Prozess gegen Latife : Presseerklärung der Anwälte

Am 28.Januar 2016 wurde am 23.Prozesstag gegen unsere Genossin Latife der erste Teil einer persön­li­chen Erklä­rung verlesen, in der Latife ihren Werde­gang und ihr Leben als Kind und Jugend­liche in der Türkei schil­derte, das von staat­li­cher Gewalt und Verfol­gungen geprägt war – u.a. durch die Militär­put­sche der Jahre 1971 und 1980.

Nach Latifes Erklä­rung beantragten ihre Vertei­diger – Roland Meister und Yener Sözen – die Einstel­lung, bzw. die Ausset­zung des Verfah­rens. Dabei verwiesen sie in eindring­li­chen Worten auf die aktuelle repres­sive Entwick­lung in der Türkei und den grausamen Krieg des türki­schen Militärs gegen die kurdi­sche Zivil­be­völ­ke­rung. In der Begrün­dung des Antrages beschul­digten sie das Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium der “Unter­stüt­zung eines terro­ris­ti­schen Regimes”, wenn die Ermäch­ti­gung zur Straf­ver­fol­gung nicht zurück­ge­nommen werde. Heute veröf­fent­lichte die Vertei­di­gung eine Presse­mit­tei­lung zum vergan­genen Prozesstag und zum Einstel­lungs­an­trag.

Am Mittwoch, den 10.2.2016 wird im Verfahren der zweite Teil der persön­li­chen Erklä­rung unserer Freundin einge­bracht. Über eine solida­ri­sche Beglei­tung wird sich Latife freuen.

Wir dokumen­tieren die Presse­mit­tei­lung der Vertei­di­gung im Wortlaut.

presse_titel

Presse­mit­tei­lung der Vertei­di­gung zum Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel vor dem OLG Düssel­dorf – Gelsen­kir­chen, Remscheid, 1.2.2016

Antrag auf Einstel­lung des Verfah­rens am 28.1.2016

Anläss­lich des inzwi­schen 23. Verhand­lungs­tags im Verfahren gegen unsere Mandantin Latife Cenan-Adigüzel vor dem 5. Senat (dem so genannten Staats­schutz­senat) des Oberlan­des­ge­richts Düssel­dorf möchten wir uns als ihre Anwälte mit einer Erklä­rung an die Öffent­lich­keit wenden.

Am Donnerstag, den 28.1.2016, haben wir die Einstel­lung, bzw. eine Ausset­zung des laufenden Verfah­rens gegen Latife Cenan-Adigüzel gefor­dert.

In Kürze zum Hinter­grund des Verfah­rens :

Unserer Mandantin wird durch die General­staats­an­walt­schaft Düssel­dorf die Mitglied­schaft in einer auslän­di­schen terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung – gemeint ist die in der Türkei aktive DHKP-C – nach §129b StGB vorge­worfen. Die Inhaf­tie­rung unserer nicht vorbe­straften Mandantin erfolgte während einer bundes­weiten Aktion der Bundes­an­walt­schaft im Juni 2013. Seit August 2013 befindet sich Latife Cenan-Adigüzel wieder auf freiem Fuß, seit dem 18. Juni 2015 wird vor dem OLG Düssel­dorf gegen sie verhan­delt.

In sieben Monaten Prozess­dauer konnte die General­staats­an­walt­schaft bislang keinen Beleg für die durch sie behaup­tete Mitglied­schaft unserer Mandantin in der DHKP-C erbringen. Dies, obwohl unserer Mandantin eine beinahe lücken­lose Überwa­chung im Zuge der Ermitt­lungen zuteil wurde. So wurde monate­lang ihre Telekom­mu­ni­ka­tion überwacht und mithilfe eines Peilsen­ders am PKW ein minutiöses Bewegungs­profil angefer­tigt. Nach den im bishe­rigen Prozess­ver­lauf durch die Staats­an­walt­schaft einge­brachten Beweise hat keine dieser Maßnahmen zu verwert­baren Erkennt­nissen hinsicht­lich des behaup­teten Vorwurfs geführt.

