450 Menschen gegen Repression und Krieg

Am Samstag, den 1.8. demons­trierten etwa 450 Menschen in der Wuppertal-Elber­felder Innen­stadt gegen die Repres­sion in der Türkei und den von Tayip Erdogan entfachten Krieg gegen die kurdi­sche PKK und die türki­schen Militär­ein­sätze in Rojava. Im Rahmen der Demons­tra­tion wurde an den ersten Jahrestag des Massa­kers an der jezidi­schen Bevöl­ke­rung in Shengal erinnert. Dort hatten Einheiten der heute von der Türkei angegrif­fenen PKK und der syrisch-kurdi­schen Selbst­ver­tei­di­gung YPG/YPJ mit einem entschlos­senen Kampf­ein­satz tausende Menschen vor den IS-Milizen gerettet. In weiteren Reden­bei­trägen ging es u.a. auch um die anhal­tende Verfol­gungs­welle in der Türkei gegen linke türki­sche und kurdi­sche Aktivist*innen und die beschä­mende Kolla­bo­ra­tion der deutschen Justiz- und Polizei­be­hörden mit den türki­schen Sicher­heits­diensten.

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In diesem Zusam­men­hang wurde an die vielen §129-Verfahren erinnert, die Menschen, denen Sympa­thien für in der Türkei verfolgten Organi­sa­tionen wie der PKK oder der DHKP/C unter­stellt werden, oft genug auch in Deutsch­land für Jahre hinter Gitter bringen. So wurden erst in der letzten Woche vier türki­sche Linke in Stutt­gart zu Haftstrafen zwischen vier Jahren und neun Monaten und sechs Jahren verur­teilt, weil sie angeb­lich durch die Organi­sa­tion eines Konzertes die DHKP-C unter­stützt hätten. Weitere Verfahren laufen derzeit in Hamburg gegen einen angeb­li­chen PKK-Funktionär und in Düssel­dorf gegen unsere Freundin Latife.

Die laute und entschlos­sene Demo zog einmal durch die Fußgän­ger­zone Elber­felds. Bei der Abschluss­kund­ge­bung wurde nochmals die Entwick­lung in der Türkei seit dem Massaker von Suruc zusam­men­ge­fasst und zur Teilnahme an der bundes­weiten Demo am nächsten Wochen­ende in Köln aufge­rufen. (Treff­punkt zur gemein­samen Anreise : 09:55 Uhr vom Hbf in Wuppertal, mit Schie­nen­er­satz­ver­kehr nach Gruiten, von dort 10:31 Uhr nach Köln.)

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Hier ist nochmal unser Demoaufruf für die Wupper­taler Demo vom 30.7.2015 :

Gegen die AKP-Repres­sion und den Krieg gegen die PKK !
Schluss mit der Unter­stüt­zung der AKP-Regie­rung durch die BRD !

Demons­tra­tion in Wuppertal am Samstag, 1.8., 18:00 Uhr (City-Arkaden)

Am 20.7. detonierte im türki­schen Suruc, wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, die Bombe eines Selbst­mor­at­ten­tä­ters. Über dreissig junge Menschen, die im Rahmen einer Kampagne der sozia­lis­ti­schen Jugend­ver­bände der Türkei beim Wieder­aufbau des kriegs­zer­störten Kobanê helfen wollten, kamen bei dem Anschlag ums Leben. Die Bombe eines mutmaß­lichen IS-Milizio­närs war der Auslöser einer Entwick­lung, die von der türki­schen AKP-Regie­rung genutzt wurde, unter dem Deckmantel der Terror­be­kämp­fung eine Verfol­gungs­welle gegen türki­sche und kurdi­sche Linke anzufa­chen und darüber­hinaus den seit 2013 zu weiten Teilen funktio­nie­renden Waffen­still­stand mit der PKK aufzu­kün­digen.

