Wuppertaler Chaostage enden in Polizeigewalt

Nach der nicht ganz ernst­ge­meinten „33. Jubilä­ums­feier” der „Punker­schlacht von Elber­feld” am 5. Juni sollte es am letzten Samstag eine richtige Neuauf­lage des samstäg­li­chen Treffens von Punks in der Wupper­taler Innen­stadt geben. Tatsäch­lich fanden sich am Mittag des 27.6. ein paar Dutzend meist noch sehr jugend­liche Punks am Brunnen auf dem Neumarkt ein, um gemeinsam den Tag zu bestreiten. Wie es sich für ein „Punktreffen” gehört, gab es Bier, Verschö­ne­rungen der Umgebung, eine „Schaum­party” im Brunnen und viel gute Laune. Ebenso tradi­tio­nell, wenn auch absolut verzichtbar, war dann der völlig überzo­gene Polizei­ein­satz, mit dem das Treffen später beendet wurde.

Es kam zu Festnahmen und brutalen Übergriffen. Im ehema­ligen Gestapo-Haupt­quar­tier, dem heutigen Polizei­prä­si­dium, erinnerten sich Beamt*innen später auch noch auf ihre Weise der furcht­baren Vergan­gen­heit des Gebäudes : Es kam offenbar zu Misshand­lungen und Ernied­ri­gungen der in „Gewahrsam” genom­menen Punks.

Vor 33 Jahren führten ähnliche Vorfälle zu in den nächsten Wochen folgenden regel­mä­ßigen Punktreffen mit vielen Ausein­an­der­set­zungen. Mal sehen, wie es diesmal weiter­geht. Wir dokumen­tieren hier eine Erklä­rung des Autonomen Zentrums zu den Vorfällen am Samstag.

Update (30.6.) So soll es weiter­gehen : Für Samstag, 4.7. wird zum Punx-Picnic am Neumarkt einge­laden, und für Samstag, den 25.7. zur Fortset­zung der Chaos­tage aufge­rufen.

chaostag

Die Erklä­rung des AZ :

Polizei greift Punktreffen an
Massive Misshand­lungen durch Polizeibeamt*innen

 
Am 27.06.2015 gab es in der Elber­felder Innen­stadt ein Punktreffen. Beim Brunnen am Neumarkt trafen sich im Laufe des Tages viele Punkers, um gemeinsam die Sonne zu genießen und einen Farbfleck in den sonst so grauen Alltag der Stadt zu zaubern. Der Brunnen wurde mit Spülmittel in ein Schaumbad verwan­delt, es wurde jongliert und den Passant*innen gefiel das Schau­spiel überwie­gend. So verlief der Tag zunächst ohne Probleme.

Mutmaß­lich wurde seitens der Polizei bewusst gewartet bis sich die Innen­stadt geleert hatte. Gründe welche für die Polizei ein Einschreiten (in aller­dings völlig anderer Form) gerecht­fer­tigt hätten, hätten sicher bereits während des Nachmit­tags gefunden werden können. So änderte sich gegen 21.30 Uhr schlag­artig die Lage am Neumarkt. Eine große Anzahl Strei­fen­wagen (um die 20) fuhr plötz­lich von allen Seiten auf den Platz. Die heraus­sprin­genden Polizist*innen begannen ohne Vorwar­nung oder Erklä­rung die wenigen noch Anwesenden zu schlagen und/oder festzu­nehmen. Mehrere Personen wurden, als sie bereits mit Handschellen gefes­selt am Boden lagen, durch die Polizist*innen mit Schmerz­griffen und Hebeln misshan­delt. Wer dies durch ein einfa­ches „Was soll das?“ kommen­tierte, lag inner­halb kürzester Zeit gefes­selt am Boden. Einer Person wurde dabei die Nase gebro­chen, einer Anderen biss ein Polizei­hund ins Bein und verletzte diese schwer. Alle Personen wurden aufs Übelste belei­digt. Die Polizei nahm hier sieben Personen in Gewahrsam und brachte diese ins Polizei­prä­si­dium in Unter­barmen. Als sich drei Personen vor dem Präsi­dium einfanden um auf ihre Freund*innen zu warten wurden diese prompt ebenfalls im Gewahrsam genommen, angeb­lich wegen Belei­di­gung.

