Bericht zur Veranstaltung « Endlose Gewaltspirale - der Krieg in der Türkei, in Kurdistan und Syrien » mit Ismail Küpeli am 3.März im ADA.
Der Krieg der türkischen Regierung gegen kurdische Menschen findet in den deutschen Medien noch immer wenig Raum. Aufgrund der schwierigen Bedingungen für Journalist*innen im Kriegsgebiet und in den belagerten Städten fehlen authentische Berichte fast ganz. Was über Korrespondenten und Agenturen den Weg in die großen Medien findet, unterliegt einer von der Bundesregierung vorgegeben Linie der Zurückhaltung. Es hat uns deshalb besonders gefreut, dass am letzten Donnerstag über 50 Menschen den Weg in das ADA in Wuppertal-Elberfeld fanden, um Ismail Küpeli zuzuhören, einem der wenigen Journalisten, die ihren Fokus auf die Geschehnisse in der Türkei richten. Häufig auch von großen Medien für Interviews angefragt und u.a. für das „Neue Deutschland” schreibend, informiert er soweit möglich unabhängig aus dem Propagandageflecht von staatlicher türkischer Zensur und auch vorhandenen kurdischen Interessen – auch auf seinem Twitter-Kanal.
Was die Zuhörer*innen zu hören bekamen, hinterließ bei vielen Ratlosigkeit und eine Mischung aus Zorn und Traurigkeit. Dafür waren weniger die Berichte von Kriegsgreueln aus Cizre oder Sur verantwortlich, sondern eher die von Ismail Küpeli sehr nachvollziehbar geschilderte fehlende Perspektive für eine andere Option als einen weiter eskalierenden Krieg in der Türkei. Nicht einmal ein möglicher Genozid an der kurdischen Bevölkerung erscheint mittlerweile unvorstellbar. Ismail Küpeli machte das vielmehr davon abhängig, ob die türkisch-nationalistischen Spezialeinheiten, die den Krieg im Südosten der Türkei führen, sich verselbstständigen und die „Arbeit”, die sie in den 1990er-Jahren begonnen hatten, ungebremst werden fortsetzen und ausweiten können. Diese Einheiten führten und führen einen ethnischen Krieg gegen die Kurd*innen, ihre in den Ruinen beschossener Orte hinterlassenen Botschaften sprechen eine überdeutliche Sprache.
Während der Diskussion wurde jedoch deutlich, dass der von Erdogan wiederbegonnene Krieg nicht in erster Linie ein ethnischer ist, sondern dass es sich vielmehr um den Versuch handelt, die vor allem im Norden Syriens, in Rojava, sichtbar gewordene kurdische politische Idee einer basisdemokratischen und egalitären Gesellschaft zu vernichten. Darauf weist z.B. die Auswahl der vom türkischen Militär belagerten kurdischen Städte hin - durchweg Hochburgen der PKK und der kurdischen Bewegung.
Der Friedensprozess endete mit dem Kampf um Kobane
Rückblickend lässt sich sagen, dass der Friedensprozess zwischen der AKP-Regierung und PKK wahrscheinlich schon seit dem Herbst 2014, dem Kampf um Kobane, tot gewesen ist, so Küpeli. Die Bedrohung, die die Revolution der Kurd*innen in Rojava für Erdogan darstellt, sei von vielen unterschätzt worden. Die Ergebnisse der regulären Parlamentswahl im Juni 2015, bei der die linke türkisch-kurdische HDP mit über 13% ins Parlament einzog, waren zwar Auslöser für Erdogans Feldzug gegen die kurdische Bewegung – doch alle, die danach erwartet hatten, dass nach der für Erdogan erfolgreicheren Neuwahl im November 2015 eine Phase der Beruhigung einsetzten würde, hätten sich geirrt, so Küpeli, auch er selber. Im Gegenteil : Ende 2015 wandelte sich die immer stärkere Repression gegen Linke und Kurd*innen in der Türkei zum offenen Krieg, nachdem bis dahin alle Versuche gescheitert waren, die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien durch externe Kräfte zu besiegen oder indirekt zu schwächen.
