Antifaschistische Nachrichten no 11, no 12 1993

In diesem Update unseres Online-Dossiers zu Solingen 1993 und zur Abschaf­fung des Grund­rechts auf Asyl am 26.05.1993 veröf­fent­li­chen wir drei Artikel der seiner­zeit erschei­nenden « Antifa­schis­ti­schen Nachrichten ».
Beim ersten Artikel handelt es sich um eine Publi­ka­tion vom 21.05.1993, die sich fünf Tage vor dem « Tag X » genannten Beschluss des Bonner Bundes­tages zur Änderung des Grund­ge­setzes ausführ­lich mit der neuen Asylge­setz­ge­bung befasst. In dem Artikel von Ulla Jelpke wird im Umkehr­schluss deutlich, welche Einschnitte in die Asylge­setz­ge­bung erfolgten. Für viele Schikanen und Repres­sionen, die heute noch – 20 Jahre danach – von Flücht­lings­in­itia­tiven und Unter­stüt­zer­gruppen bekämpft werden, wurde am 26.Mai 1993 die Grund­lage gelegt. (Siehe auch das Inter­view mit dem damaligen stell­ver­tre­tenden Vorsit­zenden der SPD-Fraktion im Bundestag, Rudolf Dressler)
Die beiden anderen Artikel der « Antifa­schis­ti­schen Nachrichten » erschienen fünf Tage nach dem Brand­an­schlag in Solingen. Neben einer ersten Schil­de­rung der Gescheh­nisse auf dem Titel der Ausgabe bietet der Beitrag « Neofa­schis­ti­sche Gruppen in Solingen » einen recht umfas­senden Überblick über die damalige Naziszene in den bergi­schen Großstädten.
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Neofaschistische Gruppen in Solingen - Auch Deutsche Liga aktiv

 

Antifa­schis­ti­sche Nachrichten vom 04.06.1993
Seite 2

Neofa­schis­ti­sche Gruppen in Solingen
Auch Deutsche Liga aktiv

Die folgenden Infor­ma­tionen wurden am 31.5.1993 zusam­men­ge­stellt.

Vierzehn Tage vor den Morden an fünf türki­schen Bürgern von Solingen überfielen Neonazis und Skinheads auf dem Solinger Dürpel­fest, Besucher, die buntge­färbte Haare hatten, schlugen sie so zusammen, daß sie in Kranken­häu­sern behan­delt werden mußten. Solinger Antifa­schisten sahen, daß sich auf dem Fest der überre­gional bekannte Faschist Thorsten Lemmer aufhielt (die folgenden Infor­ma­tionen über Lemmer sind einem Artikel der Antifa­schis­ti­schen Zeitung NRW, Nr. 1, Mai 1993, entnommen).

Lemmer ist führender Funktionär in neofa­schis­ti­schen Organi­sa­tionen, darunter stell­ver­tre­tender Vorsit­zender und Fraktons­ge­schäfts­führer der „Freien Wähler­ge­mein­schaft” (FWG), die im Düssel­dorfer Stadtrat als Absprengsel der Republi­kaner vertreten ist. Lemmer ist auch Manager der berüchigten Nazi-Musik­gruppe Störkraft. Er war früher Mitglied bei den REP in Köln und kennt von daher die damaligen Kölner REP- und heutigen Deutsche Liga-Mitglieder des Kölner Gemein­de­rates, Manfred Rouhs und M. Beisicht. Lemmer ist vor kurzem Mither­aus­geber der von Rouhs heraus­ge­ge­benen faschis­ti­schen Hetzzeit­schrift „Europa vorn” geworden.

Ordnungs­dienst” aus Solingen

Als die Deutsche Liga am 16.6.1992 im Kölner Senats­hotel eine Veran­stal­tung zur Hetze gegen auslän­di­sche Bewohner der Bundes­re­pu­blik durch­führte, waren als „Ordnungs­dienst” u.a. Mitglieder der Düssel­dorfer FWG, darunter Lemmer, anwesend. Die Kölner Polizei unter­sagte damals der Veran­stal­tungs­lei­tung den Einsatz ihres „Ordnungs­dienstes’” weil er unifor­miert war.

Bei dieser Veran­stal­tung traten als angemie­teter „Ordnungs­dienst” auch Leute aus Solingen an, darunter der Solinger Bernd Schmitt, Leiter des „Deutschen Hochleis­tungs-Kampf­kunst­ver­bands” (DHKKV) (auch die Angaben zu Schmitt sind der Antifa­schis­ti­sche Zeitung NRW, 1/93, entnommen). Hinter dem DHKKV verbirgt sich der 1. H.S.C. Solingen, auch bekannt als Thai Box-Schule „Hak-Pao”. Leiter der HakPao-Schule ist Bernd Schmitt. Entgegen der Tatsache, daß Schmitt auf Hetzver­an­stal­tungen der Neofa­schisten „Ordnungs­dienst” verrich­tete, behauptet er in einem Schreiben an die Antifa­schis­ti­sche Aktion Wuppertal, sein „Ordnungs­dienst” sei absolut unpoli­tisch. Die Verbin­dung zwischen Mitglie­dern der „Hak-Pao2-Schule des B. Schmitt zu den organi­sierten Neofa­schisten stellen neben Skinheads vor allem zwei Funktio­näre der Neonazis her : Bernd Koch und Wolfgang Schlösser. Sie trainieren in der Schule von Schmitt. Die beiden Solinger sind seit vielen Jahren in faschis­ti­schen Organi­sa­tionen tätig. (siehe Antifa­schis­ti­sche Zeitung NRW, 1/93). Anfang der achtziger Jahre wurde Koch Mitglied der „Sozial­re­vo­lu­tio­nären Kampf­ge­mein­schaft Deutsch­land”, bestellte und verbrei­tete Propa­gan­da­ma­te­rial der illegalen Partei NSDAP/AO. Zur gleichen Zeit gründete Koch mit einigen NPD-Angehö­rigen aus Solingen und Wuppertal die „Bürger­initia­tive für Auslän­der­stop” (BIFAS). Bei BIFAS-treffen ließen sich die Mitglieder in SS-Uniform fotogra­fieren. Mitglied in dieser Hetzgruppe gegen Ausländer wurde W. Schlösser.