Im Polizei­ge­wahrsam gingen die Misshand­lungen und Ernied­ri­gungen weiter. Beispiels­weise wurden Bitten um Wasser damit beant­wortet, dass die bittenden Person mit Wasser begossen wurde oder komplett verwei­gert, ebenso wie Toilet­ten­pa­pier und Nahrung. In der Nacht wurde das Licht ständig zwischen komplett aus und beson­ders hell hin und her geschaltet um die Menschen am Schlafen zu hindern. Schuhe, welche vor den Zellen abgestellt werden mussten, waren nach der Freilas­sung mit Urin getränkt. Mindes­tens eine Person wurde durch Abdrü­cken der Halsschlag­ader bewusstlos gemacht, um ihr die Finger­ab­drücke abzunehmen. Immer wieder wurden auch im Gewahrsam Menschen mit Schmerz­griffe angewandt. Die Ernied­ri­gungen und Misshand­lungen führten stets zur Erhei­te­rung der anwesenden Polizist*innen. Entlassen wurden die letzten Betrof­fenen erst gegen Sonntag Mittag.

Am Sonntag verteilte die Polizei über den Tag hinweg Platz­ver­weise an punkig, bunt ausse­hende Jugend­liche. Die Belei­di­gungen und Bedro­hungen gingen dabei weiter. Sie rieten dabei den davon betrof­fenen Personen, auch ihren Freund*innen weiter zu sagen, dass sie nichts in der Innen­stadt zu suchen hätten…

Die Vorgänge vom Samstag reihen sich in eine Vielzahl von Ereig­nissen in den letzten Wochen ein. So sei noch einmal das Vorgehen der Polizei und die von ihr vorge­nom­mene Täter-Opfer-Umkehr nach dem Mordver­such durch Nazis vor dem AZ zu nennen. Aber auch während und nach der Demo anläss­lich dieses Vorfalls kam es zu Übergriffen seitens der Wupper­taler Polizei auf zum Teil bereits gefes­selte Menschen. Hinzu kommt eine Vielzahl von Gänge­leien und Einschüch­te­rungen. Das Agieren der Polizei ist nicht als das Handeln einiger schwarzer Schafe abzutun, sondern hat von ganz oben bis ganz unten in der Polizei­hier­ar­chie System.

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33 Jahre Wuppertaler Chaostage

1982 kam es in Wuppertal monat­lich an den verkaufs­of­fenen Samstagen zu Treffen von Punks und Skins auf der Alten Freiheit - etwa an der Stelle, wo sich heute der Eingangs­be­reich zu den „City-Arkaden” befindet. Damals befand sich dort ein eher liebloser, flacher Brunnen. Jenes Treffen, dass heute vor 33 Jahren an diesem Brunnen statt­fand, wurde legendär und ist als „Punker-Schlacht von Elber­feld” in die örtliche Historie einge­gan­genen.

Es darf gespannt abgewartet werden, ob es aus Anlass des 33.Jahrestages am morgigen Samstag in der Innen­stadt zu einem « Genera­tio­nen­treffen » von Punks kommen wird. Das letzte Jubiläum der Wupper­taler Chaos­tage liegt immerhin nun schon acht Jahre zurück und endete mit mehreren Festnahmen durch genervte Cops, die vom G8-Treffen in Heili­gen­damm zurück­kehrten und die Gelegen­heit nutzten ihre Aggres­sionen an Jugend­li­chen auszu­lassen. Das immerhin kann diesmal nicht passieren : Die meisten Cops sollten in Elmau beim G7-Gipfel noch gut beschäf­tigt sein.

