Von der Willkommenskultur zum Abschiebungswettbewerb

Vorbe­mer­kung

Dieser Artikel wurde von einer antiras­sis­ti­schen Aktivistin geschrieben, die seit Ende der 1990er Jahre Migra­ti­ons­be­we­gungen und die Kämpfe Geflüch­teter beobachtet und unter­stützt. Seit andert­halb Jahren arbeitet sie zudem (wieder) als haupt­amt­liche Flücht­lings­be­ra­terin in einer westdeut­schen Großstadt. Die Verän­de­rungen im öffent­li­chen Diskurs, in der Wahrneh­mung Geflüch­teter wie auch den Resonanz­boden der Diskurse auf der legis­la­tiven Ebene des Asyl- und Aufent­halts­rechts bekam sie sehr direkt mit – in ihrem Arbeits­alltag wie in ihrem politi­schen Umfeld. Trotzdem ist dieser Artikel eine sehr subjek­tive Sicht auf gegen­läu­fige Entwick­lungen, die von einer weiterhin relativ „flücht­lings­freund­li­chen“ Grund­stim­mung in der städti­schen Zivil­ge­sell­schaft und einem mittler­weile europa­weiten hegemo­nialen neu-rechten Diskurs, der auf Abschot­tung und Abschie­bung zielt, geprägt sind.

In diesem Artikel versucht sie, die enorme Diskre­panz zwischen dem, was sie in ihrer politi­schen Arbeit wie auch in ihrer bezahlten Beratungs­ar­beit erlebt, dem, was gleich­zeitig politisch disku­tiert wird und dem, was ihr politisch notwendig scheint zu skizzieren.

In Koope­ra­tion mit welcome2wuppertal (w2wtal)

Der kurze Sommer der Migration : Euphorie und Überforderung

Als ich im Frühherbst 2015 nach einigen Jahren Auszeit wieder in die (haupt­amt­liche) Flücht­lings­ar­beit einstieg, konnte ich eigent­lich keinen spannen­deren Zeitpunkt erwischen. Es waren die Wochen, in denen überall im Land neue Flücht­lings-Willkom­mens-Initia­tiven aus dem Boden sprossen, inter­netaf­fine Leute jeden Tag mindes­tens eine neue mehrspra­chige App mit wichtigen Infos für Neuan­kömm­linge ins Netz stellten, jede zweite Kirchen­ge­meinde Kleider- und Spiel­zeug­spenden sammelte, die Menschen –  sogar politi­sche Aktivis­tInnen - zu hunderten zu den Bahnhöfen strömten, um den nächsten „Train of Hope“ zu beklat­schen. Sogar die Bild-Zeitung titelte „Refugees welcome“, und Deutsch­land war außer sich. Dieses Land, das wir immer als Ausge­burt des adminis­tra­tiven und gesell­schaft­li­chen Rassismus kriti­siert hatten, war plötz­lich nicht mehr wieder­zu­er­kennen vor lauter zivil­ge­sell­schaft­li­chen Solida­rität mit denen, die ihre gefähr­liche und anstren­gende Reise mehr oder weniger glück­lich überstanden hatten.

Es war eine eupho­ri­sche Zeit und zugleich eine, die die Menschen, die mit der Flücht­lings­auf­nahme direkt zu tun hatten – vom Bundesamt über die Bezirks­re­gie­rungen, die kommu­nalen Behörden bis hinunter zu uns Flücht­lings-Sozial­ar­bei­te­rInnen – vor erheb­liche Heraus­for­de­rungen stellte. Die offenen Schengen-Grenzen, eigent­lich eine Selbst­ver­ständ­lich­keit seit 1995 und keines­wegs der „recht­lose Zustand“, den Seehofer in seinen Panik­at­ta­cken herauf­be­schwor, wurden nun endlich auch von denen überquert, die am meisten auf diese Offen­heit angewiesen waren, auch wenn sie bei den Schengen-Abkommen seiner­zeit natür­lich nicht mitge­meint gewesen waren. Die Dublin-Verord­nung wurde kurzzeitig außer Kraft gesetzt und zig-Tausende nutzen dieses schmale Zeitfenster - wohl wissend, dass es sich bald schon wieder schließen würde.

