Bildet Banden ! Für einen schlagkräftigen Feminismus !

Aufruf des so_ko_wpt zur Teilnahme an der bundes­weiten Demons­tra­tion in Köln.

Warum „Reclaim Feminism!” so wichtig ist wie selten zuvor.

Es waren zwei Ereig­nisse, die in der letzten Zeit die vielfäl­tigen Facetten sexis­ti­schen Verhal­tens ins Zentrum der medialen und öffent­li­chen Aufmerk­sam­keit rückten - wenn auch mit unter­schied­li­cher Inten­sität.

In der Silves­ter­nacht wurden in mehreren deutschen Städten, insbe­son­dere in Köln, Frauen am Haupt­bahnhof in sexis­ti­scher, gewalt­tä­tiger und demüti­gender Weise von größeren Männer­gruppen angegriffen, bedrängt und angefasst. Nachdem in der Folge­zeit mehr und mehr Anzeigen bei der Polizei eingingen, erreichten diese Vorfälle in den Medien sogar inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit. Die Debatte um die „Kölner Silves­ter­nacht” hielt wochen­lang an und nahm schließ­lich sogar unmit­telbar Einfluss auf die Gesetz­ge­bung.

Mitte Februar wurde bekannt, dass Frauen aus einem Kölner Flücht­lings­lager in Gremberg von mehreren Security-Männern angegriffen und sexuell beläs­tigt wurden. Frauen berich­teten, sie würden beim Duschen fotogra­fiert und gefilmt, die Sicher­heits­leute lauerten den Frauen auf und versuchten, sie zum Geschlechts­ver­kehr zu erpressen, indem ihnen mit Rauswurf aus der Unter­kunft gedroht wird. Die Nachricht sorgte für einige Tage für etwas Aufmerk­sam­keit, dann verschwand sie wieder.

Beide Ereig­nisse zeigen, dass sexis­ti­sche Gewalt und die dahin­ter­ste­henden patri­a­chalen Zuschrei­bungen eine alltäg­liche Bedro­hung darstellen, die uns Frauen - mit und ohne Flucht­er­fah­rung - betrifft. Diese perma­nente Zumutung und alltäg­liche Gewalt müssen wir, Frauen unter uns, aber genauso auch in gemischten Zusam­men­hängen, gemeinsam mit solida­ri­schen Männern, ernst nehmen und bekämpfen.

Der eklatante Unter­schied in der Rezep­tion beider Ereig­nisse steht jedoch exampla­risch für eine fratzen­haft verzerrte gesell­schaft­liche Reaktion, zeigt er doch, dass die Debatte über sexua­li­sierte Gewalt umso inten­siver geführt wird, je mehr sich Gewalt und Missbrauch in der folgenden medialen Diskus­sion, in den sozialen Netzwerken und an den Stamm­ti­schen, weiter ausleben lassen.

Sexis­ti­scher, patri­a­chaler, natio­na­lis­tisch-rassis­ti­scher Mißbrauch

Die sexis­ti­sche, patri­ar­chale, natio­na­lis­ti­sche und rassis­ti­sche Rezep­tion der Ereig­nisse an Silvester missbrauchte Frauen­körper für ihre eigenen, nach außen proji­zierten Verge­wal­ti­gungs­phan­ta­sien. Vor allem aber wurde Gewalt gegen Frauen mit der Auffor­de­rung, „die eigenen Frauen“ zu beschützen, für die Mobili­sie­rung eines deutsch-natio­na­lis­ti­schen, weißen, männli­chen Mobs missbraucht. Die in den testo­ste­ron­ge­steu­erten Hasskom­men­taren meist weißer Männer zum Ausdruck gebrachte Empörung stellte nichts anderes dar, als das spiegel­bild­liche Beharren auf die eigene Verfü­gungs­ge­walt über Frauen­körper, die wieder­her­zu­stellen die selbst­ge­stellte Aufgabe der nach der Silves­ter­nacht entstan­denen „Bürger­wehren” ist.

