Der Protest der Flüchtlinge geht weiter

Zur bishe­rigen Geschichte des Protests

Ende Januar 2012 erhängte sich Mohammad Rahsepar im Flücht­lings­lager Würzburg. Nach Monaten der Ungewiss­heit, des Wartens auf seine Asylent­schei­dung, der Angst vor der Abschie­bung und der Isola­tion im Lager hatte er keine Kraft mehr gehabt.

In Flücht­lings- und antiras­sis­ti­schen Kreisen rief der Selbst­mord Erschüt­te­rung und Wut hervor - wie jedes Mal, wenn ein Mensch an der deutschen Flücht­lings­po­litik zerbricht - wie beim Selbst­mord von Shambu Lama, der sich im April 2011 vor einen Zug warf, aus Angst vor der Abschie­bung und der damit einher­ge­henden Trennung von seinem Sohn. Oder wie bei Rachid Sbaai, der 1999 in der Abschie­be­haft Büren starb, als er in seiner Zelle eine Matratze ansteckte.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte auch noch niemand – einschließ­lich der späteren Akteure - was für eine Protest­dy­namik der Selbst­mord von Mohamma Rahsepar einige Wochen später entfa­chen sollte.

Andert­halb Monate nach Mohamad Rahse­pars Tod, am 19. März, entschieden einige irani­sche Flücht­linge, die mit ihm zusammen gewohnt hatten, das Isola­ti­ons­lager zu verlassen. Sie schlugen ein Camp auf einem Platz im Herzen Würzburgs auf und begannen dort mit einem Hunger­streik. In ihrer ersten Presse­mit­tei­lung prangerten sie die „Folter der Ungewiss­heit“ sowie die knast­ähn­li­chen und ernied­ri­genden Bedin­gungen im Lager an, die Mohammad in den Tod getrieben haben : „Wenn ein deutscher Staat derlei menschen­ver­ach­tende Lebens­si­tua­tionen billi­gend in Kauf nimmt, werden wir es fortan bevor­zugen, unseren Weg in den Tod in aller Öffent­lich­keit zu gehen.“

Die Flücht­linge vor dem Würzburger Rathaus

Die Forde­rungen der zehn irani­schen Flücht­linge lauteten damals wie heute :

  • Anerken­nung als politi­sche Flücht­linge
  • Die drasti­sche Verkür­zung der Bearbei­tungs­dauer der Asylan­träge
  • Einfüh­rung eines Anspruchs auf Anwäl­tinnen und Dolmet­sche­rinnen von Beginn des Asylver­fah­rens
  • Gewäh­rung der freien Arztwahl
  • Die Möglich­keit der Famili­en­zu­sam­men­füh­rung
  • Arbeits- und Studi­en­erlaub­nisse für alle Asylbe­wer­be­rinnen
  • Abschaf­fung der Gemein­schafts­un­ter­künfte
  • Abschaf­fung der Residenz­pflicht
  • Abschaf­fung der Essens­pa­kete
  • Einfüh­rung eines Anspruchs auf profes­sio­nelle Deutsch­kurse

Die Protes­tie­renden starteten von Anfang an mit einer offen­siven und angesichts der Rahmen­be­din­gungen ziemlich profes­sio­nellen Medien- und Öffent­lich­keits­ar­beit. Die Medien wurden in mehreren Presse­kon­fe­renzen über die Forde­rungen und die einzelnen Schritte der Ausein­an­der­set­zung infor­miert ; die Flücht­linge stellten ihre Erklä­rungen in einem eigenen Blog ein, wo sie auch Solida­ri­täts­er­klä­rungen anderer Gruppen dokumen­tierten. Nach und nach erhielt der Protest dadurch eine bundes­weite Aufmerk­sam­keit.

