In der Rechtskurve verunfallt

Zum (vorläu­figen) Abschluss der Reihe „Politik in der Rechts­kurve“

Zwei Wochen vor der Bundes­tags­wahl konnten wir Regina Wamper vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozial­for­schung für unsere fünfte und vorerst letzte Veran­stal­tung der Reihe „Politik in der Rechts­kurve“ gewinnen. Im Rahmen der lokalen Aktions­tage zur „We‘ll come United“-Demonstration in Berlin richteten wir unseren Fokus nach den voran­ge­gangen Diskus­sionen zu rechter Politik auf den Philip­pinen, in der Türkei und Frank­reich auf die Diskurs­ver­schie­bungen in Deutsch­land. Heute ist der Unfall in der Rechts­kurve passiert, die Wahl gelaufen, mit der AfD sind rechts­ex­treme Einstel­lungen in Frakti­ons­stärke parla­men­ta­risch vertreten und alle anderen Parteien versu­chen rechten Diskursen hinterher zu laufen.

Erfreut stellen wir jedoch fest, dass ein Ergebnis dieses Rechts­rucks ein inzwi­schen gestei­gertes Inter­esse ist, seit dem 24. September häufen sich Veran­stal­tungen zum Thema und die meisten sind gut besucht. Für uns ist das ein geeig­neter Zeitpunkt, unsere Reihe vorerst zu beschließen, eine Fortset­zung im nächsten Jahr ist jedoch angedacht. Denn noch immer sind wir davon überzeugt, dass im trans­na­tio­nalen Maßstab „eine monokau­sale Betrach­tung der politi­schen Entwick­lung (…) nicht erfolg­ver­spre­chend [ist].“ Erst das Heraus­ar­beiten des Verbin­denden von autoritär-caesa­ris­ti­schen und libertär-rechten, national-chauvi­nis­ti­schen oder klerikal-faschis­ti­schen Konzepten, die sich zu einem scharfen weltweitem Abbiegen nach Rechts summieren, lassen sich wirksame Gegen­stra­te­gien entwi­ckeln.

Wir werden deshalb nicht nur einen Beitrag zu unserer Veran­stal­tung mit Bernard Schmid zu Frank­reich noch nachrei­chen (er ist übrigens am 2. Dezember wieder Gast in Wuppertal), sondern auch noch ein Zwischen­fazit der bishe­rigen Reihe insge­samt erarbeiten. Denn das haben die Diskus­sionen schon gezeigt : So unter­schied­lich die Ausprä­gungen rechter Politik sind, es ist jeweils die Kraft durch­ge­setzter Narra­tive, die ihren Erfolg ausma­chen. Dass wir uns mit Regina Wamper abschlie­ßend um Diskurs­ver­schie­bungen in Folge des „Sommers der Migra­tion“ in Deutsch­land geküm­mert haben, war deshalb folge­richtig.

Zur Veran­stal­tung „Flucht und Asyl : Diskurs kaputt?“ am 8.9.2017

Das Sprechen und Schreiben über Flucht und Geflüch­tete hat sich seit dem „Sommer der Migra­tion“ deutlich verän­dert. Sagbar­keits­räume sind verschoben, Tabus sind gebro­chen, Problem­set­zungen verdreht worden ; was vor drei Jahren noch als politisch und moralisch verwerf­lich galt, wird mittler­weile mit „Sachzwängen“ begründet und als normal gesetzt. Diese Verschie­bung ist nicht allein von AfD, Pegida und deren Kampf­me­dien durch­ge­setzt worden - sie spiegelt sich ebenso in der Bericht­erstat­tung und den Kommen­tar­spalten deutscher Leitme­dien. Regina Wamper hat zusammen mit Marga­rete Jäger die Tages­zei­tungen taz, FAZ und Süddeut­sche Zeitung ein Jahr lang (von August 2015 bis Juni 2016) in Hinblick auf ihre Bericht­erstat­tung in Leitar­ti­keln und Kommen­taren zum Themen­feld Flucht, Asyl und Migra­tion ausge­wertet. (Die Studie steht als pdf-Download zur Verfü­gung).

Ausgangs­punkt und Prämisse ihrer Diskurs­ana­lyse ist die Annahme, dass Medien nicht (nur) Vermitt­lungs­in­stanz von Wirklich­keit sind, diese also nicht (nur) abbilden, sondern dass sie Wirklich­keit selbst mitpro­du­zieren : Diskurse, die Art wie über gesell­schaft­liche Probleme und politi­sche Entwick­lungen berichtet wird, wirken selbst wiederum auf gesell­schaft­liche Realität ein. Die unter­suchten Leitme­dien bilden dabei ein relativ breites Spektrum von öffent­li­chem Diskurs ab und beein­flussen ihrer­seits Diskurse im Alltag und auch die Wahrneh­mung gesell­schaft­li­cher Probleme in der deutschen Mehrheits­be­völ­ke­rung. Die Analyse von Regina Wamper und Marga­rete Jäger bezieht sich zunächst auf den Flucht­dis­kurs in deutschen Medien, die Verschie­bungen in der gesell­schaft­li­chen Problem­wahr­neh­mung werden Unter­su­chungs­ge­gen­stand einer Folge­studie des DISS sein.

