Nacht für Nacht auf Feuerwache

 

Wupper Nachrichten vom 03.07.1993
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Nacht für Nacht auf Feuer­wache

Wie blöd muß sich doch die Polizei vorkommen!”, sagt Hugo am Ende der zweiten Schicht. „Nacht für Nacht, Tag ein, Tag aus durch die Gegend gurken, jeden Passanten mißtrau­isch beäugen… Nichts passiert,aber trotzdem muß man aufmerksam bleiben, weil ja etwas passieren könnte ! Mich macht das marode. Mir ist ganz schwin­delig vor lauter Im-Kreis-Fahrerei.”

Nachts, wenn Dracula erwacht, die Fernseh­an­stalten ihre Sende­pausen einlegen, die letzten Kneipen­gänger nach Hause torkeln, klingeln seit einigen Wochen in diversen Elber­felder Haushalten die Wecker : Hugo (28), heute einge­teilt für die zweite Schicht, ging um Elf zu Bett und reißt sich um Halbdrei aus seinen Träumen. „Auch die Eulen der Minerva beginnen ja erst in der Nacht ihren weisen Flug”, denkt er beim Kaffee, „aber die sind bei aller Weisheit wohl nicht so müde”. Auf dem Weg zum Treff­punkt sinniert er, ob er nun ein Narr sei, sich trotz Vollaus­las­tung durch seinen Job nachts den Schlaf rauben zu lassen oder ein Weiser, was bekannt­lich nah beiein­ander liegt : „Wie doch alles inein­an­der­geht, wenn man den verord­neten Rhythmus durch­bricht, ohne einen alter­na­tiven rausch­haften Rhythmus dafür eintau­schen zu können. Ach trübsin­nige Vernunft, gutmei­nende Pflicht”, denkt Hugo und trifft zu seinem Erstaunen am verein­barten Treff­punkt zunächst auf einen jener Transits, mit denen türki­sche Männer, parallel und ohne Absprache mit den von Deutschen majori­sierten Initia­tiv­gruppen, ebenfalls nachts Streife fahren. Die Transit-Männer holen eine Thermos­kanne hervor und winken Hugo zum Kaffee, nehmen dann aber keine weitere Notiz von ihm, der doch so guten Willen zeigt. „Seid ihr auch so müde?” fragt Hugo um irgend­etwas zu sagen. „Geht, geht”, sagt ein Türke. „Sind das jetzt die Grauen Wölfe, über die auf unseren Stadt­teil­ver­samm­lungen immer so viel disku­tiert wird ? Für mich sehen die gar nicht nach Faschisten aus, aber heutzu­tage sieht man ja auch den Deutschen Faschisten ihr Gesin­nung nicht mehr an.” Hugo gibt seine ausge­trun­kene Tasse zurück, die Männer setzen sich mit ihrem Transit in Bewegung.

Hugo trifft auf Lisa und Marion, die heute die erste Schicht von Eins bis Drei bestritten. „Nichts beson­deres passiert, nur ein Transit kurvt rum, von den Türken”, berichten sie karg. Hugo ist heute mit Albert auf der Spätschicht allein. Nach einigem Hin und Her einigen sie sich, erstmals ein Auto zu benutzen. Schließ­lich kommt man dann viel öfter durch die einzelnen Straßen. Nach der dritten Rundfahrt bereits wird es Hugo ganz schwin­delig. „Immer im Kreis herum, das geht auf den Kreis­lauf. Wie gerne würde ich irgend­etwas Wütendes tun, irgend­eine eine Linie machen : Rennen, schmeißen, schießen, schreien.… Aber wir sind halt eine Nachbar­schafts­in­it­fa­tive und müssen uns anstrengen, daß man uns unsere braven Gesichter auch glaubt.”

