Zugespitzte Situation in Calais

Sachspenden für Calais-Tour im Januar benötigt !

Unsere Freund*innen von « kein mensch ist illegal » in Wuppertal stehen seit Jahren in engem Kontakt zu den Camps der Geflüch­teten in Calais und zu den dortigen Unter­stüt­zungs­struk­turen. In Calais halten sich regel­mäßig tausende Menschen auf, die auf ihrem Weg nach England an der franzö­si­schen Küste im wahrsten Sinne des Wortes « gestrandet » sind. Immer wieder organi­siert « kmii » Trans­porte mit Sachspenden an die Atlan­tik­küste, die den meist « illegalen » Aufent­halt der Geflüch­teten – ohne Unter­brin­gung und ohne Unter­stüt­zung – etwas erträg­li­cher machen.

Die Situa­tion in Calais ist drama­tisch, vor allem, weil die Stadt­ver­wal­tung aber auch die franzö­si­sche Regie­rung nichts für die geflüch­teten Menschen unter­nehmen. Im Gegen­teil : Immer wieder werden die Camps in und um die Stadt gewaltsam geräumt, das wenige, was die Menschen besitzen, wird zerstört. Zuletzt fanden im Juni diesen Jahres umfang­reiche Räumungen der « Jungles » statt. Mit der Verschär­fung des syrischen Krieges hat sich die Lage nochmals verschärft : Zuneh­mend gelangen jetzt auch Familien mit Kindern nach Calais, die mehr noch als andere auf Unter­künfte und ein Mindestmaß an Sicher­heit angewiesen sind. Bei einer Veran­stal­tung im Wupper­taler AZ berich­tete « kmii » zuletzt Anfang November über die Situa­tion in Calais.

Jetzt berichtet « kein mensch ist illegal » von einer weiteren drasti­schen Verschlech­te­rung der Lage : Zur Zeit leben ca. 2500 Sans Papiers in Calais. Darunter sind über 100 Klein­kinder und viele Frauen, die alle draußen, unter Brücken oder in « Zeltstädten » leben. Es gibt keinen Schutz­raum. Auf einen Squat der « Unter­stü­te­rInnen » gab es einen Angriff der Rechten mit zahlrei­chen Molotow­cock­tails. Es gibt kein sauberes Trink­wasser, zu wenig Essen, zu wenig warme Kleidung, Zelte, Planen usw. Eine staat­liche Organi­sa­tion gibt für ledig­lich ca. 500 Menschen täglich Essen aus. Es gibt auch keine medizi­ni­sche Versor­gung, auch nicht für die Kinder. Offiziell existieren sie gar nicht. Jeden Tag erfolgen Übergriffe von Riot-Cops, ein Refugee hat dabei letzte Woche sein Auge verloren. Der Hafen wird weiter gesichert, der bestehende Zaun wird auf 4 mtr erhöht und unter Strom gesetzt. Zur Zeit schaffen es in vierzehn Tagen vielleicht sieben Personen nach Dover zu kommen. Familien haben so gut wie keine Chance, Calais in Richtung England zu verlassen. Die fast tägli­chen Demons­tra­tionen der Sans Papiers inter­es­sieren kaum jemanden, auch die Medien berichten nichts. Vor Ort sind nur noch wenige Unter­stüt­ze­rInnen.

Im Januar bricht deshalb wieder eine Delega­tion von « kein mensch ist illegal » nach Calais auf, um dringend benötigte Dinge zu den Refugees zu bringen. Benötigt werden vor allem folgende Sachspenden :

- Winter­klei­dung und Schuhe (für Männer, Frauen und Kinder)
- Zelte, Planen, Isomatten, Decken, Schlaf­säcke
- Kochuten­si­lien, Geschirr
- Seile, Schnüre, Werkzeug
- Handys, Ladekabel, Handy­karten
- Bücher und Lexika in Englisch, Franzö­sisch, Farsi, Arabisch
- Fahrräder

Falls jemand Kontakt zu einem Outdo­or­laden oder Kaufhaus hat, wäre es gut, dort einmal nachzu­fragen. Denn manchmal werden dort B-Waren, z.B. Auslauf­mo­delle von Schlaf­sä­cken oder Waren mit leichten Beschä­di­gungen zur Verfü­gung gestellt.