Der zutage tretende Verfol­gungs­willen gegen­über unserer Mandantin, einer zweifa­chen Mutter die seit 34 Jahren in Deutsch­land lebt und in Wuppertal einen Laden für Presse­er­zeug­nisse und Tabak­waren betreibt sowie behin­derte Menschen betreut, ist der Ausdruck des politi­schen Willens der Bundes­re­gie­rung zu einer unkri­ti­schen Koope­ra­tion deutscher und türki­scher Polizei­be­hörden und Geheim­dienste. Das Verfahren gegen Latife Cenan-Adigüzel ist nur deshalb möglich, weil durch das Bundes­mi­nis­te­rium für Justiz (BMJ) eine entspre­chende Ermäch­ti­gung erteilt wurde. Demnach sind die vorge­wor­fenen Delikte der Unter­stüt­zung, bzw. der Mitglied­schaft in der als terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung einge­stuften DHKP-C in Deutsch­land zu verfolgen.

Eine seit Jahrzehnten skanda­löse Praxis

Wie unsere Mandantin im Rahmen einer am 23. Verhand­lungstag abgege­benen Erklä­rung zu ihrem eigenen Werde­gang deutlich machte, ist ihre eigene, wie auch die gesamte türki­sche Geschichte der letzten Jahrzehnte eine Abfolge menschen­rechts­wid­riger Verfol­gungen, Pogrome und eines Staates, der vor der vielfa­chen Ermor­dung seiner Gegner und Gegne­rinnen nicht zurück­schreckt. Auch die alevi­tisch-kurdi­sche Familie unserer Mandantin hatte in der blutigen Geschichte der Türkei Opfer zu beklagen, etwa ihren Urgroß­vater, der 1938 bei einem Massaker an alevi­ti­schen Geist­li­chen bei leben­digem Leib verbrannt wurde. Wie das Beispiel zeigt, reicht die blutige Verfol­gungs­ge­schichte in der Türkei weit zurück. Im Gedächtnis unserer im Dorf Bargini in Dersim geborenen Mandantin hinter­ließ sie tiefe Spuren aus ihrer Kindheit, die in die Zeit der Putsch­re­gimes von 1971 und 1980 fiel.

Vor dem Hinter­grund dieser Historie ist die Zusam­men­ar­beit deutscher Behörden und deutscher Justiz mit einem Staat, der für Massaker und tausend­fa­chen Mord verant­wort­lich ist, seit jeher skandalös. Angesichts der aktuellen, sich immer weiter verschär­fenden Situa­tion in der Türkei ist sie für uns nun nicht länger hinnehmbar. Wir haben am 28.1.2016 deshalb die Ausset­zung, bzw. die Einstel­lung des Verfah­rens gegen Latife Cenan-Adigüzel beantragt.

Die vorlie­gende Ermäch­ti­gung des Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­riums ist nichtig

Wir halten die vorlie­gende Ermäch­ti­gung für nichtig. Das Bundes­mi­nis­te­rium für Justiz ist einseitig den Ausfüh­rungen des türki­schen Staates und der Bundes­an­walt­schaft gefolgt, als es seiner­zeit die Ermäch­ti­gung erteilte. Menschen­recht­liche und völker­recht­liche Aspekte blieben unberück­sich­tigt. Nach unserer Ansicht ist das Verfahren gegen unsere Mandantin einzu­stellen. Wir sehen einen Mangel an der Verfah­rens­vor­aus­set­zung, da es demnach an einer entspre­chenden Ermäch­ti­gung zur Straf­ver­fol­gung durch das Bundes­mi­nis­te­rium für Justiz mangelt.

Selbst wenn davon ausge­gangen wird, dass die vorlie­gende Ermäch­ti­gung zum Zeitpunkt ihrer Ertei­lung noch nicht nichtig gewesen ist, so ist das wegen der aktuellen Entwick­lungen in der Türkei inzwi­schen zweifellos der Fall. Das Justiz­mi­nis­te­rium ist verpflichtet, diese Ermäch­ti­gung zurück­zu­nehmen, denn sie lässt andau­ernde Gewalt­akte gegen Opposi­tion, kriti­sche Journa­listen und Minder­heiten – insbe­son­dere die kurdi­sche Bevöl­ke­rung in der Türkei außer Acht. Beson­ders erwähnen möchten wir in diesem Zusam­men­hang die syste­ma­ti­sche Verfol­gung gewählter Politiker und Politi­ke­rinnen sowie von Rechts­an­wäl­tinnen und Rechts­an­wälten.

