Am „Tag X“ unsere Solidarität auf die Straße tragen !

Sechs Wochen Mobili­sie­rung, Infor­ma­tion, Film und Diskus­sion zum NSU-Komplex, Solingen 1993 und dem beide Themen verbin­denden rassis­ti­schen Normal­zu­stand liegen hinter uns. Und nach dem Jahrestag zum mörde­ri­schen Brand­an­schlag von Neonazis auf das Solinger Wohnhaus steht jetzt auch der zweite Termin bevor. Es dauert nicht mehr lange bis zur Urteils­ver­kün­dung im Prozess gegen einen Teil des „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unter­grunds“ in München. Dem Aufruf der Kampagne „Kein Schluss­strich!“ folgend, organi­sieren wir für den Tag der Urteils­ver­kün­dung eine Fahrt nach München um an der geplanten Demo teilzu­nehmen.

Was schon vorher klar war, wurde durch Schil­de­rungen von Opfer­an­ge­hö­rigen, Prozessbeobachter*innen und Rechts­an­wälten mit jeder Veran­stal­tung unserer Koope­ra­ti­ons­reihe „Kein Schluss­strich für Opfer und Zivil­ge­sell­schaft“ klarer : Am Tag des Urteils gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, André Eminger und die beiden anderen Angeklagten ist es unsere Aufgabe, unsere Solida­rität mit den „Überle­benden des NSU“ (Neben­kla­ge­an­walt Mehmet Daima­güler), den Angehö­rigen der Opfer und all denen zu zeigen, die von Rassismus und rassis­ti­scher Gewalt in Deutsch­land betroffen sind. Das durch den Prozess als falsch entlarvte Verspre­chen einer lücken­losen Aufklä­rung, die Ermitt­lungen, bei der die Opfer zu Tätern gemacht werden sollten und das Desin­ter­esse der Öffent­lich­keit für die Betrof­fenen machen die Demons­tra­tion unserer Solida­rität zum Geringsten was wir tun können.

Wann wird das Urteil gespro­chen ?

In dieser Woche begannen die Plädoyers der ursprüng­li­chen Vertei­diger von Beate Zschäpe. Die drei Anwält*innen mit den „sprechenden Namen“, Herr, Stahl und Sturm, haben angekün­digt, dafür eine ganze Prozess­woche zu benötigen. Im Anschluss haben die Angeklagten das Recht auf eine letzte Bemer­kung. Danach stehen dem Straf­senat am OLG München unter dem Vorsit­zenden Richter Manfred Götzl theore­tisch sechs Wochen Zeit zur Verfü­gung, zu einem Urteil zu kommen. Niemand erwartet aber, dass das Gericht diese Zeit in Anspruch nimmt. Abhängig von der Frage, ob der Senat möglichst allen Nebenklagevertreter*innen die Gelegen­heit geben möchte, an der Urteils­ver­kün­dung teilzu­nehmen, ist der Beginn der Urteils­ver­kün­dung wahrschein­lich für einen Dienstag Mitte oder Ende Juni bzw. Anfang oder Mitte Juli zu erwarten. Frühest­mög­li­cher Termin wäre Dienstag, der 19.06. Ab diesem Zeitpunkt kann es jedoch auch jeder der folgenden Diens­tage sein, also der 26.06., der 03.07. oder auch der 10.07.

Wie fahren wir nach München ?

Der Bus aus dem Tal wird am Voraband der Urteils­ver­kün­dung so gegen 21 Uhr losfahren, um etwa neun Stunden später in den frühen Morgen­stunden recht­zeitig zur Demoteil­nahme in München anzukommen. Die Rückfahrt nach Wuppertal soll am gleichen Tag statt­finden, sodass alle Diens­tag­nacht wieder zurück sind. Es fallen Reise­kosten von ca. 30 Euro pro Person an. Wenn das für irgendwen ein Hindernis darstellt, kann darüber natür­lich geredet werden.

Wer mitfahren möchte, sollte sich verbind­lich per E-Mail an so_ko_wuppertal [at] subver​ti​sing​.org bis Mittwoch den 13.06 anmelden (bis Montag, 18.06. verlän­gert!). Bitte teilt uns mit, ob ihr an allen genannten Terminen oder nur an einem oder zwei Terminen könnt. Denkt daran, dass es sehr schnell gehen wird, sobald feststeht, wann der „Tag X“ tatsäch­lich ist. Verschie­bungen sind jeder­zeit möglich. Wir benötigen deshalb unbedingt eine funktio­nie­rende Antwort­adresse von euch. (Mehr zu unserer „Tag X“-Kampagne)

Und in Wuppertal ?

