Wir sind nicht Volk ! Wir sind Klasse ! Zum 1.Mai 2014

Im Aufruf für den heutigen 1.Mai fordert der DGB vor allem eine « aktive nachhal­tige Indus­trie­po­litik », weil « große (…) Zukunfts­fragen – wie zum Beispiel Klima­wandel, Ernäh­rung der Weltbe­völ­ke­rung, umwelt­ge­rechte Mobilität, (…) oder zukunfts­fä­hige Energie­ver­sor­gung – nur durch indus­tri­elle Innova­tionen zu lösen sind » (DGB-Regions­ge­schäfts­füh­rerin Sigrid Wolf). Wir fragen Frau Wolf : Wie kann es sein, dass nach zwei Jahrhun­derten indus­tri­eller Innova­tionen die genannten Probleme virulenter sind als vor der indus­tri­ellen Revolu­tion ? Wie ein ungebro­chenes « Weiter so ! » ohne eine entschei­dende Kursän­de­rung da Lösungen schaffen soll, bleibt wahrschein­lich Frau Wolfs Geheimnis.

Angesichts des von den Besit­zenden angezet­telten (Klassen-) Kriegs gegen Mensch und Umwelt klingt das erschre­ckend. Eine endlose Auste­ri­täts­krise in Südeu­ropa – tote Kolle­gInnen auf FIFA-Baustellen in Katar oder in Bangla­deshs Textil­fa­briken – prekäre Beschäf­ti­gung in Wuppertal – und eine Einheits­ge­werk­schaft, die sich für eine gemeinsam mit der Regie­rung abgelie­ferte « gute Krisen­be­wäl­ti­gung » abfeiert und weiter auf ungebro­chenes Wachstum setzt…

Während der DGB in Wuppertal und in anderen Städten Deutsch­lands am 1.Mai ein paar hundert Menschen auf die Straße bringt und sich abschlie­ßend bei Bratwurst und Bier für einen geschwin­delten Mindest­lohn selbst auf die Schul­tern klopft, stemmen sich heute in Istanbul zehntau­sende Arbei­te­rInnen, Studen­tInnen und Schüle­rInnen gegen 35.000 Polizisten, die Erdogan zun Taksim schickt. Gleich­zeitig gehen Hundert­tau­sende in Spanien, Portugal, Griechen­land oder Italien auch diesen 1.Mai wieder auf die Straße. Überall regt sich gegen die Demon­tage sämtli­cher Errun­gen­schaften der Arbei­te­rIn­nen­be­we­gung Wider­stand und Gewerk­schaften nehmen in den Protesten ihre politi­sche Verant­wor­tung wahr. Der Protest ist beharr­lich wie existen­tiell. Seit Jahren kämpfen Millionen Rentne­rinnen, Schüler, Studie­rende, Erwerbs­lose und Arbei­te­rinnen gegen eine Politik, die zu Priva­ti­sie­rungen und Massen­ar­beits­lo­sig­keit sowie zur Zerstö­rung ganzer Bildungs- und Sozial­sys­teme geführt hat. Sie stürzt die Menschen immer tiefer in die Misere, während das bei den Besit­zenden angehäufte Kapital nach immer neuen Anlage­mög­lich­keiten sucht und dabei ganze Regionen und gewach­sene Städte zerstört.

DGB-Maifest

Wir sind nicht Volk – wir sind Klasse !

