Interview mit einem Freund Latifes zur Soli-Arbeit

Im Vorfeld der Veran­stal­tung am 25. August in der CityKirche Wuppertal-Elber­feld und zu einem Zeitpunkt des Verfah­rens, an dem die Vertei­di­gung in die Offen­sive geht, wurde von der Gruppe ihrer Freunde und Freun­dinnen ein viersei­tiges Infoblatt veröf­fent­licht, mit dem die Öffent­lich­keit in Wuppertal und darüber­hinaus über die Situa­tion ihrer Freundin, Nachbarin und Kollegin infor­miert werden soll, die von den lokalen Medien fast unbemerkt am frühen Morgen des 26.6.2013 durch ein in ihre Wohnung stürmendes SEK in eine trübe Mélange aus Außen­po­litik, „Staats­wohl“, Koope­ra­tion der Geheim­dienste und Repres­sion hinein­ge­stoßen wurde.

Wir übernehmen hier die Artikel des Infoblatts zum Verfahren.

Die „Freunde und Freun­dinnen Latifes“ machen solida­ri­sche Prozess­be­ob­ach­tung. Auf einer Website wird das Verfahren dokumen­tiert. Für das Infoblatt wurde mit einem der Prozess­be­ob­achter über seine bishe­rigen Eindrücke gespro­chen.

Das ist wirklich alles ganz finster”

Wie würdet ihr eure Arbeit beschreiben ?

Wir stellen „die Öffent­lich­keit“ her, damit so ein skanda­löses Verfahren nicht völlig unbemerkt abgewi­ckelt werden kann. Wir sind Zeugen dessen, was im Gericht passiert.

Wie kam es dazu ?

Die meisten von uns kennen Latife schon seit Jahren. Sie hat immer versucht, migran­ti­sche Struk­turen in politi­sche Prozesse einzu­binden, da läuft man sich zwangs­läufig über den Weg. Aktive migran­ti­sche und linke deutsche Struk­turen sind bis heute oft zu wenig aufein­ander bezogen. Deshalb ist zu schätzen, dass sie das zu ändern versucht. Dabei haben wir sie immer als ausge­spro­chen solida­risch und hilfs­be­reit kennen­ge­lernt. Wer bei irgendwas Hilfe brauchte, konnte immer zu ihr kommen. Jetzt ist es eben an uns.

Was habt ihr konkret zusammen gemacht ?

Unter anderem die Mobili­sie­rung zur bundes­weiten Demo anläss­lich des 20. Jahres­tags des Nazi-Brand­an­schlags in Solingen oder viele Soli-Aktionen während des Gezi-Wider­stands in der Türkei. Damals war Latife ein wichtiges Binde­glied zwischen deutschen, kurdi­schen, alevi­ti­schen und vielen türki­schen Menschen. Teilweise waren da wöchent­lich über 1.000 Leute auf Wupper­tals Straßen. Die Verhaf­tung erfolgte dann ausge­rechnet zu jener Zeit 2013. Das hat dann das, was da gerade entstand, leider ziemlich belastet.

Wie seht ihr den Prozess mittler­weile ?

Es ist immer noch ein politi­sches Verfahren mit einer hohen Straf­an­dro­hung. Also eine sehr ernste Sache. Doch dann ist es auch wieder so absurd, dass man es sich nicht ausdenken könnte. Durch das Fehlen jeden straf­recht­lich relevanten Vorwurfs wird monate­lang über legale Veran­stal­tungen, angemel­dete Demos oder über die Organi­sa­tion von Essens­ständen bei Konzerten und Festi­vals verhan­delt. Inklu­sive des ganzen Ermitt­lungs­zin­no­bers, den das BKA und LKA bereit halten. Trotz der drohenden Verur­tei­lung unserer Freundin fällt es deswegen manchmal schwer, im Gerichts­saal nicht zu lachen. Etwa, wenn Abhör­pro­to­kolle vorge­tragen werden, in denen es ausschließ­lich um die Zuberei­tung von Börek oder Kuchen geht.

Die Polizei hat Latife abgehört ?

Im Vorfeld der Verhaf­tung wurde sie monate­lang obser­viert, abgehört, am PKW wurde ein Peilsender angebracht. Absolut nichts hat straf­bare Handlungen belegt. Auch nicht die komplette Durch­su­chung ihrer Wohnung, des Vereins­lo­kals oder ihres Schre­ber­gar­tens.