Während Presse und Öffent­lich­keit sich umfas­send und inter­es­siert über die Hinter­gründe des Streiks infor­mierten, brauchten die verant­wort­li­chen Behörden und Politi­ke­rInnen etwas länger : Zunächst schien es, als ob weder die Würzburger Behörden, noch das Bundesamt für Migra­tion und Flücht­linge, noch das in Bayern für Sammel­un­ter­künfte zustän­dige Sozial­mi­nis­te­rium bereit seien, sich in irgend­einer Weise zu rühren. Daraufhin verschärften die Flücht­linge nach zehn Tagen den Hunger­streik und traten in den Durst­streik.

Als daraufhin zahlreiche weitere Solida­ri­täts­ak­tionen statt­fanden und die Solida­rität bundes­weit immer weiter zunahm, erschienen schließ­lich am 4.April der Vizeprä­si­dent des Bundes­amtes für Migra­tion und Flücht­linge (BAMF) sowie Vetre­te­rInnen des bayeri­schen Sozial­mi­nis­te­riums und unter­ge­ord­neter Behörden in Würzburg. Das BAMF sagte die zeitnahe Bearbei­tung der Asylan­träge von allem am Protest betei­ligten Flücht­lingen zu – die Vertre­te­rinnen des Minis­te­riums hingegen ließen sich auch in der nachfol­genden Presse­kon­fe­renz zu keinen konkreten Zusagen bewegen. Dennoch setzten die Flücht­linge ihren Hunger­streik vorüber­ge­hend aus.

Im Mai schließ­lich erkannte des BAMF die Asylan­träge von sechs der zehn Flücht­linge an. Vier hingegen wurden abgelehnt. Die anerkannten Flücht­linge blieben solida­risch in der Aktion, und es schlossen sich weitere Flücht­linge an.

Während es auf dieser Ebene also erste Erfolge zu verzeichnen gab, wurden auf anderer Ebene zahlreiche Kräfte gebunden, um den Protest überhaupt aufrecht erhalten zu können : Ab Mitte April verschärfte die Stadt Würzburg mit zahlrei­chen Auflagen die Bedin­gungen des Protestes, mit der offen­sicht­li­chen Absicht, ihn zu zermürben. Würzburg versuchte, das Übernachten in den Zelten zu unter­sagen und zudem den Protest zuneh­mend aus der Innen­stadt zu verbannen. Es begann ein versamm­lungs­recht­li­cher Streit mit Stadt und Polizei, wobei die Flücht­linge sich praktisch jeden Zenti­meter ihres Protest­zeltes vor dem Verwal­tungs­ge­richt erklagen mussten.

Und obwohl mehrere Personen die Anerken­nung der Flücht­lings­ein­gen­schaft bekamen ist festzu­halten, dass hinsicht­lich der anderen Forde­rungen – Abschaf­fung der Residenz­pflicht, der Lager und der Sammel­un­ter­künfte - das Protest­camp außer Öffent­lich­keit und eine Reihe schöner Absichts­be­kun­dungen noch keine konkrete Verbes­se­rung erreicht hatte.

Anfang Juni, am 80.Tag des Wider­stands in der Würzburger Innen­stadt, entschieden daher einige der Protes­tie­renden einen Schritt weiter zu gehen. Sie erklärten : „Wir sind die Stimme aller Asylbe­werber, die ihr Recht einfor­dern. Wir haben laut geschrien, aber niemand hat uns gehört. Jetzt haben wir unsere Lippen zugenäht, weil alles gesagt wurde.“

Die drasti­sche Aktions­form entfachte einen Sturm der Entrüs­tung und führte zeitweise sogar zur Entso­li­da­ri­sie­rung eines Teil der Unter­stüt­ze­rInnen, verhalf den Protes­tie­renden zugleich aber auch zu einer erneuten Welle der Aufmerk­sam­keit und Solida­rität. Nachdem das BAMF vier weitere Protes­tierer anerkannte, öffneten die Flücht­linge ihre Lippen wieder.