Hugo ist nur einer unter jenen zahlrei­chen Menschen, die sich nach den ausIän­der­feind­li­chen Anschlägen der letzten Wochen spontan zu Nachbar­schafts­in­itia­tiven zusam­men­ge­schlossen haben und nun Stunden kostbaren Schlafes für die vage Hoffnung opfern, ihre Anwesen­heit in den Vierteln schrecke poten­ti­elle Brand­leger ab. „Stellen Sie sich schüt­zend vor Ihre auslän­di­schen Mietbürger”, hatten hochran­gige Politiker nach Solingen gefor­dert. Leute wie Hugo hätte es auch ohne diese Auffor­de­rung dazu gedrängt, etwas zu tun. Aber trotz eindring­li­cher Appelle, jeder Menge Flugzet­teln in den Hausfluren der Elber­felder Nord-Quartiere und durchaus freund­li­cher Aufnahme durch die Bewoh­ne­rInnen, sind es nicht gar so viele Menschen, die sich beim Gedanken an Deutsch­land in der Nacht um den Schlaf bringen lassen. Sich vor die Häuser bedrohter Nachba­rInnen zu stellen, dazu reicht die Zahl der freiwil­ligen Schutz­pa­trone bei weitem nicht. Gemäß der Devise „Wo die Nacht am tiefsten hängt, ist der Alltag am nächsten” betätigen sich die nachbar­schaft­li­chen Aktivistlnnen, aufge­teilt in Schichten und Reviere, als tritt­feste Nacht­ge­hende oder benzin­fres­sende Nacht­fah­rende. Letzteres geschieht oft mit schlechtem Gewissen.

Wenigs­tens in der Nacht sollte der Verkehr mal aufhören. Und zu Fuß riecht, hört und sieht man viel mehr”, meint Marion..Aber was tust du, wenn du auf die Nazis triffst ? Zu Fuß kannst du da nur noch die Beine in die Hand nehmen”, meint Hugo. „Wir sind doch nicht dazu da, uns mit Nazis anzulegen, sondern, um im Falle einer Gefahr Alarm zu schlagen”, sagt Lisa ; um den Hals trägt sie eine große engli­sche Triller­pfeife. Albert ist zwar eigent­lich anderer Meinung, aber sieht keinen Grund, den Pazifistlnnen zu wider­spre­chen. Hat er doch auch nach drei Nacht­wa­chen noch nicht einen Nazi im Licht­kegel seiner großen Taschen­lampe gefangen, nur ein bumsendes Pärchen hat er einmal aufge­stö­bert. Es wälzte sich zwischen der Hunde­scheiße im düsteren Park. „Offen­sicht­lich trauen sich die Rechten, die es auch in unserem Stadt­viertel gibt, seit Beginn der Nachwa­chen nicht mehr aus ihren Löchern”, erklärt Albert.

Hugo, Albert, Marion und Lisa - sie bewohnen das gleiche Stadt­viertel, aber vor dem ersten Treffen der Initia­tive kannten sie sich höchs­tens vom Sehen. Bei den gemein­samen Nacht­streifen lernen sie sich ein wenig besser kennen, reden über Gott und die Welt und die Struktur ihres Stadt­teile. Sie regis­trieren „gefähr­dete Objekte”, unabge­schlos­sene Haustüren, feuer­ge­fähr­li­chen Sperr­müll. In ihren Einschät­zungen, ihrem politi­schen Weltbild, ihrer Form des Umgangs mit Gewalt und Gefahr unter­scheiden sie sich deutlich. Aber auch wenn die Nacht­wa­chen wider einschlafen sollten, ist im Stadt­teil eine rudimen­täre Kommu­ni­ka­ti­ons­struktur entstanden. Manche Aktivistlnnen halten dies für wesent­li­cher, als die zweifel­hafte Schutz­funk­tion.

Nicht bewahr­heitet haben sich bislang verein­zelte Befürch­tungen von Leuten, die nicht an den Nachwa­chen betei­ligt waren : Die Sache könne sich verselbst­stän­digen, die Streifen könnten sich Polizei­ge­walt anmaßen, auf den StraBen würden diverse Banden in Konkur­renz zuein­ander die Kontrolle beanspru­chen. Die Polizei spricht zwar von „verein­zelten Überre­ak­tionen ganz zu Anfang der Wachen” und zu diesem Zeitpunkt machten auch Gerüchte die Runde, einzelne Autofahrer wären zum Vorzeigen ihrer Papiere gezwungen worden. Solche Einzel­taten stießen bei den Initia­tiven jedoch auf breite Ableh­nung. Die Polizei versi­chert, die Nacht­wa­chen wider­sprä­chen nicht ihrem neu aufge­legten Sicher­heits­kon­zept, das auf seine Art auf die Betei­li­gung und Beruhi­gung der auslän­di­schen Bewoh­ne­rinnen abzielt. So wurden alle auslän­di­schen Adressen Wupper­tals, Solin­gens und Remscheids erfasst. Die Polizei beabsich­tigt jetzt, alle einzelnen Quartiere aufzu­su­chen, und mit Hausmeis­terlnnen, Eigen­tü­me­rInnen oder Bewoh­nerlnnen notwen­dige Siche­rungs­maß­nahmen zu erörtern. Auch die Feuer­wehr hält Tips für mehr Sicher­heit bereit.