Es ist offiziell ein politischer Prozess“

Wie kommt es dann zu einem Terror­pro­zess ?

Die Anklage basiert auf dem § 129b und einer angeb­li­chen Mitglied­schaft in einer auslän­di­schen terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung, sowie der minis­te­ri­ellen Anwei­sung, bestimmte Gruppen wie den Verein „Anato­li­sche Födera­tion“ zu verfolgen. Es ist also ganz offiziell ein politi­scher Prozess. Es gibt eine ungeheuer enge und unkri­ti­sche Zusam­men­ar­beit von deutscher und türki­scher Polizei und von den Geheim­diensten. Was da im Prozess alles zur Sprache kam und anderer­seits auch immer dann der Geheim­hal­tung unter­liegt, wenn es spannend wird, ist teilweise ungeheu­er­lich. Ein vom BND bezahlter DHKP-C-Funktionär, Treffen zwischen deutschen und türki­schen Sicher­heits­leuten, über die nicht gespro­chen werden darf… So ein Treffen fand übrigens auch nur drei Wochen vor Latifes Verhaf­tung hinter verschlos­senen Türen in Ankara statt – während gleich­zeitig draußen die türki­sche Regie­rung die Gezi-Bewegung brutal nieder­schlug, was damals auch von der Bundes­re­gie­rung ganz offiziell kriti­siert wurde. Die deutsch-türki­sche Koope­ra­tion ist einzig­artig eng, über jeden normalen Rahmen hinaus. Die Bundes­re­pu­blik macht mit ihren Gerichten die Drecks­ar­beit für Erdogan, indem sie z.B. inten­siven Gebrauch vom europäi­schen Auslie­fe­rungs­ab­kommen macht, um hier Menschen anzuklagen, derer die Türkei nicht habhaft wird, oder indem sie eine Wupper­ta­lerin verfolgt, weil sie eine kriti­sche Haltung zur türki­schen Regie­rung hat.

Habt ihr eine Erklä­rung, warum das so ist ?

Einer­seits gibt es seit über 100 Jahren ganz spezi­elle deutsche Inter­essen gegen­über der Türkei. Die haben schon beim Völker­mord an den Armenie­rInnen dazu geführt, dass das deutsche Kaiser­reich nicht nur wegge­sehen hat, sondern die jungtür­ki­sche Armee überhaupt erst in die Lage dazu versetzte. Offenbar gibt es noch immer die Hoffnung, über die Türkei Einfluss im Nahen und Mittleren Osten zu erlangen. Anderer­seits gibt es bestimmt auch Motive der deutschen Innen- und Sicher­heits­po­litik. Die Geschichte migran­tisch-politi­scher Organi­sa­tion in Deutsch­land zeigt von Anfang an, dass es da immer eine Paranoia mit einher­ge­hender Repres­sion gab. Vieles wußten wir vorher auch nicht. Dass es im Vereins­recht den so genannten „Auslän­der­verein“ gibt z.B., der theore­tisch verpflichtet ist, Mitglie­der­listen an die Polizei zu übergeben. Selbst­be­wusste migran­ti­sche Initia­tiven sind ja auch unange­nehm für deutsche Behörden, etwa, wenn die „Anato­li­sche Födera­tion“ schon Jahre vor der Selbstent­tar­nung des „NSU“ die Exeku­tionen von Migranten als Nazimorde bezeichnet hat. Über „Erkennt­nisse“ aus der Türkei zu politisch aktiven Menschen ist man da immer dankbar. Eine Hand wäscht die andere. Da wird dann nicht nachge­fragt, wie diese „Erkennt­nisse“ zustande kommen.