Morde auf offener Straße, Krieg gegen die Zivil­be­völ­ke­rung

So wurde Tahir Elçi, Vorsit­zender der Rechts­an­walts­kammer von Diyarbakir, am Vormittag des 28.11.2015 auf offener Straße erschossen. Viele der Umstände des Mordes deuten auf eine (Mit-) Täter­schaft des türki­schen Staates hin, der zuvor eine Kampagne gegen den Anwalt geführt hatte, weil sich Elçi vor seiner Ermor­dung bei einer politi­schen Sendung des TV-Senders CNN-Türk öffent­lich für ein Ende der Militär­ope­ra­tionen und gegen die Einstu­fung der PKK als Terror­or­ga­ni­sa­tion ausge­spro­chen hatte.

Was in deutschen Medien zum Teil als « Bürger­krieg im Südosten der Türkei » darge­stellt wird, ist in Wahrheit ein Angriff des türki­schen Militärs auf die kurdi­sche Zivil­be­völ­ke­rung mit allen Mitteln. Städte werden mit schweren Kriegs­waffen belagert, zum Teil wird mit Geschützen auf Wohnviertel gefeuert, syste­ma­tisch wird versucht, Ortschaften von der Wasser- und Strom­ver­sor­gung abzuschneiden. Über mehr als 17 Ortschaften wurde zwischen­zeit­lich eine totale Ausgangs­sperre verhängt.

Wenn unsere Mandantin in ihrer Erklä­rung davon spricht, dass während der von ihr als Kind erlebten Ausgangsperren nach dem Putsch 1971 « die Straßen voll mit bewaff­neten Soldaten » waren, und es in der « kurzen Zeit, in der wir ausgehen durften, so gut wie nichts zu kaufen gab », schil­dert Latife Cenan-Adigüzel Situa­tionen, an die sie sich auch heute noch ganz genau erinnert. Wenn unsere Mandantin sagt « Ich habe und werde diese angst­vollen Hunger­tage nie vergessen », dann beschreibt sie ein schreck­li­ches Deja Vu für die heute dort unter den Ausgangs­sperren hungernden und leidenden Menschen.

Unter­stüt­zung eines terro­ris­ti­schen Regimes

Die Dimen­sion der Menschen­rechts­ver­let­zungen in der Türkei kann inzwi­schen nur noch als staats­ter­ro­ris­tisch quali­fi­ziert werden. Eine Aufrecht­erhal­tung der Ermäch­ti­gung zur Straf­ver­fol­gung stellt somit objektiv die Unter­stüt­zung eines terro­ris­ti­schen Regimes durch das Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium dar. Wir sehen die Menschen­rechts­ver­let­zungen und die Kriegs­ver­bre­chen des türki­schen Regimes durch Urteile europäi­scher und deutscher Gerichte sowie durch Berichte von Amnesty Inter­na­tional und anderer Experten als hinrei­chend belegt an.

Durch die Ermäch­ti­gung zur Straf­ver­fol­gung durch das Bundes­mi­nis­te­rium für Justiz werden rechts­staat­liche Grund­sätz ignoriert. Die erteilte Ermäch­ti­gung wird als Mittel der Instru­men­ta­li­sie­rung der Straf­justiz genutzt, um die straf­recht­liche Verfol­gung strate­gi­schen und außen­po­li­ti­schen Inter­essen der Regie­rung zu unter­stellen. Auf dieser Grund­lage werden in Deutsch­land lebende Menschen, denen nichts als eine kriti­sche Haltung zur türki­schen Regie­rung vorge­worfen werden kann, aus Gründen der Staats­raison geopfert.

Der Krieg gegen die kurdi­sche Zivil­be­völ­ke­rung und die Verfol­gung kriti­scher Menschen in der Türkei, die auf einer täglich länger werdenden Liste so genannter Terro­risten landen – Journa­lis­tinnen und Juristen, Politiker und Politi­ke­rinnen, Gewerk­schafter oder Frauen­rechts­ak­ti­vis­tinnen und zuletzt auch Akade­miker und Akade­mi­ke­rinnen, die sich für Frieden ausge­spro­chen haben – erfährt durch die in Deutsch­land durch­ge­führten Straf­ver­fahren eine Fortset­zung im Inter­esse deutsch-türki­scher Bezie­hungen und restrik­tiver europäi­sche Flücht­lings­po­litik.