Totale Sicher­heit können aber weder die nachts immer noch spärlich vertre­tenen Polizistlnnen, noch die selbst­or­ga­ni­sierten Nacht­wa­chen bieten. Das hat eine Brand­stif­tung in der Nordstadt am 24.Juni gezeigt. Nach einem Einbruch in den Keller der Marienstr. 32 wurde Feuer gelegt. Die Bewoh­ne­rInnen bemerkten die Rauch­ent­wick­lung frühzeitig und konnten den Brand löschen. Es entstand nur geringer Sachschaden. Die Polizei hat noch keinen Tatver­däch­tigen ermit­telt, aber die Betrof­fenen sind verun­si­chert : „Bislang hat es mir hier am Ölberg sehr gut gefallen”, sagt ein spani­scher Bewohner des Hauses, „hier gibt es viele andere Ausländer und auch die Deutschen finde ich nett. Viele kenne ich vom Sehen. Ich weiß nicht was diese Nazis wollen. Wir haben dreißig Jahre hier die Drecks­ar­beit gemacht, Steuern bezahlt und neue Speisen einge­führt. Was wäre das für eine deutsche Kultur ohne die Ausländer?”

Knut Unger

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Nachbarschaften !

 

Wupper Nachrichten vom 03.07.1993
Seite 3

Nachbar­schaften !

Ein Anfang ist gemacht, ein deutli­ches Zeichen ist gesetzt : Überall im Elber­felder Norden, aber auch in anderen Wupper­taler Stadt­teilen, hat eine nicht geringe Zahl von Menschen gezeigt, daß sie bereit sind, Zeit und Energie zu opfern, um sich und ihre Nachba­rInnen vor auslän­der­feindll­chen Gewalt­an­schlägen zu schützen.

Die einzelnen Initia­tiven sind dabei so unter­schied­lich, wie die Menschen, die sich zufällig in ihnen zusam­men­ge­funden haben. So haben sich die Bewoh­ne­rInnen des Viertels nördlich der Wiesen­straße, alarmiert durch die Brand­an­schläge in der Helmholtz­straße, eine vergleichs­weise klare Organi­sa­ti­ons­struktur geschaffen, die viele Auslän­derlnnen und auch ältere Deutsche einbe­zieht. Die Ölberg-lnitia­tive dagegen ist arg geschrumpft, auch wenn in ihr Ideen wie die einer multi­na­tio­nalen Frauen­gruppe entstanden sind. Freilich bestehen am Ölberg auch unabhängig von den förmli­chen Treffen auf dem Otto-Böhne-Platz schon tradi­tio­nell mannig­fache Kontakte zwischen Auslän­derlnnen und Deutschen. Viele Einwan­derlnnen verfügen hier über eigene Läden, Vereine und Treff­punkte, die ganz alltäg­liche Anknüp­fungs­punkte für Nachbar­schafts­in­itia­tiven bilden. Sehr multi­kul­tu­rell geht es auch bei der Initia­tive zu, die das Gebiet zwischen Wiesen­straße und Hochstraße umfasst. Diese Gruppe hat auch eine erste kommu­nal­po­li­ti­sche Forde­rung aufge­stellt : Von der Telekom verlangt sie die Errich­tung eines Telefon­häus­chen am Helene-Weber-Platz. Die Initia­tive vom Platz der Republik hat es bislang nicht geschafft, viele Menschen über den Kreis der überwie­gend jungen und deutschen Gründungs­ak­ti­vistlnnen hinaus anzuspre­chen. Der Stadt­teil ist insge­samt anonymer als die Nachbar­viertel. Schon das Zusam­men­treffen der jüngeren Deutschen, die sich bisher kaum oder nur zum Teil kannten, wird häufig als ein wichtiger Erfolg gewertet. Über diese Elber­felder Initi­tia­tiven hinaus haben sich auch in Arren­berg, Unter­barmen und Wichlings­hausen Ansätze zu neuen Gruppen gebildet.