Rückfront sind die deutschen Behörden“

Die Erkennt­nisse sind u.a. ja umstritten, weil türki­sche Dienste bekannt­lich auch foltern, wie auch der Europäi­sche Gerichtshof mehrfach festge­stellt hat…

Um das nochmal vorweg­zu­schi­cken : Es gibt auch keine „Erkennt­nisse“ der türki­schen Polizei mit direktem Bezug zu Latife. Es geht immer nur um die so genannte „Struk­tur­akte“ zur DHKP-C. Darauf basiert die Behaup­tung einer so genannten „Rückfront“ der DHKP-C in Europa, zu der auch die „Anato­li­sche Födera­tion“ gehören soll. Das ist wirklich alles ganz finster. Wir haben Krimi­nal­be­am­tInnen gesehen, die bestä­tigten, dass das BKA keine Zweifel an der Verwert­bar­keit von in der Türkei „erwirkten“ Aussagen hat, ja, dass sie sich für Folter­vor­würfe gar nicht inter­es­sieren. Wir haben erlebt, dass bis heute Aussagen und ein hinge­krit­zeltes „Organi­gramm“ eines Alaattin Ates Basis für Anklagen sind, der seit 2002 auf der Payroll des BND und wohl auch des türki­schen Geheim­dienstes gestanden hat. Was uns inzwi­schen klar wurde, ist, dass deutsche Behörden und Gerichte die eigent­liche „Rückfront“ einer „auslän­di­schen Verei­ni­gung“ sind, nämlich der Türkei.

Große Teilnahmslosigkeit der Medien“

Der Prozess geht ja noch weiter. Was würdet ihr euch für seinen Fortgang wünschen ?

Das Verfahren ist jetzt nach einem Jahr an einem Wende­punkt. Die Beweis­auf­nahme zur Anklage ist abgeschlossen. Jetzt würden die Beweis­an­träge der Vertei­di­gung folgen, zur Zeit läuft jedoch ein erneuter Einstel­lungs­an­trag. Was wir uns wirklich wünschten, wäre deutlich mehr öffent­liche Aufmerk­sam­keit. Immerhin gucken jetzt, nach dem geschei­terten Putsch, viele kriti­scher auf die Türkei. Nur, dass hier in Deutsch­land die gleichen willkür­li­chen Terror­de­fi­ni­tionen genutzt werden, um Menschen den Prozess zu machen, die die EU gleich­zeitig in der Türkei kriti­siert, bleibt unbeachtet. Es gibt eine große Teilnahms­lo­sig­keit der Medien. Was uns wundert. Wenn die unfrei­wil­lige und willkür­liche Verwick­lung einer zweifa­chen Mutter aus Wuppertal in so düstere Zusam­men­hänge zwischen BND, Kanzleramt und türki­schem Geheim­dienst keine Story ist, was dann ? Auch einige mehr, die mit uns den Prozess beobachten, wären hilfreich. Termine stehen auf der Website, da kann uns auch eine verschlüs­selte E-Mail zur Kontakt­auf­nahme geschrieben werden.

Vor allem aber wünschen wir uns, dass Latife ihre Kraft behält, mit der sie die Strapaze des Verfah­rens und teilweise politi­sche Isola­tion bislang durch­steht.

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Bericht aus dem NoBorder-Camp in Thessaloniki

Inter­view mit der w2wtal-Aktivistin Judith. Sie war im Juli im NoBorder-Camp im griechi­schen Thessa­lo­niki. Das NoBorder-Camp, für das die Uni in Thessa­lo­niki besetzt wurde, war als trans­na­tio­naler Aufbruch gegen die „Festung Europa“ gedacht. Es sollte Aktivis­tInnen aus vielen Ländern und Geflüch­tete zusam­men­bringen.

Inter­view übernommen von w2wtal.

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Judith, du bist im No Border Camp in Thessa­lo­niki gewesen, wie war es ?

Über die zehn Tage verteilt waren viele Leute da, um die 1.500. Das ist ja immer ein Kommen und Gehen. Anfangs dachte ich, dass es ein eher deutsches Camp wird, doch dann kamen immer mehr Leute aus verschie­denen Ländern des Balkan und am Montag kam die große Karawane aus Spanien mit mehreren hundert Leuten, die mit Bussen angereist sind. Die hatten unter­wegs noch einige Aktionen gemacht und kamen dann am vierten Camp-Tag in Thessa­lo­niki an. Dann wurde es tatsäch­lich ein richtig inter­na­tio­nales Camp.

Wo war das Camp unter­ge­bracht ?

Auf dem Campus der Uni in Thessa­lo­niki, eigent­lich mitten in der Stadt.

Gab’s Trouble mit den Cops ?

