Gemäß der weltweit vielfach bereits erprobten neoliberalen « Schocktherapie », mit der nach gesellschaftlichen Katastrophen im Rahmen einer « Katastrophenhilfe » und eines « Neuaufbaus » weitgehende Privatisierungen gesellschaftlicher Güter und die Demontage von sozialen und demokratischen Rechten durchgesetzt werden, wird nun auch im alten « Herz des Kapitalismus », in Europa, die sogenannte « Schuldenkrise » dazu genutzt, in den betroffenen Ländern vollendete, neoliberale Tatasachen zu schaffen. Wie schon in New Orleans nach dem Wirbelsturm « Kathrina », in Thailand nach dem Tsunami, in allen Ländern, die mit Krieg überzogen, oder schon sehr viel früher dem Schock eines Zusammenbruchs ihrer Ökonomien ausgesetzt wurden wie z.B. in Lateinamerika.
Einhergehend mit einem medialen Overkill an Desinformation werden Schulden der Städte, Länder und Staaten auf die Bevölkerungen abgeladen. Es wird so getan, als seien die Gesundheitsversorgung aller Menschen, das Recht auf angemessenes Wohnen oder die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen Ursache für kollabierende Finanzen der Kommunen oder zusammengebrochene Staatshaushalte, und nicht etwa die völlig unbegründet stetig weiter wachsenden Vermögen der Besitzenden und deren Weigerung, für die in langen Kämpfen in Europa durchgesetzten Rechte zu bezahlen.
Unter Führung der deutschen Bundesregierung wird die Entrechtung der Menschen mit einer unglaublichen Brutalität durchgesetzt. Eine Brutalität, die bislang nur aus dem menschenverachtenden Umgang mit den Bevölkerungen des Trikont bekannt gewesen ist. Doch der Trikont ist nun auch in « good old Europe » angekommen – die Situation der Menschen in Griechenland, Portugal, oder Spanien erinnert zunehmend an die Lage der Menschen in der dritten Welt.
Es ist an der Zeit, nun gemeinsamen Widerstand zu organisieren – ein von der österreichischen Zeitschrift « Falter » zusammengestellter Überblick zur Sitation in Europa lässt das Ausmaß des Angriffs auf unsere Rechte erahnen :
Spanien
Wer heute in Spanien überleben will, muss feilschen. Weil kaum einer noch Geld zur Verfügung hat, handeln die Menschen immer häufiger in Naturalien. Nirgendwo in Europa gibt es – zumindest offiziell – mehr Arbeitslose. 23,6 Prozent waren im März ohne Job, jeder zweite Jugendliche findet keinen Arbeitsplatz. (…) 25 Prozent aller Beschäftigten haben bloß befristete Arbeitsverträge. Die Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy von der Spanischen Volkspartei hat Langzeitarbeitslosen die staatliche Unterstützung gestrichen. 1,6 Millionen Arbeitslose kriegen derzeit vom Staat keinen einzigen Cent. Etwa eine Million Spanier können die Raten für ihre Wohnungskredite nicht mehr bezahlen.
Ein neues Arbeitsgesetzpaket sieht vor, dass befristete Verträge höchstens für zwei Jahre verlängert werden dürfen. Allerdings wird auch der restriktive Kündigungsschutz gelockert, die Abfertigungen werden gesenkt und die Geltung von Tarifverträgen wird eingeschränkt. (…) Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit möchte Rajoy „Minijobs“ für einen Lohn von 400 Euro im Monat einführen.
Außerdem herrscht ein eiserner Sparkurs : Alle Ministerien müssen ihre Budgets um 16,9 Prozent kürzen, die Filmindustrie verliert ein Drittel ihrer Fördergelder, auch staatliche Theater und Museen haben weniger Budget. Die Regierung will zur Sanierung der Finanzen auch 24 Staatsbetriebe verkaufen.
In den Provinzen ist das große Sparen besonders stark zu spüren. So mussten Anfang des Jahres 98 Frauenhäuser wegen mangelnder Finanzierung zusperren.
Griechenland
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Nirgendwo in Europa ist die Depression derart massiv zu spüren wie in Griechenland. In den vergangenen drei Jahren stieg die Selbstmordrate um mehr als 20 Prozent. Nicht nur die Armen sind von den Sparmaßnahmen der Regierung betroffen. Der gesamte Mittelstand droht zu verelenden.
Dreimal wurden seit 2011 die Pensionen gekürzt, zuletzt um 30 Prozent. In manchen Städten sammeln die Bürgermeister Lebensmittelkonserven, um sie an die Hungernden zu verteilen. Der Mindestlohn, der vor der Krise 876 Euro betrug, liegt heute bei 586 Euro, das Arbeitslosengeld sank von 461 auf 322 Euro und wird nur ein Jahr lang ausbezahlt. Danach muss jeder selbst schauen, wie er überlebt.
Selbst in der Privatwirtschaft hat die konservative Regierung unter Loukas Papademos, dem früheren Vizedirektor der Europäischen Zentralbank, einen Lohnstopp erlassen. Erst wenn die Arbeitslosigkeit von derzeit 21 auf zehn Prozent sinkt, dürfen die Löhne steigen. Das wird dauern, schließlich möchte die Regierung bis 2015 zumindest 150.000 Beamte des aufgeblähten Staatsapparates entlassen.