Wir fordern vor diesem Hinter­grund zumin­dest die Ausset­zung des Verfah­rens gegen unsere Mandantin und das Gericht dazu auf, sich von Amts wegen an das Bundes­mi­nis­te­rium für Justiz zu wenden, damit dieses aufgrund der aktuellen Entwick­lungen in der Türkei die bestehende Ermäch­ti­gung überprüft. Wir erwarten dazu eine Entschei­dung des Senats an einem der nächsten Prozess­tage.

Rechts­an­walt Roland Meister, Gelsen­kir­chen und
Rechts­an­walt Yener Sözen, Remscheid

Artikel teilen

Großes Interesse am Prozess gegen Latife

Der §129-Prozess gegen die so_ko_wpt-Mitstrei­terin Latife befindet sich inzwi­schen in der dritten Woche, am Donnerstag findet der mittler­weile fünfte Verhand­lungstag statt. Die « Freunde und Freun­dinnen von Latife », die den Prozess am OLG Düssel­dorf von Beginn an verfolgen und auf ihrer Website « Solida­rität mit Latife » dokumen­tieren, nutzten die Pause im Prozess für eine Infor­ma­tions- und Solida­ri­täts­ver­an­stal­tung am letzten Dienstag. Ziel war es, eine breitere Unter­stüt­zung und ein größeres Inter­esse für den Fall zu errei­chen, der droht, die Anwend­bar­keit des Paragra­phen 129 erneut auszu­weiten – um den Preis einer Inhaf­tie­rung einer Freundin.

Wir dokumen­tieren nachfol­gend den Bericht zur Veran­stal­tung am 14.7. im Café Stil-Bruch auf dem Ölberg. Der Text ist der Website zum Prozess entnommen.

latife_olg

Bericht zur Info-Veran­stal­tung am 14.7.2015

Anti-Repres­sionar­beit ist ein undank­bares Tätig­keits­feld. Erfah­rungs­gemäß halten sich selbst viele Linke lieber davon fern, aus antizi­pierter Frustra­tion oder auch aus der Furcht heraus, mögli­cher­weise selbst in den Fokus der Ermittler zu geraten, wenn sie sich zu weit in die Nähe einer « wegen Terro­rismus » angeklagten Person begeben. Dass sich das Café Stil Bruch am Veran­stal­tungs­abend mit ca. dreißig Leuten recht gut füllte, war daher in gewisser Weise eine positive Überra­schung. Was auch daran liegen dürfte, dass Latife auf dem Ölberg (und insge­samt in Wuppertal) einfach eine beliebte und bekannte Person ist. Für ihre Freun­dinnen und Freunde verbieten sich die einfa­chen Selbst­schutz­me­cha­nismen, mit denen staat­liche Repres­sion sonst immer gerne als ein Problem « der anderen » konstru­iert wird, ohnehin.

§§129 : Paragra­phen zur Einschüch­te­rung

Die Veran­stal­tung begann mit einer Einfüh­rung zum § 129, der in Deutsch­land bereits 1871 einge­führt wurde und schon damals – neben den Sozia­lis­ten­ge­setzen – eine scharfe Waffe im Klassen­kampf von oben war. Der Paragraph wurde während des Kalten Krieges im Zuge des KPD-Verbots und später im « Deutschen Herbst » als Reaktion auf die militanten Aktionen der Stadt­gue­rilla weiter verschärft. Das in den 1970ern einge­führte Sonder­ge­setz, das sich hinter dem kleinen « a » des §129 a verbirgt, führte den nirgendwo genau definierten Begriff « Terro­rismus » in das Straf­ge­setz ein.

Eine Grund­lage für oft willkür­liche Ermitt­lungen, deren Rahmen bewusst uferlos gefasst ist, und vielfach der Einschüch­te­rung und Ausfor­schung dient : So ist es der Polizei im Rahmen einer einer laufenden 129er-Ermitt­lung u.a. erlaubt, Telefon- bzw. E-Mail-Überwa­chungen und Hausdurch­su­chungen durch­zu­führen oder auch Einblick in Konto­be­we­gungen vorzu­nehmen. Ebenso finden monate­lange Personen- und Wohnungs­ober­va­tionen statt und Peilsender werden an PKWs angebracht. Dass diese Maßnahmen ganz konkret angewendet werden, wurde im Laufe der Veran­stal­tung von Latife und ihrem RA Roland Meister bestä­tigt, als sie von den Überwa­chungen gegen Latife vor ihrer Festnahme 2013 berich­teten. Dabei wurde monate­lang jeder ihrer Schritte dokumen­tiert, zahllose Freunde und Freun­dinnen wurden gemeinsam mit ihr telefo­nisch überwacht.