Gespen­dete Sachen können im AZ Wuppertal zwischen­ge­la­gert werden.

Vor allem werden aber auch Menschen gebraucht, die Aktivis­tInnen vor Ort unter­stützen, z.B. bei einer Bauwoche vom 13.-20.12., in der u.a. Energie­zellen gebaut werden sollen.

Mehr Infos von kein mensch ist illegal in Wuppertal :
kmiiwup​pertal​.wordpress​.com

Weitere Infor­ma­tionen zur aktuellen Lage und Kontakt für alle, die in Calais helfen wollen gibt es hier : calais​mi​grant​so​li​da​rity​.wordpress​.com

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Der Druck steigt

Am Freitag, den 06.Juni fand in der Innen­stadt von Wuppertal-Elber­feld eine spontane Solida­ri­täts­be­kun­dung mit den protes­tie­renden Flücht­lingen statt. Am Tag zuvor war es sowohl in Luxem­burg als auch in Hamburg zu brutalen Angriffen der Polizei auf Geflüch­tete gekommen.

Angriff auf den March 4 Freedom in Luxemburg

Angriff auf den March 4 Freedom in Luxem­burg

In Luxem­burg traf es den trans­na­tio­nalen „March 4 Freedom”, mit dem Flücht­linge ihre Forde­rungen nach Bewegungs­frei­heit, dem Ende des Mordens an den EU-Außen­grenzen und einem würdigen Dasein mit Bleibe­recht zu Fuß von Straß­burg nach Brüssel tragen. Dort wird Ende dieses Monats ein EU-Migra­ti­ons­gipfel statt­finden. Der Protest­marsch verlief bis Luxem­burg trotz mehrfa­cher Überschrei­tung von Länder­grenzen absolut fried­lich und in teils sehr entspannter Atmosphäre, wie eine Aktivistin, die die erste Woche von Straß­burg bis Saarbrü­cken mitge­laufen war, bei der Wupper­taler Kundge­bung schil­derte. Am Donnerstag wurde er dann von der Polizei überfallen, als etwa 60 Teilneh­me­rInnen des Marsches ihr Anliegen bei der gerade statt­fin­denden Konfe­renz der EU-Innen­mi­nister vortragen wollten.

Die EU-Innen­mi­nister trafen sich in Luxem­burg, um die „Gefah­ren­ab­wehr” an den Außen­grenzen der Europäi­schen Union zu optimieren. Die beim Treffen bespro­chenen techni­schen Präven­tiv­maß­nahmen und Koordi­na­tionen - wie beispiels­weise ein besseres System zur Identi­fi­zie­rung Einrei­sender oder satel­li­ten­ge­stützte Aufklä­rung - werden aller­dings nicht nur zur „Terror­ab­wehr” einge­setzt. Sie dienen auch der Optimie­rung der europäi­schen Abschot­tung gegen Migra­tion. Der Wunsch der Flücht­linge, bei diesem Thema angehört zu werden, ist absolut nachvoll­ziehbar ; schließ­lich sind sie die Haupt­be­trof­fenen der Festung Europa. Die Politiker waren jedoch nicht gewillt, sich den Überle­benden des von der EU geführten Krieges gegen Migran­tInnen zu stellen. Statt­dessen schickten sie Polizisten gegen die vor dem Parla­ment protes­tie­renden Menschen.

Ohne jede Bereit­schaft, mit den Geflüch­teten zu reden und die Situa­tion eventuell zu deeska­lieren, hetzten diese ihre Hunde auf die Protes­tie­renden, griffen zu Schlag­stock und Handfes­seln und deckten die Menschen mit Pfeffer­spray ein. Am Ende waren mehrere Refugees und Unter­stü­zende verletzt und dreizehn von ihnen in Haft, unter ihnen mehrere „Sans-Papiers”. Erst nach vielen Stunden und einem weiterem, vor die Polizei­wache getra­genen Protest kamen sie wieder auf freien Fuß. Dieser Angriff auf unbewaff­nete und fried­lich demons­trie­rende Menschen durch die Polizei Luxem­burgs in Anwesen­heit der EU-Innen­mi­nister ist ein neuen Tiefpunkt europäi­schen Umgangs mit Flücht­lingen. Beim Verlesen der übersetzten Presse­mit­tei­lung zu den Vorfällen zeigten sich die zufällig an der Wupper­taler Kundge­bung vorbei­kom­menden und im Café nebenan sitzenden Menschen sicht­lich entsetzt.