Das Finanzministerium kassiert mittlerweile die Steuern mit der Stromrechnung. Wer nicht zahlen kann, sitzt im Dunkeln. In der Hauptstadt Athen gibt es heute um 20 Prozent mehr Obdachlose als vor einem Jahr, die griechisch-orthodoxe Kirche verteilt in ihren Suppenküchen täglich 250.000 Gratismahlzeiten im ganzen Land. Weil immer häufiger unterernährte Kinder im Unterricht in Ohnmacht fielen, planen die Schulen, kostenlose Mittagessen auszugeben. Selbst ein Arztbesuch ist für viele Griechen mittlerweile ein Luxus. Vor den zwei Krankenhäusern von Ärzte ohne Grenzen in Athen, die eigentlich für illegale Bootsflüchtlinge gedacht waren, stellen sich jeden Tag bis zu 1500 Griechen an.
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Ungarn
Im Juni 2011 wollte die Gewerkschaft gegen die Pensionsreform streiken. Bis heute fehlt ihnen dazu die gerichtliche Erlaubnis. In Ungarn regiert nicht nur der Sparstift, die Alleinregierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán beschneidet auch elementare demokratische Rechte. Streiks sind seit kurzem nur gestattet, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich auf ein Mindestmaß an Leistungen einigen, die die Streikenden aufrechterhalten müssen. Gibt es keine Einigung, entscheidet das Arbeitsgericht. Darauf warten die ungarischen Gewerkschafter seit fast zehn Monaten.
(…) Gewerkschaften wurden weitgehend entmachtet, Arbeitslosengeld gibt es statt 270 nur mehr 90 Tage lang, und der Kündigungsschutz wurde gelockert. Proteste der Gewerkschaft verbot die Polizei mit der Begründung, die Kundgebungen würden den Straßenverkehr behindern.
Besonders hart trifft Orbáns Politik soziale Minderheiten : Wer obdachlos und ohne Meldeadresse ist, verliert auch seine Krankenversicherung. Wer als Obdachloser von der Polizei beim Schlafen auf der Straße erwischt wird, muss zwischen 340 und 550 Euro Strafe bezahlen. Hat er das Geld nicht, droht eine Gefängnisstrafe.
Irland
Die nationale Gasfirma, die Fluglinie Aer Lingus und andere Staatsbetriebe stehen auf der kürzlich präsentierten Privatisierungsliste der irischen Regierung. Auch das staatliche Forstunternehmen Coilette, das zehn Prozent der Landesfläche besitzt, soll zum Teil unter den Hammer. Drei Milliarden Euro erhofft sich die Regierung aus dem Paket, eine davon darf Irland in die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit investieren, der Rest fließt in den Schuldendienst.
Schon 2010 hat Irland das Sozialbudget um 2,8 Milliarden Euro gekürzt. Die Iren erhalten seitdem weniger Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und Kindergeld. Der öffentliche Dienst verlor 25.000 Stellen. Wer Staatsdiener bleiben durfte, bekommt erheblich weniger Lohn. Angestellten in Privatunternehmen geht es nicht viel besser : Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn sank um einen Euro auf 7,65 Euro pro Stunde.
Italien
(…) Die Arbeitslosigkeit liegt bei 9,3 Prozent, von den Jungen hat beinahe jeder Dritte keinen Job.
Im Kampf gegen das hohe Budgetdefizit – die Staatsverschuldung lag zuletzt bei 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – erhöhte der von Brüssel als Regierungschef eingesetzte frühere EU-Kommissar Monti das Pensionsantrittsalter bis 2026 von 65 auf 67 Jahre, Pensionsantritt ist nach 42 und nicht mehr nach 40 Arbeitsjahren.
Auch der rigide Kündigungsschutz soll bald Geschichte sein. Bisher war es Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten kaum möglich, Angestellte zu kündigen. Allerdings fällt nur ein kleiner Teil der 23 Millionen Beschäftigten unter diese Regelung. Wird ein Arbeitnehmer zu Unrecht entlassen, soll er zwar weiterhin Anspruch auf eine Entschädigung haben, aber nicht mehr auf Wiederanstellung.
Für die Budgetsanierung kommen auch in Italien die Beamten und die Pensionisten auf : Die Gehälter im öffentlichen Dienst und die Pensionen wurden in den vergangenen drei Jahren nicht an die Inflation angepasst. Außerdem hat der Regierungschef die Städte und Gemeinden aufgefordert, kommunale Unternehmen zu privatisieren und Grundstücke und Gebäude zu verkaufen.
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Rumänien
(…) Seit 2009 fährt das Land einen rigiden Spar- und Privatisierungskurs. Die öffentlichen Gehälter und die Pensionen sind eingefroren, mehr als 200.000 Beamte haben ihren Job verloren. Bereits 2009 hat der Staat die Unterstützung für Arbeitslose um 15 Prozent gekürzt, ein Jahr später mussten alle Schulen mit weniger als 200 Schülern und alle Kindergärten mit weniger als 100 Kindern schließen. Mittlerweile sind 41 Prozent der Rumänen laut EU-Statistikamt Eurostat armutsgefährdet. Von denen, die einen Job haben, gelten 18 Prozent als Working Poor.