Grund­lage für diese Ermitt­lungen gegen Latife war ein weiteres Sonder­ge­setz des StGB, das als § 129 b bekannt ist. Es wurde nach offizi­eller Lesart im Gefolge der Anschläge von 9/11 geschaffen – Pläne dazu gab es jedoch schon seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhun­derts. Es erwei­terte die Verfol­gung Verdäch­tiger auch auf eine behaup­tete Mitglied­schaft in (oder Unter­stüt­zung von) als „terro­ris­tisch“ definierten Organi­sa­tionen im Ausland. Eine Tätig­keit der benannten Gruppen in Deutsch­land war mit Einfüh­rung des « 129 b » keine Veraus­set­zung mehr für weitrei­chende Ermitt­lungen und Anklagen.

Mehrjäh­rige Haftstrafen für politi­sche Arbeit

Welche Gruppen von der « Terrorismus»-Definition erfasst werden, bestimmt eine « Terror­liste » der EU und der USA. Wie inter­es­sen­ge­leitet und fragwürdig die Einstu­fung von Organi­sa­tionen als « terro­ris­tisch » durch den EU-Minis­terrat ist, wird z.B. an der Tatsache deutlich, dass das faschis­ti­sche Bataillon Asow in der Ukraine nicht auf der Liste auftaucht, die gegen die IS-Milizen kämpfende kurdi­sche PKK aber immer noch genannt wird. Das führt bis heute zu Verfahren gegen hier lebende Kurd*innen die oft genug auch mit mehrjäh­rigen Haftstrafen enden.

Dasselbe « Schicksal » ereilt in der Regel Angeklagte, denen eine Mitglied­schaft in der türki­schen DHKP-C, bzw. deren Unter­stüt­zung vorge­worfen wird. Die Beweis­füh­rung für eine Mitglied­schaft bleibt fast immer diffus und selbst­re­fe­ren­tiell. Sehr häufig werden voran­ge­gan­gene Urteile aus anderen Verfahren als « Beweis » einge­bracht, oft wird auf Aussagen von in der Türkei Gefol­terten bzw. auf fragwür­dige Geheim­dienst­er­kennt­nisse zurück­ge­griffen. Dazu passte eine kurze Filmdoku zum ersten 129 b Prozess gegen linke Revolu­tio­näre, der 2009 gegen angeb­liche DHKP-C-Unter­stützer in Stutt­gart geführt wurde. Der atmosphä­risch dichte Film zeigte eindrück­lich, wie bedrü­ckend sich ein solcher « Terrorismus»-Prozess auch im Leben der Freun­dinnen und Verwandten der Beschul­digten nieder­schlägt, vor allem, weil die Angeklagten meistens für eine quälend lange Dauer vor und während des Prozesses einge­sperrt bleiben – oft genug unter den Bedin­gungen der Isola­tion. Die Veranstalter*innen sandten daher auch einen solida­ri­schen Gruß an jene vier Angklagten, die 2013 gemeinsam mit Latife verhaftet wurden und seither im Stamm­heimer Knast auf ihr Urteil warten müssen, das in Stutt­gart für Ende Juli erwartet wird.

Latife, die sich glück­li­cher­weise auf freiem Fuß befindet, berich­tete über den Ausgang jenes Stutt­garter « Pilot-Verfah­rens », dessen Urteil in späteren Prozessen immer wieder als « Beweis­mittel » diente – quasi als sich selbst bestä­ti­gendes « Perpe­tuum Mobile » : Die fünf Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen 3 Jahren bis zu 5 Jahren und vier Monaten. Auch damals stützte sich die Ankla­ge­be­hörde wie im Verfahren gegen Latife, auf die Konstruk­tion einer „Rückfront­or­ga­ni­sa­tionen im Ausland“, die der DHKP-C finan­ziell und ideolo­gisch zuarbeitet. Verur­teilt wurden die Angeklagten in Stutt­gart wohlge­merkt nicht für die Planung von Anschlägen, sondern weil sie etwa Geld gesam­melt, Veran­stal­tungen organi­siert und Kontakt zu Genoss*innen gehalten hatten.