De-Legiti­mie­rung von Flucht : Wer ist noch „legitim Geflüch­teter“?!

Die Auftei­lung bzw. Unter­tei­lung von Geflüch­teten in „gute“ und „schlechte“ begann bereits unmit­telbar nach der Entschei­dung gegen eine Schlie­ßung der Grenzen im Spätsommer 2015 und bezog sich zunächst auf Flücht­linge mit „guter“ versus „schlechter Bleibe­per­spek­tive“ – wobei eine „schlechte Bleibe­per­spek­tive“ vor allem dieje­nigen hatten, die aus den Westbal­kan­staaten kamen und vorwie­gend Roma und arm waren. zu dem Zeitpunkt wurde eine schnelle Ableh­nung und Auswei­sung der „schlechten“ noch mit der nun notwen­digen schnellen Integra­tion der „guten“ Flücht­linge begründet, wobei das Narrativ impli­zierte, dass die notwen­digen Integra­ti­ons­res­sourcen nicht für alle zur Verfü­gung stünden. Dabei wurde selbst die ehren­amt­li­chen Flücht­lings­hilfe als begrenzte Ressource aufge­fasst. Die Forcie­rung von Abschie­bungen wurde dadurch gleichsam zum humani­tären Akt und zur Unter­stüt­zung der freiwil­ligen Flücht­lings­un­ter­stüt­zung durch die Bevöl­ke­rung.

In den Folge­mo­naten war aller­dings zu beobachten, dass immer weniger Personen unter den Begriff „legitim Geflüch­tete“ subsum­miert wurden : Zunächst fielen die Afgha­nInnen heraus, und nachdem der Innen­mi­nister äußerte, es sei unver­ständ­lich, dass Menschen ein Land verließen, in welches die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land Soldaten schicke, gingen die zuvor relativ hohen Schutz­quoten für Afgha­nInnen tatsäch­lich zurück. Später wurden allge­mein die zuvor noch als „Schutz­su­chende“ Bezeich­neten zu „illegalen Einwan­de­rern“: Angela Merkel nutzte diesen Ausdruck im Kontext des EU-Türkei-Deals ab November/Dezember 2015 auch für dieje­nigen, die immer noch die griechi­schen Inseln erreichten. Die Trennung zwischen „guten“ und „schlechten“ Flücht­lingen erfolgte jetzt nicht mehr unter Bezug auf Herkunfts­länder und (unter­stellte) Flucht­gründe, sondern auch in Hinsicht auf den aktuellen Ort des Aufent­halts und den Zeitpunkt der Flucht. Alle, die sich ohne Visum entlang der Flucht­routen aufhielten und alle, die noch nicht in Deutsch­land angekommen waren, waren nun zu „illegi­timen Einwan­de­rern“ geworden.

Auch die Benen­nung von Problemen verschob sich zuneh­mend : Die Bericht­erstat­tung wendete sich von Problemen ab, die Flücht­linge aufgrund der Notwen­dig­keit und der Bedin­gungen ihrer Flucht haben. Statt­dessen richtete sich die Aufmerk­sam­keit immer mehr auf die angeb­li­chen oder tatsäch­li­chen Probleme, die die meistens übertrieben darge­stellte hohe Zahl der Geflüch­teten für das Land mit sich bringt : Angefangen von Manage­ment-Problemen bei der Aufnahme und Unter­brin­gung, knappen Ressourcen an Wohnraum oder Deutsch­kursen, bis hin zu einem diffusen Bedro­hungs­sze­nario durch eine „unkon­trol­lierte Zuwan­de­rung“. Als Bedro­hungs­sze­nario entwarfen manche Journa­lis­tInnen zu Recht die zuneh­menden rassis­ti­schen Mobili­sie­rungen, die sie jedoch als angeb­lich unaus­weich­liche Folge der Migra­ti­ons­be­we­gung oft wieder den gestie­genen Flücht­lings­zahlen zuschrieben.