Seit die Umsatzsteuer von 19 auf 24 Prozent erhöht wurde, können sich viele Rumänen kaum mehr die nötigsten Grundnahrungsmittel leisten. Als der konservative Premierminister Emil Boc auch noch den Rettungsdienst privatisieren wollte, platzte den Rumänen der Kragen. Nach wochenlangen Protesten und Demonstrationen trat Boc Anfang Februar zurück.
Großbritannien
(…) In Mittelengland sollen Polizeiaufgaben wie Patrouille, Bewachung oder das Auswerten von Polizeivideos aus Kostengründen privatisiert werden.
Auch sonst setzt der konservative Premier David Cameron im Kampf gegen die Krise auf Privatisierung : Krankenhausabteilungen und ganze Spitäler sollen bald von privaten Firmen betrieben werden, Bauunternehmen sollen Autobahnen und Fernstraßen vom Staat übernehmen und dafür Maut kassieren dürfen. Die Budgets der einzelnen Ministerien wurden um durchschnittlich 19 Prozent gekürzt, die Gehälter für Angestellte im öffentlichen Sektor für zwei Jahre eingefroren. Vergangenes Jahr strich der Staat 270.000 Stellen im öffentlichen Dienst, davon 71.000 im Bildungs- und 31.000 im Gesundheitsbereich. Nur die Reichen dürfen feiern : Der Spitzensteuersatz für Großverdiener wurde von 50 auf 45 Prozent gesenkt.
Deutschland
(…) BezieherInnen der staatlichen Sozialhilfe Hartz IV wurde die Zuzahlung zu den Pensionsbeiträgen und 300 Euro Elterngeld gestrichen. (…) Wer Wohngeld bezieht, kriegt keinen Heizkostenzuschuss mehr. 7,3 Millionen Deutsche leben von „Minijobs“ mit 400 Euro Entlohnung. Zu den derzeit 5,4 Prozent Arbeitslosen werden bald noch einige dazukommen : Ausgerechnet die Bundesagentur für Arbeit streicht nun 10.000 Stellen.
Besonders stark ist der Zwang zum Sparen in den Kommunen, die zusammen mit etwa 130 Milliarden Euro verschuldet sind. In Sachsen wurde das Projekt „kostenfreies Vorschuljahr“ nach nur einem Jahr aus Spargründen eingestellt, in Berlin werden Dutzende Jugendzentren zugesperrt.
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Portugal
(…) Die Höchstgrenze für das Arbeitslosengeld wird um 200 Euro auf 1048 Euro gesenkt und die Bezugsdauer ebenfalls gekürzt. Staatsbedienstete, die mehr als 1000 Euro verdienen, brauchen bis 2014 auf ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld erst gar nicht zu warten, auch für Überstunden gibt es weniger Bares.
Damit ein bisschen Geld in die Kasse kommt, hat der Staat große Teile des portugiesischen Strom- und Gasnetzes sowie des nationalen Stromerzeugers Redes Energéticas Nacionais an China und den Oman verkauft.
Auch die Portugiesen, vor allem die gut ausgebildeten, treibt die Krise auf dem Arbeitsmarkt in die Ferne. Wer kann, wandert in die ehemaligen Kolonien in Afrika und Lateinamerika aus, in der Hoffnung, dort eine Beschäftigung zu finden. Zwischen Mitte 2010 und Mitte 2011 stieg die Zahl der Portugiesen, die sich eine Arbeitsgenehmigung für Brasilien besorgten, von 52.000 auf 328.860 Personen.
Niederlande
(…) Die Höhe der Pensionen ist künftig an die Börsenentwicklung gekoppelt, das Pensionsantrittsalter beträgt statt 65 nun 66 Jahre. Das Budget für Entwicklungszusammenarbeit kürzte die ehemalige Kolonialmacht um eine Milliarde Euro. Der konservative Ministerpräsident Mark Rutte würde auch gerne das Arbeitslosengeld kürzen und den Kündigungsschutz lockern, dagegen wehrt sich aber der Rechtspopulist Wilders.
Lettland
Der kleine „baltische Tiger“ war eines der ersten Länder, das strauchelte. Bereits Ende 2008 stand das Land kurz vor dem Bankrott. Das Sanierungsprogramm, das das Land als Gegenleistung für die geborgten Milliarden von IWF und EU-Kommission durchzog, traf vor allem die Bezieher niedriger Einkommen. Die Zahl der Staatsangestellten sank um 30.000 Personen. Wer blieb, bekam nur mehr 40 Prozent seines früheren Gehalts auf das Konto. Der Mindestlohn wurde auf 200 Euro gesenkt. Zwei Drittel aller Spitäler sperrten zu, zusätzlich schickte der Staat etwa 4000 Lehrer in die Arbeitslosigkeit.