Für alle, die nicht mit nach München zur Demo fahren können, regen wir an, den vielen dezen­tralen Aktivi­täten die bundes­weit statt­finden, eine eigene lokale Aktion hinzu­zu­fügen. Für Berlin, Dortmund, Kiel, Leipzig oder Rostock sind jeweils Demons­tra­tionen am „Tag X“ angekün­digt, in anderen Städten z.B. in Göttingen, Freiburg oder Hamburg, wird zu Kundge­bungen oder Demos für den Samstag nach der Urteils­ver­kün­dung aufge­rufen. (Übersicht der bisher geplanten Aktivi­täten). Auch für Wuppertal können wir uns eine Aktion am Samstag nach der Urteils­ver­kün­dung statt­finden. Das würde auch jenen die nach München fahren, die Möglich­keit geben, teilzu­nehmen. Gründe für unseren Zorn auf den rassis­ti­schen Normal­zu­stand in Behörden und Gesell­schaft gibt es auch hier genug.

Auch in Wuppertal häufen sich die Berichte zu gezielt rassis­ti­schen Polizei­kon­trollen in migran­tisch bewohnten Vierteln, und „neue Rechte“ und Nazis versu­chen auch in Wuppertal Stimmung gegen Migran­tinnen und Migranten zu machen – z.B. am 16. Juni, wenn die militanten Nazis der Minipartei „Die Rechte“ ausge­rechnet am Tag des Ölberg­festes einen Marsch von Barmen nach Elber­feld planen. Und schließ­lich ist es auch in Wuppertal nicht bei rassis­ti­scher Hetze geblieben.

Rassis­ti­scher Mordver­such durch Nazis in Wuppertal

Wir erinnern an den rassis­ti­schen Mordver­such an einem 53-jährigen Besucher des Autonomen Zentrums mit türki­schen Migra­ti­ons­hin­ter­gund in der Nacht vom 11. auf den 12.4.2015 durch Nazis. Wir erinnern daran, dass die katastro­phalen Mecha­nismen der Ermitt­lungs- und Öffent­lich­keits­ar­beit der Behörden, die während des NSU-Verfah­rens zu Tage traten, im Umgang mit dem Mordver­such am AZ Wuppertal eine nahtlose Fortset­zung fanden. So wurden Ersthelfer und Freund*innen des Opfers von der Polizei zunächst beschul­digt, die Rettungs­sa­ni­täter an der Arbeit behin­dert und die Polizei am Tatort angegriffen zu haben. Die Vorwürfe, die von der Lokal­presse zunächst ungeprüft übernommen wurden, erwiesen sich während des Verfah­rens gegen die drei Täter später als haltlos. Auch in Wuppertal war die Ermitt­lungs­ar­beit zu den Tätern zunächst von vielen Ungereimt­heiten und Zufällen geprägt und ein politi­sches Motiv des Mordver­suchs wurde so lange es ging relati­viert. Die Verstri­ckungen der Täter in aktive und militante Nazistruk­turen aufzu­klären, blieb – wieder einmal - der Antifa überlassen. (Zum Nachlesen : Antifa­schis­ti­sche Kampagne Wuppertal 2015)

Auch der Umgang mit dem Opfer reiht sich bis heute in die mehrheits­ge­sell­schaft­liche Ignoranz gegen­über von rassis­ti­scher Gewalt Betrof­fenen ein. Der am AZ schwer verletzte Mann, der nach der Tat für Wochen im künst­li­chen Koma lag, leidet bis jetzt unter seinen erlit­tenen Verlet­zungen und kann seinen Beruf nicht weiter ausüben. Für die lokale Monopol­zei­tung „Westdeut­sche Zeitung“ und auch für die Stadt­spitze ist sein Fall jedoch keine Erwäh­nung wert. Auch dann nicht, wenn es um die Beschäf­ti­gung mit Nazige­walt und deren gesell­schaft­li­cher Aufar­bei­tung geht.