Aus „Schutz für Schutz­su­chende“ wird „Schutz vor Schutz­su­chenden“

Die Phrase von der „kippenden Stimmung“, womit das baldige Ende der zuvor noch ausge­ru­fenen „Willkom­mens­kultur“ gemeint war, wurde in allen unter­suchten Medien spätes­tens ab Oktober 2015 wie ein Mantra wieder­holt und die Prognose durch die ständige Wieder­ho­lung zuneh­mend unhin­ter­fragbar. Unter­stellt wurde dabei häufig, dass Migra­tion zu Rassismus und mehr Migra­tion zu mehr Rassismus führt – eine Behaup­tung, die empirisch nicht belegbar ist. Zugleich wurde die Hilfs­be­reit­schaft vieler Menschen schon ab Ende September 2015 zunächst verein­zelt, dann immer häufiger als naiv abgewertet. In einer grotesken Ursache-Wirkungs-Verdre­hung wurde die zuvor gefei­erte „Willkom­mens­kultur“ von einem FAZ-Autoren sogar verdäch­tigt, als „Pull-Faktor“ zu wirken, die Menschen mit Teddy­bären und selbst­ge­ba­ckenem Kuchen also erst nach Europa zu locken.

Während einer­seits bis zum Ende des Jahres 2015 die Integra­tion der Angekom­menen proble­ma­ti­siert wurde, wobei noch immer auch die Bedürf­nisse und Probleme der Geflüch­teten argumen­tativ einbe­zogen wurden, richtete sich die mediale Kritik somit zunächst gegen die „naiven“ Helfer und Unter­stüt­ze­rinnen. Wenn Geflüch­tete nicht durch die von ihnen produ­zierte Hilfs­be­reit­schaft nach Europa „gelockt“ würden, ergäbe sich gar kein Anlass für „die Sorgen der Bürger“ und damit kein Anlass für Rassismus. Die damals sprung­haft zuneh­menden Angriffe auf geplante und bewohnte Unter­brin­gungen und die damit verbun­denen Bedro­hung der Geflüch­teten wurden so unaus­ge­spro­chen dem hilfs­be­reiten Teil der Gesell­schaft in die Schuhe geschoben. Das von der AfD und „Pegida“ bis heute verwen­dete Narrativ der „Volks­ver­räter“ findet in dieser perfiden Argumen­ta­tion in den Diskursen zum Ende des Jahres 2015 einen seiner medialen Vorläufer.

Spätes­tens nach den sexis­ti­schen Übergriffen in der Silves­ter­nacht 2015/2016 in Köln wurden Flücht­linge dann selbst nicht mehr als Bedrohte, sondern ihrer­seits als die Bedro­henden darge­stellt. Aus „Schutz für Geflüch­tete“ wurde „Schutz für Deutsche“, womit sich der Mainstream-Diskurs endgültig den Argumen­ta­ti­ons­mus­tern der AfD annäherte. Diese neuer­liche Verschie­bung fiel zeitlich mit hekti­schen politi­schen Maßnahmen zum Fernhalten, zur Entrech­tung und schnellen Auswei­sung der (nicht erwünschten) Flücht­linge zusammen. Der EU-Türkei-Deal, die Asylpa­kete 1 und 2, die Beschleu­ni­gung von Abschie­bungen wurden dementspre­chend auch in der Presse angesichts „zu vieler Geflüch­teter“ immer mehr zu notwen­digen Sachzwängen erklärt.

Die absurde Propa­ganda von der „Lügen­presse“

Im Zuge dessen rückte zuvor auch für konser­vativ bürger­liche Kommen­ta­toren noch Unfor­mu­lier­bares immer mehr in den Bereich von akzep­ta­blen Forde­rungen : zeitlich unbegrenzter Sonder-Lager­zwang, keine Einschu­lung von Flücht­lings­kin­dern, das Ertrinken-Lassen vor den Grenzen Europas oder das völker­rechts­wid­rige Refou­le­ment (Zurück­schieben) von Flüch­tenden in Länder, in denen sie recht- und schutzlos sind. Heute ist all dies skanda­löse aber kaum noch hinter­fragte Realität. Boots­un­glücke im Mittel­meer sind inzwi­schen europäi­scher Alltag, Rettungs­or­ga­ni­sa­tionen werden als krimi­nelle Organi­sa­tion behan­delt und Sklaven­handel und Verge­wal­ti­gungen oder Folter in libyschen „Auffang­zen­tren“ führen nicht zum Ende der Koope­ra­tion mit der selbst­er­nannten libyschen Küsten­wache.

