Mutmaßlicher Täter enttarnt ?

 

Wupper Nachrichten vom 05.06.1993
Seite 4

Mutmaß­li­cher Täter enttarnt ?
Amsterdam : weitrei­chende Nazikon­takte

Der in Amsterdam erschei­nende Nachrich­ten­dienst „Germany Alert” („The free flow of uncen­sored facts”) will genau wissen, wie der mutmaß­liche Täter von Solingen, (Chris­tian R., 16) heißt und über welche Verbin­dungen zur Nazi-Szene er verfügt. Damit soll die Einzel­tä­ter­le­gende” ausge­räumt werden.

Nach Recher­chen von „Germany Alert” soll R. Schüler in einem bekannten Solinger Kampf­sport­verein sein. Der Leiter dieses Vereines soll Gründungs­mit­glied der FAP sein und über Kontakte zur Natio­na­lis­ti­schen Front und andere Nazi-Organi­sa­tionen verfügen. Der „Deutsche Hochleis­tungs­kampt­kunst­ver­band (DHKKV)”, in dem dieser Leiter Mitglied ist, wird von „Germany Alert” als „Terror-FIügel” der „Natio­na­lis­ti­schen Front” (NF) bezeichnet. Allge­mein bekannt ist, daß der DHKKV verschie­dent­lich den Sicher­heits­dienst bei Veran­stal­tungen der Rechten übernahm. Nach „Germany Alert” soll bei einem Treffen der NF im August 1992 der DHKKV mit Kampf­auf­gaben beauf­tragt worden sein. Heute sei der DHKKV als Tarnor­ga­ni­sa­tion der verbo­tenen NF anzusehen, womit ein Aufruf des NF-Führers Meinholf Schön­born nach dem NF-Verbot befolgt werde.

Die Mutter der verhaf­teten Solin­gers R. und ihr Freund sollen ebenfalls über Kontakte zu Rechten verfügen, so zum Umfeld der Düssel­dorfer Gruppe „Störkraft” und der rechten „Freien Wähler­ge­mein­schaft” im Düssel­dorfer Rathaus. Daß diese Kreise über gute Kontakte zur Solinger rechten Jugend­szene verfügen, ist allge­mein bekannt.

 

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Neonazis in Solingen

 

Wupper Nachrichten vom 05.06.1993
Seite 4

Neonazis in Solingen
Eine lange braune Spur

Auch was dle rechts­ex­treme Szene In Solingen anbelangt, hat es In der vergan­genen Woche Jede Menge Gerüchte, falsche und halbwahre Infor­ma­tionen gegeben. Wir versu­chen den Kennt­nis­stand zusam­men­zu­fassen, über den Solin­gerlnnen verfügen, die die Rechten seit Jahren beoachten.

In den 80er,Jahren machten wieder­holt neona­zis­ti­sche Organi­sa­tionen von sich reden, die mit dem Solinger Bernd Koch verbunden waren. Bernd Koch verfügte nach Zwischen­sta­tionen bei der CDU und der NPD Anfang der 80er Jahre über Kontakte zu solchen Organi­sa­tionen wie Michael Kühnens ANS/NA. Zur gleichen Zeit gründete er zusammen mit einigen NPD-Anhän­gern aus Solingen und Wuppertal die „Bürger­initia­tive für Auslän­der­stop” (BIFAS) 1983 kam es zu einer Drohbrief­kam­pagne gegen jüdische Gemeinden und Frauen­häuser, die Briefe waren zum Beispiel mit „NSDAP Gau Solingen” unter­zeichnet. Koch wurde damals zu einer Bewäh­rungs­strafe verur­teilt. Ende 1986 trat er als FAP-Kreis­vor­sit­zender wieder an die Öffent­lich­keit. Zusammen mit dem Solinger Bernd Schlösser wechselte er sich im Partei­vor­sitz ab. Beide verließen nach kurzer Zeit die FAP. Schlösser betei­ligte sich an der Gründung der „Bergi­schen Front”, die haupt­säch­lich aus jungen Rechts­ex­tre­misten und Skins bestand. Koch und Schlösser schlossen sich später der „Deutschen Liga” an, in deren Organen Schlösser auch für eine „Deutsche Kampf­s­port­in­itia­tive” (DKI) warb. Beide Herren trainieren auch in einem Solinger Kampf­sport­verein. Ob dieser Verein eine neona­zis­ti­sche Vorfeld­or­ga­ni­sa­tion ist, ist unter Beobach­tern der Szene umstritten. Einer­seits soll der mehrere hundert Mitglieder umfas­sende Verein die „Security” für Deutsche Liga- und Republi­kaner-Veran­stal­tungen übernommen haben, anderer­seits sollen in ihm auch viele Ausländer und völlig unpoli­ti­sche Leute trainiert haben. Als weiterer bekannter Rechts­ra­di­kaler in Solingen gilt der Bauun­ter­nehmer Günther Kissel, der für die Stadt mehrere öffent­liche Bauten errichtet hat. Als 1979 bekannt wurde, daß der Unter­nehmer auf seinem Firmen­ge­lände eine Veran­stal­tung mit dem briti­schen Holocaust-Leugner David Irving durch­führte, kam es in Solingen zu einem Skandal.