Entsetz­lich still ist es dagegen in Deutsch­land, dem Land der Krisen­ge­winnler, dessen Regie­rung die europäi­sche Politik des Kürzens mit Unter­stüt­zung der Troika ohne Rücksicht auf ein würdiges Dasein der Menschen durch­peitscht. Sie bedient sich dabei der einem Import­de­fizit geschul­deten Stärke des « Stand­orts Deutsch­land », der in den letzten zehn Jahren unter erklärter Mithilfe der DGB-Gewerk­schaften zum Billig­lohn­land sozial­ge­part­ner­schaftet wurde : Das « Bündnis für Arbeit » und die « Agenda 2010 » brachten den Arbei­tenden in Deutsch­land niedri­gere Löhne, mehr Leihar­beit und Lohnar­beits­druck und verschafften den Unter­nehmen niedri­gere Steuern und Sozial­ab­gaben. Die heilige Kuh “Sozial­part­ner­schaft” erweist sich als Kompli­zentum einer aggres­siven Durch­set­zung deutscher Kapital­in­ter­essen, für die im Notfall auch demokra­ti­sche Prinzi­pien in angegrif­fenen Ländern außer Kraft gesetzt werden : Erinnert sei an die Wahl in Griechen­land, bei der es eine massive Einmi­schung Deutsch­lands gab.

Im Wettbe­werb zwischen auf bloße Wirtschafts­stand­orte reduzierten Ländern hat sich das deutsche Kapital an die Spitze gesetzt. Die großen deutschen Gewerk­schaften konzen­trierten sich in diesem Prozess auf die Inter­es­sen­wah­rung ihrer – männlich, weiß und deutsch dominierten – Stamm­be­leg­schaften – alle anderen müssen selber sehen wo sie bleiben. Auf europäi­scher Ebene schlägt sich diese Haltung in der fehlenden Bereit­schaft zur ernst­haften politi­schen Einmi­schung nieder : Da ist nichts, was über schöne Worte, Appelle und absurde Forde­rungen nach einem europäi­schen « Marshall­plan » hinaus­ginge.

Which Side are U on ?

Der DGB macht nicht einmal den Versuch, das Recht auf politi­schen Streik zur Wahrung sozialer Errun­gen­schaften und lebens­werter Bedin­gungen im gemein­samen Wirtschaft­raum auch nur in die Debatte zu bringen. Er lässt die verzwei­felt kämpfenden Kolle­gInnen Griechen­lands oder Spaniens im Stich. Folge­richtig ist auch die offizi­elle Abwesen­heit deutscher Gewerk­schaften bei europa­weiten Mobili­sie­rungen gegen die Verelen­dungs­po­litik : Wie bei der EGB-Demons­tra­tion Anfang April 2014 in Brüssel, als die deutschen Gewerk­schafts­or­ga­ni­sa­tionen aus der Ferne zusahen, wie ihre Kolle­gInnen nieder­ge­knüp­pelt und von Wasser­wer­fern angegriffen wurden. Und außer lauen Solida­ri­täts­adressen kam auch im November 2012 von den deutschen Gewerk­schaften nichts, als in den südeu­ro­päi­schen Krisen­län­dern Millionen in einen « europäi­schen General­streik » traten. Der Vorsit­zende der IG Metall gefiel sich lieber darin, seine spani­schen Kolle­gInnen zu verhöhnen, als er mitteilte, sie seien selbst schuld, weil sie Wettbe­werbs­vor­teile durch hohe Tarif­ab­schlüsse verspielt hätten.

Auch für die FORD-Arbei­te­rInnen aus dem belgi­schen Genk fand die IG Metall kein Wort der Solida­rität und Unter­stüt­zung : Diese hatten im November 2012 vor der Konzern­zen­trale in Köln gegen die Werks­schlie­ßung in Belgien demons­triert. Sie wollten ihre deutschen Kolle­gInnen warnen und um Solida­rität werben. Dabei waren sie von der deutschen Polizei brutal angegriffen, gekes­selt und einige auch verhaftet worden. Der größte Teil der Kölner Beleg­schaft und die IG Metall ließen das zu, ohne einen Finger für sie zu rühren. Nun stehen dreizehn der FORD-Arbei­te­rInnen ab Juni wegen « beson­ders schweren Landfrie­dens­bruch » in Köln vor Gericht. Bislang findet man auf der Website der IG Metall dazu keinen Hinweis – geschweige denn eine Zusage, die anfal­lenden Prozess­kosten zu übernehmen.