Weder die IS-Kämpfer noch die zwischenzeitlich mit viel Pathos durch die Türkei geleiteten Peschmerga von Barzani oder die von der Türkei massiv unterstützten syrischen Al Quaida Ableger waren in der Lage, an der starken Stellung der kurdischen PYD und der Stärke der Selbstverteidigungsmilizen YPG und YPJ viel zu ändern - im Gegenteil. Den PKK-nahen Kurd*innen in Rojava gelang es, Kobane zurückzuerobern und zunehmend selber militärische Erfolge zu erzielen. Spätestens mit der Einnahme von Tel Abyad (Giré Spi), mit der eine Verbindung der zuvor voneinander isolierten selbstverwalteten kurdischen Kantone Cizere und Kobane geschaffen wurde, lösten sie bei der türkischen Regierung Panik aus. Verstärkt wurde diese Panik durch das Agieren PKK-naher kurdischer Jugendmilizen (YDG-H) in einigen Städten im türkischen Südosten. Deren Versuche, die Ideen einer Selbstverwaltung von Rojava z.B. nach Cizre oder Diyarbakir zu übertragen, verstärkten den Handlungsdruck.
Die Brutalität, mit der die türkische Regierung im Südosten auch gegen Zivilisten vorgeht, ist nicht Ausdruck von Vernichtungswille gegenüber „den Kurd*innen” - es ist vielmehr der brachiale Versuch, der Idee einer föderalen Türkei mit multi-religiöser und multi-ethnischer Selbstverwaltung durch eine „Bestrafung” aller möglichen Unterstützer*innen die Basis zu entziehen. Sie ist von der desperaten Hoffnung geleitet, Kurd*innen und Bewegung voneinander trennen zu können, wenn der Terror nur groß genug ist. Auch darin ist sicherlich ein Grund dafür zu suchen, warum die PKK-Führung in den nordirakischen Kandilbergen bisher eher zurückhaltend reagierte und den städtischen Widerstand bisher meist den ortsansässigen Jugendmilizen überlassen hat. Eine durch die PKK provozierte weitere Verschärfung des Krieges für die Zivilbevölkerung würde dem Plan Erdogans, der kurdischen Bewegung die Grundlage in der Bevölkerung zu nehmen, entgegenkommen. Dennoch wird die PKK schon in absehbarer Zeit gezwungen sein, aktiver zu werden, wenn sie auf Dauer nicht radikaleren Gruppen wie der TAK das Feld überlassen will. Mit dem Beginn der von Cemil Bayik angekündigten „Frühjahrsoffensive” der PKK sei wohl rund um das Neujahrsfest Newroz am 21.März zu rechnen, so Küpeli.
Dies, vor allem aber die auf weitere Eskalation angelegte türkische Politik, die keinerlei Friedenswillen zeigt, lässt die Lage hoffnungslos erscheinen. Auch mit Druck von außen ist nicht zu rechnen. Das machte der zweite wichtige Punkt der Veranstaltung deutlich : Die Unterstützung der deutschen Politik für die Türkei, die laut Ismail Küpeli weit über das hinausgeht, was manche mit ohrenbetäubendem Schweigen umschreiben. Küpeli sieht das als Untertreibung an und wandte sich gegen die auch am Donnerstag zu vernehmenden Stimmen, die reflexhaft auf die USA als verantwortlichem Akteur verweisen, dabei aber die Bedeutung der deutschen Unterstützung für Ankara ignorieren.