Als De Maiziére den EU-Türkei-Deal im April 2016 mit dem Satz „Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig.“ kommen­tierte, hatte er Recht - nicht mit dem „Ansatz“, aber mit dem Gewöh­nungs­ef­fekt. Die heute jetzt auch parla­men­ta­risch vertre­tenen rassis­ti­schen und menschen­ver­ach­tenden Aussagen und Forde­rungen der AfD und ihrer Anhän­ge­rInnen wurden durch die „Leitme­dien“ bereits früh norma­li­siert und vorbe­reitet. Es ist ein absurder Vorgang, dass diese mediale Diskurs­ver­schie­bung nach rechts hinter der Propa­ganda der AfD von einer angeb­li­chen „Lügen­presse“ beinahe verschwindet. Der Zeitraum einer „flücht­lings­freund­li­chen“ Bericht­erstat­tung, auf den sich diese Propa­ganda beruft, war kurz – schon im September 2015 sind viele „Leitme­dien“ nach rechts abgebogen.

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Politik in der Rechtskurve : „Thompson“-Konzert ist nicht egal

Nachdem das Konzert der umstrit­tenen Band „Thompson” um den natio­na­lis­ti­schen Künstler Marko Perković statt­ge­funden hat, möchten wir noch einmal erläu­tern, warum es unserer Meinung nach wichtig gewesen wäre, den Auftritt zu verhin­dern.

Warum ein „Thompson”-Konzert nicht egal ist

In der Reihe „Politik in der Rechts­kurve“ beschäf­tigen wir uns im Wahljahr mit neo-natio­na­lis­ti­schen und rechten Tendenzen in der Politik. Weltweit sind in den letzten Jahren natio­na­lis­tisch-autori­täre oder autokra­ti­sche Regie­rungen gewählt oder zur stärksten Opposi­tion geworden, so auch in Kroatien. Zu Kroatien hatten wir keinen Schwer­punkt geplant, doch dann fand am Pfingst­sonntag ein Konzert des kroati­schen Natio­na­listen Marko Perković in Wuppertal statt. Ein antifa­schis­ti­sches Bündnis versuchte mit einem Offenen Brief an die Betreiber des Lokals in dem der Auftritt statt­fand und an die Stadt Wuppertal öffent­li­ches Inter­esse zu wecken. Der Auftritt Perko­vićs sollte so verhin­dert werden, was leider nicht gelang. Eine Mischung aus Desin­ter­esse und Uninfor­miert­heit und ein routi­nierter Umgang mit den Vorwürfen durch das Manage­ment der europa­weit umstrit­tenen Band sorgte dafür, dass das Konzert nahezu ungestört statt­finden konnte. Die durch den Brief erreichte kurzfris­tige Aufmerk­sam­keit führte im Gegen­teil sogar zu einer Art „Promo­tion-Artikel“ in der „Wupper­taler Rundschau“, in dem Clubbe­treiber und Manage­ment unwider­spro­chen behaupten konnten, dass am Abend keine rechten Symbole zugelassen würde. Das stimmte nicht, wie Fotos vom Konzert belegen.

Dumpf­ba­cken beim Konzert mit dem alten Schach­brett­wappen der Ustascha, das oben links mit einem weißen Feld beginnt.

Es begann mit Jugoslawien

Gerade eine inter­es­sierte Ausein­an­der­set­zung mit dem kroati­schen Natio­na­lismus wäre jedoch eine wichtige Aufgabe, wenn wir Enste­hungs­be­din­gungen und mögliche Folgen eines erstar­kenden Natio­nal­wahns in Europa betrachten wollen ; denn wer über dessen Anfänge reden will, kann zum Ende Jugosla­wiens in den 1990ern nicht schweigen. Versatz­stücke der heutigen „Umvol­kungs-“ oder „Volkstod“-Argumentionen der neuen Rechten finden sich beispiels­weise schon in der Vorge­schichte der später auf dem Balkan geführten Kriege. Serbisch-natio­na­lis­ti­sche Intel­lek­tu­elle behaup­teten ähnli­ches schon 1986. In einer „Denkschrift“ von Mitglie­dern der Serbi­schen Akademie der Wissen­schaften und Künste, dem so genannten SANU-Memorandum, wurde unter anderem argumen­tiert, im Kosovo fände ein „Genozid am serbi­schen Volk“ statt. Begrün­detet wurde dies auch mit einer höheren Gebur­ten­rate der albanisch­stäm­migen Bevöl­ke­rung. Der Betonung serbi­scher Inter­essen im Vielvöl­ker­staat Jugosla­wien war ein drama­ti­scher wirtschaft­li­cher Nieder­gang des Landes voraus­ge­gangen, und spätes­tens nach der Imple­men­tie­rung der üblichen neoli­be­ralen Reformen durch den IWF im Rahmen von Verhand­lungen zur Umschul­dung Jugolsla­wiens, entstand eine katastro­phale Lage für die Bevöl­ke­rung. Unter anderem sanken bis 1985 die durch­schnitt­li­chen Löhne um 40%.