Seit einer Woche fliegen nun türki­sche F16 Bomben­an­griffe auf die kurdi­schen Gebiete im Nordirak und im Osten der Türkei. Auch gegen Rojava (die von den Selbst­ver­tei­di­gungs­mi­lizen YPG und YPJ gehal­tenen Gebiete in Syrien) besteht eine bestän­dige Gewalt­an­dro­hung. Hier will die Türkei seit geraumer Zeit eine « Puffer­zone » einrichten, die vor allem gegen die kurdi­sche Autonomie Rojavas gerichtet ist und für die dortige Selbst­ver­wal­tung eine nicht hinnehm­bare ständige Bedro­hung wäre. Mittler­weile wurde der « Friedens­pro­zess » durch Tayip Erdogan ganz offiziell für geschei­tert erklärt.

Inner­halb der Türkei kam es in dieser Woche zu mehr als 1.000 Verhaf­tungen, zumeist von linken und kurdi­schen Aktivist*innen. Der Versuch der Festnahme von Gunay Özarslan, einer mutmaß­lichen Aktivistin der DHKP-C, endete mit deren Hinrich­tung. Sie starb durch mehr als zehn Polizei­ku­geln in einer Wohnung. Ihre Trauer­feier in einem alevi­ti­schen Volks­haus im Istan­buler Viertel Gazi Mahal­lesi wurde massiv von Sicher­heits­kräften angegriffen. In dem wider­stän­digen Stadt­teil insze­nierte die Staats­macht ein Bürger­kriegs­sze­nario, das tagelang andau­erte.

Erdogans AKP bezweckt mit der Eskala­tion offen­sichtlich eine nachträg­liche « Korrektur » des Wahler­geb­nisses vom Juni diesen Jahres, als die bis dahin allein­re­gie­rende AKP ihre Mehrheit verlor weil die linke prokur­dische HDP die 10%-Hürde überwand und ins Parla­ment einzog. Im Zuge der Eskala­tion versucht die AKP, die offen­kundig Neuwahlen anstrebt, Abgeord­nete der HDP zu krimi­na­li­sieren, auch ein Verbot der Partei wurde schon gefor­dert.

Das alles geschieht mit der mehr oder weniger still­schwei­genden Billi­gung der USA, der EU und der NATO, die zwar die Unter­stüt­zung durch die Kurd*innen im Kampf gegen IS-Milizen um Kobanê und bei der Rettung der Yeziden in Shengal gerne annahmen, nun jedoch bereit sind, ihre gestrigen Partner an Erdogan und jene Türkei auszu­liefern, die bislang die Terror­banden des IS vielfältig unter­stützt hat.

Gleich­zeitig laufen in der Bundes­re­pu­blik – wie zur Unter­stüt­zung der Verfol­gungs­welle in der Türkei – mehrere Verfahren gegen hier lebende türkisch- und kurdisch­stämmige Menschen, die der Sympa­thie für in der Türkei verfolgte Organi­sa­tionen verdäch­tigt werden, wie der PKK oder der DHKP-C. Ihnen drohen mehrjäh­rige Haftstrafen, wie erst vorges­tern ein Urteil am OLG Stutt­gart zeigte, bei dem auch Erdogan selbst der Richter hätte sein können. Für normale politi­sche Betäti­gung wurden vier Beschul­digte zu Haftstrafen zwischen 4,5 und 6 Jahren verur­teilt.

Am Samstag wollen wir gemeinsam mit kurdi­schen Freund*innen in Wuppertal für ein Ende des Krieges gegen Kurden und Kurdinnen und für einen sofor­tigen Stop der Verfol­gung der linken Opposi­tion demons­trieren.

Wir treffen uns um 18:00 Uhr vor den City-Arkaden in Elber­feld.

Eine Woche später – am 8.8. – findet in Köln eine bundes­weite Demo zum gleichen Thema statt. Start ist um 12:00 Uhr am Ebertplatz.

