Aus Dutertes Phantasma lernen ? Veranstaltungsbericht Teil 2

Am 22. Januar startete unsere Veran­stal­tungs­reihe „Politik in der Rechts­kurve“ zum Wahljahr 2017 mit einer Veran­stal­tung, die sich mit bereits 2016 statt­ge­fun­denen Wahlen beschäf­tigte. Wir nutzten einen Besuch unseres in Manila lebenden Freundes, des Sozio­logen Niklas Reese (u.a. Heraus­geber des „Handbuch Philip­pinen“), um über den Wahler­folg Rodrigo Dutertes bei den philli­pi­ni­schen Präsi­dent­schafts­wahlen zu reden und dessen seit Sommer 2016 umgesetzte Politik des „Kriegs gegen Drogen“ näher zu betrachten. Unter anderem wollten wir wissen, ob es – bei allen Beson­der­heiten der philli­pi­ni­schen Politik – auch Gemein­sam­keiten des autori­tären Politik­kon­zepts Dutertes mit aktuellen rechten europäi­schen, bzw. US-ameri­ka­ni­schen Bewegungen gibt.

Unsere Erkennt­nisse aus der Diskus­sion mit Niklas Reese haben wir in zwei Berichten zur Veran­stal­tung aufge­schrieben. Im ersten Teil geht es um notwe­nige Infor­ma­tionen zur Politik Rodrigo Dutertes, in diesem zweiten Teil widmen wir uns mögli­chen Schlüssen daraus für die eigene politi­sche Arbeit.

Was lässt sich aus Dutertes Erfolg lernen ? Veranstaltungsbericht Teil 2

In den Philli­pinen regiert seit einem dreiviertel Jahr ein Präsi­dent mithilfe eines Phantasmas, nach dem Drogen­händler und Drogen­nutzer für fast alle gesell­schaft­li­chen Probleme des Landes verant­wort­lich sind. Bei der ersten Veran­stal­tung unserer Reihe „Politik in der Rechts­kurve“ hat der in Manila lebende Sozio­loge Niklas Reese ausführ­lich darüber berichtet. Mit seiner Art zur Etablie­rung eines autokra­ti­schen Systems ist Rodrigo Duterte sicher ein Vorreiter von Politik­kon­zepten, die auch in anderen Teilen der Welt Erfolge erzielen, in der Türkei, in den USA und nicht zuletzt auch in weiten Teilen Europas. Im zweiten Teil unseres Artikels beschäf­tigen wir uns mit der Frage, was wir aus Dutertes Erfolg lernen können, um ähnliche Erfolge rechter Politik zu verhin­dern.

Trotz aller Unter­schiede zu rechten oder „rechts­po­pu­lis­ti­schen“ europäi­schen oder US-ameri­ka­ni­schen Entwick­lungen – so präsen­tiert sich Duterte zum Beispiel als Vorreiter für sexuelle Selbst­be­stim­mung und Frauen­rechte und pflegt gute Bezie­hungen auch zu den musli­mi­schen Bevöl­ke­rungs­teilen auf Mindanao – zeigte der erste Vortrag unserer Reihe durchaus Paral­lelen zu politi­schen Entwick­lungen in Europa oder den USA auf. Nur vorgeb­lich „aus dem Nichts“ der Provinz kommend, hat Duterte bishe­rige Seilschaften und Sphären politi­schen Einflusses der von ihm so genannten „alten Eliten“ haupt­säch­lich deshalb aufmi­schen können, weil es seiner Kampagne gelang, eine auf ihn und sein Programm zugeschnit­tene Beschrei­bung der philli­pi­ni­schen Realität durch­zu­setzen. In der sind die „Elitisten“ identisch mit den „Feinden des Volkes“, zumin­dest paktieren sie mitein­ander. Dutertes ziemlich bizarre Erzäh­lung von der Verant­wort­lich­keit der Drogen­händler und -nutzer für alle gesell­schaft­li­chen Probleme ist dabei das Äquiva­lent jener Schimären, mit denen rechte Bewegungen in den USA oder in Europa komplexe Zusam­men­hänge auf einfache Verant­wort­li­chen­keiten und Schuld­zu­wei­sungen reduzieren. In ihren Parallel-Wirklich­keiten kann ein „Feind“ eindeutig benannt werden – um welchen es sich jeweils handelt, erscheint austauschbar. Die Konstruk­tion eines „Feindes” erfor­dert in jedem Fall „Lösungen“ die es erfor­der­lich machen können, zuvor allge­mein anerkannte Grenzen zu überschreiten. Die hallu­zi­nierte Bedro­hung für das gleicher­maßen hochsti­li­sierte wie anderer­seits auf eine handhab­bare definierte Größe reduzierte Gemein­wesen, wo man sich kennt und dem Handeln morali­sche Erwägungen zugrun­de­liegen, erfor­dert kollek­tive Vertei­di­gung. Dabei scheint es egal, ob es sich dabei um eine „Region”, eine „Nation”, „das Abend­land” oder eine Religion handelt. Demokra­ti­sche oder rechts­staat­liche Prinzi­pien sind dabei hinder­lich. Sie werden deshalb mit dem „Feind“ assozi­iert. Rodrigo Duterte sieht Menschen­rechts-NGOs als Teil einer westli­chen Verschwö­rung mit den Drogen­kar­tellen am Werk, Recep Tayip Erdogan unter­stellt der Presse, im Auftrag von „Terro­risten” zu berichten, für AfD und Pegida haben sich  „Gutmen­schen“ und „Lügen­presse” verschworen, den „Volkstod” zu betreiben.