Erstaun­lich wenig. Es ist tatsäch­lich so, dass die den Campus nicht betreten. Deren Arbeit machen eher die dort anwesenden Drogen­dealer, die oft als Spitzel für die Cops arbeiten, wie uns die griechi­schen Genos­sinnen erzählt haben. Die haben auch oft versucht, ins Camp zu kommen und auch an Workshops teilzu­nehmen. Das wurde aber nicht zugelassen.

Waren auch Refugees im Camp ?

Nachher waren es ziemlich viele. Darum wurde sich sehr bemüht, es wurde z.B. ein Shuttle mit PKWs einge­richtet, damit die Geflüch­teten aus den elf Lagern, die um Thessa­lo­niki herum existieren, ins Camp kommen konnten. So waren nach zwei, drei Tagen viele Menschen aus Syrien, Pakistan oder Afgha­ni­stan dabei. Die haben dann vom Leben in den Lagern berichtet, Wandzei­tungen erstellt und es gab auch mehrere Veran­stal­tungen zu Migran­tinnen-Selbst­or­ga­ni­sa­tion.

Gab es von den Refugees Einschät­zungen zur Gesamt­lage, nachdem die Grenzen in Europa geschlossen wurden ?

Die, mit denen ich redete, haben alle gesagt, wir müssen uns jetzt selbst organi­sieren. Inter­es­sant war auch die Perspek­tive der griechi­schen Genossen, bzw. der Refugees, die schon länger in Griechen­land leben. Die sehen natür­lich, das sich die Geflüch­teten vor allem jetzt eine Basis, z.B. ökono­misch, aufbauen müssen oder unbedingt Wohnraum brauchen.

Vom griechi­schen Staat gibt es da nichts ? Wohnungen z.B.?

Nee, die Unter­brin­gung erfogt rein privat, u.a. in Squats, in die Geflüch­tete einziehen. Auch während des Camps wurde in Thessa­lo­niki ein Haus besetzt*. Es sind ziemlich viele Häuser besetzt – in Athen z.B. das City Plaza Hotel, das « beste Hotel der Welt », wo mehrere hundert Leute leben. Von denen gab es auch nen Workshop während des No Border Camps.

Von der Hausbe­set­zung und auch von der Beset­zung der Fernseh­sta­tion zu Beginn haben wir auch hier etwas mitbe­kommen, was ist an Aktionen rund ums Camp noch so gelaufen ?

Es gab ein « Go-In » in der IOM (eine inter­na­tio­nale Migra­tions Organi­sa­tion), da sind u.a. ein paar Computer und Akten aus dem Fenster geflogen. Genaues kann ich dazu nicht sagen, ich weiß nur, dass die IOM reich­lich verhasst ist, weil die an Abschie­bungen bzw. an « freiwil­ligen Rückfüh­rungen » betei­ligt ist.

Ansonsten gab es Demos und Besuche von Camps – zu einem Besuch eines Camps in Oreokastro hast du ja auch einen Bericht verfasst…

Da gab es mehrere. Da wurden Busse gechar­tert, da sind dann Leute aus dem Camp hinge­fahren, einmal um die Situa­tion zu erfahren, aber auch um z.B. die Campzei­tung, die auf griechisch, englisch und arabisch erschienen ist, zu den Geflüch­teten in die Camps zu bringen. Die sollten ja auch auf das Camp aufmerksam gemacht und zur Betei­li­gung einge­laden werden. Das haben dann auch einige wirklich wahrge­nommen und sich betei­ligt. Deswegen waren so ab Montag eben auch recht viele Refugees im Camp : Familien, Frauen und vor allem viele Kinder. Sehr viele Kinder.

Die Demos haben in Thessa­lo­niki statt­ge­funden ?

Ja. Es gab aller­dings auch mehrere Demos an den beiden Abschie­be­knästen und dann gab es natür­lich die größere Aktion an der türkisch-griechi­schen Grenze am Samstag, wo es auch zu kleineren Riots gekommen ist. Da war ich aller­dings selber nicht dabei, deswegen kann ich dazu nicht viel erzählen.

Wie fällt insge­samt deine Einschät­zung zum Camp aus ? Was war für dich in den zehn Tagen das Positivste ?