Das traf das Land in unglei­chem Maß ; die Wirtschafts­kraft in der Bundes­re­pu­blik Jugosla­wien war sehr ungleich auf die Teilre­pu­bliken verteilt. Slowe­nien und Kroatien waren wirtschaft­lich stärker als Serbien und die anderen Landes­teile. Eigen­stän­dige Bestre­bungen der beiden wirtschaft­lich starken Republiken zu einer weniger zentral gesteu­erten Ausga­ben­po­litik Jugosla­wiens und ein Infra­ge­stellen des „jugosla­wi­schen Ausgleichs­fonds“ (vglb. dem Länder­fi­nanz­aus­gleich in Deutsch­land) waren für das zuneh­mende serbi­sche Empfinden einer Benach­tei­li­gung mitur­säch­lich. Natio­na­listen und die serbisch geführte Regie­rung reagierten mit der Forde­rung nach einer Stärkung serbi­scher Identität, auch und vor allem unter den in den anderen Teilre­pu­bliken lebenden Serben und Serbinnen. In dieser Situa­tion gewann das SANU-Memorandum an Bedeu­tung, es forcierte zuneh­mende Forde­rungen nach einem „Großser­bien“, die durch die ultra­na­tio­na­lis­ti­sche „Tschetnik-Bewegung“ von Vojislav Seselj zum Ende der achtziger Jahre formu­liert wurde. Ihren Namen gab sich die natio­nale Bewegung unter Berufung auf serbi­sche anti-osmani­sche Milizen seit Mitte des 19. Jahrhun­derts und monar­chis­ti­sche serbi­sche antikom­mu­nis­ti­sche Milizen im Zweiten Weltkrieg. Die auch von Regie­rungs­seite gestellten serbi­schen Ansprüche stärkten natio­na­lis­ti­sche Ansprüche in anderen Teilen Jugosla­wiens.

Der Weg zum Krieg : Ansprüche und Identitäten aus der Vergangenheit

Vor allem in Kroatien begann Franjo Tudjman für eine „neue“ kroati­sche Identität auch die katho­lisch-christ­liche und faschis­ti­sche Geschichte der Teilre­pu­blik zu revita­li­sieren. Seine Regie­rung verstärkte die Bemühungen um eine Selbst­stän­dig­keit und zu Beginn des Jahres 1990 stellten Slowe­nien und Kroatien ihre Zahlungen an den jugosla­wi­schen Ausgleichs­fond endgültig ein, womit Jugosla­wien faktisch aufhörte zu bestehen. Das wirtschaft­lich schwä­chere Serbien und die anderen Teilre­pu­bliken waren auf sich allein gestellt. Am 25. Juli 1990 erfüllte Tudjman schließ­lich auch formal einen angeb­lich „tausend­jäh­rigen Traum“ von einem eigenen Staat Kroatien. Dafür nahm die von ihm geführte HDZ-Regie­rung in der Folge offen Bezug auf die „Unabhän­gig­keit“ Kroatiens im Zweiten Weltkrieg zwischen 1941 und 1945 und dessen mit Nazi-Deutsch­land verbün­dete Ustascha-Regie­rung, die unter dem kroati­schen „Führer“ Ante Pavelic zusammen mit der deutschen Wehrmacht die kommu­nis­ti­schen Parti­sanen und serbisch-natio­na­lis­ti­schen Tschet­niks bekämpft hatte. Ideolo­gi­sche Basis der alten Ustascha-Regie­rung waren Elemente des italie­ni­schen Faschismus und des deutschen Natio­nal­so­zia­lismus, inklu­sive antikom­mu­nis­ti­scher, antise­mi­ti­scher und rassis­ti­scher Orien­tie­rungen. Als ehema­lige Separa­tisten-Organi­sa­tion des Vorkriegs-Jugosla­wien gab es bei der Ustascha zudem einen ausge­prägten Serben­hass, der sich aus einer vorgeb­li­chen „Diskri­mie­rung des kroati­schen Volkes durch die Serben“ vor dem Krieg speiste. Der kroati­sche Hass auf Serben fand im KZ Jasen­ovac seinen brutalsten Ausdruck. Im einzigen, nicht unter direkter deutscher Betei­li­gung betrie­benen Vernich­tungs­lager wurden bis zu 90.000 Menschen durch die kroati­schen Faschisten ermordet – die meisten waren Serben, Roma und Juden.