Dabei war die Tatsache, dass die Übergriffe nicht im eigenen Zuhause oder am Arbeits­platz, oder wenigs­tens in dunklen Seiten­straße oder Parks statt­fanden, sondern auf Plätzen, die gleichsam für öffent­li­chen Raum an sich stehen, ein Kataly­sator männlich-rassis­ti­schen Furors. Ließ sich doch die „Aneig­nung” fremder Frauen­körper bildlich mit der „Aneig­nung” öffent­li­cher Lebens­räume durch fremde „Invasoren” bestens verbinden. Beides ist wesent­liche Ursache für ausblei­bende Empörung nach den durch Flücht­lings­frauen berich­teten sexuellen Übergriffen : Es handelte sich nicht um Frauen, die im „Besitz” der deutschen Männer gewähnt werden, und die Übergriffe fanden in einem abgeschlos­senen, quasi „priva­ti­sierten” Raum statt.

Der männliche Überle­gen­heits­my­thos sowie das Konstrukt des weibli­chen Körpers als Symbo­li­sie­rung eines völkisch konstru­ierten Kollek­tivs (was es zu schützen gilt) ist bis heute außer­or­dent­lich wirkmächtig. Es ist die (männliche) Lust- und Angst­phan­tasie von der schwarzen Männer­hand, die die weiße Frau beschmutzt und dem Zugriff des weißen Mannes entzieht. Ohne lange danach suchen zu müssen, lässt sich dieselbe Symbolik als antise­mi­ti­sche Variante im „Stürmer” oder in Verge­wal­ti­gungs­le­genden des Ku Klux Klan finden.

Für uns ist die rassis­ti­sche Bearbei­tung sexis­ti­scher Übergriffe auf unseren Körpern eine erneute Gewalt­er­fah­rung, die uns zornig macht. Doch es war auch eine Erinne­rung daran, dass neue und laute feminis­ti­sche Antworten auf den sexis­ti­schen Normal­zu­standes nötig sind, wo immer sich Übergriffe im Alltag ereignen. Ebenso notwendig und dringend ist auch eine ernst­hafte, verste­tigte und kämpfe­ri­sche Solida­rität mit unseren Schwes­tern, die in Flücht­lings­la­gern und Unter­brin­gungen Angriffen und Verge­wal­ti­gungen durch Männer, Securi­ty­mit­ar­beiter und Mitbe­wohner ausge­setzt sind.

Die Antwort von heute ist die Antwort von gestern : Wehrt euch !

An den Diskus­sionen nach der Silves­ter­nacht betei­ligten sich zu viele, die besser geschwiegen hätten. In ihr wurden nicht nur antise­xis­ti­sche Attitüden für Rassismus instru­men­ta­li­siert, es wurden auch zuviele ahnungs­lose Meinungen hinaus­po­saunt, die belegten, dass sich die Wohl- wie Übelm­ei­nenden nie zuvor mit dem eigent­li­chen Thema ausein­an­der­ge­setzt hatten. Am Anfang aller Solida­rität muss deshalb Grund­le­gendes erneut ausge­spro­chen werden, von dem zuviele offen­kundig noch nie gehört haben :

Die Schuld an sexis­ti­schen Übergriffen liegt bei dem, der die Übergriffe begeht !

Und zwar immer ! Alle, Männer wie Frauen, müssen damit aufhören, uns Frauen Verant­wor­tung für erlebte Übergriffe zuzuschreiben. Die als Präven­tion für Übergriffe von Kölns OB Henri­ette Rekers ausge­spro­chene Empfeh­lung, Frauen sollten abends besser nicht alleine ausgehen und immer „eine Armlänge Abstand halten“, ist kontra­pro­duktiv und zeugt von völliger Ahnungs­lo­sig­keit. Die „Armlänge Abstand“ wurde schließ­lich von den Männern nicht einge­halten. Dahinter steckt, dass auch viele Frauen der Illusion unter­liegen, immer selbst „irgendwie” die Kontrolle über eine Situa­tion zu haben. Die Möglich­keit, selber an fast jedem Ort und zu fast jeder Zeit von sexua­li­sierter Gewalt betroffen sein zu können, wird durch solche Illusionen wegge­schoben. Ein Abschied von dieser Selbst­lüge wäre ein wichtiger Schritt für ein wirkli­ches gemein­sames und solida­ri­sches Agieren von Frauen.