Alles was uns fehlt ist die Solida­rität !

Doch die erhoffte Solida­rität bleibt nicht nur in Hinsicht auf die Kämpfe in anderen Ländern aus : Sie fehlt auch hier. Die DGB-Gewerk­schaften lassen prekär Beschäf­tigte und Erwerbs­lose allein. Wir vermissen beispiels­weise eine unmiss­ver­ständ­liche Partei­nahme von gewerk­schaft­li­cher Seite für dieje­nigen, die sich gegen ihre beschis­senen Arbeits­be­din­gungen, gegen Preka­ri­sie­rung oder die Verfol­gungs­be­treuung der Jobcenter zur Wehr setzen. Das Zeichen, dass die Gewerk­schaften damit setzen, ist verhee­rend : Sie signa­li­sieren dass ihre Solida­rität endet, sobald ihre Mitglieder den Arbeits­platz verlieren. Dadurch machen sie sich auch in diesem Punkt zu Mittä­tern einer erpres­se­ri­schen Unter­neh­mer­po­litik, die Massen­ar­beits­lo­sig­keit als Mittel der Diszi­pli­nie­rung nutzt. Auf ein Wort des DGB zu hoffen, wenn es um die skanda­lösen Arbeits­ver­bote für Flücht­linge geht, oder um Solida­rität mit europäi­schen Wander­ar­bei­te­rInnen, haben wir ohnehin schon aufge­geben.

Wir wundern uns jedoch über ein ausblei­bendes klares gewerk­schaft­li­ches State­ment zur kommu­nalen Auste­ri­täts­po­litik, zur gewollten Verar­mung der Kommunen und gegen die fortge­setzten Kürzungen der städti­schen Haushalte. Schließ­lich werden Hunderte von Stellen im Öffent­li­chen Dienst abgebaut und die Arbeits­dichte für die verblie­benen Angestellten wird ins Unerträg­liche geschraubt. Dies gilt für die städti­schen Angestellten ebenso wie für Busfahrer und Busfah­re­rinnen bei WSW mobil, die beim Subun­ter­nehmen „Rhein­gold” für niedrigste Löhne und unter katastro­phalen Bedin­gungen Überstunden bis zum Abwinken einfahren.

Doch anstatt das als Angriff auf kommu­nale Arbei­te­rInnen zu benennen und andere Priori­täten einzu­for­dern, applau­diert die Funkti­ons­elite in Gestalt des Ver.di-Bezirksgeschäftsführers Daniel Kolle noch dem Beschluss zur Kosten­stei­ge­rung des Stadt­um­baus am Döppers­berg : Er sieht in dem vom Investor avisierten Kaufhaus des für die Textil­fa­brik-Katastrophe in Bangla­desh mitver­ant­wort­li­chen Billig­an­bie­ters « Primark » einen « Baustein für die Aufwer­tung des Stand­orts Wuppertal », weshalb ein Kosten­de­ckel abzulehnen sei.

Fordert ein politi­sches Mandat ! Mischt euch ein !

Bei aller Fassungs­lo­sig­keit über die natio­na­lis­ti­sche und aggres­sive Stand­ort­logik der angeb­li­chen Reprä­sen­tan­tInnen der Arbei­te­rIn­nen­in­ter­essen : Wir glauben, dass es in Beleg­schaften und in den gewerk­schaft­li­chen Ortsgruppen immer noch viele Menschen gibt, die eine solida­ri­sche und kämpfe­ri­sche Grund­hal­tung haben, und dass sie diese in ihren Betrieben, Nachbar­schaften und sozialen Netzen prakti­zieren. Wir glauben aber genauso, dass es völlig unnütz ist, darauf zu warten, dass die Funkti­ons­eliten von DGB und Einzel­ge­werk­schaften umdenken – zu sehr sind sie in einer Illusion der Gestal­tungs­macht und ihrer vorgeb­li­cher Relevanz verfangen.