Die Würzburger Behörden verlegten sich derweil zuneh­mend auf Repres­sion. Sie waren sich nicht zu schade, ein rassis­ti­sches Gesetz wie die Residenz­pflicht als Waffe zu benutzen, um den antiras­sis­ti­schen Protest zu zerschlagen. Die Flücht­linge verstießen aufgrund der rigiden bayeri­schen Regeln schon dadurch, dass sie sich in Würzburg aufhielten, gegen die Residenz­pflicht. Vielen wurde daher mit Bußgel­dern und sogar mit Straf­ver­fahren gedroht, wenn sie nicht in ihre Residenz­pflicht­be­zirke zurück­gingen.

Die Antwort der Protes­tie­renden war eindeutig :
Und wenn es Steine vom Himmel regnet, - wir gehen nicht in unsere Lager zurück !

Die zuneh­mende Schikane über die Residenz­pflicht­schiene fiel zusammen mit der Überle­gung, dass der Flücht­lings­pro­test sich nicht allein auf die Stadt Würzburg beschränken dürfe, wenn er langfristig Wirkung entfalten wolle. So beschlossen die Protes­tie­renden, den Protest auch räumlich auszu­dehnen. Zunächst wurden Anfang Juli weitere Protest­camps in den Städten Aub, Regens­burg und Bamberg errichtet. Am 11.Juli begannen auch Flücht­linge aus dem nieder­säch­si­schen Abschie­be­lager Bramsche einen aller­dings zeitlich beschränkten Protest im Osnabrü­cker Schloss­garten und spannten ein Trans­pa­rent auf : „Lieber im Zelt als im Lager“. Im Lager Bramsche hatte zwei Wochen zuvor ein junger Mann namens Vahid Firouz versucht, sich umzubringen, nach zehn Monaten des Wartens im Lager und zwei Asylab­leh­nungen.

Am selben Tag wie in Osnabrück wurde auch in Düssel­dorf in der Nähe des Landtags ein Pavillon aufge­schlagen. Hier reagierten die Ordnungs­be­hörden ähnlich repressiv wie in Würzburg und erlaubten zunächst nur einen offenen Pavillon - in dem auch nicht geschlafen werden durfte ! Die Polizei kontrol­lierte stunden­weise Nacht für Nacht, ob nicht jemand im Pavillon auf der Bank einge­schlafen war. Die Flücht­linge mussten erneut ihr Demons­tra­ti­ons­recht einklagen. Erst das Oberver­wal­tungs­ge­richt stoppte nach über zwei Wochen den Ordnungs­wahn der Stadt und stellte fest, dass das Versamm­lungs­recht über dem Ordnungs­kon­zept der Stadt zu stehen hat.

Seit Ende Juli sind nun auch in Düssel­dorf ein Zelt und zwei Schlaf­stellen zugelassen.

Um die Residenz­pflicht­pro­ble­matik noch stärker in die Öffent­lich­keit zu lancieren, startete einer der Regens­burger Flücht­linge, Mohammad Hassanz­adeh Kalali, eine Break-Residenz­pflicht-Tour durch sämtliche am Protest betei­ligten Städte. Er wurde auf den Zugfahrten begleitet von einem Journa­listen, der unter­wegs alle Kontrollen und Probleme mit der Kamera dokumen­tierte.

Neben den diversen Protest­camps finden bundes­weit dezen­tral organi­sierte Solida­ri­täts­ak­tionen statt. So wurden im Rahmen des NoBor­der­Camps in Köln eine große Demons­tra­tion organi­siert ; schließ­lich besetzten Aktivis­tInnen die Landes­ge­schäfts­stelle der GRÜNEN in Düssel­dorf mit der Forde­rung, dass die Repres­sionen gegen das Düssel­dorfer Flücht­lings­zelt einge­stellt werden müssen.

