Besser scheitern ! Die so_ko_wpt-Seite ist zurück.

Howdy ! Unsere Seite ist als „Inter­ven­tion und Selbst­be­herr­schung“ ab sofort wieder da. Der etwas sperrige Titel beschreibt ziemlich genau, womit wir uns beschäf­tigt haben und womit wir uns weiter beschäf­tigen werden. Wir zitieren uns mal selber :

Selbst­be­herr­schung ist Voraus­set­zung für Verbind­lich­keit in Theorie und Praxis. Sie muss in radikal linken Zusam­men­hängen an die Stelle strikter Organi­sa­tion treten. In der autonomen Bedeu­tung – der ausschließ­li­chen Beherr­schung durch sich selbst – steht Selbst­be­herr­schung für das Weiter­denken auf der Basis einer ehrli­chen Analyse des Zustands eigener Handlungs­fä­hig­keit und ein Erkennen jener Inter­ven­ti­ons­räume, in denen eine von äußeren Umständen und anderen geprägte Herrschaft über unser Tun reduziert werden kann. Dafür muss Unhin­ter­fragtes ständig hinter­fragt werden. Gegebe­nen­falls muss es auch über die Reeling gehen, wenn es die Erkenntnis gibt, dass die Motiva­tion etwas zu tun oder etwas nicht zu tun, ledig­lich eine identi­täts­po­li­ti­sche ist. Selbst­be­herr­schung bedeutet deshalb auch, Prinzi­pien einer eigenen Nicht-Organi­sa­tion zu überprüfen und Bedin­gungen für gemein­schaft­li­ches Handeln so zu ändern, dass Misser­folge, Nieder­lagen und Bedro­hungen eine Struktur nicht sofort zusam­men­bre­chen lassen.

Oder, um es kurz zu sagen : Je besser die Selbst­be­herr­schung, desto größer ist die Fähig­keit irgendwo erfolg­reich zu inter­ve­nieren. Dementspre­chend ist auch die lange Pause zu verstehen ; denn wenn eine Website nach einem Jahr wieder Online geht, kann nicht von einem „Relaunch“ gespro­chen werden. Die lange Zeit war nötig, um Selbst­be­herr­schung zurück­zu­ge­winnen.

Sie war nötig, um zu einer Neube­stim­mung nicht nur unserer Publi­ka­ti­ons­po­litik zu kommen. Unsere ganze bishe­rige Arbeit musste reflek­tiert und zukünf­tige Aktivi­täten neu justiert werden. Dieser Prozess ist natür­lich nicht abgeschlossen. Er ist jedoch weit genug voran­ge­kommen, unsere Website wieder freizu­lassen. Die teilweise Absti­nenz vom Tag-für-Tag-Geschehen hat gut getan und uns dabei geholfen, uns in einer immer deutli­cher zerbre­chenden bishe­rigen Ordnung zu positio­nieren. Und die Beschäf­ti­gung mit vergan­genen Aktivi­täten hat dazu beige­tragen, Ursachen und Wirkungen wieder einschätzen zu können. Aus einer immer mehr verwischten Bildfolge als katastro­phal empfun­dener Ereig­nisse wird langsam aber sicher wieder ein Bild von dem, womit wir es zu tun haben. Die Ergeb­nisse dieses Prozesses werden in der nächsten Zeit hier ihren Nieder­schlag finden.

Unsere lange Pause bedeutet übrigens nicht, dass wir ein ganzes Jahr nur in unserem Elfen­bein­turm zugebracht hätten. Ganz im Gegen­teil. Wir hatten trotz der weitge­henden Einstel­lung tages­ak­tu­eller Inter­ven­tionen richtig viel zu tun. Auch das hat sicher mit dazu beige­tragen, dass unsere Selbst­ver­ge­wis­se­rung ein Weilchen dauerte. Manches davon ließ und lässt sich auf Schwes­tern­seiten nachlesen. Etwa auf der Website zum Prozess, auf der die mehr als andert­halb­jäh­rige Beglei­tung des §129b-„Terrorprozesses“ gegen unsere Mitstrei­terin Latife und der damit verbun­dene juris­ti­sche Crash­kurs dokumen­tiert wurden. Das Verfahren endete erwar­tungs­gemäß frustrie­rend. Zwar befindet sich Latife bis zur Rechts­kraft des Urteils weiter in Freiheit und engagiert sich auch noch immer mit uns, nach einer negativen BGH-Revisi­ons­ent­schei­dung würde sie jedoch eine mehrjäh­rige Haftstrafe antreten müssen. Das Thema beschäf­tigt uns also weiter, auch weil die Bedeu­tung des skanda­lösen Prozesses weit über Latifes persön­li­chen Fall hinaus­weist.