Sicht­barster Ausdruck der Bezug­nahme auf die faschis­ti­sche Ustascha durch die neue kroati­sche Regie­rung war die Wieder­ein­füh­rung des leicht verän­derten alten Schach­brett­wap­pens in die kroati­sche Natio­nal­fahne. Die Identi­fi­ka­tion mit der Vergan­gen­heit durch die Regie­rung Tudjmans führte zu Angst und Protest bei der in Kroatien lebenden serbi­schen Minder­heit, die vor dem Zerfall Jugosla­wiens 12% der Gesamt­be­völ­ke­rung Kroatiens stellte. In der Krajina, den kroati­schen Grenz­ge­bieten zu Bosnien, bzw. Serbien, stellten Serbinnen und Serben sogar die Bevöl­ke­rungs­mehr­heit. Nachdem der serbi­schen Bevöl­ke­rung in der neuen kroati­schen Verfas­sung der Status eines „zweiten Staats­volks“ aberkannt und die in allen natio­na­li­tä­ten­po­li­ti­schen Belangen zuvor notwen­dige Zweidrit­tel­mehr­heit des Parla­ments abgeschafft wurde, gewannen auch in der serbi­schen Krajina Natio­na­listen zuneh­mend an Einfluss. 1991 kam es in der Folge zum Versuch, durch die Abspal­tung einer „Republik Serbi­sche Krajina“ (Srpska Krajina) mehrheit­lich serbisch bewohnte Teile aus Kroatien heraus­zu­lösen. Folge des um die „Srpska Krajina“ bis 1995 geführten Krieges, bei dem beide Seiten Kriegs­ver­bre­chen begingen, war eine Vertrei­bung zunächst der kroati­schen, dann der serbi­schen Bevöl­ke­rung.

Zunächst mussten in der „Srpska Krajina“ lebende Kroaten und Kroatinnen nach der Abspal­tung das Gebiet verlassen : Ihr Anteil an der Bevöl­ke­rung der Krajina ging in den den Jahren 1991 und 1992 von 36% auf nur noch 7% zurück. Viele Menschen führte ihr Fluchtweg über die gleiche Route wie 25 Jahre später viele der Refugees, die 2015 über die Balkan-Route und Kroatien nach Mittel­eu­ropa gelangten. Im August 1995 startete die kroati­sche Armee schließ­lich nach einem häufig fragilen Waffen­still­stand die „Opera­tion Sturm“ (Oluja). In nur drei Tagen wurde das Gebiet der „Srpska Krajina“ einge­nommen und dem neuen Staat Kroatien einge­glie­dert. Nach dem Sieg der kroati­schen Armee verließen über 300.000 serbi­sche Bewoh­ne­rInnen flucht­artig ihre Heimat in Richtung Serbien und Bosnien. Sie fürch­teten, kroati­scher Rache zum Opfer zu fallen. Die über Lautspre­cher verbrei­tete Anwei­sung, in den Häusern auf die Armee zu warten, die sich um sie „kümmern würde“, führte teils zur Panik bei den Hals über Kopf aus der Krajina Flüch­tenden. Ein Kamera­team des Fernse­hens der UN-Friedens­mis­sion war fünf Jahre später in der „Serbi­schen Krajina“. Die taz hat damals ihren Bericht veröf­fent­licht. „Auf dem Tisch (…) steht ein Teller, darauf etwas, das wohl mal eine Scheibe Brot war. Daneben eine niedrige, henkel­lose Tasse. Es ist noch ein Schluck türki­scher Kaffee darin, darüber zieht sich eine grünliche Schicht Schimmel.“ Von den Geflüch­teten sind nur etwa 30% zurück­ge­kehrt, viele von ihnen nur formell, um Ansprüche auf Besitz zu wahren. Die „Opera­tion Oluja“ wird von vielen Serben und Serbinnen bis heute als Pogrom betrachtet, viele Kroaten und Kroatinnen feiern sie hingegen jedes Jahr am „Tag der Befreiung“ als „patrio­ti­sche Heldentat“.

Auf eine Eskalation unvorbereitete Zivilgesellschaft

Der Verlauf der Geschichte und ihre anschlie­ßende Erzäh­lung lassen dabei vergessen, dass Natio­na­listen nicht von Anfang an die Mehrheit der Bevöl­ke­rung ausmachten als Jugosla­wien zerfiel. Jenseits politi­scher System­fragen und wirtschaft­li­cher Probleme war Jugosla­wien für viele ein erfolg­rei­ches Modell eines multi­eth­ni­schen Staates, der nach langen Ausein­an­der­set­zungen den Balkan befriedet hatte. Mehr als 40 Jahre eines gemein­samen Landes hatten zur Heraus­bil­dung einer „jugosla­wi­schen Identität“ geführt. Natio­na­listen konnten an Boden gewinnen, weil inter­es­sierte Gruppen und Funkti­ons­träger des alten Jugosla­wien die natio­na­lis­ti­sche Karte spielten, um eigenen Einfluss zu behalten oder auszu­weiten. Doch ohne – zum Teil bis heute nicht vollständig aufge­klärte – insze­nierte gewalt­tä­tige Zwischen­fälle hätten provo­ka­tive Entschei­dungen der Politik und die Propa­ganda natio­na­lis­ti­scher Medien zur Entfa­chung eines Kriegs mögli­cher­weise nicht ausge­reicht. Am krassesten war das beim kurze Zeit später begon­nenen Krieg um Bosnien in Sarajevo zu erleben, wo noch am 5. April 1992 zehntau­sende Menschen gegen den Krieg demons­trierten und in der multi­eth­ni­schen Stadt zunächst ein Zeichen gegen den sich weiter ausbrei­tenden Natio­na­lismus setzen wollten. Bei der Demons­tra­tion wurden zwei Frauen von serbi­schen Hecken­schützen ermordet, was die zivil­ge­sell­schaft­liche Manifes­ta­tion ins Leere laufen ließ ; schon am nächsten Tag fuhren Panzer durch die Stadt und die Belage­rung Sarajevos begann.

