Vier Tage nach dem Tod von Kallo Al Hassan Kanu, der am Sonntag im Übergangs-Flüchtlingsheim in Heiligenhaus kollabiert war und trotz Notrufen von MitbewohnerInnen zu lange auf einen Krankenwagen warten musste, haben die Geflüchteten in der kleinen Stadt zwischen Wuppertal und Essen mit einer Demonstration auf den Fall und auf die unwürdigen Umstände ihres Lebens in der ungeeigneten alten Schule aufmerksam gemacht. Unterstüzt von einigen Freunden und Freundinnen aus der Region zogen sie wütend und kämpferisch vor das Rathaus der Stadt, wo gerade der Weihnachtsmarkt eröffnet wurde.
Dabei forderten sie nicht nur wiederholt eine Aufklärung der Todesumstände ihres Freundes Hassan, sie forderten auch energisch ein Ende der Flüchtlingsheime und die Unterbingung in eigenen Wohnungen. In mehrsprachigen Beiträgen machten sie immer wieder auf die Umstände ihres Lebens aufmerksam. Nach der plötzlichen Räumung der alten Unterkunft mussten im Juli über siebzig Menschen in einer alten Schule unterkommen. Die sanitären Verhältnisse in dem Objekt sind katastrophal. Für alle BewohnerInnen zusammen gibt es lediglich eine Dusche ; eine eigene Toilette für die Frauen und Kinder fehlt ganz. Es gibt für die Geflüchteten, unter ihnen auch Familien, auch nur eine einzige funktionierende Waschmaschine. In der ehemaligen Schule sind viel zu wenig Räume, manche der Geflüchteten müssen sich zu acht oder neunt einen Raum teilen. Die Zimmer sind nicht abschließbar, es gibt keinerlei Privatsphäre. Teilweise sind die Räume schimmelig. Viele der BewohnerInnen haben Angst zu erkranken. Auch Hassans dramatisch verschlechterte gesundheitliche Situation vor seinem Zusammenbruch führten einige zunächst auf die hygienischen Zustände und den Schimmel im Heim an der Ludgerusstraße zurück. Wenigstens in dieser Hinsicht gaben die städtischen Stellen Entwarnung, Hassans Erkrankung war internistisch bedingt und er war schon länger krank.
Diese Auskunft reicht jedoch nicht aus, die aufgebrachten Menschen zu beruhigen. Vor Hassans Tod hatten viele Angst öffentlich zu protestieren – trotz der unwürdigen Zustände. Nach dem Tod ihres Freundes sagen sie jetzt, es sei doch egal, wo sie sterben würden – es erwische sie schließlich auch im Heim in Heiligenhaus. Entsprechend bitter waren die Anklagen, die vor dem Rathaus in Richtung Bürgermeister Jan Heinisch (CDU) geäußert wurden. Heinisch, der sich allen früheren Gesprächsversuchen gegenüber ablehnend gezeigt hatte und sich auch am Dienstag nicht blicken ließ als die Geflüchteten erstmals ins Rathaus gegangen waren, musste sich der Demo stellen. Die zornige Gruppe auf dem Weihnachtsmarkt löste zuviel Aufmerksamkeit aus. Er kam hinaus auf die Treppe des Rathauses und versuchte sich an einer Rechtfertigung. Dabei feilschte er um 30 Minuten, die der Krankenwagen früher oder später eingetroffen sei, behauptete, soetwas wie eine Kostenübernahme für einen Krankentransport würde niemanden interessieren und verwies im Übrigen auf laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu Hassans Tod. Es erstaunte, wie geübt auch ein Funktionsträger in der Provinz das Abwiegeln und die verfeinerte Art, mit vielen Worten gar nichts zu sagen, beherrscht.
Es schien, als redete er vor allem für die Heilinghauser Menschen, die sich in wohlig-weihnachtliche Stimmung bringen und darin nicht gestört werden wollten. Die Reaktionen einiger waren nicht überraschend, kontrastierten jedoch auffallend mit dem Nächstenliebe-Tamtam aus der Musikanlage und dem Schimmerglanz der Buden des Marktes. Von « Wem’s hier nicht passt soll doch dahin gehen wo er hergekommen ist », bis zu « Ist doch besser als bei denen im Busch », gab es zwischen Glühwein und Kinderchor die ganze Palette ekelerregender deutscher Geisteshaltung zu hören. Aber nicht alle reagierten so. Viele zeigten sich ehrlich betroffen und hörten den Reden der Geflüchteten aufmerksam zu.
Auch Bürgermeister Heinisch kam letztlich nicht um die Zusage herum, in Kürze weiter mit den Geflüchteten zu reden und sich um die angeklagten Mißstände im Heim an der Ludgerusstraße kümmern zu wollen. Für die von ihm angesprochenen Verbesserungen gaben ihm die Geflüchteten eine Woche Zeit. Sie haben ihre Angst verloren und wollen weiter gemeinsam für eigene Wohnungen und ein menschenwürdiges Leben kämpfen. Nach der Rückkehr in die alte Schule und einem live gerappten Song für ihren Freund Hassan auf dem ehemaligen Schulhof kündigten sie selbstbewusst an, sich nächsten Donnerstag, am 19.12. um 16:00 Uhr, erneut zu versammeln und über die bis dahin eingetretenden Entwicklungen zu beraten : Reaktion bewusst offen. Dazu bitten sie wieder um eine möglichst breite Unterstützung aus der Region, damit sie den Druck auf die Stadt Heiligenhaus aufrecht halten können.
Video vom Auftritt des Bürgermeisters (Dank an Victory Viktoria)
Die Fotos im Artikel sind von Maman Salissou Oumarou (vielen Dank!)
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