Vorläufig aber gab dieser kurze Kollaps der Ordnungs­po­litik, als alle Ressourcen mehr oder weniger darauf gerichtet waren, Obdach­lo­sig­keit zu vermeiden und die gewohnten Kontroll­in­stru­mente noch nicht wieder funktio­nierten, den Geflüch­teten einen großar­tigen Freiraum. In der Notauf­nahme, die wir betreuten, konnten wir praktisch unter Umgehung der üblichen bürokra­ti­schen Wege Familien, die auf der Flucht getrennt wurden, wieder zusam­men­bringen ; dieje­nigen, die in andere Länder weiter­reisen wollten, ruhten sich einige Tage aus, setzten sich dann mit uns Berate­rinnen zusammen und holten sich die nötigen Infos über die beste Reise­routen und über die Asylsys­teme der jewei­ligen Länder ; wer im Zug kein Ticket bei sich hatte und so aussah, als ob er oder sie ein Flücht­ling sein könnte, durfte ohne Kontrolle weiter­fahren, denn auch die Deutsche Bahn hatte kapitu­liert und die Bundes­po­lizei hatte anderes zu tun, als die persön­li­chen Daten der Neuan­kömm­linge festzu­stellen, bloß weil diese kein Geld für ein Bahnti­cket mehr übrig hatten.

Es war eine gute Zeit, und zugleich für viele Kolle­ginnen mit Ängsten verbunden. Ich arbei­tete bei einem kirch­li­chen Träger, und längst nicht alle Kolle­gInnen dort sind Linke. Vielen fehlte auch die nötige Flexi­bi­lität und Impro­vi­sa­ti­ons­fä­hig­keit ; sie wussten vor Arbeit und Anfor­de­rungen nicht mehr ein noch aus, und in manchem Seufzer, wie man das alles schaffen sollte, klang der deutliche Wunsch durch, die Seehofer-Fraktion möge sich durch­setzen und die Flücht­linge gestoppt werden. Auch wenn selbst­ver­ständ­lich keine/r das so sagte. Ich erinnere mich an eine Kollegin, die mir in der Mittags­pause von einem Albtraum berich­tete : Sie stand vor ihrem Büro auf dem Flur inmitten einer Menschen­menge, alle waren Geflüch­tete. Sie versuchte, sich durch die Menge zu den Toilet­ten­räumen durch­zu­drängen und wurde auf Arabisch – in ihrem Traum verstand sie Arabisch – angeschrien, dass sie doch jetzt nicht gehen könne ; die Leuten warteten schließ­lich alle darauf, dass sie Zeit für sie haben würde !

Am schlimmsten aller­dings erging es den Kolle­gInnen, die versu­chen mussten, „das Ehrenamt“ zu koordi­nieren : Das Telefon stand keine Minute still, jede zweite Rentnerin wollte helfen und am besten sofort „ihren“ Flücht­ling vermit­telt bekommen, dem sie Deutsch­un­ter­richt geben und den sie auf Ämter begleiten konnte. Tausende wollten plötz­lich etwas für Flücht­linge machen ; einige waren neidisch auf ihre Nachbarn, die „ihren Flücht­ling“ schon kennen­ge­lernt hatten, und wurden wütend, wenn sich in den nächsten zwei Tagen keine Aufgabe bei der Kleider­aus­gabe etc. für sie finden ließ. Manche verhin­derte „Ehren­amt­le­rinnen“ wurden so wütend, dass sie zornige Leser­briefe an die Lokal­presse schickten, weil die Kolle­ginnen von den Wohlfahrts­ver­bänden ihnen keine Aufgabe in der „Flücht­lings­hilfe“ gaben, obwohl sie sich schon vor zwei Wochen in eine Liste einge­tragen hatten. Oft half auch kein gutes Zureden, dass ihre Hilfe sicher auch noch in einigen Monaten gebraucht und willkommen sein würde. Was die Sicher­heit der Flücht­linge anbelangte, war ich bei manchen der „Ehren­amt­le­rinnen“ besorgter als im Hinblick auf Nazis oder Salafisten – und damit war ich nicht allein.

Von außen, von Flücht­lings­selbst­or­ga­ni­sa­tionen undra­di­kalen Linken wurde – oft zu Recht – massiver Pater­na­lismus bei den, finan­ziell oft gutge­stellten bürger­li­chen „Ehren­amt­le­rInnen“ kriti­siert. Was ein Grund dafür war, dass viele Linke sich von vornherein von Unter­stüt­zungs-Initia­tiven fernhielten. Eine Abwehr­hal­tung, die ich bis heute für einen fatalen Fehler halte.