Für mich war das Wertvollste sicher, die Aktivis­tinnen aus verschie­denen Ländern kennen­zu­lernen, und Kontakte zu Ansprech­per­sonen herzu­stellen. In einem Workshop ging es zum Beispiel um Dublin und für mich war es wichtig, Leute kennen­zu­lernen aus Ländern in die Menschen aus Deutsch­land hin abgeschoben werden, z.B. aus Bulga­rien. Von denen konnte ich mal wirklich erfahren, wie die Situa­tion der Abgescho­benen tatsäch­lich ist. In Bulga­rien werden die abgescho­benen Menschen z.B. erstmal direkt inhaf­tiert.

Auf welcher Basis werden die dort inhaf­tiert ?

Das entspricht eigent­lich nicht den EU-Aufnah­me­richt­li­nien, aber das passiert einfach. Deswegen sind diese Erste-Hand-Infos aus diesen Ländern z.B. für hier tätige Rechts­an­wälte auch so wertvoll, weil die sich in den Verfahren norma­ler­weise nur auf oft geschönte offizi­elle Angaben stützen können. Deswegen gab es zuletzt eine Delega­tion von Rechts­an­wäl­tinnen nach Tsche­chien. Das kann natür­lich nicht konti­nu­ier­lich geschehen. Wenn es nun Kontakte zu vor Ort existie­renden Struk­turen gibt, ist das hilfreich.

Konntest du mit Menschen aus Polen oder Ungarn reden ? Wie lebt es sich für Aktivis­tinnen in den Visegrad-Staaten ? Haben die was erzählt ?

Die Genos­sinnen aus Bulga­rien sind z.B. in einer echt beschis­senen Lage, das sind insge­samt nur sehr wenige – deutlich weniger als z.B. in einer deutschen Großstadt. Und die Freunde aus Sofia sagen, dass es ungeheuer wichtig wäre, mehr Kontakte zu den Grenzen zu haben, wo Geflüch­tete regel­mäßig von Milizen gejagt und zusam­men­ge­schlagen werden. Und zumin­dest in Sofia würde z.B. ein Soziales Zentrum als Anlauf­punkt dringend benötigt. Im Augen­blick sind sie aber zu wenige, um soetwas durch­zu­setzen. Am liebsten hätten sie deshalb auch Support aus anderen Ländern, von Menschen, die sich vorstellen können, mal nach Sofia zu gehen und dort gemeinsam etwas aufzu­bauen.

Anfang des Jahres habe ich ja die Diskus­sionen inner­halb der radikalen Linken verfolgt, als es darum ging, ein solches Camp aufzu­ziehen. Damals haben viele ein solches inter­na­tio­nales Treffen ja noch als wichtigen Punkt in der gesamten Ausein­an­der­set­zung um eine « Festung Europa » angesehen. Seitdem haben sich die Dinge ja ungeheuer beschleu­nigt und verän­dert – ist für dich von dem Camp irgend­eine Form von « Aufbruch » gegen die Etablie­rung des Grenz­re­gimes ausge­gangen ? War es der Anfang einer « Gegen­of­fen­sive » gegen den Rollback ?

Ich wünschte, ich könnte das sagen. Aber in Griechen­land wurde z.B. durch das Ende der realen Bewegung – also der Migra­tion – auch die Dynamik gestoppt. Da ist zur Zeit auch nicht wirklich dran zu rütteln. Es kommen zwar immer mal wieder Leute durch – aber nur mit viel Geld z.B. Vielleicht wäre Italien dafür der geeig­ne­tere Ort gewesen… Über Leute vom Alarm­phone habe ich mitbe­kommen, dass an einem Tag alleine 1.800 Leute in Italien angekommen sind. Dort wird derzeit auch eher die Dynamik der Migra­ti­ons­be­we­gung sein. In Griechen­land ist das alles etwas zum Erliegen gekommen und konzen­triert sich derzeit auf den recht­li­chen Weg der Famili­en­zu­sam­men­füh­rung z.B.

Hast du also im Camp eine ähnliche Frustra­tion wieder­ge­funden, wie sie derzeit viele Menschen aus politisch arbei­tenden Initia­tiven hier haben ?