Viele Nachba­rinnen finden die spontanen Selbst­hil­fe­ak­tionen gut, haben aber noch nicht den Weg zu den Treffen der Initia­tiven gefunden. Dafür gibt es sicher­lich viele Gründe. Nicht jede/r kann es sich erlauben, die halbe Nacht für eine Nachbar­schafts­in­itia­tive zu opfern. Andere werden Angst vor einem mögli­chen Zusam­men­treffen mit Nazis haben, oder sie hegen Vorbe­halte gegen „Leute, die sich anmaßen, Polizei­ar­beit zu machen”. Daß die Polizei alleine uns kaum schützen kann, das haben die schreck­li­chen Vorfälle der letzten Wochen gezeigt. Die Nacht­wa­chen können im Stadt­teil zwar auch keine totale Sicher­heit schaffen, aber sie drücken den deutli­chen Willen aus, daß wir unsere Nachba­rinnen ohne deutschen Pass nicht alleine lassen wollen in ihrer Sorge und ihrer Angst vor mögli­chen Anschlägen. Es darf in den Stadt­teilen keine Leerräume geben, in denen sich rassis­ti­sche Mörder­banden, begüns­tigt durch syste­ma­ti­sches Weggu­cken von Staat und Gesell­schaft, zusam­men­rotten können.

Großstäd­ti­sche Wohnviertel lassen sich nicht kurzer Hand in Dörfer verwan­deln, wo jede/r jede/n kennt. Aber ein Mindestmaß an gemein­schaft­li­cher Verant­wor­tung für die Viertel, in denen wir leben, wird immer mehr zu einer Vorraus­set­zung für ein fried­li­ches Zusam­men­leben. Wir alle müssen jetzt zeigen, daß wir gewillt sind, das bereits entstan­dene Mitein­ander verschie­dener Nationen und Kulturen aktiv zu vertei­digen. Wenn wir unsere Stadt­teile tatsäch­lich in „multi­kul­tu­relle Gesell­schaften” verwan­deln wollen, ohne Diskri­mi­nie­rung, aber auch ohne Verdrän­gung von Problemen, erfor­dert das wesent­lich mehr, als den Konsum von Kebab und Souflaki.

Nach mehreren Wochen Nacht­wa­chen stellt sich jetzt die Frage, wie es weiter­gehen soll. Wie bei allen Bewegungen, die aus spontanen Betrof­fen­heiten heraus entstanden, kann man auch jetzt davon ausgehen, daß die Bereit­schaft, sich einzu­setzen mit der Zeit stark abnehmen wird. Bisher gibt es neben den Nacht­wa­chen viel zu wenig alter­na­tive Betei­li­gungs­mög­lich­keiten für die Menschen in den Stadt­teilen. Wer sich nicht die Nächte um die Ohren schlagen kann oder will, der hat keinerlei Möglich­keiten, sich für die Stadt­teil­in­iti­tia­tiven zu engagieren. In diversen Stadt­teil­gruppen mangelt es an Kontakten zur ansäs­sigen Bevöl­ke­rung. Da ist noch jede Menge Arbeit zu leisten. Auch Gruppen und lnsti­tu­tionen, die schon seit längerem der auslän­der­feind­li­chen Offen­sive entge­gen­wirken, sind bislang kaum einbe­zogen. Es müssen schleu­nigst Ideen entwi­ckelt werden, wie die allnächt­li­chen Aktivi­täten durch alltäg­liche ergänzt werden können.

Die Nacht­wa­chen dürfen nicht wie zuvor die Lichter­ketten zu schein­hei­ligen Symbolen eines guten Gewis­sens werden. Auf der Grund­lage der Stadt­teil­in­itia­tiven ließen sich tausend­und­eine Sachen entwi­ckeln. Zum Beispiel fehlt es an einem zentralen Kontakt­punkt für alle Menschen, die von rassis­ti­schen Diskri­mi­nie­rungen, nicht nur Gewalt­dro­hungen, betroffen sind. Beschwerden über diskri­mi­nie­rende Zustände in Schulen, Läden oder bei der Vermie­tung könnten vielleicht über ein Telefon gesam­melt werden. Und unter Nutzung des weitrei­chenden und diverse Berufe umfas­senden Kommu­ni­ka­ti­ons­netzes der Stadt­teil­in­itia­tiven könnte dann in jedem Einzel­fall überlegt werden, was zu tun ist. Auch dabei könnte natür­lich der Kontakt zu Insti­tu­tionen wie Mieter­ver­einen, Kommu­ni­ka­ti­ons­zen­tren, Flücht­lings- und Auslän­der­be­ra­tungen hilfreich sein.

Knut Unger

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