Beson­ders lang ist die Liste rechter Aktivi­täten und rassis­ti­scher Übergriffe in Solingen seit einem Jahr. Ende Mai 1992 kam es zu einem Überfall auf ein Flücht­lings­heim an der Bahnstraße. Zwei mit Eisen­stangen bewaff­nete Skins brachen in das Heim ein und verletzten vier Bewohner, zwei davon schwer. In erster Instanz wurde ein Täter auf Bewäh­rung verur­teilt, in der Revisi­ons­in­stanz wurde die Bewäh­rung gestri­chen. Anfang Oktober fahren drei Fahrzeuge am Flücht­lings­heim Alten­hil­ferstr, vor. Ca. 13 Leute rufen rassis­ti­sche Parolen und bewerfen das Heim mit Eiern. Mit dabei ein Jeep, aus dem heraus später Antifa­schistlnnen mit Cola-Dosen beworfen und mit „Heil Hitler„Rufen traktiert werden. Ungefähr im Oktober des letzten Jahres spaltet sich die Szene. Neue, sehr junge Leute tauchen auf. Sie sind nicht alle Skins, sollen aber über inten­sive Kontakte zu der Düssel­dotter Nazi-Band „Störkraft” verfügen.

In größeren Gruppen suchen diese Jungend­li­chen die Ausein­an­der­set­zung mit den Linken, in kleineren Gruppen aber ergreifen sie die Flucht. Es ist diese Szene, die sich nach der Beobach­tung der Antifa­schls­tinnen öfter am „Bären­loch” und der BP-Tankstelle aufhält. Der harte Kern wird auf ca. 15 Leute geschätzt, es gibt aber noch ein Umfeld. Wie mit diesen Jung-Rechten umzugehen ist, war aber auch in der Antifa-Szene umstritten. „Vielleicht haben wir diese Gruppe unter­schätzt”, sagt ein Solinger, „aber ich scheue mich einfach, einem 16-Jährigen Ohrfeigen zu geben”.

Im November werden auslän­der­feind­liche Parolen gesprüht, im Dezember Roma auf dem Hinden­burg-Platz mit Leucht­spur­mu­ni­tion beschossen. Am 3. Februar 1993 wird die Moschee in einem Wohnhaus an der Schlag­baum­straße an zwei Stellen in Brand gesetzt. Das Feuer wird frühzeitig entdeckt, es entsteht Sachschaden in Höhe von 20 Tsd DM.

Anfang März schlagen zwei deutsche Golffahrer zwei Türken zusammen, die eine Autopanne in Wald hatten. Die Täter werden später gefasst. Im April und Mai tauchen wieder­holt rechte Gruppen bei Linken-Feten auf und überfallen Antifas auf dem Ohligser Dürpel­fest.

Beson­ders die Bewoh­ne­rinnen in den Flücht­lings­heimen sind stark verängs­tigt. „Die Leute lassen abends ihre Badewannen vollaufen, um bei einem Brand­an­schlag Wasser zu haben, die gucken wo sie ihre Kinder schlafen lassen können”, weiß eine Flücht­lings­un­ter­stüt­zerin

Am Freitag, dem Tag vor dem Anschlag, gab es beim AG Solingen einen Prozeß gegen einen Antifa­schisten. Ihm wurde vorge­worfen, auf einer Spontan-Demons­tra­tion anläß­lich Mölln einen Fotogra­phen angegriffen zu haben. Der Prozeß wurde gegen 15.30 vertagt. Anwesend war der Staats­schutz und das politi­sche Kommis­sa­riat. Die Polizei war in Alarm­be­reit­schaß. Danach waren ein paar Prozeß­be­su­cher in der Stadt unter­wegs. Am Abend wurden dann rechte Jugend­liche an einer BP-Tankstelle gesichtet.

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