Verkaufsoffener Samstag in Elberfeld 1982

Verkaufs­of­fener Samstag in Elber­feld 1982

Der „Punker-Schlacht von Elber­feld” waren kleinere Ausein­an­der­set­zungen rund um die Treffen voraus­ge­gangen. Wo heute priva­ti­sierter Stadt­raum verhin­dert, dass shoppende Menschen mit anderen zusam­men­treffen, die sich aus anderen Gründen in der Innen­stadt aufhalten, kolli­dierten in den Achtzi­gern der einkau­fende Volks­körper und die biertrin­kende Jugend. Angesichts bemalter Jacken und einiger Iros konnten vor allem Ältere oft nicht an sich halten. Die, die eigent­lich gedacht hatten, mit den Hippies bereits den Gipfel des Unaus­halt­baren gesehen zu haben, bemühten regel­mäßig Vergleiche zur « guten alten Zeit », in der « noch gewusst wurde », wie mit solchen Leuten umzugehen sei. Arbeits­lager und Prügel­strafe erlebten in der Elber­felder Fußgän­ger­zone eine verbale Rennais­sance.

Ihnen zur Freude verab­schie­dete die Stadt nach realtiv kurzer Zeit die so genannte „Straßen­sat­zung”, mit der den Punks der Aufent­halt in der Innen­stadt unter­sagt werden sollte. Die Formu­lie­rung der Satzung eröff­nete aber auch Möglich­keiten darüber hinaus. Auch Straßen­mu­siker und Straßen­theater hätten mit ihrer Hilfe aus der Shopping-Zone verbannt werden können und beson­ders die linke Szene sah die Gefahr, dass auch politi­sche Aktionen in der City unmög­lich werden würden. In der Folge kam es zu einer breiten Solida­ri­sie­rung mit den Punks, die ihrer­seits wiederum durch zusätz­lich nach Elber­feld anrei­sende Freunde und Freun­dinnen schneller, kurzer Musik­stücke aus anderen Städten Verstär­kung erhielten.

"Antifas trieben Punker in den Kampf" Die Wuppertaler Presse und ihr Feindbild.

Antifas trieben Punker in den Kampf” Die Wupper­taler Presse und ihr Feind­bild.

Die Reaktion der Stadt löste so das Gegen­teil des Beabsich­tigten aus. Statt größerer Ruhe für die Wochen­end­ein­käufe löste allein die Ankün­di­gung der « Straßen­sat­zung » noch größeres Durch­ein­ander bei den « Punker­treffen » aus. Heute würde sowas „Strei­sand-Effekt” genannt. Es folgten mehrere Stufen der Eskala­tion. Anfang März 1982 schei­tert der Versuch des aus Wuppertal stammenden damaligen SPD-Minis­ter­prä­si­denten Johannes Rau, mit der « Jugend » einen « Dialog » in der damals noch aktio­nis­ti­scheren « börse » zu führen. Es kommt zu tumult­ar­tigen Szenen im « Kommu­ni­ka­ti­ons­zen­traum » am Viehhof, Rau wird am Reden gehin­dert. Schliess­lich verschwindet der SPD-Politiker durch einen Neben­ein­gang.