Vom Zuschau­er­raum auf die Ankla­ge­bank

Latife erzählte bei der folgenden Gesprächs­runde noch einmal ausführ­lich von ihrem eigenen persön­li­chen und politi­schen Hinter­grund. Für sie war die Knast- und Anti-Repres­si­ons­ar­beit sehr prägend und bedeutsam, mit der sie als Angehö­rige eines linken Gefan­genen noch in der Türkei lebend begonnen hatte und die sie später auch in Deutsch­land bis zu ihrer eigenen Verhaf­tung im Juni 2013 fortge­setzt hatte. An vielen Prozess­tagen hatte sie in demselben OLG-Saal im Zuschau­er­raum gesessen, in dem nun das Verfahren gegen sie selbst statt­findet – viele der Richter*innen, Staatsanwält*innen und Justiz­an­ge­stellte kennen sie seit Jahren. Sie hat zahllose Kundge­bungen vor Knästen organi­siert, Briefe an Gefan­gene geschrieben und Öffent­lich­keits­ar­beit gemacht. Und sie berich­tete gerührt davon, wie viel ihr selbst es in den Wochen ihrer Haftzeit –  z.T. in Isola­ti­ons­haft sitzend – bedeutet hat, einen ersten Brief von einem Freund in den Händen zu halten, oder zu erfahren, dass ihre Freund*innen eine Kundge­bung organi­sierten.

Für sie als Antifa­schistin, Antiras­sistin und Revolu­tio­närin sei es auch immer wichtig gewesen, sich dort, wo sie lebt – also in Deutsch­land und in Wuppertal – gegen die schlechten und rassis­ti­schen Zustände zu wehren. Für sie war es z.B. selbst­ver­ständ­lich, zusammen mit deutschen und migran­ti­schen Antifaschist*innen gegen Nazis zu protes­tieren. So organi­sierte sie z.B. am 29.5. 2013 – vier Wochen vor ihrer Verhaf­tung – die Solinger Demons­tra­tion zum Gedenken an den Anschlag auf das Haus der Familie Genç mit, und betei­ligte sich an Wupper­taler Protesten gegen Nazi-Aufmär­sche. Außerdem organi­sierte sie u.a. zusammen mit der Alevi­ti­schen Gemeinde im Sommer 2013 mehrere Gezi-Solida­ri­täts­demos in Wuppertal und der Umgebung. All diese – ganz normalen und öffent­li­chen – politi­schen Aktivi­täten finden sich nun in der Anklage der Staats­an­walt­schaft wieder.

Latife hat aber auch eine ganze Menge gemacht, was öffent­lich weniger bekannt war. Zum Beispiel hat sie sich, nachdem sie 2009 zur Vorsit­zenden des Vereins Anato­li­sche Födera­tion gewählt wurde, mit anderen migran­ti­schen Frauen gegen die rassis­ti­sche Diskri­mi­nie­rung durch die deutsche Mehrheits­ge­sell­schaft und gegen die Unter­drü­ckung als Frauen durch ihre Männer organi­siert. Sie unter­stützte migran­ti­sche Familien, Frauen und Jugend­liche, organi­sierte Bildungs­ar­beit und inves­tierte viel Zeit und Energie in kultu­relle Aktivi­täten. Diese Aufzäh­lung an Aktivi­täten müsste eigent­lich bereits ausrei­chen, um die Unter­stel­lung der General­staats­an­walt­schaft, die Anato­li­sche Födera­tion sei nichts anderes als eine getarnte Umfeld­or­ga­ni­sa­tion der DHKP-C, zu demen­tieren.

Der NSU-Komplex als Kataly­sator der Anklage ?

Latife hob aller­dings noch eine weitere, nicht ganz unwich­tige Aktivität der Födera­tion hervor : Frühzeitig hatte diese nämlich lautstark öffent­lich gemacht, was inzwi­schen als offenes Geheimnis gilt : die Verwick­lung staat­li­cher Behörden, und insbe­son­dere des Verfas­sungs­schutzes, in die Mordserie des NSU. Und das tat der Verein bereits vor der Selbstent­tar­nung des NSU im November 2011, nachdem die Anato­li­sche Födera­tion Kontakt zur Familie eines der Mordopfer erhalten hatte. Im Januar 2012 startete die Anato­li­sche Födera­tion eine Kampagne zu der Mordserie. Sie betei­ligte sich an der Bündnis­demo « Verfas­sungs­schutz auflösen » im Dezember des gleichen Jahres in Köln und war zum Prozess­auf­takt gegen Zschäpe, Wohlleben und Co. mit einer Delega­tion in München. Es ist sicher nicht an den Haaren herbei­ge­zogen, dass sich manche Person in mancher Sicher­heits­be­hörde dadurch auf die Füße getreten fühlte. Nun steht also die Vorsit­zende eines migran­ti­schen Vereins, der schon sehr früh – lange bevor die meisten Medien aufmerksam wurden – die Kompli­zen­schaft des deutschen Staates mit den Nazi-Terro­risten benannte, selber wegen Terro­ris­mus­vor­würfen vor Gericht.