Das Opfer ist der Mehrheits­ge­sell­schaft keine Erwäh­nung wert

So wurde bespiels­weise für das Grußwort des Oberbür­ger­meis­ters Andreas Mucke bei der Eröff­nung der Ausstel­lung „Die Opfer des NSU und die Aufar­bei­tung der Verbre­chen“ nach einem Wupper­taler Bezug zur NSU-Mordserie gesucht ; der vor dem Autonomen Zentrums fast ermor­dete 53-Jährige fand trotz entspre­chender Erinne­rung an die Tat jedoch keine Erwäh­nung in Muckes Ansprache. Auch die „Westdeut­sche Zeitung“ schwieg über den Beinahe-Mord durch Nazi-Hooli­gans, als sie am 8. Mai über die Ausstel­lung im Barmer Rathaus berich­tete, obwohl sich der Artikel lobend über die Ausstel­lung äußert, weil „Die Opfer (…) im Mittel­punkt der Ausstel­lung [stehen].“ Dass der Wider­spruch, den Fokus der Ausstel­lung auf die Opfer des NSU zu loben und gleich­zeitig das Wupper­taler Opfer eines rassis­ti­schen Mordver­suchs zu „vergessen“, in der WZ-Redak­tion anschei­nend niemanden auffiel, zeigt vielleicht deutli­cher als alles andere, dass auch für Wuppertal festge­stellt werden muss, was im Münchener Aufruf der Kampagne „Kein Schluss­strich!“ formu­liert wird :

Rassismus ist ein gesell­schaft­li­ches Problem. Und das gilt wortwört­lich : Diese Gesell­schaft hat ein Rassis­mus­pro­blem, und zwar ein gewal­tiges. Rassismus wird dabei fälsch­li­cher­weise oft nur bei klassi­schen Neonazis verortet. Ebenso findet sich Rassismus auch jenseits der sogenannten neuen Rechten, die sich hinter den Bannern von AfD, Pegida und Konsorten versam­meln. Rassismus findet sich in Ämter- und Behör­den­praxis, Polizei­ar­beit, der Art wie gesell­schaft­liche Ressourcen und Teilhabe verteilt werden. Rassismus findet sich in markt­schreie­ri­schen Wahlkampf­auf­tritten wie auch in subtil und vornehm formu­lierten Leitar­ti­keln. Rassismus zieht sich durch die ganze Gesell­schaft. Lasst uns in den Wochen bis zur Urteils­ver­kün­dung in München gemeinsam darüber beraten, wie ein Wupper­taler Beitrag zu den dezen­tralen Aktionen zum „Tag X“ aussehen kann, mit dem wir auch in unserer Stadt von rassis­ti­scher Gewalt Bedrohten zeigen, dass sie sich nicht alleine wehren müssen.

Was immer dabei heraus­kommt : Wir sehen uns auf der Straße – in München oder Wuppertal !


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Fast vierzig Prozent Zugewinn – und nun ?

Eine lokale Analyse und Betrach­tung für Wuppertal zur Bundes­tags­wahl am 24.September von der Website „Politik in der Rechts­kurve“.

Wuppertal liegt voll im westdeut­schen Trend der Ergeb­nisse zur Bundes­tags­wahl vom 24. September. Die rechte AfD kann in Wuppertal die Anzahl ihrer Stimmen in nur vier Monaten verdop­peln. Auch die LINKE legt zu, „Wohlfühl­kieze“ bleiben stabil, sind aber nicht immun gegen rechte Zugewinne. Die Ost-West-Diffe­renz in der Stadt ist verfes­tigt.

Das Ergebnis der AfD in Wuppertal liegt mit 10,8% ziemlich exakt auf dem Niveau der Ergeb­nisse für die Partei in Westdeutsch­land (10,7%), aber über dem Ergebnis in NRW (9,4%), (im Osten Deutsch­lands wählten 21,7% die AfD). In NRW gehört Wuppertal neben vielen Ruhrge­biets­städten damit zum oberen Mittel­feld der rechten Ergeb­nisse. Deutlich besser schnitt die AfD ledig­lich im Norden des Ruhrge­biets ab (in Essen II 15%, in Duisburg II 15,4%, in Gelsen­kir­chen 17%). In Münster (4,9%), Köln (5%-8%) und in Düssel­dorf I (7,9%) bekam die AfD hingegen unter­durch­schnitt­lich wenige Stimmen. Angesichts eines eher wenig präsenten AfD-Wahlkampfs in der Stadt ist es ernüch­ternd, dass sich Wuppertal in den Gesamt­trend der Wahl einreiht. Im Gegen­satz zu anderen Städten ist es hier nicht gelungen, den Trend zu rechter Politik zu brechen. Und es wird nicht einfa­cher werden. Nach dieser Wahl muss einkal­ku­liert werden, dass die AfD auch im lokalen Umfeld zukünftig deutlich präsenter sein wird. Von den etwa 400 Mio. Euro, die ihr durch Parla­ments­zu­ge­hö­rig­keiten in den nächsten vier Jahren zufallen, wird ganz sicher auch ein Teil nach Wuppertal fließen.