Angesichts eines bei den bevor­ste­henden Europa­wahlen drohenden Rechts­rucks im Krisen­eu­ropa und von mittler­weile demora­li­sierten Gesell­schaften in den Krisen­län­dern, und angesichts eines immer offener agierenden deutschen Expan­sio­nismus, darf nicht mehr gewartet und geschwiegen werden : Wer unter Verweis auf Sozial­part­ner­schaft im eigenen Land diese Entwick­lung geschehen lässt, macht sich mitschuldig. Wir fordern deshalb dieje­nigen, die sich solida­ri­schem und inter­na­tio­na­lis­ti­schem Handeln verpflichtet fühlen, dazu auf sich neu und autonom zu organi­sieren.

Ihr seid nicht so machtlos, wie euch eure Funktio­näre glauben machen wollen. Schafft Räte oder Assam­bleas in den Betrieben und in der Nachbar­schaft ! Organi­siert konkrete Solida­rität, etwa durch eine Prozess­be­ob­ach­tung beim anste­henden Verfahren gegen die belgi­schen Kolle­gInnen aus Genk. so_ko_wpt am 1.Mai 2014

Infos zum Prozess gegen die Ford-Arbei­te­rInnen aus Genk
Dieser Text als zweisei­tiges Flugblatt zum Download (pdf-Datei, DIN A4)

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Interessanter Link in Vorbereitung der Abahlali-Veranstaltung

Am Freitag veran­staltet das so_ko_wpt zusammen mit anderen Partnern im Wupper­taler Autonomen Zentrum eine Filmvor­füh­rung mit Diskus­sion zu Südafrika. Dazu erwarten wir Gäste der „Bewegung der Hütten­dorf­be­woh­ne­rInnen” (Abahlali baseM­jon­dolo).

Streik der Farmar­beiter am 14.November 2012

Passend zu den Diskus­sionen um europäi­sche Streiks und Gewerk­schaften vom letzten Mittwoch, gibt es auch aus Südafrika aktuell einiges zu Arbeits­kämpfen zu berichten. Unorga­ni­sierte Streiks, die sich auch gegen die großen korrupten Gewerk­schaften richten, nehmen immer weiter zu. Die Welle der „wilden Streiks”, die häufig brutal angegriffen werden (siehe das Massaker von Marikana), wächst unauf­hör­lich an, und hat nach den Minen­ar­bei­tern mit den Farmar­bei­tern nun auch die zweite verblie­bene Bastion alter Apart­heits­struk­turen erfasst. Nach dem Massaker an der Platin-Mine von Marikana sind mehrere Hundert­tau­send in verschie­denen Minen in den Streik getreten. Jetzt auch die Farmar­beiter von De Doorns (Western Cape). Und wie die Minen­ar­beiter haben auch die Farmar­beiter dabei keine Hilfe von ANC oder der in der Provinz Western Cape regie­renden DA (Democratic Alliance) zu erwarten.

Zur Vorbe­rei­tung auf unsere Veran­stal­tung am Freitag empfehlen wir die beiden (leider nur englisch­spra­chigen) Artikel, die über den nachfol­genden Link zu errei­chen sind.

 Self-organised strikes on the mines and farms in South Africa

• Filmvor­füh­rung („Dear Mandela”) und Diskus­sion mit Gästen von Abahlali baseM­jon­dolo
• Autonomes Zentrum Wuppertal, Marko­man­nen­straße 3, Wuppertal-Elber­feld

(Gäste : Muziwa­kehe Ndlalose, Vorsit­zender von Abahlali und Thembani Ngongoma, Mitglied Exeku­tiv­ko­mittee)
Freitag, 23.November 2012 ; ab 19:00 Uhr ; Eintritt : Spende
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