Und auch die Ausdeh­nung des Protestes geht weiter. Am 4.August wurde schließ­lich auch in Berlin ein Camp errichtet ; ebenfalls Anfang August begannen Flücht­lings­pro­teste in Passau und Nürnberg. Damit gibt gibt es aktuell Protest­camps in Würzburg, Bamberg, Aub, Regens­burg, Düssel­dorf, Passau, Nürnberg, Trier und Berlin.
Es sind längst nicht mehr nur irani­sche Flücht­linge, die sich an den Protesten betei­ligen, sondern auch Menschen aus Westafrika und anderen Ländern. Daneben zahlreiche Unter­stüt­ze­rInnen mit festen Aufent­halts­status, darunter viele migran­ti­sche Jugend­liche und junge Erwach­sene, die das Anliegen der Camps zu ihrem machen.
Vermut­lich ist der Protest der Flücht­lings­camps in Deutsch­land die ausdau­erndste und entschlos­senste selbst­or­ga­ni­sierte Aktion von Flücht­lingen seit vielen Jahren.

Weitere Planungen :

Anfang August fand in Frank­furt ein Koordi­na­tions-Treffen der Flücht­ling­camps statt. Das Koordi­na­ti­ons­ko­mitee der protes­tie­renden Flücht­linge und Vertre­te­rinnen und Vertreter unter­schied­li­cher Gruppen berieten über eine Aktion, welche die protes­tie­renden Flücht­linge in Berlin zusam­men­führen soll. Zwei Tage lang wurde über den Vorschlag eines Marsches nach Berlin, Haupt­stadt der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, disku­tiert. Damit soll der Druck verstärkt und direkt an die politisch verant­wort­li­chen Personen in Minis­te­rium, Kanzleramt und Bundestag heran­ge­tragen werden. Inzwi­schen steht fest, dass es zwei separate Routen geben soll, die beide von Würzburg als der nördlichsten Stadt Bayerns ausgehen. Die erste, kürzere Route ist als Fußmarsch nach Berlin und die zweite, längere Route als Busfahrt durch verschie­dene westdeut­sche Städte und Lager geplant. Die Tour soll etwa einen Monat dauern, als Beginn der Aktion wurde der 8. September 2012 bestimmt.

Weitere Infos unter :
refugee​ten​tac​tion​.net
gustreik​.blogsport​.eu/
theca​ravan​.org

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BREAK ISOLATION ! * Refugee Summer Camp 2012

Solida­rität gegen das koloniale Unrecht und die Angriffe auf unsere Leben

Hier gibt es den Aufruf in anderen Sprachen (Cagri Türkce, call English, Farsi, Appel Francais, Arabic)

Freun­dinnen und Freunde, Schwes­tern und Brüder, Mitstrei­te­rinnen undMit­streiter,

wir vom THE VOICE Refugee Forum und der KARAWANE für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen organi­sieren in diesem Sommer ein Sommer­camp.

Wir laden euch ein, mit uns gemeinsam zehn Tage lang nach vorn zu schauen und zu disku­tieren, wie unsere Selbst­or­ga­ni­sie­rung weiter gestärkt und entfaltet werden kann. Wir wollen die bisher in prakti­schen Kämpfen gelebte Solida­rität unter­ein­ander verfes­tigen und uns rüsten für zukünf­tige Kämpfe. Wir wissen aus unserer langjäh­rigen Erfah­rung der organi­sierten Kämpfe gegen das deutsche Abschie­be­system und all seinen Formen, dass Selbst­be­stim­mung und Selbst­er­mäch­ti­gung von uns Flücht­lingen - den unmit­telbar vom kapita­lis­ti­schen System bedrohten Menschen - Kern einer Bewegung zur Überwin­dung von Ausbeu­tung und Unter­drü­ckung sind. Wir wissen, dass wir nur mit einem scharfen und klaren Fokus und einer wachsenden Basis diesem Ziel näher­kommen können. Seit der Konfe­renz gegen koloniales Unrecht 2009 arbeiten wir perma­nent am Aufbau lokaler Flücht­lings­ko­mi­tees und Gemein­schaften in den Lagern und in unter­schied­li­chen Städten. Auf unserem weiteren Wege wollen wir die Solida­rität zuein­ander und die Bezie­hungen zwischen den bereits bestehenden und neu entste­henden lokalen Gruppen ausbauen und stärken.