Nach der Landtags­wahl im Mai konsta­tierten wir „13.574 Wupper­ta­le­rInnen wählen rechts“. Das waren verdammt viele, doch die Zahl ist seit dem Mai nochmals deutlich größer geworden. Bei der Bundes­tags­wahl am 24.September machten 20.645 Menschen ihr Kreuz bei einer der rechten Parteien. Alleine auf die AfD entfielen 18.931 Stimmen. Im Vergleich zu den 12.586 Stimmen bei der Landtags­wahl sind das 50% mehr. Auch wenn die höhere Wahlbe­tei­li­gung bei der Bundes­tags­wahl berück­sich­tigt wird, ist das eine Steige­rung um 37,8% – geht man davon aus, dass die Wahlan­teile gleich­blei­bend verteilt worden wären. (Im Landes­schnitt von NRW hat die AfD nach dieser Berech­nung ebenfalls 38% Stimmen im Vergleich zur Landtags­wahl hinzu­ge­wonnen.) Diese Steige­rung um fast 40% in nur vier Monaten ist besorg­nis­er­re­gend und löst Fragen nach der Ursache aus. Handelt es sich um einen bundes­po­li­ti­schen Effekt, oder ist die eindeutig rechts positio­nierte Bundes-AfD wählbarer, als die sich unter Markus Pretzell gemäßigter gebende Landes-AfD ? Dagegen spricht das eher stabile, jedoch margi­nale NPD-Ergebnis, die nach 567 Stimmen im Mai immer noch von 423 Nazis in Wuppertal gewählt wurde.

AfD kann überall dazuge­winnen

Bei Betrach­tung der Wupper­taler Einzel­er­geb­nisse fällt zunächst auf, dass die AfD in allen Wahlbe­zirken, also in allen Milieus und allen Lagen, in ähnli­cher Weise dazu gewinnen konnte. Negativ inter­pre­tiert bedeutet das, dass auch Viertel mit noch im Mai sehr schlechten Ergeb­nissen für die Partei nicht immun gegen den Rechts­ruck sind. Positiv betrachtet, flacht sich die Kurve der Zugewinne in den bisher als AfD-Hochburgen geltenden Wahlbe­zirken zuneh­mend ab. Ergeb­nisse von mehr als 20% bleiben die Ausnahme (ihr bestes Ergebnis erzielte die AfD mit 24,76% in Ronsdorf-Ost, Wahlbe­zirk 210, 52 Stimmen). Dabei gibt es einzelne Ausreißer, bei denen sich ein genauerer Blick auf die Bedin­gungen lohnen würde. Im Wahlbe­zirk 114 (Steinweg, Barmen 86 Stimmen) ist es der Partei gelungen, mit 22, 75% vor der SPD stärkste Partei zu werden, die hier noch bei der Landtags­wahl fast doppelt soviele Stimmen wie die AfD bekam. (SPD Landtags­wahl : 32,12%; Bundes­tags­wahl : 22,49%)