Dabei kann und darf die Tatsache, dass wir immer zu Opfern werden können, niemals bedeuten, dass wir uns mit einer Opfer­rolle abfinden. Manche der aufschrei­enden Social Media-Kampa­gnen der letzten Jahre hatten mit einem Feminismus den wir uns wünschen, nur wenig zu tun - teilweise waren sie sogar kontra­pro­duktiv. Wo es darum gehen müsste sich zu wehren, ist selbst möglichst lautstarkes Anklagen viel zu wenig wenn es beim Klagen bleibt. Das Patri­ar­chat lässt sich davon nicht beein­dru­cken und wir werden dadurch nicht stärker – nur verun­si­cherter. Um wieder in die Offen­sive zu kommen, müssen wir uns jenseits von per Twitter geteilten Übergriffs­er­fah­rungen organi­sieren.

Was wir wollen, sind kämpfe­ri­sche, starke und vor allem wehrhafte Frauen. Wir wünschen Frauen­banden zurück, die nachts durch die Straßen ziehen und sexis­ti­sche Werbung smashen. Wir wünschen uns Frauen­banden, die dafür sorgen, dass Verge­wal­tiger und prügelnde Ehemänner sich im Spiegel nicht mehr wieder­erkennen. Wir wünschen uns Frauen­banden, die den rechten „Bürger­wehren“ klar machen, dass Rassisten sich eher vor uns zu schützen haben, als dass sie auf den Gedanken kommen könnten, uns zu beschützen. Wir wünschen uns bunte Frauen­banden, die viele Sprachen sprechen, und die Kontakt suchen und halten – vor allem zu geflüch­teten Frauen.

Für unseren Kampf gegen Sexismus, Rassismus und die Zurich­tungen durch den Kapita­lismus wünschen wir uns schlicht die Wieder­ent­de­ckung eines Selbst­ver­ständ­nisses, wie es von der „Roten Zora” in einem Inter­view 1984 zum Ausdruck gebracht wurde :

Die »rote Zora und ihre Bande« - das ist die wilde Göre, die die Reichen bestiehlt, um’s den Armen zu geben. Und Banden bilden, sich außer­halb der Gesetze zu bewegen, das scheint bis heute ein männli­ches Vorrecht zu sein. Dabei müssten doch gerade die tausend privaten und politi­schen Fesseln, mit denen wir als Mädchen und Frauen kaputt­ge­schnürt werden, uns massen­haft zu »Banditinnen« für unsere Freiheit, unsere Würde, unser Mensch­sein machen.”

Bildet Banden ! Überall. In vielen Sprachen. Mit allen Frauen.

Für einen Feminismus, der selbst­be­wusst, konse­quent antiras­sis­tisch und schlag­kräftig ist ! Kommt mit zur Demons­tra­tion in Köln am 12.März !

Anreise-Treff­punkt aus Wuppertal : 11:30 Uhr Döppers­berg

Homepage zur Demo : reclaim​fe​mi​nism​.org

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Ungeklärte Verhältnisse – Veranstaltung mit Ismail Küpeli

Ungeklärte Verhält­nisse”, eine Veran­stal­tung des so_ko_wpt zum Thema Antimus­li­mi­scher Rassismus und antiras­sis­ti­sche Verwirrt­heit am Donnerstag, 8.10.2015 um 20:00 Uhr im Café ADA in Wuppertal mit dem Duisburger Politik­wis­sen­schaftler Ismail Küpeli – Eintritt frei (Spende erwünscht).

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In Deutsch­land existiert spätes­tens seit dem 11.September 2001 ein spürbarer antimus­li­mi­scher Rassismus, der sich in Propa­ganda und Hetze, in wieder­holten Anschlägen gegen Moscheen und in gewalt­tä­tigen Angriffen gegen (vermeint­lich) musli­mi­sche Menschen manifes­tiert. Auch wenn bis heute eine solide Daten­basis fehlt, ist festzu­stellen, dass Angriffe auf islami­sche Einrich­tungen und Gottes­häuser 2014/15 ebenso zahlrei­cher wurden wie rechte Aufmär­sche, die sich gezielt gegen musli­mi­sche Menschen richten. Seit Ende letzten Jahres haben sich mit Hogesa und Pegida sogar rechte Sammlungen gefunden, die Hass gegen Muslime explizit in ihren Selbst­be­zeich­nungen ausdrü­cken und deren « Programm » beinahe ausschließ­lich aus Ausgren­zungs­pa­rolen gegen­über Menschen musli­mi­schen Glaubens besteht. Diese Parolen steigern sich in den Sozialen Medien zudem zu immer konkre­teren Bedro­hungen gegen­über Einzel­per­sonen und zu hasserfüllten Vernich­tungs­phan­ta­sien.