Schluss mit der Bombar­die­rung kurdi­scher Gebiete !
Schluss mit den Massen­ver­haf­tungen ! Keine Krimi­na­li­sie­rung der HDP !
Schluss mit der Unter­stüt­zung der AKP-Regie­rung durch die BRD !
Schluss mit dem PKK-Verbot !

Abschaf­fung der Paragra­phen 129, 129a und 129b !
Freiheit für alle politi­schen Gefan­genen !

Bijî Berxwe­dana !

 

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Türkei beginnt Krieg gegen Kurd*innen

Die Toten von Suruç sind kaum beerdigt, da lässt das AKP-Regime alle Masken fallen und beginnt einen als « Antiter­ror­ein­satz » gegen die « IS»-Milizen nur mühselig kaschierten Krieg gegen die Kurd*innen in- und außer­halb der Türkei.

Milizen beschützen Beerdigung von Suruç-Opfer in Istanbul

Milizen beschützen Beerdi­gung von Suruç-Opfer in Istanbul

Kurd*innen werden ausge­lie­fert

Dass westliche Politiker*innen und Medien trotz der Offen­sicht­lich­keit an der Legende festhalten – (während dieser Artikel geschrieben wird, übernimmt das Radio­pro­gramm des DLF nahezu unhin­ter­fragt die türki­sche Propa­ganda, die Türkei habe « endlich ihre Strategie gegen den IS geändert») – und die Bombar­die­rungen von kurdi­schen Dörfern und PKK-Stellungen im Nordirak ebenso eher beiläufig erwähnen wie der türki­sche Minis­ter­prä­si­dent Ahmet Davutoğlu, zeigt, dass der neue Krieg gegen die kurdi­sche Bewegung mit ihrer Billi­gung begonnen wurde. Dahinter steht wahrschein­lich das Kalkül, dafür tatsäch­lich eine Reduzie­rung der notori­schen türki­schen Unter­stüt­zung für den « IS » errei­chen zu können. Damit passiert das, was die meisten Kurd*innen und viele ihrer Unterstützer*innen prognos­ti­zierten : Der Westen – die USA und Europa – liefern die Kurd*innen den türki­schen Inter­essen aus.

Seit der Wahlnie­der­lage Erdoğans war das Szenario eines neuen Krieges gegen die PKK und wohl auch gegen die YPG-Einheiten in Syrien ein Mentekel, das nur kurzzeitig vom Jubel über den gleich­zei­tigen Einzug der linken und kurdi­schen HDP ins Parla­ment überdeckt werden konnte. Spätes­tens mit dem Schei­tern der Koali­ti­ons­ver­hand­lungen war abzusehen, dass weitere brutale Anschläge folgen würden um kurdi­sche Reaktionen zu provo­zieren, nachdem das Attentat auf die HDP-Wahlver­an­stal­tung in Amed zwei Tage vor der Wahl dazu nicht ausge­reicht hatte. Zumin­dest Teile der AKP erhoffen sich durch einen Krieg offen­sicht­lich eine bessere Ausgangs­po­si­tion bei angekün­digten Neuwahlen und – je nach Lage – vielleicht sogar die Möglich­keit, die HDP verbieten zu können. Außerdem soll dem revolu­tio­nären Experi­ment im kurdi­schen Rojava erklär­ter­maßen der Garaus gemacht werden.

Aktuelle Lage in Rojava. Türkei fürchtet Verbindung der Kantone.

Aktuelle Lage in Rojava. Türkei fürchtet Verbin­dung der Kantone.

« Vier Mann und acht Raketen »

Letzten Montag war es dann soweit : Der Selbst­mord­an­schlag von Suruç auf die Versamm­lung der Kobanê-Helfer*innen lieferte gleich doppelt den Vorwand, mit dem Krieg zu beginnen. Er begrün­dete einer­seits das Vorgehen gegen « IS»-Stellungen in Rojava, das für die Schaf­fung einer türkisch kontrol­lierten « Puffer­zone » Voraus­set­zung ist, und anderer­seits schufen die erwart­baren Reaktionen der Kurd*innen in der Türkei einen Grund für die Beendi­gung des offiziell noch in Kraft befind­li­chen « Waffen­still­stands » mit der PKK. Seither rollt eine offen­kundig von langer Hand geplante eskala­tive Opera­tion zum Beginn eines neuen offenen Kriegs gegen die PKK über das Land und die Region.