Die Zivil­ge­sell­schaft war auf die Eskala­tionen nicht vorbe­reitet und besaß auch nicht die Mittel den sich abzeich­nenden Wahnsinn aufzu­halten. Viele verharrten im Gefühl, die durch natio­na­lis­ti­sche Gruppen geschaf­fene gesell­schaft­liche Spaltung könne ihre eigene Umgebung nicht errei­chen. Provo­zierte Ereig­nisse und Gegen­re­ak­tionen entwi­ckelten jedoch einen blutigen Sog, in den immer mehr Menschen gezogen wurden ; Partner- und Freund­schaften zerbra­chen, die gesamt­ju­go­sla­wi­sche Identität hielt dem Furor nicht stand. Bis heute anhal­tende gegen­sei­tige Schuld­zu­wei­sungen belegen, wie nachhaltig natio­na­lis­ti­sche Zerstö­rung verbin­dender Grund­lagen wirkt. Noch immer verwei­gern sich vor allem die „Sieger“ des natio­na­lis­ti­schen Krieges oft einer selbst­kri­ti­schen Aufar­bei­tung des Gesche­hens. Im Gegen­teil ; die HDZ-geführten Regie­rungen Kroatiens, das sich als EU-Mitglied auf der Sieger­seite wähnt, haben die Entfes­se­lung des natio­na­lis­ti­schen Wahns zum Teil des eigenen Mythos gemacht. Zusammen mit Alt- und Neofa­schisten und der katho­li­schen Kirche wird um die blutige Geschichte des Landes teilweise geradezu ein Kult zelebriert. Dazu wird immer wieder der Versuch unter­nommen, die Geschichte umzuschreiben und die faschis­ti­sche Vergan­gen­heit des Landes zu relati­vieren. Die enge Verbin­dungen zu ultra­rechten Gruppie­rungen wie der neofa­schis­ti­schen A-HSP unter­hal­tende HDZ unter­stützt beispiels­weise die jährli­chen „Gedenk­feiern“ im öster­rei­chi­schen Bleiburg.

Geschichtsrevisionismus in Kroatien

Dort treffen sich jedes Jahr im Mai bis zu 15.000 Menschen um dem so genannten „Massaker von Bleiburg“ zu gedenken, bei dem Angehö­rige der Ustascha-Truppen, die ihren Kampf gegen die jugosla­wi­sche Volks­be­frei­ungs­armee noch nach Kriegs­ende fortge­führt hatten, von Parti­sa­nen­ver­bänden hinge­richtet worden waren. Bei dem Treffen, bei dem offen faschis­ti­sche Symbole gezeigt und Ustascha-Lieder gesungen werden, handelt es sich nach Einschät­zungen der öster­rei­chi­schen Anifa um eines der „größte Neonazi-Treffen“ Europas, was einige Vertreter der kroati­schen katho­li­schen Kirche und auch der HDZ-Regie­rungen nicht an einem Auftritt in Bleiburg und am Schul­ter­schluss mit den Teilneh­menden hindert. Die staat­liche Förde­rung für das „Gedenken“ in Bleiburg war von der vorigen HDZ-MOST-Regie­rung im Jahr 2015 wieder aufge­nommen worden, nachdem sich die sozial­de­mo­kra­ti­sche Vorgän­ger­re­gie­rung vorsichtig davon distan­ziert hatte. Die mittler­weile von einer Neuauf­lage der gleichen Koali­tion abgelöste national-rechts­li­be­rale Regie­rung unter Tihomir Orešković hatte sich gleich durch mehrere Vorhaben in die Nähe faschis­ti­scher Politik begeben. So wollte „Vetera­nen­mi­nister“ Crnoja ein Register von Personen erstellen, die „Verräter des natio­nalen Inter­esses“ seien.

