Zur Kundgebung an der Synagoge
In der Nacht zu Dienstag, den 29.Juli gab es einen Brandanschlag mit drei Molotow-Cocktails auf die Bergische Synagoge in Wuppertal-Barmen. Zwei von drei mutmaßlichen Tätern wurden zwischenzeitlich verhaftet und sitzen in Untersuchungshaft, einer ist flüchtig. Nach ihm sucht die Polizei. Noch am Dienstag wurde für den Nachmittag zu einer Kundgebung an der Synagoge aufgerufen, um Solidarität mit der jüdischen Gemeinde und den jüdischen WuppertalerInnen zu zeigen.
In ihrem Verlauf offenbarte die Versammlung einige Probleme derzeitiger Debattenverläufe in Deutschland. Einiges, was die Diskussionen um offensiver werdenden Antisemitismus, Israel und den Gazakrieg zunehmend erschwert, gab’s auch in Barmen zu hören : Falsch platzierte Diskussionen zum falschen Zeitpunkt, Heuchelei und wohlfeile Worte. Der negative Höhepunkt der Solidaritätskundgebung war die ungestörte Anwesenheit des Wuppertaler ProNRW-Stadtratsverordneten. Am Ende war nicht ganz klar, welche Empfindung überwiegen sollte : Großer Zorn über den Brandanschlag oder zunehmende Frustration angesichts scheinbar unaufhaltsam anwachsender Verwerfungen einer Debatte und immer größerer Schwierigkeiten bei einer teils massiv eingeforderten Positionierung.
Natürlich ist zu begrüßen, wenn sich nach einem versuchten Brandanschlag auf die Synagoge etwa 150 Menschen zu einer spontanen Kundgebung entschließen : Alleine, um den in der Stadt lebenden JüdInnen zu zeigen, dass sie nicht alleine bleiben, wenn sie Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt sind. Doch die Grade sind messerscharf, auf denen dabei gewandelt wird. Es ist deshalb legitim, sich Gedanken zur Motivation der Teilnehmenden zu machen. Manche Motivlagen erscheinen kontraproduktiv, vor allem, wenn unterstellt werden soll, dass so ein Anlass Grund für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus und Antisemitismus sein sollte.
Alltagsrassismus bleibt ausgeblendet
Was zum Beispiel die offiziellen VertreterInnen der Stadt treibt, ist jedoch erkennbar nicht die Bekämpfung von Ursachen sondern die Sorge um das Image der Stadt. Es ist die gleiche Motivlage, die sie im Wuppertaler Alltag das Vorhandensein rechtsradikaler Gewalt und einer Nazi-Szene leugnen lässt. Dabei verhindert gerade das Ausblenden des täglichen, gewöhnlichen Rassismus und Antisemitismus eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit einer Eskalation, wie sie in der Nacht zum 29.Juli geschehen ist.
Das Drama der entpolitisierenden offiziellen Sprachregelungen tritt in diesem Moment deutlich zutage : Beispielsweise gab die Wuppertaler Polizei – nur wenige Tage vor dem versuchten Brandanschlag – bekannt, sie « prüfe auch mögliche politische Hintergründe », nachdem eine « Free Palestine»-Parole an die Synagoge gesprüht worden war. Zu einer Bewachung der Synagoge ist sie demnach auch erst jetzt, nach dem Anschlag, bereit – schließlich hätten zuvor „keine Anhaltspunkte” für eine solche Entwicklung bestanden.
Umso bedauerlicher, dass es auch bei der Solidaritätskundgebung von offizieller Seite eher Beschwichtigungen und Beschwörungen eines harmonisch miteinander lebenden Wuppertal gab. Wo das Unharmonische dann in Form von drei Molotiw-Cocktails offen zutage tritt, wird es zu Solitärem erklärt, zu etwas, das « nicht zu uns gehört », wie OB Jung (CDU) befand. Der hatte am Nachmttag – nachdem sich mittags ein größeres Medieninteresse abzeichnete und wütende und geschockte Menschen bereits nach Bekanntwerden des Anschlags für 17:00 Uhr mobilisierten – schnelles Handeln des offiziellen Wuppertal simuliert und verlautet, es handele sich um eine Kundgebung der städtischen Initiative für Demokratie und Toleranz. Wie unvorbereitet diese davon getroffen wurde, zeigte sich, als der OB vor der Synagoge ohne Lautsprecher dastand. Weshalb er über die Anlage des Autonomen Zentrums reden musste.