Ein frontaler strategischer Angriff Gläubiger

Hinter den, die rechten Politik­kon­zepte befeu­ernden absurden Beschrei­bungen der Wirklich­keit verbirgt sich mehr als ein irres Phantasma. Sie sind ein frontaler strate­gi­scher Angriff auf Grund­rechte und Demokratie. In (West-) Europa oder den USA befindet sich dieser Angriff bislang noch im Stadium des Versuchs zur Durch­set­zung alter­na­tiver Reali­täts­be­schrei­bungen ; von vielen wird er bislang nicht als Strategie erkannt. In den Philli­pinen ist die Entwick­lung weiter­ge­diehen. Dort ist bereits zu erleben, wie der Umbau kollek­tiver Wirklich­keits­be­schrei­bungen und die daraufhin einge­lei­teten „Maßnahmen zur Vertei­di­gung des Vokes“, eine zuvor nur phanta­sierte Bedro­hung für die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit nach und nach ganz real werden lassen. Die reale Verun­si­che­rung nähert sich sukzes­sive dem vorher nur sugge­rierten „gefühlten“ Bedro­hungs­sze­nario an. Die Lage der Einzelnen wird tatsäch­lich bedroh­lich, ohne dass sich die Betrof­fenen jedoch gegen jene wenden würden, die das ganze Szenario überhaupt erst erschaffen haben, wie aktuelle Umfragen in den Philli­pinen belegen. Ausschlag­ge­bend dafür ist die Wirkmäch­tig­keit des einmal etablierten Phantasmas ; die anwach­sende Unsicher­heit wird nicht auf die tatsäch­liche Bedro­hung, also auf Dutertes „Death-Squads“, zurück­ge­führt, sondern deren vorgeb­lich notwen­dige Härte ist vielmehr Ausweis der wachsenden Stärke und Bedroh­lich­keit des imagi­nierten „Volks­feindes“. Mithilfe des zur Wirklich­keit mutierten und zur Grund­lage staat­li­chen Handelns gemachten Phantasmas wird nach und nach die Lebens­wirk­lich­keit der Menschen real verän­dert. Die „Macht der Drogen­händler” wird als ursäch­lich für die eigene zuneh­mende Bedro­hung durch den „Krieg gegen Drogen” angesehen. Folge ist, dass außer­halb der alter­na­tiven Wirklich­keits­er­zäh­lung angesie­delte Alter­na­tiven zu noch größerer Härte und zu noch mehr Morden kaum noch vorstellbar sind. Beängs­ti­gend ist, mit welcher Geschwin­dig­keit dieser Prozess nach dem ersten Erfolg der Duterte’schen Erzäh­lung in den Philli­pinen ablief : Vom Phantasma vor der Präsi­dent­schafts­wahl bis zur tatsäch­li­chen Reali­täts­ver­än­de­rung dauerte es nur wenige Monate.