Auch sechs Wochen später, am 15.April 1982, schei­tert Johannes Rau mit Gesprächs­ver­su­chen auf dem heute nach ihm benannten Platz am Bramer Rathaus, bei denen er schlicht « nieder­ge­brüllt » wird. Zuvor, am 3.April, war es am Brunnen erstmals zu einem Treffen auch mit Punks aus anderen Städten gekommen. Bei diesem « 3. Brunnen­treffen » waren zehn Menschen verhaftet worden. Im Mai kocht die Angele­gen­heit dann richtig hoch : Zunächst ruft die Wupper­taler Polizei am 1.Mai in der Innen­stadt und an der « börse » den Kriegs­zu­stand aus, weil etwa 500 Punks dort ein Punk-Festival besuchen. Obwohl jener 1.Mai noch ohne Festnahmen bleibt, weist er schonmal die Richtung, in die sich die Sache entwi­ckeln wird. Denn als eine Woche später Punks versu­chen, einen SPD-Bezirks­par­teitag in der Stadt­halle zu besuchen, werden sie wenige Meter vor dem Tagungsort von einer Übermacht Polizei einge­kes­selt. Diesmal kommt es zu sechzig Festnahmen.

Drollig ausgerüstete Cops waren auch erschienen

Drollig ausge­rüs­tete Cops waren auch erschienen

Das war das Vorspiel für den « 5. Brunnen­treff », der heute vor 33 Jahren statt­fand. Aufgrund der Repres­sion im Vormonat wird zu diesem Treffen breit mobili­siert, selbst in der « Taz » wurde zu einer Demons­tra­tion gegen « Polizeiterror » und das Innen­stadt­verbot für Punks aufge­rufen. Viele kamen, auch aus anderen Städten – angeb­lich sollen Leute sogar aus Berlin angereist sein. Auch die für heutige Verhält­nisse drollig ausge­rüs­teten Cops waren mit einem Großauf­gebot an diesem Samstag dabei. Nach einigem Geplänkel zum Auftakt folgte im Laufe des Tages dann « die Punker-Schlacht von Elber­feld », wie die Presse das Geschehen anschlie­ßend bundes­weit betitelt. Im Laufe der Ausein­an­der­set­zungen konnte eine Polizei­kette überrannt werden, es gab auch Glasbruch. Die Cops schlagen ihrer­seits umso lieber zurück. Der Tag endete mit mehreren Verletzten im Kranken­haus und mit über 100 Verhaf­tungen.

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Erfolg­rei­cher Wider­stand auf der Straße

Jene Samstage 1982, die für einige die Urver­sion der späteren « Chaos­tage » darstellen, waren jedoch nicht nur jugend­li­ches Aufbe­gehren und ein Hauch von « Riot » im Einkaufs­trubel. Rückbli­ckend betrachtet, waren die Treffen und Demos neben dem erfolg­rei­chen Kampf um ein Autonomes Zentrum nämlich auch der letzte wirklich erfolg­reiche Wider­stand gegen die lokale Politik auf der Straße in Wuppertal, denn der Stadtrat nahm die « Straßen­sat­zung » schließ­lich zurück.

flyer_8.5.1982_2Heute sind die Dinge durch priva­ti­sierte Innen­städte bekannt­lich anders „gelöst worden”. Befanden sich die « Punker-Treffen » damals noch mitten im Innen­stadt­treiben, hat sich dieses inzwi­schen in Einkaufs­pas­sagen und Malls verla­gert. Dort wachen private Security-Dienste über die Einhal­tung der Hausord­nung : Demos kommen darin natür­lich nicht vor.

Wer nachschauen mag, ob zum 33.Jubiläum was geht : Am Samstag, den 6.6. gegen Mittag am Ort des damaligen Gesche­hens. Auch Karl Nagel hat sich angekün­digt.

Nachtrag : Auch für den 27.6. wird stadt­weit mit A4-Aushängen zu „Chaos­tagen in Elber­feld” aufge­rufen. Treff­punkt am 27.6. ist der Brunnen auf dem Von-der-Heydt Platz am C&A.

Weiter­füh­rendes : Bei „Punkfoto​.de” finden sich ne Menge Fotos aus der damaligen Zeit und auf der Seite „force​-of​-hate​.net”, der auch die Fotos und einige der obigen Infor­ma­tionen entnommen sind, findet sich neben einer Übersicht, Fotos und Materia­lien auch ein zeitge­nös­si­scher Bericht von 1983.

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