Der §129-Prozess gegen die so_ko_wpt-Mitstreiterin Latife befindet sich inzwischen in der dritten Woche, am Donnerstag findet der mittlerweile fünfte Verhandlungstag statt. Die « Freunde und Freundinnen von Latife », die den Prozess am OLG Düsseldorf von Beginn an verfolgen und auf ihrer Website « Solidarität mit Latife » dokumentieren, nutzten die Pause im Prozess für eine Informations- und Solidaritätsveranstaltung am letzten Dienstag. Ziel war es, eine breitere Unterstützung und ein größeres Interesse für den Fall zu erreichen, der droht, die Anwendbarkeit des Paragraphen 129 erneut auszuweiten – um den Preis einer Inhaftierung einer Freundin.
Wir dokumentieren nachfolgend den Bericht zur Veranstaltung am 14.7. im Café Stil-Bruch auf dem Ölberg. Der Text ist der Website zum Prozess entnommen.
Bericht zur Info-Veranstaltung am 14.7.2015
Anti-Repressionarbeit ist ein undankbares Tätigkeitsfeld. Erfahrungsgemäß halten sich selbst viele Linke lieber davon fern, aus antizipierter Frustration oder auch aus der Furcht heraus, möglicherweise selbst in den Fokus der Ermittler zu geraten, wenn sie sich zu weit in die Nähe einer « wegen Terrorismus » angeklagten Person begeben. Dass sich das Café Stil Bruch am Veranstaltungsabend mit ca. dreißig Leuten recht gut füllte, war daher in gewisser Weise eine positive Überraschung. Was auch daran liegen dürfte, dass Latife auf dem Ölberg (und insgesamt in Wuppertal) einfach eine beliebte und bekannte Person ist. Für ihre Freundinnen und Freunde verbieten sich die einfachen Selbstschutzmechanismen, mit denen staatliche Repression sonst immer gerne als ein Problem « der anderen » konstruiert wird, ohnehin.
§§129 : Paragraphen zur Einschüchterung
Die Veranstaltung begann mit einer Einführung zum § 129, der in Deutschland bereits 1871 eingeführt wurde und schon damals – neben den Sozialistengesetzen – eine scharfe Waffe im Klassenkampf von oben war. Der Paragraph wurde während des Kalten Krieges im Zuge des KPD-Verbots und später im « Deutschen Herbst » als Reaktion auf die militanten Aktionen der Stadtguerilla weiter verschärft. Das in den 1970ern eingeführte Sondergesetz, das sich hinter dem kleinen « a » des §129 a verbirgt, führte den nirgendwo genau definierten Begriff « Terrorismus » in das Strafgesetz ein.
Eine Grundlage für oft willkürliche Ermittlungen, deren Rahmen bewusst uferlos gefasst ist, und vielfach der Einschüchterung und Ausforschung dient : So ist es der Polizei im Rahmen einer einer laufenden 129er-Ermittlung u.a. erlaubt, Telefon- bzw. E-Mail-Überwachungen und Hausdurchsuchungen durchzuführen oder auch Einblick in Kontobewegungen vorzunehmen. Ebenso finden monatelange Personen- und Wohnungsobervationen statt und Peilsender werden an PKWs angebracht. Dass diese Maßnahmen ganz konkret angewendet werden, wurde im Laufe der Veranstaltung von Latife und ihrem RA Roland Meister bestätigt, als sie von den Überwachungen gegen Latife vor ihrer Festnahme 2013 berichteten. Dabei wurde monatelang jeder ihrer Schritte dokumentiert, zahllose Freunde und Freundinnen wurden gemeinsam mit ihr telefonisch überwacht.
Grundlage für diese Ermittlungen gegen Latife war ein weiteres Sondergesetz des StGB, das als § 129 b bekannt ist. Es wurde nach offizieller Lesart im Gefolge der Anschläge von 9/11 geschaffen – Pläne dazu gab es jedoch schon seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Es erweiterte die Verfolgung Verdächtiger auch auf eine behauptete Mitgliedschaft in (oder Unterstützung von) als „terroristisch“ definierten Organisationen im Ausland. Eine Tätigkeit der benannten Gruppen in Deutschland war mit Einführung des « 129 b » keine Veraussetzung mehr für weitreichende Ermittlungen und Anklagen.
Mehrjährige Haftstrafen für politische Arbeit
Welche Gruppen von der « Terrorismus»-Definition erfasst werden, bestimmt eine « Terrorliste » der EU und der USA. Wie interessengeleitet und fragwürdig die Einstufung von Organisationen als « terroristisch » durch den EU-Ministerrat ist, wird z.B. an der Tatsache deutlich, dass das faschistische Bataillon Asow in der Ukraine nicht auf der Liste auftaucht, die gegen die IS-Milizen kämpfende kurdische PKK aber immer noch genannt wird. Das führt bis heute zu Verfahren gegen hier lebende Kurd*innen die oft genug auch mit mehrjährigen Haftstrafen enden.
Dasselbe « Schicksal » ereilt in der Regel Angeklagte, denen eine Mitgliedschaft in der türkischen DHKP-C, bzw. deren Unterstützung vorgeworfen wird. Die Beweisführung für eine Mitgliedschaft bleibt fast immer diffus und selbstreferentiell. Sehr häufig werden vorangegangene Urteile aus anderen Verfahren als « Beweis » eingebracht, oft wird auf Aussagen von in der Türkei Gefolterten bzw. auf fragwürdige Geheimdiensterkenntnisse zurückgegriffen. Dazu passte eine kurze Filmdoku zum ersten 129 b Prozess gegen linke Revolutionäre, der 2009 gegen angebliche DHKP-C-Unterstützer in Stuttgart geführt wurde. Der atmosphärisch dichte Film zeigte eindrücklich, wie bedrückend sich ein solcher « Terrorismus»-Prozess auch im Leben der Freundinnen und Verwandten der Beschuldigten niederschlägt, vor allem, weil die Angeklagten meistens für eine quälend lange Dauer vor und während des Prozesses eingesperrt bleiben – oft genug unter den Bedingungen der Isolation. Die Veranstalter*innen sandten daher auch einen solidarischen Gruß an jene vier Angklagten, die 2013 gemeinsam mit Latife verhaftet wurden und seither im Stammheimer Knast auf ihr Urteil warten müssen, das in Stuttgart für Ende Juli erwartet wird.
Latife, die sich glücklicherweise auf freiem Fuß befindet, berichtete über den Ausgang jenes Stuttgarter « Pilot-Verfahrens », dessen Urteil in späteren Prozessen immer wieder als « Beweismittel » diente – quasi als sich selbst bestätigendes « Perpetuum Mobile » : Die fünf Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen 3 Jahren bis zu 5 Jahren und vier Monaten. Auch damals stützte sich die Anklagebehörde wie im Verfahren gegen Latife, auf die Konstruktion einer „Rückfrontorganisationen im Ausland“, die der DHKP-C finanziell und ideologisch zuarbeitet. Verurteilt wurden die Angeklagten in Stuttgart wohlgemerkt nicht für die Planung von Anschlägen, sondern weil sie etwa Geld gesammelt, Veranstaltungen organisiert und Kontakt zu Genoss*innen gehalten hatten.