Eine Kritik an rechten Politik­kon­zepten, die sich haupt­säch­lich an den „verrückten Argumenten” oder an der vorgeb­li­chen Dummheit der damit Argumen­tie­renden festmacht, erweist sich deshalb als verhäng­nis­voll. Sie verkennt einfach , dass es einen „Plan” gibt und dass es sich um wohlüber­legte Strate­gien zur Umwäl­zung der Gesell­schaft handelt. Der Plan fußt nicht auf argumen­ta­tiver Ratio­na­lität, sondern auf Gläubig­keit. Dutertes Erzäh­lung von der „Schuld der Drogen­händler” basierte nie notwen­di­ger­weise auf Fakten, ebenso wenig wie die Behaup­tung einer Bedro­hung durch Migran­tInnen in Europa. beides wird schlicht geglaubt. Die Diffa­mie­rung zuvor glaub­wür­diger Quellen wie NGOs oder unabhän­giger Medien ist dabei kalku­lierter Teil der Strategie. Sie bereitet die Immuni­sie­rung der an die jewei­lige „alter­na­tive Realität” Glaubenden gegen jegli­chen Einwand vor. Dieser Irratio­na­lität Gläubiger argumen­tativ entge­gen­zu­treten ignoriert vollkommen, dass alle Versuche dazu beim Gegen­über glaubens­ver­stär­kend wirken, denn sie stellen eine Handlung „feind­lich einge­stellter Menschen“ dar, deren einziges Ziel es ist, das Erkennen der imagi­nierten „Wahrheit“ zu verhin­dern. Basis dafür ist ein empfun­denes „Innen” und ein abgren­zend definiertes „Außen”. Religiöse Sekten funktio­nieren genauso. Wer die Glauben­grund­sätze zu diskus­si­ons­wür­digen Meinungen gesell­schaft­li­cher Diskurse macht, besorgt daher das Geschäft der rechten Strategen. Die Kontra­henten einer Diskus­sion werden im Glauben bestärkt aus der Debatte hervor­gehen, gleich­zeitig werden ihre Thesen für neutra­lere Betei­ligten mehr und mehr zu norma­li­sierten Debat­ten­bei­trägen. Auch das ist rechtes Kalkül : Es geht nicht darum, dass die neutra­lere Betei­ligten – die sich gerne „unpoli­tisch“ oder „nicht rechts und nicht links“ nennen – anfangen, den Glauben zu übernehmen. Vielmehr sollen sie durch die vorge­tra­genen diffe­rie­renden „Fakten“ zuneh­mend verun­si­chert werden. Am Ende soll möglichst niemand mehr wissen können, was denn nun stimmt. Dieses Verwi­schen und unkennt­lich machen gehört zur rechten Diskurs­stra­tegie : Die „Neutralen“ sollen so aus Diskus­sionen heraus­ge­halten und wortwört­lich „neutra­li­siert” werden.

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Wahn und Wirklichkeit Dutertes - Veranstaltungsbericht Teil 1

Am 22. Januar startete unsere Veran­stal­tungs­reihe „Politik in der Rechts­kurve” zum Wahljahr 2017 mit einer Veran­stal­tung, die sich mit bereits 2016 statt­ge­fun­denen Wahlen beschäf­tigte. Wir nutzten einen Besuch unseres in Manila lebenden Freundes, des Sozio­logen Niklas Reese (u.a. Heraus­geber des „Handbuch Philip­pinen”), um über den Wahler­folg Rodrigo Dutertes bei den philli­pi­ni­schen Präsi­dent­schafts­wahlen zu reden und dessen seit Sommer 2016 umgesetzte Politik des „Kriegs gegen Drogen” näher zu betrachten. Unter anderem wollten wir wissen, ob es – bei allen Beson­der­heiten der philli­pi­ni­schen Politik – auch Gemein­sam­keiten des autori­tären Politik­kon­zepts Dutertes mit aktuellen rechten europäi­schen, bzw. US-ameri­ka­ni­schen Bewegungen gibt.