Ganz sicher ist auch unser Versuch, radikal linke und antiras­sis­ti­sche Positionen in die Arbeit mit und für Refugees einzu­bringen, nicht endgültig beendet. w2wtal (welcome2wuppertal), wo manche von uns sich sehr stark einge­bracht haben, hat – wie viele in diesem Bereich Tätige – im Jahr 1 nach dem „Sommer der Migra­tion“ Höhen und Tiefen durch­laufen. Der Versuch, die Selbst­or­ga­ni­sa­tion Geflüch­teter auf allen Ebenen zu unter­stützen, ist dabei mehrfach an seine Grenzen gestoßen und die weit nach rechts verscho­benen gesell­schaft­li­chen Diskurse waren auch von uns noch Anfang 2016 so nicht erwartet worden. Noch immer halten wir die Bewegung der Migra­tion und den Umgang mit Geflüch­teten für einen Kernbe­reich der laufenden Klassen­kon­flikte ; die selbst­kri­ti­sche Reflek­tion der in der gemeinsam mit Geflüch­teten begon­nenen Projekte festge­stellten Begren­zungen ist gleich­wohl überfällig.

Damit zusammen hängt die weltweite Renais­sance natio­na­lis­ti­scher und autori­tärer Politik­kon­zepte ; Ungarn, Polen, die Slowakei oder Kroatien im Osten Europas, die Philli­pinen, die Türkei, das Frank­reich des Front National, die USA Donald Trumps und nicht zuletzt die wieder­auf­er­stan­dene Miefig­keit deutscher Befind­lich­keiten in Form von Pegida oder der AfD – das hat unsere Perspek­tiven verän­dert. Mit unserer bereits im Januar begon­nenen Diskus­si­ons­reihe „Politik in der Rechts­kurve“ versu­chen wir, dem Rechnung zu tragen. Die schon statt­ge­fun­denen Diskus­sionen mit Niklas Reese zu den Philli­pinen und Ismail Küpeli zur Türkei waren zum Verständnis der politi­schen Abläufe und gesell­schaft­li­chen Entwick­lungen schon sehr hilfreich. Wir gehen davon aus, dass die nächste Veran­stal­tung mit Bernard Schmid am 26. Mai zur Situa­tion in Frank­reich weiter Aufschluss geben wird. Die ganze Reihe wird von uns noch mindes­tens bis zur Bundes­tags­wahl fortge­setzt.

Wir haben versucht und werden weiter versu­chen, manchmal fast schon kolla­bierte Struk­turen zu revita­li­sieren. Die schon zuvor erwähnte Abfolge von als katastro­phal empfun­denen Ereig­nissen erlebt eine schwer fassbare Beschleu­ni­gung. Noch während wir versu­chen, aktuelle Ereig­nisse einzu­ordnen, ist der nächste Alarm bereits zu hören. Das ist eine Gefahr für unsere Struk­turen, denn es endet oft in Schein­ak­ti­vität. Auf Dauer schwächt das und manchmal paraly­siert es sogar. Dem nicht immer nachzu­geben, gehört auch zur Selbst­be­herr­schung. Für manches müssen wir uns mehr Zeit nehmen, besser zuhören und uns anderes besser ansehen.

In diesem Sinne. Nächstes Mal besser schei­tern ! so_ko_wpt im Mai 2017

Zur „Politik in der Rechts­kurve“ und zu unseren anderen Schwer­punkten haben wir einige der wichti­geren Texte auch hier übernommen. Blättert mal etwas zurück, wenn euch inter­es­siert, was wir im letzten Jahr so gemacht haben. Es lohnt sich ohnehin, hin und wieder mal einen Blick zurück zu riskieren : Ein neues PlugIn in der Seiten­leiste verweist ab jetzt auf ältere, thema­tisch verwandte Artikel. Ach ja : Lasst euch mal bei einem unserer Treffen blicken !

Mehr zu uns und dieser Seite gibt es hier.

Artikel teilen

Politik in der Rechtskurve 3 : Die Wahlen in Frankreich

Am Freitag, den 26.5., setzen wir unsere Veran­stal­tungs­reihe „Politik in der Rechts­kurve“ mit einer Veran­stal­tung zur Situa­tion in Frank­reich zwischen den Präsi­dent­schafts- und Parla­ments­wahlen fort. Einge­laden haben wir Bernard Schmid (Paris).

Kaum eine europäi­sche Wahl wurde 2017 so oft zu einer europäi­schen Schick­sals­wahl erklärt wie die franzö­si­sche Präsi­dent­schafts­wahl. Die deutsche Öffent­lich­keit zitterte vor einem Wahler­folg Marine Le Pens vom rechten Front National. Nachdem jedoch am 7. Mai der selbst­er­klärte Präsi­dent­schafts­kan­didat Emmanuel Macron als Sieger der Wahl feststand, sind Politik und Börsen mit vernehm­barem Erleich­te­rungs­seufzer zum Normal­be­trieb zurück­ge­kehrt : unmit­telbar nach den Gratu­la­tionen waren aus Berlin erste Forde­rungen nach weiteren neoli­be­ralen „Reformen“ in Frank­reich zu hören.