Trotzdem bleibt festzu­halten, dass ohne das ernst­hafte und konti­nu­ier­liche Engage­ment von vielen großar­tigen „Helfe­rInnen“ das Ankommen für die Geflüch­teten deutlich unange­nehmer gewesen wäre, als es das schon war. Die Aufnah­me­be­din­gungen in einer Turnhalle waren für einige Leute, die dringend Ruhe und Privat­sphäre gebraucht hätten, schwer erträg­lich bis unzumutbar. Ich habe das nie abgestritten und konnte jedem Recht geben, der sich beschwerte. Als Aktivistin, die auf zahllosen Anti-Lager-Demos mitge­laufen ist und die nicht wenige dieser entsetz­li­chen Isola­ti­ons­lager von innen gesehen und auch einige Geflüch­tete kennen­ge­lernt hat, die über Jahre in Lagern gelebt und daran psychisch wie geistig zerbro­chen sind, konnte ich den Ärger und die Verzweif­lung bestens nachvoll­ziehen. Zumal unklar war, wie lange die untrag­bare Situa­tion in der Turnhalle andauern würde.

Es wurde viel und zurecht kriti­siert, dass die steigende Zahl von Asylsu­chenden absehbar gewesen war, dass man die Aufnah­me­struk­turen früher hätte ausbauen müssen, dass das Chaos vermeidbar gewesen wäre, wenn zum richtigen Zeitpunkt ein wenig politi­scher Realismus vorhanden gewesen wäre. Doch nun war Herbst 2015, und die Lage war wie sie war. Zu dem Zeitpunkt war auch klar, dass die Unter­brin­gung in Notun­ter­künften wohl nur durch Konfis­zie­rung von Wohnraum abzuwenden gewesen wäre. Hiervon wurde aus politi­schen Gründen abgesehen.

Immerhin, die Leute waren da und besser unter­ge­bracht als in Griechen­land, den Balkan­staaten und Ungarn, und alles andere würde sich hoffent­lich regeln lassen. Die Grenzen waren glück­li­cher­weise noch immer durch­lässig und die staat­liche Kontrolle über die Migra­ti­ons­be­we­gung noch nicht wieder herge­stellt.

Für mich war dieser staat­liche Kontroll­ver­lust ein tägli­cher Grund zu feiern, auch wenn ich selbst über Wochen hinweg keinen freien Tag hatte und an manchen Tagen dreizehn Stunden ohne Pause arbei­tete : Ich wollte, dass es so bleibe. Und ich wusste doch, dass die Hardliner in den Bundes­be­hörden und Minis­te­rien schon längst daran arbei­teten, die „recht­lose Situa­tion“ (O-Ton Horst Seehofer) die es so vielen ermög­lichte, ihr Recht auf Schutz in Deutsch­land zu reali­sieren, möglichst bald zu beenden.

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Bericht aus dem NoBorder-Camp in Thessaloniki

Inter­view mit der w2wtal-Aktivistin Judith. Sie war im Juli im NoBorder-Camp im griechi­schen Thessa­lo­niki. Das NoBorder-Camp, für das die Uni in Thessa­lo­niki besetzt wurde, war als trans­na­tio­naler Aufbruch gegen die „Festung Europa“ gedacht. Es sollte Aktivis­tInnen aus vielen Ländern und Geflüch­tete zusam­men­bringen.

Inter­view übernommen von w2wtal.

***

Judith, du bist im No Border Camp in Thessa­lo­niki gewesen, wie war es ?

Über die zehn Tage verteilt waren viele Leute da, um die 1.500. Das ist ja immer ein Kommen und Gehen. Anfangs dachte ich, dass es ein eher deutsches Camp wird, doch dann kamen immer mehr Leute aus verschie­denen Ländern des Balkan und am Montag kam die große Karawane aus Spanien mit mehreren hundert Leuten, die mit Bussen angereist sind. Die hatten unter­wegs noch einige Aktionen gemacht und kamen dann am vierten Camp-Tag in Thessa­lo­niki an. Dann wurde es tatsäch­lich ein richtig inter­na­tio­nales Camp.

Wo war das Camp unter­ge­bracht ?