Unsere Erkennt­nisse aus der Diskus­sion mit Niklas Reese haben wir in zwei Berichten zur Veran­stal­tung aufge­schrieben. Im ersten Teil geht es um notwe­nige Infor­ma­tionen zur Politik Rodrigo Dutertes, im zweiten Teil widmen wir uns mögli­chen Schlüssen daraus für die eigene politi­sche Arbeit.

Dutertes Phantasma – Veranstaltungsbericht Teil 1

Der philli­pi­ni­sche Präsi­dent Rodrigo Duterte ist sicher soetwas wie ein Vorreiter wahnhafter Politik­in­sze­nie­rungen zur Etablie­rung eines autokra­ti­schen Systems. Sein Konzept, das das Wirken von Drogen­händ­lern und -nutze­rinnen für fast alle Probleme der philli­pi­ni­schen Gesell­schaft verant­wort­lich macht, führte Mitte 2016 zu seinem Sieg bei den Präsi­dent­schafts­wahlen. Der in Manila lebende Sozio­loge Niklas Reese war im Januar zu Gast bei der ersten Diskus­sion unserer Reihe „Politik in der Rechts­kurve“.

Kurz nach unserer Diskus­sion mit Niklas Reese im Wupper­taler „ADA“ verkün­dete Duterte, er beabsich­tige nunmehr, seinen ursprüng­lich bis März 2017 ausge­ru­fenen „Krieg gegen Drogen“ bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2022 zu verlän­gern. Die bishe­rige Quote extra­legal Hinge­rich­teter hochge­rechnet, ist diese Ankün­di­gung für mindes­tens 60.000 Menschen gleich­be­deu­tend mit einem Todes­ur­teil. In den sieben Monaten seit seiner Wahl kam es in den Philli­pinen zu 7.500 Morden an angeb­li­chen „Drogen­händ­lern“, aber auch vermeint­li­chen „Drogen­süch­tigen“. Ob es sich bei den ermor­deten um Menschen handelt, die mit Drogen etwas zu tun haben, ist oft völlig unklar, sagt Niklas Reese. An den Leichen, die jeden Morgen in den Straßen Manilas liegen, wird häufig ledig­lich ein Zettel mit einer entspre­chenden Behaup­tung hinter­lassen.

Laut Niklas Reese werden die „extra­le­galen Hinrich­tungen” sehr häufig von Polizisten begangen, die sich mit den Exeku­tionen eine Prämie verdienen. Nachdem es einen Skandal um einen irrtüm­lich ermor­deten südko­rea­ni­schen Geschäfts­mann gab, hat Duterte jedoch inzwi­schen Umstruk­tu­rie­rungen im Hinrich­tungs­busi­ness angekün­digt. Er versucht damit, sich Teilen der hochkor­rupten Polizei zu entle­digen. Zukünftig könnte teilweise auch die Armee den Job machen. Doch im Geschäft mit extra­le­galen Tötungen sind ohnehin auch noch andere Gruppen tätig : Rivali­sie­rende Gangs entle­digen sich unter dem Deckmantel des „Kriegs gegen Drogen” ihrer Wettbe­werber, und auch „einfache Leute denken jetzt, dass Töten die schnellste und effizi­en­teste Art ist, mit Problemen fertig zu werden,“ zitierte Niklas Reese Ana Marie Pamin­tuan, Kolum­nistin des „Philip­pine Star“. Ein Straf­rechts­system, das selbst bei Morden ohne Kläger oder Klägerin keine weiteren Ermitt­lungen vorsieht, macht die Willkür- und Selbst­justiz relativ risikolos. Schließ­lich können poten­ti­elle Kläger selber zum nächsten Opfer werden, wenn die Gefahr besteht, dass sie eine Tat zur Anzeige bringen.