Auffällig ist die nach wie vor geringe Wahlbe­tei­li­gung in jenen Wahlbe­zirken, in denen die AfD beson­ders gute Ergeb­nisse erzielen konnte. Vielfach liegt dort die Betei­li­gung an der Wahl nach wie vor unter 50%. Ebenso auffällig ist die nach wie vor bestehende Ost/West-Diffe­renz. Mit wenigen Ausnahmen wie Ronsdorf-Ost oder in Vohwinkel (ausge­rechnet im Wahlbe­zirk 88 am Elfen­hang) befinden sich alle Bezirke mit überpro­por­tional hohen AfD-Anteilen in Wupper­tals Osten ; in Barmen, Oberbarmen, Langer­feld und Hecking­hausen. Dass es nicht ein hoher Anteil an Bewoh­ne­rInnen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ist, der beispiels­weise für die Ergeb­nisse in Oberbarmen verant­wort­lich ist, zeigt das Beispiel der im Norden Elber­felds liegenden Gathe, die in Lokal­presse und von AfD-Hetzern oft als Hort des Bösen skanda­li­siert wird. Hier konnte die AfD nur 7,23% holen (42 Stimmen), weit hinter die LINKE, die an der Gathe zweit­stärkste Partei wurde (24,44%, 142 Stimmen).

Alle Einzeler­ge­nisse zeigen, dass die beiden großen Parteien SPD und CDU in ihren Hochburgen jeweils deutlich verloren haben. Doch während im Osten davon vor allem die AfD profi­tierte, war es in einigen Wahlbe­zirken des Elber­felder Nordens die LINKE. Sie konnte zum Beispiel im Wahlbe­zirk Schles­wiger Straße, im Herz des noch bei der Landtags­wahl zwischen rechts und links heftig umkämpften Bezirkes um den Platz der Republik, diesmal mit 24,44% stärkste Partei werden (152 Stimmen). Die AfD erhielt hier ledig­lich 40 Stimmen oder 6,43% (fast gleich­blei­bend zu Mai). In anderen Wahlbe­zirken am Opphof sieht das Wahler­gebnis nicht so gut aus. Auf der östli­chen Seite des Platz der Republik, am Engeln­berg, konnte die AfD die LINKE jetzt als dritte Kraft ablösen (AfD 13,38%, 84 Stimmen, die LINKE 11,62% 66 Stimmen). Die „andere Seite“ der Elber­felder Nordstadt bleibt also, bei konstant niedriger Betei­li­gung und teils katastro­phalen Ergeb­nissen für SPD und CDU,  ein umkämpftes Gebiet.

Der Ölberg bleibt nach wie vor Ort linker Hegemonie. Die LINKE konnte bei schon vorher guten Werten auch bei der Bundes­tags­wahl nochmals deutlich zulegen. Am Hombü­chel (29,67%, 214 Stimmen), in der Marien­straße (28,20%, 247 Stimmen) und auch in der Helmholtz­straße (26,37% 173 Stimmen) wurde sie stärkste Partei. Die AfD kam in diesen Bezirken auch diesmal nicht über die 5%, konnte aber dennoch überall an absoluten Stimmen rund 30% zulegen. Das sind im Vergleich zur Landtags­wahl im Mai jeweils zwischen sieben und zehn in der unmit­tel­baren Nachbar­schaft wohnende Wähle­rInnen mehr. Auch auf dem Ölberg gibt es Wahlbe­zirke mit größeren AfD-Zugewinnen. Sie konnte im Wahlbe­zirk 10 (das Gebiet Ekkehard­straße, Grüne­walder Berg und der untere Teil des Ölberges) zum Beispiel ihr Ergbnis von 2,91% auf 6,37% steigern. Gleich 18 Nachba­rInnen mehr als im Mai haben hier nun rassis­tisch gewählt, bei der Landtags­wahl waren es nur 13 gewesen.

Der Kampf gegen Rechts wird in den Vierteln geführt

Das macht deutlich, dass auch die Gegenden, in denen sowohl im Alltag als auch bei den Wahlen bislang kaum etwas vom Rechts­ruck der Gesell­schaft zu spüren gewesen ist, nicht immun dagegen sind. Es wäre ein Fehler zu glauben, die oft so genannten „Wohlfühl­kieze“ als dauer­haft gesichert gegen rassis­ti­sche Tendenzen anzusehen. Denn was bedeutet „Wohlfühl­kiez“ über (noch) beruhi­gende Wahler­geb­nisse hinaus ? Wenn die Wahlbe­zirke betrachtet werden, in denen die AfD eher wenig Zustim­mung findet, dann lässt sich häufig ein großes zivil­ge­sell­schaft­li­ches Engage­ment auch außer­halb der Wahlpe­ri­oden feststellen. Viele Initia­tiven und Inter­ven­tionen – nicht zuletzt auch linke – sind für ein Klima verant­wort­lich, in dem sich eine Kritik am Bestehenden eher konstruktiv artiku­liert. Diese Alltags­ar­beit jedoch ist im wahrsten Sinn des Wortes viel zu oft prekär – unhono­riert, freiwillig und sie wird sehr oft mit zu wenigen Aktiven geleistet. Kleine Änderungen der Lebens­um­stände der Betei­ligten oder der Umgebung können ausrei­chen, die Arbeit in den Kiezen einschlafen zu lassen.