Auf dem Campus der Uni in Thessa­lo­niki, eigent­lich mitten in der Stadt.

Gab’s Trouble mit den Cops ?

Erstaun­lich wenig. Es ist tatsäch­lich so, dass die den Campus nicht betreten. Deren Arbeit machen eher die dort anwesenden Drogen­dealer, die oft als Spitzel für die Cops arbeiten, wie uns die griechi­schen Genos­sinnen erzählt haben. Die haben auch oft versucht, ins Camp zu kommen und auch an Workshops teilzu­nehmen. Das wurde aber nicht zugelassen.

Waren auch Refugees im Camp ?

Nachher waren es ziemlich viele. Darum wurde sich sehr bemüht, es wurde z.B. ein Shuttle mit PKWs einge­richtet, damit die Geflüch­teten aus den elf Lagern, die um Thessa­lo­niki herum existieren, ins Camp kommen konnten. So waren nach zwei, drei Tagen viele Menschen aus Syrien, Pakistan oder Afgha­ni­stan dabei. Die haben dann vom Leben in den Lagern berichtet, Wandzei­tungen erstellt und es gab auch mehrere Veran­stal­tungen zu Migran­tinnen-Selbst­or­ga­ni­sa­tion.

Gab es von den Refugees Einschät­zungen zur Gesamt­lage, nachdem die Grenzen in Europa geschlossen wurden ?

Die, mit denen ich redete, haben alle gesagt, wir müssen uns jetzt selbst organi­sieren. Inter­es­sant war auch die Perspek­tive der griechi­schen Genossen, bzw. der Refugees, die schon länger in Griechen­land leben. Die sehen natür­lich, das sich die Geflüch­teten vor allem jetzt eine Basis, z.B. ökono­misch, aufbauen müssen oder unbedingt Wohnraum brauchen.

Vom griechi­schen Staat gibt es da nichts ? Wohnungen z.B.?

Nee, die Unter­brin­gung erfogt rein privat, u.a. in Squats, in die Geflüch­tete einziehen. Auch während des Camps wurde in Thessa­lo­niki ein Haus besetzt*. Es sind ziemlich viele Häuser besetzt – in Athen z.B. das City Plaza Hotel, das « beste Hotel der Welt », wo mehrere hundert Leute leben. Von denen gab es auch nen Workshop während des No Border Camps.

Von der Hausbe­set­zung und auch von der Beset­zung der Fernseh­sta­tion zu Beginn haben wir auch hier etwas mitbe­kommen, was ist an Aktionen rund ums Camp noch so gelaufen ?

Es gab ein « Go-In » in der IOM (eine inter­na­tio­nale Migra­tions Organi­sa­tion), da sind u.a. ein paar Computer und Akten aus dem Fenster geflogen. Genaues kann ich dazu nicht sagen, ich weiß nur, dass die IOM reich­lich verhasst ist, weil die an Abschie­bungen bzw. an « freiwil­ligen Rückfüh­rungen » betei­ligt ist.

Ansonsten gab es Demos und Besuche von Camps – zu einem Besuch eines Camps in Oreokastro hast du ja auch einen Bericht verfasst…

Da gab es mehrere. Da wurden Busse gechar­tert, da sind dann Leute aus dem Camp hinge­fahren, einmal um die Situa­tion zu erfahren, aber auch um z.B. die Campzei­tung, die auf griechisch, englisch und arabisch erschienen ist, zu den Geflüch­teten in die Camps zu bringen. Die sollten ja auch auf das Camp aufmerksam gemacht und zur Betei­li­gung einge­laden werden. Das haben dann auch einige wirklich wahrge­nommen und sich betei­ligt. Deswegen waren so ab Montag eben auch recht viele Refugees im Camp : Familien, Frauen und vor allem viele Kinder. Sehr viele Kinder.

Die Demos haben in Thessa­lo­niki statt­ge­funden ?

Ja. Es gab aller­dings auch mehrere Demos an den beiden Abschie­be­knästen und dann gab es natür­lich die größere Aktion an der türkisch-griechi­schen Grenze am Samstag, wo es auch zu kleineren Riots gekommen ist. Da war ich aller­dings selber nicht dabei, deswegen kann ich dazu nicht viel erzählen.

Wie fällt insge­samt deine Einschät­zung zum Camp aus ? Was war für dich in den zehn Tagen das Positivste ?