Wie um allen zu beweisen, dass sich die deutsche Polizei bei rassis­ti­scher Repres­sion gegen Geflüch­tete nicht in den Schatten stellen lässt, ging später am gleichen Tag die Hamburger Polizei gegen Angehö­rige der „Lampe­dusa in Hamburg”-Gruppe vor. Die Hamburger Lampe­dusa-Flücht­linge, die erst wenige Tage zuvor erfahren mussten, dass der SPD-Senat nicht daran denkt, seine eigenen Zusagen einzu­halten, als eine erste Abschie­be­an­kün­di­gung gegen einen Flücht­ling aus ihrer Gruppe bekannt wurde, harren noch immer perspek­tivlos in der reichen Hanse­stadt aus. Sie fordern seit Monaten ein Recht zu arbeiten und die Möglich­keit, irgendwo unter­zu­kommen. Diese Forde­rungen sollten durch einen fried­li­chen Sitzstreik vor dem Hamburger Rathaus bekräf­tigt werden. Gleich­zeitig wollten die in der Bevöl­ke­rung Hamburgs gut bekannten Aktivisten der « Lampe­dusa-Gruppe » ihre Solida­rität mit den am Mittag in Luxem­burg Angegrif­fenen zeigen.

Was bei der versuchten Räumung des Rathaus­platzes folgte, war ein selbst für die bekann­ter­maßen oft rassis­tisch agierende Polizei Hamburgs ungewöhn­lich gewalt­tätig. Die Bruta­lität ging sogar einigen Polizis­tInnen zu weit, die zum ungewöhn­li­chen Mittel der « Remons­tra­tion » griffen. Sie wider­spra­chen dem Einsatz­be­fehl zur Räumung der Treppe des Rathauses und machten dabei nicht mehr mit. Am Ende des Einsatzes waren mehrere der Refugees, die die ganze Zeit über fried­lich blieben, verletzt. Ihre Behand­lung durch Sanitäter vor Ort wurde von der Polizei behin­dert. Drei der Flücht­linge wurden zudem zwischen­zeit­lich inhaf­tiert. Die Solida­ri­täts­demo in Hamburg am gleichen Abend und einige Schar­mützel am Folgetag, bei denen es auch zu einem Angriff auf ein SPD-Büro kam, gehen eindeutig auf die Kappe des Hamburger Senats und der Polizei.

Beide Vorfälle zeigen, dass der Druck steigt und dass die EU-Innen­mi­nister, die in Luxem­burg ungestört bleiben wollten, zuneh­mend nervös werden. Wie groß der Druck inzwi­schen ist, wurde bei der Wupper­taler Soli-Kundge­bung in Redebei­trägen der Flücht­lings­selbst­or­ga­ni­sa­tion Karawane und des so_ko_wpt deutlich. Der sehr emotio­nale Beitrag der Karawane, bei dem u.a. auch das Schicksal geflo­hener Frauen und Familien thema­ti­siert wurde, zeigte den durchaus sehr inter­es­siert zuhörenden Passanten auf, dass es längst Zeit ist, zu handeln und die passive Rolle beim Anhören der Nachrichten aufzu­geben. Die Verant­wor­tung Deutsch­lands für den Druck auf Menschen, ihre Heimat verlassen zu müssen, wurde ebenso betont, wie die Tatsache, dass die meist unter riskanten Umständen in Deutsch­land angekom­menen Flücht­linge auch hier kein würdiges Leben haben. Oft sprechen sie von einer zweiten Hölle, nachdem sie die Hölle des Krieges oder der völligen Perspek­tiv­lo­sig­keit glück­lich verlassen konnten.