Dutertes „Krieg gegen die Drogen“ ist planmäßig organi­siert. „Jedes Stadt­viertel ist angehalten, eine Liste mit den mutmaß­li­chen Drogen­ab­hän­gigen und Dealern der Gegend anzufer­tigen. Wenn sich nicht genügend Verdäch­tige finden lassen [um die vorge­ge­bene Quote zu erfüllen], sehen sich die Ortsvor­steher gezwungen, die Liste mit anderen aufzu­füllen“, beschreibt Niklas Reese die hierar­chi­sche Organi­sa­tion der Arbeit der Todes­schwa­drone. Die Armen­viertel werden durch­kämmt, Bewoh­ne­rInnen bei „Besuchen“ von der Polizei einge­schüch­tert und gewarnt, sie könnten „die nächsten“ sein. Über sechs Millionen Häuser hat die Polizei bereits aufge­sucht. Ihre „Erfolge“ werden öffent­lich ausge­stellt. Duterte und die Polizei­füh­rung sind stolz auf die Morde : An Manilas Police-Headquarter wird die Zahl getöteter „Drogen­händler“ großfor­matig an der Fassade verkündet und regel­mäßig aktua­li­siert. Wer das Glück hat und nicht getötet wurde, wird verhaftet. Etwa 50.000 Menschen sind so in Gefäng­nisse verschleppt worden, die hoffnungslos überfüllten Kerkern ähneln.

Eine Million Filipinos hat sich bereits „ergeben”

Im Klima der Angst haben es viele vorge­zogen, sich selbst zu bezich­tigen. Ein Prozent der Gesamt­be­völ­ke­rung, eine Million Filipinos also, hat sich so inzwi­schen der Polizei „ergeben“, wie es in der vorherr­schenden Kriegs­rhe­torik heißt. Der „Krieg“, in den Rodrigo Duterte die Bevöl­ke­rung geführt hat, richtet sich vorgeb­lich gegen einen von der Drogen­mafia kontrol­lierten Staat und gegen die, „die das erkannt haben und jenen, die nicht wollen, dass die Mehrheit klarsieht“, wie Reese das Feind­bild der Regie­rung beschreibt. Ihre Feinde sind alte „Elitisten“, westliche Regie­rungen und auslän­disch kontrol­lierte NGOs, die durch ihr Verhalten den von Duterte mit seinem Wahlslogan propa­gierten „wirkli­chen Neuan­fang“ angeb­lich verhin­dern wollten. Menschen­rechts­ak­ti­vis­tinnen und Rechts­an­wälte, die bereit sind, sich der Bedrohten anzunehmen, wird mit ihrer Ermor­dung gedroht – indem sie sich um die Verdäch­tigen kümmerten, verzö­gerten sie schließ­lich die Lösung des Drogen­pro­blems. Im Zweifel wird auch ihnen vorge­worfen, direkt in den Handel mit Drogen verstrickt zu sein.

Duterte ist es gelungen, im Laufe einer disney­land­haft für Soziale Medien und Boule­vard­presse konzi­pierten Wahlkam­pagne das Drogen­pro­blem zur Wurzel allen Übels zu machen. Seine Wahl etablierte dieses Phantasma dann quasi als „Wahrheit”. Für Dutertes Anhän­ge­rInnen führt nur die Lösung des Drogen­pro­blems zur Lösung der Probleme der Philli­pinen ; denn erst, wenn alle Drogen­händler getötet seien, könne sich Duterte erfolg­reich um alles andere kümmern. Soziale Ungleich­heit und oligar­chi­sche Struk­turen verschwänden, wenn erst das Ursprungs­pro­blem der Drogen­sucht gelöst sein würde. Die Zahl der zu Tötenden bezif­ferte Duterte schonmal auf insge­samt vier Millionen Menschen ; eine Zahl, die Duterte zu Respekt­be­zeu­gungen für Adolf Hitler bewegte, der ein Problem in ähnli­cher Größen­ord­nung ja schon zu lösen versucht hätte. Die ständige Wieder­ho­lung falscher Tatsa­chen durch ihm ergebenen Medien im Wahlkampf erzeugte in den Philli­pinen eine regel­rechte Panik. Der Zahl von vier Millionen Drogen­ab­hän­gigen steht beispiels­weise die Erhebung der Drogen­be­hörde gegen­über, die selbst nur von knapp zwei Millionen Betrof­fenen spricht. Auch die Behaup­tung Dutertes, unter seinem Amtsvor­gänger Aquino habe sich die Krimi­na­li­tätziffer verdrei­facht und Drogen­ab­hän­gige seien für 75% der schweren Verbre­chen verant­wort­lich, hält keiner Überprü­fung stand.