Für mich war das Wertvollste sicher, die Aktivis­tinnen aus verschie­denen Ländern kennen­zu­lernen, und Kontakte zu Ansprech­per­sonen herzu­stellen. In einem Workshop ging es zum Beispiel um Dublin und für mich war es wichtig, Leute kennen­zu­lernen aus Ländern in die Menschen aus Deutsch­land hin abgeschoben werden, z.B. aus Bulga­rien. Von denen konnte ich mal wirklich erfahren, wie die Situa­tion der Abgescho­benen tatsäch­lich ist. In Bulga­rien werden die abgescho­benen Menschen z.B. erstmal direkt inhaf­tiert.

Auf welcher Basis werden die dort inhaf­tiert ?

Das entspricht eigent­lich nicht den EU-Aufnah­me­richt­li­nien, aber das passiert einfach. Deswegen sind diese Erste-Hand-Infos aus diesen Ländern z.B. für hier tätige Rechts­an­wälte auch so wertvoll, weil die sich in den Verfahren norma­ler­weise nur auf oft geschönte offizi­elle Angaben stützen können. Deswegen gab es zuletzt eine Delega­tion von Rechts­an­wäl­tinnen nach Tsche­chien. Das kann natür­lich nicht konti­nu­ier­lich geschehen. Wenn es nun Kontakte zu vor Ort existie­renden Struk­turen gibt, ist das hilfreich.

Konntest du mit Menschen aus Polen oder Ungarn reden ? Wie lebt es sich für Aktivis­tinnen in den Visegrad-Staaten ? Haben die was erzählt ?

Die Genos­sinnen aus Bulga­rien sind z.B. in einer echt beschis­senen Lage, das sind insge­samt nur sehr wenige – deutlich weniger als z.B. in einer deutschen Großstadt. Und die Freunde aus Sofia sagen, dass es ungeheuer wichtig wäre, mehr Kontakte zu den Grenzen zu haben, wo Geflüch­tete regel­mäßig von Milizen gejagt und zusam­men­ge­schlagen werden. Und zumin­dest in Sofia würde z.B. ein Soziales Zentrum als Anlauf­punkt dringend benötigt. Im Augen­blick sind sie aber zu wenige, um soetwas durch­zu­setzen. Am liebsten hätten sie deshalb auch Support aus anderen Ländern, von Menschen, die sich vorstellen können, mal nach Sofia zu gehen und dort gemeinsam etwas aufzu­bauen.

Anfang des Jahres habe ich ja die Diskus­sionen inner­halb der radikalen Linken verfolgt, als es darum ging, ein solches Camp aufzu­ziehen. Damals haben viele ein solches inter­na­tio­nales Treffen ja noch als wichtigen Punkt in der gesamten Ausein­an­der­set­zung um eine « Festung Europa » angesehen. Seitdem haben sich die Dinge ja ungeheuer beschleu­nigt und verän­dert – ist für dich von dem Camp irgend­eine Form von « Aufbruch » gegen die Etablie­rung des Grenz­re­gimes ausge­gangen ? War es der Anfang einer « Gegen­of­fen­sive » gegen den Rollback ?

Ich wünschte, ich könnte das sagen. Aber in Griechen­land wurde z.B. durch das Ende der realen Bewegung – also der Migra­tion – auch die Dynamik gestoppt. Da ist zur Zeit auch nicht wirklich dran zu rütteln. Es kommen zwar immer mal wieder Leute durch – aber nur mit viel Geld z.B. Vielleicht wäre Italien dafür der geeig­ne­tere Ort gewesen… Über Leute vom Alarm­phone habe ich mitbe­kommen, dass an einem Tag alleine 1.800 Leute in Italien angekommen sind. Dort wird derzeit auch eher die Dynamik der Migra­ti­ons­be­we­gung sein. In Griechen­land ist das alles etwas zum Erliegen gekommen und konzen­triert sich derzeit auf den recht­li­chen Weg der Famili­en­zu­sam­men­füh­rung z.B.

Hast du also im Camp eine ähnliche Frustra­tion wieder­ge­funden, wie sie derzeit viele Menschen aus politisch arbei­tenden Initia­tiven hier haben ?