Die totale Stagna­tion drückt natür­lich auf die Stimmung. Es gibt nicht wirklich das Gefühl, auf der politi­schen Ebene etwas bewegen zu können. Viele konzen­trieren sich momentan eher auf die recht­li­chen Ebenen : Etwa Dublin-Verfahren, Famili­en­zu­sam­men­füh­rung usw. Viele, etwa in Griechen­land, befinden sich ja auch selber in teilweise existen­zi­ellen Krisen. Denen gehen inzwi­schen die Resourcen aus – die Spenden­auf­rufe für Spiel­zeug für Kinder in den Camps sind absolut ernst­ge­meint.

Die zehn Tage waren außer­halb des Camps ja auch ereig­nis­reiche Tage. Da war Nizza, oder der versuchte Putsch in der Türkei. Habt ihr im Camp davon etwas mitbe­kommen ? Hatte das einen Impact für die Thematik des Camps ?

Die Anschläge eher nicht, aber der Putsch­ver­such in der Türkei ganz massiv. Die Beendi­gung des EU-Türkei-Deals war ja ohnehin ein zentrales Anliegen des Camps. Aber auch die Forde­rung nach sicheren Korri­doren wurde mit den Ereig­nissen in der Türkei noch dring­li­cher. Es gab eine größere Gruppe von Genos­sinnen aus der Türkei im Camp, und von denen haben sich noch in der Zeit des Camps viele überlegt, ob sie überhaupt noch in die Türkei zurück­kehren sollen. Die haben dann auch einen Protstmarsch zur türki­schen Botschaft in Thessa­lo­niki organi­siert.

Haben die etwas geäußert, was wir hier in der aktuellen Lage tun könnten ?

Manche haben vielleicht noch die Illusion, wir hätten viel Einfluss auf unsere Politi­ke­rinnen. Die wünschen sich, dass wir Druck auf die europäi­schen Regie­rungen machen, Erdogan zu kriti­sieren und den EU-Türkei-Deal zu kippen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Türkei weder ein sicheres Dritt- noch ein sicheres Herkunfts­land ist. Es werden jetzt mit Sicher­heit wieder viele türki­sche Flüch­tende kommen. Einige befinden sich ja bereits in Europa.

Unterm Strich bist du mit deiner Entschei­dung, nach Thessa­lo­niki zu fahren, aber insge­samt zufrieden ?

Ja, vor allem wegen der Kontakte und weil mich das trans­na­tio­nale Netzwerk von Aktivis­tinnen schon auch sehr beein­druckt hat.

Würdest du dir wünschen, dass eine Gruppe wie welcome2wuppertal in Zukunft wieder etwas über den Talkessel hinaus­schaut und sich trans­na­tional noch besser vernetzt ?

Da würde ich mich total drüber freuen, insbe­son­dere, wenn sich Menschen betei­ligen würden, die die erfor­der­li­chen Sprach­kennt­nisse haben. Es gibt so tolle Projekte überall – z.B. das Alarm­phone, wo jeden Tag Menschen­leben gerettet werden. Da braucht es dringend Überset­zungen von Berichten oder sogar am Telefon der Seenot­ret­tung selber. Auf dem Balkan soll jetzt eine ähnliche Struktur ausge­baut werden, weil auch entlang der Route immer wieder Menschen­rechts­ver­let­zungen vorkommen. Da soll es in Zukunft auch eine Vernet­zung geben, für die noch dringend Support gesucht wird. Dafür braucht es noch Leute die spezi­elle Kennt­nisse haben und die Sprachen können. Wenn sich da Leute einbringen wollen, können die sich über die Kontakte, die z.B. bei Welcome to Europe (w2eu​.info) gelistet sind, einfach melden.

Danke.

* Am Tag nach dem Inter­view (27.7.) wurde bekannt, dass die griechi­sche Polizei drei teilweise bereits seit mehreren Monaten bestehende Squats geräumt hat. Die dort lebenden Refugees wurden in ohnehin bereits überfüllten Isolie­rungs­lager gebracht. Betroffen ist auch das im Inter­view erwähnte, während des Camps besetzte Hauspro­jekt. Dass die nominell linke Syriza-Regie­rung unmit­telbar im Nachgang des in der griechi­schen Presse heftig skanda­li­sierten No Border Camps zu Repres­sionen und Räumungen greift, verdeut­licht die verzwei­felte Lage der geflüch­teten Menschen in Griechen­land.

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