1983 schrieben BIFAS-Mitglieder Drohbriefe gegen jüdische Gemeinden, Frauen­häuser und Einrich­tungen von Lesben in mehreren deutschen Städten und im benach­barten deutsch­spra­chigen Ausland. Die mit Mord- und Verge­wal­ti­gungs­dro­hungen verse­henen Briefe waren in der Regel mit „NSDAP Gau Solingen” oder „Reichs­lei­tung Wuppertal” unter­zeichnet. Die Polizei identi­fi­zierte die Finger­ab­drücke von Koch und dem Wupper­taler BIFAS-Mitglied W. Binder. Binder wurde mit 21 Monaten Gefängnis bestraft, Koch mit 12 Monaten auf Bewäh­rung. Ende 1986 wurde Koch Solinger Kreis­vor­sit­zender neofa­schis­ti­schen FAP. W.Schlösser war ebenfalls in der FAP aktiv und wechselte sich mit Koch auf dem Posten des Kreis­vor­sit­zenden ab.

Neonazis und Skinheads

Schlösser gründete 1989 die Bergi­sche Front, die haupt­säch­lich aus jugend­li­chen Neofa­schisten und Skinheads bestand. Schlösser und Koch landeten schließ­lich bei der Deutschen Liga, bzw. deren Vorläufer Deutsche Allianz. Koch lud am 5.7.1991 per Anzeige zum ersten Mal zum monat­li­chen „Stamm­tisch” der Deutschen Allianz in eine Solingen-Ohligser Kneipe in. Im Jahre 1992 inserierten Koch und Schlösser regel­mäßig in der Zeitung der Deutschen Liga, der „Deutschen Rundschau”. Schlösser warb für eine Deutsche Kampf­s­port­in­itiave, einem Zusam­men­schluß von patrio­tisch denkenden Kampf­sport­lern, die es sich zum Ziel gemacht haben… „Kampf­künste im natio­nalen Lager bundes­weit zu fördern”.

Die Solinger Neofa­schisten waren im letzten Jahr in der gleichen Art wie der rechts­kräftig verur­teilte Faschist Koch tätig : Nachdem beim Solinger Ordnungsamt im November eine Demons­tra­tion gegen die herrschende Asylpo­litik angemeldet worden war, wurde der Anmelder der Demons­tra­tion am Telefon mit Morddrohnngcn terro­ri­siert. Außerdem wurde in diesem Jahr ein Brand­an­schlag auf die türki­sche Moschee ausgeübt.

In den letzten vierzehn Tagen stellten Antifa­schisten fest, daß im Solinger Stadt­teil Wald verstärkt auslän­der­feind­liche Propa­ganda der Deutschen Liga verklebt worden ist. Wie die örtliche Presse berich­tete (Solinger Tageblatt, Extra­blatt vom 29.5.1993), trafen sich in letzter Zeit in dem Park „Bären­loch”, der direkt hinter dem von den faschis­ti­schen Mördern angezün­deten Haus liegt, regel­mäßig faschis­ti­sche Skinheads, die dort auch Schieß­übungen abgehalten haben sollen. Diese Skinheads waren nach Angaben von Solinger Antifa­schisten Anhänger der Nazi-Musik­gruppe Störkraft, die, wie schon gesagt, T. Lemmer managt. Er ist ebenfalls ein Verbin­dungs­glied zur Deutschen Liga.

Die Bezie­hungen zwischen den Neofa­schisten Koch und Schlösser zu Skinheads laufen anschei­nend also über die Thai-Box-Schule des Schmitt in Solingen. Schmitt stellte für die Deutsche Liga einen „Ordnungs­dienst” zur Verfü­gung. Schlösser baute eine faschis­ti­sche Kampf­sport­gruppe auf, doch wohl auch mit Mitglie­dern der Solinger Kampf­sport­schule.

Organi­sierte Neofa­schisten arbeiten in Solingen insbe­son­dere in der Deutschen Liga. Diese organi­sierten Solinger Neofa­schisten hatten Bezie­hungen zu faschis­ti­schen Skinheads. Waren dieje­nigen Skinheads, zu denen Koch und Schlösser Kontakt haben, an dem Treffen der Skinheads im „Bären­loch” direkt hinter dem Haus der türki­schen Familien betei­ligt?. Hat die auslän­der­feind­liche Hertze der Deutschen Liga direkt auf diese Skinheads einge­wirkt ? Nicht vorstellbar ist, daß Schlösser und Koch bei ihren Kontakten mit den Skinheads nicht über die aggres­siven Ziele des „natio­nalen Lagers” sprachen. Genau um diese faschis­ti­sche Propa­ganda zu verbreiten, hatten Schlösser und Koch ja Kontakte zu den Skinheads aufge­nommen. Daß Koch vor nichts zurück­schreckt, zeigt seine Betei­li­gung an den Morddro­hungen, weswegen er verur­teilt wurde.

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