Wenn Viertel, die über sehr hetero­gene Nachbar­schaften definiert werden, einen sozio-kultu­rellen Wandel durch­laufen – so, wie es anläss­lich der sehr spezi­ellen Wupper­taler Form von Gentri­fi­zie­rung gerade auf dem Ölberg passiert – besteht die Gefahr, dass zuvor gewach­sene linke Inter­ven­ti­ons­mög­lich­keiten margi­na­li­siert werden können, wenn nicht bewusst an ihnen weiter­ge­ar­beitet wird. Da kann die Schlie­ßung einzelner Lokale die als Orte des Austauschs dienten, schon reichen, wesent­lich an Einfluss zu verlieren. Dabei geht es nicht um Agita­tion sondern um perma­nenten Austausch mit den Nachba­rInnen. Es geht darum, ein Gesamt­klima zu schaffen, in dem rechte Entwick­lungen gar nicht Fuß fassen können. Angesichts von etwa 50% Nicht­wäh­le­rInnen auch auf dem Ölberg könnten auch dort Wahler­geb­nisse künftig überra­schend negativ ausfallen, wenn die Erwei­te­rung von Sagbar­keits­räumen und rechte Diskurs­ver­schie­bungen zugelassen werden. Ähnli­ches gilt für die Gegend um den Mirker Bahnhof und die Wiesen­straße.

Die nach der Landtags­wahl disku­tierte Alter­na­tive, besser in anderen, scheinbar schon „gekippten“ oder zumin­dest „umkämpften“ Vierteln zu inter­ve­nieren statt sich auf das eigene Quartier zu konzen­trieren, ist keine. Die eigenen Viertel dürfen nicht vernach­läs­sigt werden, so richtig es zweifellos ist, ein rechtes Überge­wicht auch in Hecking­hausen oder Ronsdorf nicht einfach hinzu­nehmen. Doch schon nach der Landtags­wahl stellte sich die Frage, wie das von der radikalen wie der parla­men­ta­ri­schen Linken gestemmt werden soll. Ohne die eigene Basis zu vergößern, wird das nicht funktio­nieren. Bevor Inter­ven­tionen außer­halb eigener Zonen erfolgen können, muss deshalb in Teilen ein Neuaufbau statt­finden. Es könnte sein, dass der „Schock“, den viele angesichts der Wahl dann doch empfunden haben, eine Reorga­ni­sa­tion auf breiterer Basis erleich­tert.

Doch bevor das passiert ist, stellt sich eine ganz andere Frage : Was ist eigent­lich mit den großen Parteien ? Auch wenn sie bundes­weit zur Zeit darum bemüht zu sein scheinen, die AfD rechts überholen zu wollen, ihre katastro­phalen Ergeb­nisse auf lokaler Ebene müssten auch sie eigent­lich motivieren, gegen­zu­steuern. Es geht ja auch um „ihre“ Viertel. Es kann nicht sein, dass Alltags­en­ga­ge­ment und „demokra­ti­sche Inter­ven­tion“ weiterhin an Antifa und Linke delegiert werden, die man ansonsten bekämpft. Mehr noch als in Sonntags­reden der Bundes­po­li­ti­ke­rInnen wird sich in den nächsten Jahren an der Präsenz in den Quartieren und Nachbar­schaften festma­chen lassen, ob die „demokra­ti­sche Mitte“ gewillt ist, dem Rechts­ruck etwas entge­gen­zu­setzen. Ein vierjähr­li­cher „Türklin­gel­wahl­kampf“ oder bei Straßen­festen feilge­bo­tene Bratwürste werden dafür aber nicht reichen – da müsste schon mehr kommen. Wenn sie sich perso­nell oder inhalt­lich nicht dazu in der Lage sehen, sollten sie zumin­dest dafür sorgen, dass in der Stadt mehr Mittel als bisher für gesell­schaft­liche Initia­tiven bereit gestellt werden.

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