Der Redebei­trag des so_ko_wpt zeich­nete eine dunkle Perspek­tive. In ihm wurde auf die zuneh­mend katastro­phale Situa­tion in ganz Europa verwiesen, die überall zu Übergriffen auf Geflüch­tete und weiteren Entrech­tungen von Migran­tInnen führt. Wie im franzö­si­schen Calais, wo auf ihrem Weg zum Wunsch­ziel England gestran­dete Flücht­linge – zuletzt sind es immer mehr vor dem baraba­ri­schen Krieg in Syrien fliehende Familien – aus notdürf­tigen Camps geräumt und auf die Straße geworfen werden. Dort hält eine multi­na­tio­nale Notge­mein­schaft aus Afgha­ni­stan, Syrien oder Eritrea seit mehr als einer Woche das Zentrum der Essens­aus­gabe besetzt, um überhaupt noch einen Ort zu haben, an dem die Menschen ausharren können.

Anläss­lich des offen­sicht­li­chen Schei­terns der europäi­schen Strategie der Abschot­tung stehen Länder wie Spanien, das seine Grenz­zäune um Melilla und Ceuta immer mörde­ri­scher aber gleich­wohl « erfolglos » aufrüstet oder Italien, dessen Marine fast täglich eine vierstel­lige Anzahl von Boots­flücht­lingen aus dem Mittel­meer rettet, aber auch Griechen­land vor der Heraus­for­de­rung, Änderungen der von Deutsch­land bestimmten EU-Flücht­lings­po­litik herbei­zu­führen. In Griechen­land werden in Kürze die ersten der während der « Säube­rungs­ak­tionen » vor zwei Jahren in EU-finan­zierten Inter­nie­rungs­la­gern « unter­ge­brachten » Flücht­linge frei gelassen, nachdem ein griechi­sches Gericht die Dauer der Inter­nie­rung auf 18 Monate begrenzte.

Diese gesamt­eu­ro­päi­sche Situa­tion lässt für den Ende Juni statt­fin­denden EU-Gipfel, der sich schwer­punkt­mäßig mit der europäi­schen Flücht­lings­po­litik beschäf­tigen wird, nichts Gutes erwarten – vor allem im Hinblick auf die Erfolge rechter Parteien bei der Europa­wahl vor zwei Wochen. Umso wichtiger erscheint es, den Druck für eine Öffnung der europäi­schen Politik jetzt zu erhöhen, und nicht erst nach den zu erwar­tenden Verschär­fungen des Grenz­re­gimes zu reagieren. Die Flücht­linge in Hamburg, Würzburg, Hannover, Berlin oder des Protest­mar­sches und die geflo­henen Menschen in Calais, Athen, auf Sizilien und Lampe­dusa tun, was sie tun können. Es ist jetzt notwendig, ihren Kampf für ein menschen­wür­diges Hiersein überall, auch von außer­halb der Lager, und auf allen Ebenen zu verstärken. Eine Kundge­bung wie am Freitag kann da nur ein Anfang sein und darauf aufmerksam machen, dass jede und jeder Möglich­keiten hat, den Flücht­lings­pro­test zu unter­stützen : In jeder Stadt gibt es Büros der großen Parteien, in jeder Stadt gibt es rassis­ti­sche Polizei­kon­trollen, bei denen ledig­lich hinge­schaut werden muss. Und überall wächst die Notwen­dig­keit, sich infor­mell zu organi­sieren und ganz konkrete Angebote für Illega­li­sierte auf die Beine zu stellen.

Auch beim EU-Gipfel selber lässt sich der Druck auf die Politik erhöhen : Die Aktivis­tInnen des « March 4 Freedom » werden in der belgi­schen Haupt­stadt vom 22. bis zum 28.06. eine ganze Woche lang aktiv sein, zum Abschluss planen sie eine Großde­mons­tra­tion im Herzen der Festung Europa. Damit ihr 500 Kilometer langer Fußweg von Straß­burg nach Brüssel nicht umsonst war, ist eine Unter­stüt­zung der Proteste zum EU-Gipfel in Brüssel dringend notwendig.

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