Doch die perma­nente Wieder­ho­lung „alter­na­tiver Fakten“ und die daraus abgelei­tete Möglich­keit, Schul­dige in Form der Drogen­händler und -nutzer für alle Übel der philli­pi­ni­schen Gesell­schaft präsen­tieren zu können, funktio­nierte erstaun­lich gut. Noch 2015 machten sich laut Umfragen des Insti­tuts „Pulse Asia“ nur 30% der Filli­pinos Sorgen, sie könnten Opfer eines Verbre­chens werden ; die Bekämp­fung von Krimi­na­lität gehörte nur für 20% der Befragten zu den drei wichtigsten Aufgaben philli­pi­ni­scher Politik. Vor der Wahl Mitte 2016 waren es dann schon 50% der Wahlbe­rech­tigten. Duterte war es offen­kundig gelungen, im Verlauf eines Jahres die Agenda der philli­pi­ni­schen Politik neu zu bestimmen. Die Erzäh­lung von der „Schuld” margi­na­li­sierter Süchtiger war erfolg­reich – Armut und „Charak­ter­lo­sig­keit“ galten nicht länger als wesent­liche Ursachen für Krimi­na­lität. Weder von Duterte geäußerte brutale Verge­wal­ti­gungphan­ta­sien noch seine Behaup­tung, als ehema­liger Bürger­meister der Stadt Davao selber Morde begangen zu haben, führte zur einer Zurück­wei­sung seiner Konstruk­tion der philli­pi­ni­schen Realität. Bis heute hält die Wirkmäch­tig­keit der kollek­tiven „Gehirn­wä­sche“ an.

80% fühlen sich bedroht aber 85% stimmen Duterte trotzdem zu

Laut aktueller Umfragen vertrauen 85% der Filipinos weiterhin dem Präsi­denten, obwohl fast 80% gleich­zeitig fürchten, selber zum „Kolla­te­ral­schaden“ im „Krieg gegen Drogen“ zu werden. So bezeichnet Duterte dieje­nigen, die „aus Versehen“ umgebracht werden. Sein Rückhalt ist dabei klassen­über­grei­fend, Angehö­rige der Mittel- und Oberschicht unter­stützen Duterte gar stärker als dieje­nigen, die nur eine Grund­schul­aus­bil­dung haben. „Er hat nicht unter den Ungebil­deten und an den Rand Gedrängten am besten abgeschnitten“ sagt Reese. Sein landes­weiter Anteil an Stimmen von 36% wurde bei Angehö­rigen der Mittel­klasse um fast ein Drittel übertroffen und bei Wählern und Wähle­rinnen mit Colle­ge­ab­schluss erreichte Duterte fast 50%. Unter gebil­deten Städtern schnitt Duterte besser ab als in ländli­chen Regionen. Noch finsterer waren die Ergeb­nisse bei den in der Diaspora lebenden Filipinos, die mit 75% für Duterte stimmten. „Es ist nicht das alte Landei oder das abgehängte Prole­ta­riat gewesen“, wie Reese ausführte, „Duterte ist Kandidat der Neurei­chen und der halbwegs Erfolg­rei­chen“. Sein Konfron­ta­ti­ons­kurs mit den „alten Eliten“ veschaffte ihm zudem zeitweise auch die Unter­stüt­zung der alten linken Opposi­tion. Seitdem Ex-Diktator Ferdi­nand Marcos, der von 1972 bis 1986 einen blutigen Krieg gegen die Linke führte, und mit dessen Familie der Duterte-Clan verflochten ist, jedoch auf dem Helden­friedhof begraben werden durfte beginnt diese aber zu bröckeln.

