wartet nicht, bis das eigene Problem so groß ist, dass es euer Handeln erzwingt - es wird dann zu spät sein. Glaubt nicht, ihr seid nicht betroffen, wenn ihr kein Flücht­ling (mehr) seid. Wir alle sind verbunden mit der Kette des kolonialen Unrechts.

Stoppt den Krieg gegen Flucht !
Solida­rität mit dem Flücht­lings­wi­der­stand in Deutsch­land undSo­li­da­rität mit der inter­na­tio­nalen Bewegung der Flücht­linge und Migran­tInnen gegen Ausbeu­tung und Unter­drü­ckung ! Organi­siert euch gegen das deutsch-europäi­sche Lager- und Depor­ta­ti­ons­re­gime ! Verei­nigt euch gegen koloniales Unrecht ! Brecht die Isola­tion, überwindet alle Barrieren der Trennung, verei­nigt Euch im Kampf !

Infor­ma­tionen zum Sommer­camp und zur Organi­sa­tion :
refugeecamp2012@​riseup.​net
Sommer­camp Koordi­na­ti­ons­netz­werk :
Karawane Netzwerk und Flücht­lings­in­itia­tiven in Thüringen, Wuppertal, Hamburg, Berlin, Stutt­gart, Möhlau, Hannover, Ausburg and Rostock
Kontakt : The VOICE Refugee Forum, Schil­ler­gaes­schen 5, 07745 Jena,
Tel.: ++49 (0) 176 24568898, Email : thevoice­forum (ät) gmx​.de

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