Die Neuwahlen 2016 haben am kroati­schen Geschichts­re­vi­sio­nismus nichts geändert. Wie weit die Umschrei­bung der Geschichte inzwi­schen Norma­lität geworden ist, zeigt eine am KZ Jasen­ovac von „Veteranen des Bürger­kriegs“ angebrachte Tafel, die „gefal­lene Kameraden“ mit dem alten Ustascha-Gruß „Za dom spremni!“ ehrt. Der faschis­ti­sche Gruß, mit dem auch einige kroati­sche Reaktionen auf den Offenen Brief in Wuppertal unter­zeichnet waren, wurde vom jetztigen Premier­mi­nister Plenković als Ehrung für die Toten des Unabhän­gig­keits­krieges bezeichnet, die mit dem Weltkrieg nichts zu tun habe. Das aktuellstes Beispiel für den Geschichts­re­vi­sio­nismus in Kroatien ist ein Film des Regis­seurs Jokov Sedlar ; „Jasen­ovac - Istina“, (Jasen­ovac - die Wahrheit). Der jüngst von der Stadt Zagreb ausge­zeich­nete Film behauptet, Jasen­ovac sei erst durch Titos Kommu­nisten zum Todes­lager geworden, zuvor sei es ledig­lich ein Sammel­lager gewesen, in dem die Mehrzahl der Getöteten Kroaten gewesen seien. Die Erzäh­lung negiert die Opfer der Roma, der Juden und der Serben in unerträg­li­cher Weise. Sie ignoriert auch die Tatsache, dass Jasen­ovac am 22. April 1945 „fast vollständig einge­ebnet [wurde], nachdem die letzten rund 1.000 Gefan­genen einen verzwei­felten Ausbruchs­ver­such unter­nommen hatten.“ (Danijiel Majic in der FR am 19.5.2017)

National-Rock statt Balkanparty

Die Identi­fi­ka­tion der Regie­rung des EU-Mitglieds Kroatien mit dem natio­na­lis­ti­schen Furor Anfang der 1990er Jahre und die Relati­vie­rung der Verbre­chen des faschis­ti­schen Ustascha-Kroatien haben mit dazu geführt, dass das Land heute als beson­ders düstere Zone auf der Karte des neo-rechten Europa gelten darf. Neo-Faschisten bilden teilweise hegemo­niale Struk­turen und nehmen ganz offen Einfluss auf die Regie­rungs­po­litik. Das führt dann auch schonmal zu diplo­ma­ti­schen Störungen, wenn, wie vor kurzem im slowe­ni­schen Maribor, ein Konzert der Band „Thompson“, deren Name sich auf das von Marko Perko­vićć im Kroati­en­krieg benutzte Maschi­nen­ge­wehr bezieht, verboten wird. Der Hype um Konzerte wie denen der Band von Marko Perković kann als ein Ausdruck der in Kroatien und bei vielen KroatInnen der Diaspora inzwi­schen zur Norma­lität geron­nenen natio­na­lis­ti­schen Ideologie gewertet werden, die sich mit dem Begriff „Patrio­tismus“ zu tarnen sucht. Wenn das „Thompson“-Management angibt, Perko­vićs Stücke, in denen schonmal als Kriegs­ver­bre­cher angeklagte kroati­schen Generäle verherr­licht werden, seien „Liebes­lieder mit patrio­ti­schem Inhalt“, wird es frostig.

Mögli­cher­weise feierten noch vor wenigen Jahren einige der jüngeren Perković-Besuche­rInnen am Pfingst­sonntag statt zu natio­na­lis­ti­schem Rock zu Balkan-Brass, Gypsys­ounds, Klezmer und elektro­ni­scher Musik bei den zwischen­zeit­lich auch in Wuppertal populären „Balkan-Parties“. Die Parties, bei denen auch schonmal auf den Tischen getanzt wurde, feierten eine jugosla­wi­sche Multi­kul­tu­ra­lität, die durch einen entfes­selten Natio­na­lismus vernichtet wurde. Wenn statt­dessen ein Club in Wuppertal heute mit Künst­le­rInnen ein besseres Geschäft machen kann, die natio­na­lis­ti­sche Kriegs­trei­berei feiern und dabei auch nicht vor einer Relati­vie­rung der faschis­ti­schen Epoche Halt machen, ist das ein trauriges Sinnbild dafür, dass kroati­sche und serbi­sche Natio­na­listen sich als Vorreiter politi­scher Entwick­lungen in Europa fühlen können. Und wie vor einem Viertel­jahr­hun­dert in Jugosla­wien trifft ein als „Patrio­tismus“ verharm­loster Natio­na­lismus auch jetzt auf eine manchmal verschla­fene Zivil­ge­sell­schaft, die zwischen Desin­ter­esse und Naivität nicht wirklich mitbe­kommt, was in ihrer Mitte abgeht.

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