Die totale Stagna­tion drückt natür­lich auf die Stimmung. Es gibt nicht wirklich das Gefühl, auf der politi­schen Ebene etwas bewegen zu können. Viele konzen­trieren sich momentan eher auf die recht­li­chen Ebenen : Etwa Dublin-Verfahren, Famili­en­zu­sam­men­füh­rung usw. Viele, etwa in Griechen­land, befinden sich ja auch selber in teilweise existen­zi­ellen Krisen. Denen gehen inzwi­schen die Resourcen aus – die Spenden­auf­rufe für Spiel­zeug für Kinder in den Camps sind absolut ernst­ge­meint.

Die zehn Tage waren außer­halb des Camps ja auch ereig­nis­reiche Tage. Da war Nizza, oder der versuchte Putsch in der Türkei. Habt ihr im Camp davon etwas mitbe­kommen ? Hatte das einen Impact für die Thematik des Camps ?

Die Anschläge eher nicht, aber der Putsch­ver­such in der Türkei ganz massiv. Die Beendi­gung des EU-Türkei-Deals war ja ohnehin ein zentrales Anliegen des Camps. Aber auch die Forde­rung nach sicheren Korri­doren wurde mit den Ereig­nissen in der Türkei noch dring­li­cher. Es gab eine größere Gruppe von Genos­sinnen aus der Türkei im Camp, und von denen haben sich noch in der Zeit des Camps viele überlegt, ob sie überhaupt noch in die Türkei zurück­kehren sollen. Die haben dann auch einen Protstmarsch zur türki­schen Botschaft in Thessa­lo­niki organi­siert.

Haben die etwas geäußert, was wir hier in der aktuellen Lage tun könnten ?

Manche haben vielleicht noch die Illusion, wir hätten viel Einfluss auf unsere Politi­ke­rinnen. Die wünschen sich, dass wir Druck auf die europäi­schen Regie­rungen machen, Erdogan zu kriti­sieren und den EU-Türkei-Deal zu kippen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Türkei weder ein sicheres Dritt- noch ein sicheres Herkunfts­land ist. Es werden jetzt mit Sicher­heit wieder viele türki­sche Flüch­tende kommen. Einige befinden sich ja bereits in Europa.

Unterm Strich bist du mit deiner Entschei­dung, nach Thessa­lo­niki zu fahren, aber insge­samt zufrieden ?

Ja, vor allem wegen der Kontakte und weil mich das trans­na­tio­nale Netzwerk von Aktivis­tinnen schon auch sehr beein­druckt hat.

Würdest du dir wünschen, dass eine Gruppe wie welcome2wuppertal in Zukunft wieder etwas über den Talkessel hinaus­schaut und sich trans­na­tional noch besser vernetzt ?

Da würde ich mich total drüber freuen, insbe­son­dere, wenn sich Menschen betei­ligen würden, die die erfor­der­li­chen Sprach­kennt­nisse haben. Es gibt so tolle Projekte überall – z.B. das Alarm­phone, wo jeden Tag Menschen­leben gerettet werden. Da braucht es dringend Überset­zungen von Berichten oder sogar am Telefon der Seenot­ret­tung selber. Auf dem Balkan soll jetzt eine ähnliche Struktur ausge­baut werden, weil auch entlang der Route immer wieder Menschen­rechts­ver­let­zungen vorkommen. Da soll es in Zukunft auch eine Vernet­zung geben, für die noch dringend Support gesucht wird. Dafür braucht es noch Leute die spezi­elle Kennt­nisse haben und die Sprachen können. Wenn sich da Leute einbringen wollen, können die sich über die Kontakte, die z.B. bei Welcome to Europe (w2eu​.info) gelistet sind, einfach melden.

Danke.

* Am Tag nach dem Inter­view (27.7.) wurde bekannt, dass die griechi­sche Polizei drei teilweise bereits seit mehreren Monaten bestehende Squats geräumt hat. Die dort lebenden Refugees wurden in ohnehin bereits überfüllten Isolie­rungs­lager gebracht. Betroffen ist auch das im Inter­view erwähnte, während des Camps besetzte Hauspro­jekt. Dass die nominell linke Syriza-Regie­rung unmit­telbar im Nachgang des in der griechi­schen Presse heftig skanda­li­sierten No Border Camps zu Repres­sionen und Räumungen greift, verdeut­licht die verzwei­felte Lage der geflüch­teten Menschen in Griechen­land.

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