Deutschland steht fest entschlossen an der Seite Ankaras
Die Rolle der USA ist höchst ambivalent in diesem Fall : Ohne die militärische Unterstützung der USA hätten die Kurd*innen den Kampf um Kobane nicht gewinnen können, und die Unterstützung Washingtons für die YPG/YPJ und die unter kurdischem Kommando in Syrien operierende arabisch-kurdische SDF hält weiter an. Neueste Meldungen zu zwei von den USA erbauten Militär- und Zivil-Flughäfen in Rojava deuten ebenfalls darauf hin, dass die USA entschlossen sind, dem Einfluss Ankaras in Syrien etwas entgegenzusetzen. Das zeigt sich auch abseits des Militärischen : Ohne die Weigerung der USA, die kurdische YPG für den Februar-Anschlag von Ankara verantwortlich zu machen, hätte die BRD die syrischen Kurd*innen wahrscheinlich auf die EU-Terrorliste gesetzt und deren Unterstützer*innen in Deutschland kriminalisiert. Die Razzia im « Korn », einem unabhängigen Zentrum in Hannover, wies bereits in Richtung einer zunehmenden Repression gegen die kurdische Bewegung.
Von der Bundesregierung ist anderes nicht zu erwarten. Sie ist nicht nur wegen der anhaltenden Migrationsbewegung fest dazu entschlossen, an der Seite Erdogans zu stehen, womit sie sich in eine über hundertjährige Tradition stellt, wie zuletzt mehrere Veranstaltungen im ADA zum Gedenken an den Genozid an den Armenier*innen aufzeigten. Die Partnerschaft mit der Türkei äußert sich dabei traditionell nicht nur in zugesagten Finanzmitteln und in einer kontinuierlichen Bewaffnung türkischer Sicherheitsorgane, sie zeigt sich vor allem auch bei der Verfolgung türkischer und kurdischer Opposition in Deutschland.
Nirgendwo in Europa werden mehr türkische oder kurdische Menschen vor Gericht gestellt als in Deutschland. Wie die Repression gegen türkische und kurdische Linke in Deutschland abläuft und welche Inhalte die regelmäßigen Konsultationen deutscher und türkischer Geheimdienste und Polizeistellen haben, lässt sich am Beispiel unserer Freundin Latife gut darstellen, die wegen « Mitgliedschaft in einer terroristischen ausländischen Vereinigung » aufgrund des §129b in Düsseldorf vor Gericht steht, und deren Verhaftung auf dem Höhepunkt der Gezi-Proteste und unmittelbar nach einer jener Konsultation der Polizeibehörden in Ankara erfolgte. Über das « Europäische Auslieferungsabkommen » mache sich die BRD sogar zum Richter über Menschen, die überhaupt nicht in Deutschland leben, indem sie z.B. die Auslieferung türkischer Oppositioneller aus Frankreich oder Griechenland an Deutschland beantrage und sie hier aufgrund des §129b verurteile, wie einer von Latifes Anwälten am Donnerstag ergänzte.
Die abschließenden Worte eines der Mitveranstalter richteten sich deshalb auch an die radikale deutsche Linke. Zwar sei es bedauerlich, dass die Wiederannäherung zwischen kurdischer Bewegung und radikaler Linken, die mit der Aufmerksamkeit für den Kampf um Kobane 2014 begonnen habe, inhaltlich nicht habe abgeschlossen werden können. Angesichts einer auch für Deutschland zu erwartenden Zunahme der Repression gegen kurdische Organisationen und Menschen sei es jetzt wichtig, solidarisch zu sein und am Aufbau gemeinsamer Strukturen mitzuwirken. Auch wenn wenig Möglichkeiten bestehen, auf das Geschehen in der Türkei und Kurdistan einzuwirken, bedeute das nicht, dass nicht zumindest hier agiert werden könne. Eine erhöhte Aufmerksamkeit für laufende und zukünftige §129-Verfahren sei da ein Anfang.
Ergänzung : Wie sehr die in Deutschland betriebenen Verfahren nach dem §129b politische Verfahren sind, wurde zuletzt in der Begründung des 5.Strafsenats am OLG Düsseldorf im Prozess gegen unsere Freundin Latife deutlich, mit der der Antrag ihrer Verteidiger auf Einstellung des Verfahrens zurückgewiesen wurde : siehe „Das politische Primat”