Aus einer emanzi­pa­to­ri­schen Sicht verlangt der Umgang damit zunächst eine Solida­ri­sie­rung mit den Betrof­fenen gruppen­be­zo­gener Menschen­feind­lich­keit. Dafür braucht es vor allem auch eine Ausein­an­der­set­zung mit zugrun­de­lie­genden orien­ta­lis­ti­schen und kolonia­lis­ti­schen Haltungen und Denkweisen, die sich in Grund­zügen selbst bei vielen sich selbst als « aufge­klärt » und vermeint­lich « modern » begrei­fenden deutschen Linken wieder­finden.

Die Ausein­an­der­set­zung mit eigenen Vorur­teilen und Denkmus­tern einer­seits entbindet anderer­seits jedoch nicht von einer notwen­digen Ausein­an­der­set­zung mit der anderen Seite der Menschen­ver­ach­tung : Den Auswüchsen religiösen Funda­men­ta­lismus und Islamismus, die auch eine gesell­schaft­liche Realität darstellen – im übrigen eine Realität, die vor allem Muslimen und Musli­minnen zu schaffen macht. Unter dem Druck sozialer Kontrolle durch reaktio­näre und anti-feminis­ti­sche Muslime leiden vor allem Muslima sowie Frauen, die für Muslima gehalten werden. Auch viele musli­mi­sche Eltern verzwei­feln, weil sich ihre Kinder von djiha­dis­ti­schen Botschaften und von anti-emanzi­pa­to­ri­schen Lebens­kon­zepten angespro­chen fühlen.

Diese beiden Seiten des Problems machen es schwierig, die Verhält­nisse zu klären. Das ist aktuell vor der eigenen Haustür zu besich­tigen : Der Plan der DITIB, an der Gathe eine große Moschee zu errichten, gefährdet das « Autonome Zentrum », das als selbst­ver­wal­teter sozialer Ort seit vielen Jahren eine wichtige Funktion erfüllt. Die Ausein­an­der­set­zung darüber ist auch von der Schwie­rig­keit geprägt, dass eine plumpe « Anti-Moschee-Kampagne » Beifall von ungewollter, rechts­po­pu­lis­ti­scher und rassis­ti­scher Seite erzeugen würde. So besteht der linke Diskurs über antimus­li­mi­schen Rassismus in Deutsch­land oft aus sehr vielstim­migen und sich teilweise wider­spe­chenden Debat­ten­bei­trägen.

Was ist die Ursache für das derart ungeklärte Verhältnis zu Musli­minnen und Muslimen ? Was hindert die einen, sich gegen gruppen­be­zo­gene Diskri­mi­nie­rung zu stellen ; was die anderen, anti-emanzi­pa­to­ri­sche religiöse Positionen als solche zu benennen ? Wie lässt sich eine legitime und notwen­dige Kritik an reaktio­nären und menschen­feind­li­chen Auswüchsen religiösen Funda­men­ta­lismus formu­lieren und vermit­teln, ohne dass sie im Sinne einer gruppen­be­zo­gene Menschen­feind­lich­keit benutzt werden kann ?

Darüber wollen wir am 8. Oktober mit Ismail Küpeli und dem Publikum im ADA disku­tieren.

Ismail Küpeli ist Politik­wis­sen­schaftler und Journa­list aus Duisburg. Er schreibt u.a. für neues deutsch­land, analyse & kritik, Jungle World und VICE. Er beschäf­tigt sich bereits seit Jahren mit antimus­li­mi­schem Rassismus und dessen schwie­riger Rezep­tion in Deutsch­land sowie mit innermus­li­mi­schen Entwick­lungen und Ausein­an­der­set­zungen. In der Debatte kann er als eine der profun­desten Stimmen im deutsch­spra­chigen Raum angesehen werden.

Im September erscheint zudem der von ihm heraus­ge­ge­bene Sammel­band »Kampf um Kobanê«, von dem er sicher einige druck­fri­sche Exemplare mit ins ADA bringen wird.

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