Das machte die Beschwörung einer harmonischen Wuppertaler Normalität des Zusammenlebens auch nicht glaubwürdiger. Deshalb war es gut, dass in einer Antwort der Hinweis erfolgte, nicht auf die breite Empörung in diesem Moment, sondern auf das Handeln im Alltag komme es an. Dabei wurden die aktuellen Probleme der Stadt angesprochen : Alltagsrassismus, eine nahezu unbehelligte Nazi-Szene, eine wachsende Anzahl von mit Salafisten Sympathisierenden und im Rat der Stadt vertretene rechtsradikale Parteien.
Der ProNRW-Kreisvorsitzende und Stadtratsverordnete Gerd Wöll konnte inmitten anderer ParteienvertreterInnen sogar unbehelligt die Kundgebung « beobachten », wie Wöll nicht ohne Stolz auf der Website der Partei berichtete. Seiner « Beobachtung » entsprang das folgende, ebenfalls auf der Website von ProNRW veröffentlichte Gedankenmonster : « Die martialische Saat, die radikale Mohammedaner im Verbund mit bunttol(l)eranten und islamunterwürfigen Politikern gesät haben, geht offenbar auf ».
Dass sich der deutsche Normalzustand also unmittelbar vor Ort befand, war sicherlich der unerträglichste Teil der Kundgebung.
Von Trennschärfe und Differenzierung keine Spur
Am meisten ärgerte allerdings die auch an der Synagoge lautstark geführte Diskussion um den israelischen Krieg im Gaza-Streifen – schließlich galt der Protest der durch die Wahl des Anschlagzieles zum Ausdruck gebrachten antisemitischen Gleichsetzung jüdischen Glaubens mit der Politik Israels. Aber es wurde auch aus der Kundgebung heraus die eigene Anwesenheit als Ausdruck der Solidarität mit Israel bezeichnet – so äußerst sich auch einer der Teilnehmer im Videobeitrag der « Süddeutschen Zeitung ».
Wenn jedoch schon die Gleichsetzung jüdischen Glaubens mit einem kriegführenden Staat Israel nicht bekämpft wird, werden sich weitere undifferenzierte Stellvertreterkonflikte kaum vermeiden lassen. Ohne Trennschärfe und Differenzierung sind Diskussionen über Antisemitismus wie auch über Krieg sinnlos. Es bedurfte eines wohltuend zornigen Redebeitrags einer Teilnehmerin, die Diskutierenden darauf hinzuweisen, dass die Kundgebung an der Synagoge ein denkbar ungeeigneter Ort für eine Debatte über den Krieg Israels mit der Hamas sei. Es war irgendwie erschöpfend.
Ohnehin stellt sich angesichts des Streits innerhalb der in der Positionierung zum Gaza-Krieg zerstrittenen Linken langsam eine schreckliche Ermüdung ein. Denn nicht nur antijüdische Aktionen und Aussagen eskalieren, sondern auch interne Auseinandersetzungen. Der seit Jahren virulente, harte Diskurs innerhalb der Linken zur Situation im Mittleren Osten, bricht nun – nach einer Beruhigung zuletzt – wieder offen auf.
Noch immer koppeln einige – « Antiimps » wie « Antideutsche » – grundsätzliche politische Analysen und ansonsten hingenommene prinzipielle inhaltliche Differenzen an die Frage, wie sich jemand zum Nahostkonflikt und zu Israel positioniert. Ist diese eingeforderte Positionierung angesichts der Akteure sowieso eigentlich eine Unmöglichkeit, fällt sie durch den versuchten Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge nun noch schwerer : Wenn Antisemitismus in Wuppertal so konkret wie in der Nacht zum 29.Juli wird, bedeutet das eine Änderung der eigenen politischen Agenda. Für hier Lebende bleibt es eine ererbte Aufgabe, das rassistische und antisemitische Deutschland als wichtigste Herausforderung zu betrachten.
Oder, wie Deniz Yücel in der « taz » formulierte :
« Es gibt nämlich kein Deutschland ohne Auschwitz – kein Multikultideutschland, kein linkes Deutschland, kein besseres Deutschland, gar keins. »