Im Parla­ment bildet sich die exorbi­tante Zustim­mung zum Wirklich­keits­kon­zept des Rodrigo Duterte durch 280 von 297 Abgeord­neten des „Unter­hauses“ ab ; es ist seine so genannte „super majority“. In seiner Heimat­re­gion, auf Mindanao, wo der sich gern als „Anti-Establish­ment“ insze­nie­rende Duterte vor allem in der größten Stadt Davao-City über weitrei­chende Netzwerke verfügt, erhielt er bis zu 90% der Wähle­rIn­nen­stimmen. Dort war auch der Mythos entstanden, als Bürger­meister Davaos die Millio­nen­stadt zu einer Art Muster­stadt und mithilfe der jetzt landes­weit angewen­deten brutalen Methoden „drogen­frei“ gemacht zu haben. Reese, der vor seinem Umzug nach Manila selbst in Davao gelebt hat, sagt, dass aber auch hier „alter­na­tive Fakten“ wirksam geworden seien, denn Davao-City sei noch immer die Stadt mit einer der höchsten Verbre­chens­raten der Philli­pinen. Das nährt dann auch den Verdacht, dass es sich beim „Krieg gegen Drogen“ Dutertes, ähnlich wie in Mexiko, auch vor allem um Methoden der Umver­tei­lung von Macht zwischen verschie­denen Clans bzw. Kartellen handeln könnte.

Doch auch in diesem Fall hat sich die „alter­na­tive Realität“ Dutertes selbst in Europa und den USA etabliert. In den Kommen­tar­spalten europäi­scher Zeitungen wird immer wieder auf seine erfolg­reiche Zeit als Bürger­meister in Davao verwiesen, wenn Kritik an der brutalen Umset­zung geäußert wird. Das, auch hier von AfD-Anhän­ge­rInnen und anderen ständig wieder­holte Phantasma von Duterte als erfolg­rei­chem Bürger­meister, der nicht davor zurück­schreckt, sich „die Hände schmutzig zu machen“, ist wesent­li­cher Bestand­teil der Kampagne in den Philli­pinen. Deshalb möchte Duterte auch nach seiner Wahl nicht als „Presi­dent“ sondern weiterhin lieber als „Mayor“ angespro­chen werden. Die Sicht auf das Gemein­wesen als überschau­bare Größe, in der persön­liche Erfah­rungen Maßstab für Entschei­dungen sein können, ist eine wesent­liche Voraus­set­zung seines Erfolgs. Ein, auf eine handhab­bare Größe geschrumpfter Bezugs­rahmen dient in der Reali­täts­be­schrei­bung á la Duterte als Gegen­ent­wurf zur einer anonymen, sich ständig verän­dernden Gesell­schaft der Moderne. Erst die Konstruk­tion der Philli­pinen als Ort, an dem „man sich kennt und von morali­schen Erwägungen leiten lässt“, mache es Duterte möglich, seine alter­na­tive Beschrei­bung der Wirklich­keit durch­zu­setzen und sich als „Stimme des Volkes“ zu geben, so Niklas Reese abschlie­ßend.

Plausi­bi­lität und Alltags­ver­stand gelten dabei als störende Fakten, die im Zweifel nur deshalb angeführt werden, um das Volk und sein „Empfinden“ zu unter­drü­cken. Auf Fakten aufbau­ende Zwischen­in­stanzen oder juris­ti­sche Beschrän­kungen der „notwen­digen Maßnahmen” verfäl­schen deshalb den „wahren Volks­willen“. Von da bis zum Führer­prinzip ist es nur eine kurze Strecke. Rodrigo Dutertes wieder­holte Ankün­di­gungen zur Ausru­fung des Kriegs­rechts oder sein Plan, Haftprü­fungen abzuschaffen, sind bereits Marken auf diesem Weg. Gelingt es nicht, das von Duterte geschaf­fene Phantasma zu durch­bre­chen, steht den Philli­pinen eine dunkle Zeit bevor, die auf Sicht auch für Niklas Reese eine Form von Bürger­krieg unaus­weich­lich erscheinen lässt. Doch schon vorher wird Dutertes alter­na­tive Erzäh­lung der Wirklich­keit bereits zu viele Opfer gefor­dert haben.

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