Zunächst wurden u.a. die Trauer­mär­sche für die in Suruç Getöteten von der Polizei angegriffen und damit gezeigt, wie sich der türki­sche Staat gegen­über jungen linken Türk*innen positio­niert, die sich mit der kurdi­schen Revolu­tion in Rojava solida­ri­sieren. Im Anschluss begann am gestrigen Tag eine syste­ma­ti­sche Verfol­gung linker und kurdi­scher Aktivist*innen, die bis heute Mittag zur Verhaf­tung mehrerer hundert Menschen führte ; heute wurden dann linke und kurdi­sche Medien, die darüber hätten berichten können, zum Schweigen gebracht, schließ­lich folgten die ersten militä­ri­schen Opera­tionen gegen kurdi­sche Gebiete und Stellungen der kurdi­schen Guerilla seit dem Beginn des « Friedens­pro­zesses » 2013.

Behaup­tungen, türki­sche Stellen wie bspw. der Geheim­dienst MIT, seien in den auslö­senden Anschlag von Suruç invol­viert, erscheinen nur auf den ersten Blick speku­lativ. « Wenn man sich an die Anfang 2014 bekannt gewor­denen Planspiele des damaligen Geheim­dienst­chefs Hakan Fidan und des damaligen Außen­mi­nis­ters [und heutigen Minis­ter­prä­si­denten] Ahmet Davutoğlu erinnert, mit „vier Mann und acht Raketen” einen Kriegs­grund in Syrien zu insze­nieren » erscheint eine staat­liche Verstri­ckung gar nicht unwahr­schein­lich, findet auch Deniz Yüksel in seinem Artikel für die « Welt » vom heutigen Tag.

Eigene infor­ma­ti­ons­ka­näle öffnen !

Die weitere Entwick­lung scheint vorge­zeichnet : Die Repres­sion in der Türkei wird unter den Bedin­gungen eines medialen « Black­outs » linker und kurdi­scher Presse ebenso fortge­setzt wie die Luftschläge gegen kurdi­sche Stellungen und Gebiete. Und in Rojava wird die türki­sche Armee versu­chen, den schon lange gefor­derten « Sicher­heits­streifen » zu besetzen, in dem dann auch Kobanê läge.

Und was jetzt ? Zorn und Wut über die Abseh­bar­keit der offenbar geplanten Eskala­tion und die Willfäh­rig­keit von Politik und Medien laufen wie so oft erstmal ins Leere : Wir können wieder einmal zunächst wenig tun. Dennoch ist es wichtig, jetzt unseren Kontakt zu den kurdi­schen Freund*innen zu inten­si­vieren. Wenigs­tens können wir ihnen dabei helfen, der türki­schen Propa­ganda eigene Infor­ma­tionen entge­gen­zu­setzen. Dafür sollten wir ihnen jetzt unsere Kanäle zur Verfü­gung stellen – erst Recht, wenn der türki­sche Staat versucht, ihre Medien in der Türkei zum Schweigen zu bringen.

Biji Berxwedan !

Weitere Infor­ma­tionen zur Situa­tion :

YXK-Liveti­cker (Verband kurdi­scher Studie­render)
YXK bei Facebook
Analyse von Civaka Azad
Artikel von Deniz Yüksel in der „Welt”
Firat­news / ANF-News (english)
DIHA Newsa­gency (english)
Hawar News Agency (english)

Anadolu Newsblog zur Verhaf­tungs­welle und zum Tod einer Genossin :
Zur Verhaf­tungs­welle in der Türkei
Engl. Erklä­rung der Anwälte der getöteten Gunay Özarslan

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