Dabei wurde vor dem zweiten Wahlgang vielfach betont, die Wahl Macrons würde ledig­lich „fünf Jahre“ Aufschub bedeuten. Wenn es keine merkli­chen Anderungen der Politik in Frank­reich und inner­halb der EU gäbe, müsse man sich spätesten 2022 auf einen Wahlsieg des neofa­schis­ti­schen Front National einstellen. Doch nicht erst die Ermah­nungen aus Berlin lassen ahnen, dass an echten Änderungen auf bürger­li­cher Seite kein Inter­esse besteht.

Die Zusam­men­stel­lung des ersten Kabinetts des neuge­wählten Präsi­denten und seine Strategie für die im Juni bevor­ste­henden Wahlen zur Natio­nal­ver­samm­lung deuten vielmehr auf einen Versuch hin, „notwen­dige Reformen“ mit einem vollkommmen auf seine Person zugeschnit­tenen, eher autokra­ti­schen System unter Auflö­sung bishe­riger Parteien und des bishe­rigen Politik­ver­ständ­nisses anzustreben.

Wie reibungslos Macron seine angekün­digten Reformen, zum Beispiel die aus Berlin gefor­derte „Flexi­bi­li­sie­rung des Arbeits­markts“ wird umsetzen können, entscheidet sich nicht zuletzt bei den Parla­ments­wahlen. Bei diesen werden die gerade verteilten Karten neu gemischt, vor allem, weil Marine Le Pen – anders als ihre zwei größten Wider­sa­cher, Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélen­chon – über eine Partei­basis verfügt, die für Kandi­daten-Aufstel­lung und Wahlkampf in den 577 Wahlkreisen benötigt wird.

Hinzu kommt : Auch die Wahl zur Natio­nal­ver­samm­lung wird in einer Stich­wahl entschieden, bei der aber (anders als zur Präsi­dent­schafts­wahl), auch mehr als zwei Kandi­da­tInnen zur Wahl stehen können (für die Teilnahme reicht ein Ergebnis von mehr als 12,5% der einge­schrie­benen Wähle­rInnen im ersten Wahlgang). Nachdem sich die Républi­cains wie auch die Parti socia­liste anschei­nend in Auflö­sung befinden, ist kaum vorher­sehbar, wie die Stich­wahl ausgehen wird. Die am 7. Mai ausge­blie­bene negative Überra­schung könnte am 18. Juni also durchaus doch noch eintreten.

Frank­reich wird so zum Schau­platz entschei­dender Weichen­stel­lungen in Europa, bei denen neofa­schis­ti­sche und zuneh­mend autokra­ti­sche Politik­vor­stel­lungen um die Vormacht kämpfen. Doch in Frank­reich gibt es durchaus auch eine Linke, die die nächsten fünf Jahre ebenfalls nutzen könnte, die Leerstellen eines zerfal­lenden Systems zu besetzen. Die tradi­tio­nell tief gespal­tene franzö­si­sche Linke müsste sich nach der Selbst­ver­sen­kung der Parti socia­liste dazu aller­dings grund­le­gend neu aufstellen.

Das Wissen um die franzö­si­sche Linke ist nicht beson­ders groß in Deutsch­land. Kaum jemand weiß beispiels­weise, für was Mélen­chon steht, der hier zumeist als „radikal links“ bezeichnet wird, und am 23. April nur sehr knapp am Einzug in die Stich­wahl schei­terte. Auch Bewegungen wie die letztes Jahr kurzzeitig für einige Furore sorgenden „Nuit Debout“-Platzbesetzungen finden in der hiesigen Linken häufig zu wenig Inter­esse – von den teils heftigen Wider­ständen gegen Polizei­ge­walt in vielen Banlieues und Vierteln ganz zu schweigen.

Zwischen den beiden wichtigen Wahlen haben wir Bernard Schmid nach Wuppertal einge­laden, um mit ihm über einige der vielen Fragen und die Gesamt­si­tua­tion im Nachbar­land zu reden. Bernard Schmid, Autor des Unrast-Verlages und Jurist, hat u.a. für antiras­sis­ti­sche NGOs und die Gewerk­schaft CGT gearbeitet. Er publi­ziert regel­mäßig zu aktuellen politi­schen Entwick­lungen in Frank­reich. Am 26. Mai wird er eigens zu unserer Veran­stal­tung aus Paris anreisen.

Politik in der Rechts­kurve III : Frank­reich zwischen den Wahlen. Mit Bernard Schmid (Paris)
Freitag, 26.5., 20 Uhr, Café ADA (oben), Wiesen­straße 6 in Wuppertal-Elber­feld.
Eintritt : Spende

In Zusam­men­ar­beit mit Arbeit und Leben DGB/VHS NW

Artikel teilen