Heute morgen kam es in Wuppertal und anderen Städten in Deutschland, Holland, Belgien und Österreich zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Ziel des Generalbundesanwalts war in Wuppertal die „Anatolische Föderation”. Vorgeworfen wird den Betroffenen die „Unterstützung”, bzw. „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland” nach §129b. In Wuppertal wurde eine Genossin festgenommen und nach Düsseldorf gebracht. Was verbirgt sich hinter dem Hammerbegriff „terroristische Vereinigung im Ausland”? Er erfüllt zunächst keinen anderen Zweck , als zu entsolidarisieren und Unbeteiligten Angst vor Menschen zu machen, die teilweise seit Jahrzehnten mit uns zusammen leben und arbeiten.
Es ist ein juristischer Kunstgriff, der im Rahmen der Gesetzeshysterie nach dem 11.09.2001 problemlos angewendet werden kann. Bei der Konstruktion handelt es sich um angebliche Beziehungen und Kontakte zu Gruppen in den Herkunftsländern, die dort vom jeweiligen Staat als „terroristisch” eingestuft werden. Eine „Unterstützung” solcher Gruppen kann schon darin bestehen, Geld zu sammeln und nach Hause zu schicken. Einzelne nach „129b” Verurteilte sind für mehrere Jahre in deutschen Gefängnissen verschwunden, weil sie hier Zeitungen verkauften und den Erlös angeblich an Strukturen in ihren Herkunftsländern weiterleiteten. Der „terroristische” Akt besteht in diesem Fall also aus dem brandgefährlichen Verkauf von Zeitungen.
Betroffen sind von diesem Gesetz zumeist keine islamistischen Gruppierungen, die eigentlich den Anlass der Staaten darstellten, sich auf größtenteils willkürliche internationale „Terrorlisten” zu verständigen, sondern – wenig überraschend – hauptsächlich linke Organisationen, die in einzelnen Ländern möglicherweise auch militante Widerstandsformen praktizieren. Prominentestes Beispiel für das Übernehmen fremdstaatlicher Kriterien in Deutschland ist sicher die „PKK”, die, obwohl eigentlich nur in Kurdistan und der Türkei aktiv, auch in Deutschland und in Resteuropa als „Terrororganisation” eingestuft wird. Ähnlich verhält es sich mit der DHKP-C, die im aktuellen Fall die Begründung für die staatliche Repression abgibt.
Es muss an dieser Stelle überhaupt nicht auf Charakter oder Zielsetzung einzelner Gruppen eingegangen werden, die allermeisten der Gruppierungen führen ihren – oft berechtigten – Kampf anderswo. Es reicht, zu wissen, dass die türkische Regierung beispielsweise neuerdings auch die Besiktas-Ultras, die „Çar??”, als terroristisch einstuft, um sich zu überlegen, dass die Beurteilung einer angegriffenen Regierung keine Grundlage sein kann.
Hinzu kommt, dass die Paragraphen 129 (a und b ; Inland und Ausland) äußerst gummiartig gefasst sind, wie das Beispiel des Zeitungsverkaufs zeigt. Beide Paragraphen bieten dem Staat jederzeit die Gelegenheit nach Gutdünken Strukturen zu zerschlagen und in Gruppierungen einzudringen. Wer wissen will, wie sich die Anwendung des §129a (also Inland) anfühlt, mag sich die Geschichte von Andrej Holm rund um die Konstruktion einer angeblichen „militanten Gruppe” (mg) einfach nochmal ansehen, oder sie bei „Annalist” nachlesen.
Die Anwendung der Paragraphen 129, der von Menschenrechtsorganisationen als „Gesinnungsjustiz” bezeichnet wird, dient in der Regel ebensowenig der Verhinderung von „Terror”, wie das Mitlesen aller E-Mails durch den NSA. Sie dient dazu, Widerstand unmöglich zu machen und möglichst bereits zu brechen, bevor er sich überhaupt manifestieren kann. Die Durchsuchungen und Festnahmen von heute morgen geschehen zu einem Zeitpunkt, an dem die Regierung des NATO-Partners Türkei angesichts einer breit aufgestellten Protestbewegung mit dem Rücken zur Wand steht. Sie können vor dem Hintergrund des in der Türkei seit Tagen laufenden staatlichen Terrors, der ausschließlich dem Zweck dient, die Bewegung zu spalten und Teile des Protests zu kriminalisieren, nicht als Zufall gewertet werden. Sie sind zu diesem Zeitpunkt eindeutig als Amtshilfe deutscher Behörden für ein autoritäres und gewalttätiges Regime in der Türkei anzusehen.
„Wir fordern die sofortige Freilassung der Inhaftierten und bringen zum Ausdruck, dass uns das Verhalten der Behörden, gerade auch im Hinblick auf die Repressionswelle in der Türkei, zutiefst irritiert. Während die AKP-Regierung in Ankara ihre Angriffe auf die eigene Bevölkerung fortsetzt, leisten die deutschen Behörden nun Schützenhilfe, indem sie Oppositionelle in der Bundesrepublik kriminalisieren und verfolgen. Wir werten diese Attacke als direkten Angriff auf die Solidaritätsbewegung mit dem Aufstand in der Türkei. Auch wenn die Bundesregierung sich verbal von Premierminister Tayyip Erdogans brutalem Vorgehen gegen die Demonstranten in der Türkei mit tausenden Verletzten und mindestens vier Toten distanziert, zeigt sie doch mit solchen Aktionen, auf welcher Seite der Barrikade sie tatsächlich steht.” (Aus der PM des Berliner Bündnisses „Überall Taksim, überall Widerstand”)
Kommt zur Solidaritätskundgebung um 18:00 Uhr an die City-Arkaden in Wuppertal !