Auf dem Flücht­lings­camp wollen wir unsere bishe­rige Arbeit reflek­tieren, das politi­sche Umfeld analy­sieren und uns politisch bilden. Wir wollen die Erfah­rungen aus vergan­genen erfolg­rei­chen Kämpfen an die neuen Aktivis­tinnen und Aktivisten weiter­geben sowie unsere Schwä­chen beleuchten. Es ist an der Zeit, zwischen all den tagtäg­li­chen Kämpfen zu analy­sieren, wo wir stehen und wie der weitere gemein­same Weg aussehen kann.

Wir sehen aktuell, dass trotz aller Kämpfe und Wider­stände gegen Abschie­bungen, Residenz­pflicht und Polizei­bru­ta­lität die Angriffe des deutschen Staates auf Flücht­linge und Migran­tInnen – insbe­son­dere unter der Einwir­kung der System­krise – massiv verstärkt werden. Rassismus als Spaltungs- und Herrschafts­in­stru­ment wird intensiv genutzt, damit die Verur­sa­cher von Hunger und Not, von Famili­en­tren­nung und Isola­tion weiterhin den Reichtum an sich reißen können.

Heute sind wir Zeugen, wie trotz aller sozialen und politi­schen Aufstände und Massen­re­bel­lionen die Zerstö­rung unserer Länder, unserer Lebens­räume und unserer Gesell­schaften durch die westli­chen Länder im Stil eines neuen Weltkriegs voran­ge­trieben werden. Wir müssen zusehen, dass trotz der entfal­teten Kraft der Proteste die Entschei­dungen über die Macht in unseren Ländern weiterhin in Runden außer­halb unserer Konti­nente getroffen werden. Dies ist keine neue Erfah­rung, doch die Offen­heit, mit der sie zutage tritt, ist eine weitere Ohrfeige und Ernied­ri­gung - und offen­bart unsere eigene Schwäche. Durch den zielge­rich­teten Export von Kriegs­ma­te­rial, wirtschaft­liche Sanktionen und politisch-militä­ri­sche Inter­ven­tionen sollen jede Trans­for­ma­tion der Ausbeu­tungs­ver­hält­nisse verhin­dert und jedes Bestreben nach tatsäch­li­cher Unabhän­gig­keit erstickt werden. Das Militär­bündnis NATO hat die Welt in einen perma­nenten Kriegs­zu­stand versetzt und bedroht weiterhin unsere Familien in den Ländern, die wir verlassen mussten.

Der Protest gegen die Verur­sa­cher des Elends auf unseren Konti­nenten nimmt stetig zu. Aber auch die jungen Menschen hier in Mittel­eu­ropa fangen an, die Lügen ihrer Verschleie­rungs­pro­pa­ganda zu erkennen und setzen sich gegen Abschie­bungen, Ausbeu­tung und Milita­ri­sie­rung ein. Trotz alldem und trotz unserer aller Kämpfe werden die europäi­schen Außen­grenzen jeden Tag stärker militä­risch abgeschottet und das Lager­system inner­halb der EU ständig weiter­ent­wi­ckelt. Die Randstaaten Europas müssen für die Kernstaaten die Flücht­linge abfangen und abwehren. Die Lager und die militä­ri­sche Abschot­tung werden immer weiter ausge­la­gert. Immer mehr Länder werden zu Vasallen der Bekämp­fung der erzwun­genen Migra­tion und erledigen für die europäi­schen Staaten die dreckige Arbeit auf dem afrika­ni­schen und asiati­schen Konti­nent. Die Folgen sind verhee­rend und Zeugnis der kolonialen und genozi­dalen Ideologie der herrschenden Eliten.