Im Anschluss an Latifes Schil­de­rung erläu­terte Rechts­an­walt Roland Meister seine Einschät­zung des Prozesses. Er kann auf reich­liche Erfah­rung mit § 129-Verfahren zurück­greifen ; Meister hat zahlreiche Verfahren gegen türki­sche und kurdi­sche Linke als Anwalt begleitet. Er hob nochmals hervor, dass der Paragraph syste­ma­tisch einge­setzt wird nicht um straf­bare Handlungen zu verfolgen, sondern dazu, Gesin­nungen und politi­sche Haltungen zu bestrafen. Er merkte an, dass die Staats­an­walt­schaft im Prozess gegen Latife aber noch über das übliche Ankla­ge­muster hinaus­geht. Denn die Anklage nimmt hier tatsäch­lich keinerlei Bezug auf irgend­eine Verbin­dung Latifes zur Türkei ; sie klagt ausschließ­lich vollkommen « normale » politi­sche Aktivi­täten in Deutsch­land an, wie die Teilnahme an Veran­stal­tungen oder die Anmel­dung von Demons­tra­tionen.

Abschlie­ßend machte Roland Meister noch einmal deutlich, wie deutsche Innen­po­li­tiker und Sicher­heits­be­hörden in mancher Hinsicht auch über das hinaus­gehen, was die oft als faschis­tisch geschol­tenen türki­schen Behörden bei ihrer Repres­si­ons­ar­beit tun : So wurde bspw. kürzlich in der Türkei ein Konzert der links­ra­di­kalen Musik­gruppe Grup Yorum zwar zwischen­zeit­lich verboten, ein türki­sches Gericht kassierte jedoch letzten Endes dieses Verbot. Das Konzert konnte wie geplant vor tausenden Zuhörer*innen statt­finden. In Deutsch­land wird der Verkauf von Eintritts­karten zu einem Grup Yorum-Konzert hingegen als Beweis­mittel für die Unter­stüt­zung einer terro­ris­ti­schen Verieni­gung in die laufenden 129b-Verfahren einge­bracht. Und die in nach wie vor frei in der Türkei erschei­nende Wochen­zei­tung « Yürüyü ? », die ebenfalls als DHKP/C-nah gilt, weil sie erst kürzlich die staat­li­chen Aussagen zur tödlich verlau­fenden Geisel­nahme eines Staats­an­waltes anzwei­felte, wurde im Mai durch das Bundes­in­nen­mi­nis­te­rium verboten.

Weitere Unter­stüt­zung erwünscht !

Der Auftritt Latifes bei der Veran­stal­tung hinter­ließ bei vielen der Teilneh­menden einen tiefen Eindruck : Entschlossen und gleich­zeitig authen­tisch schil­derte sie, wie die Ermitt­lungen und der Prozess Einfluss auf ihr Leben nehmen und wie sie versucht, sich davon nicht brechen zu lassen. Ihr weiterer Weg durch das Verfahren verdient jede Unter­stüt­zung, die wir geben können. Leider fand sich trotz zahlrei­cher Unter­stüt­zungs­be­kun­dungen – (die Spenden­kasse war am Ende gut gefüllt ; vielen Dank dafür!) – bislang noch niemand bereit, sich konkret an der weiteren Prozess­be­ob­ach­tung in Düssel­dorf zu betei­ligen. Wer Inter­esse hat, darf sich gerne an uns – Freun­dinnen und Freunde von Latife – wenden. Allen, die erstmals zu einem solchen Verfahren wollen, bieten wir an, beim ersten Mal gemeinsam nach Düssel­dorf zu fahren. (Kontakt)

Die nächsten Prozess­ter­mine sind am Montag, den 20.7., Donnerstag, den 23.7. und am Donnerstag, den 30.7.2015 am OLG in Düssel­dorf (Kapellweg 36).

Artikel teilen