Obwohl wir als Mensch­heit in der Lage sind, Nahrung für die gesamte Erdbe­völ­ke­rung zu produ­zieren, verhun­gert alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren. 37 000 Menschen verhun­gern jeden Tag. Eine Milli­arde sind perma­nent schwers­tens unter­ernährt. Alle 60 Sekunden stirbt ein Mensch durch Schuss­waffen. 500 000 Menschen sterben jedes Jahr durch Schuss­ver­let­zungen. Deutsche Konzerne belegen hingegen den dritten Rang der weltweiten Rüstungs­ex­porte. Der Kapita­lismus hat längst seine goldene Maske verloren. Die Zerstö­rung der Erde schreitet voran und tötet nicht nur die Menschen, sondern zerstört auch die Lebens­grund­lage zukünf­tiger Genera­tionen. Daher wird unser Protest als ein Teil des Kampfes gegen diese perma­nente Zerstö­rung immer bedeu­tender und ist zwingend notwendig.

Unser gerechter Wider­stand erreicht immer mehr Menschen. Vergli­chen mit dem Ausmaß der Zerstö­rung und der Häufig­keit der Angriffe erscheint er aber geschwächt. Die politi­sche Klarheit und die Analyse und Ausar­bei­tung der Herrschafts- und Macht­struk­turen erfor­dert Zeit, kollek­tive Unter­su­chung und Erkenntnis. Wir sind selbst aber Kinder des Kolonia­lismus und des Kapita­lismus. Zersplit­te­rung und Konkur­renz­ver­halten inner­halb unserer eigenen Wider­stands­be­we­gungen schwä­chen die gesamte Bewegung gegen das kapita­lis­ti­sche Diktat.

Wir sind geprägt von den Auswir­kungen des „kolonialen Erbes“ - der kolonialen Menta­lität. Wir hängen zusammen und sind mitein­ander verbunden durch die Kette, die im Kolonia­lismus zwischen den unter­drü­ckenden und den unter­drückten Gesell­schaften entstanden ist. Nicht nur unsere Bewegung wird geschwächt durch Infil­tra­tion und Manipu­la­tion durch vermeint­liche Verbün­dete, deren verstecktes Ziel die Durch­set­zung einer eigenen Agenda ist, die teilweise nur die Siche­rung des eigenen Lebens und des eigenen Status umfasst. Diese Einflüsse aber schwä­chen den Kern der Bewegung, der in der Selbst­be­stim­mung und Selbst­er­mäch­ti­gung der unmit­telbar Betrof­fenen besteht.

Deshalb rufen wir - The VOICE Refugee Forum und die KARAWANE für die Rechte der Flücht­linge und Migran­tInnen - Euch dazu auf, zu dem zehntä­gigen Treffen nach Thüringen zu kommen. Bringt euch in den Entwick­lungs­pro­zess für den Aufbau selbst­be­stimmter und selbst­or­ga­ni­sierter Flücht­lings­ge­mein­schaften und -komitees ein. Seid Teil der Solida­ri­täts­platt­form der Flücht­linge im Rahmen des Netzwerks der KARAWANE. All dieje­nigen, deren Ziel es ist, sich mit dem Kampf der Flücht­linge zu verbinden und eine wirksame Überwin­dung von Rassismus und kolonialer Menta­lität anzustreben, rufen wir auf, zum Camp nach Thüringen zu kommen.

Das Camp soll der Stärkung und der Konzen­tra­tion des Flücht­lings­wi­der­stands dienen. Wir wollen alle Diskus­sionen und Analysen an diesem Ziel ausrichten. Uns geht es nicht darum, uns gegen­seitig unter­schied­liche Kampa­gnen und Aktionen der Zukunft zu präsen­tieren oder uns überein­ander zu infor­mieren. Wir wollen die Solida­rität unter­ein­ander durch aktiven Austausch stärken und gemeinsam heraus­finden, inwie­weit unsere eigene Freiheit mit der anderer zusam­men­hängt. Wie mache ich deinen Kampf zu meinem und wie bringen wir uns gemeinsam ein ?

Ein zentraler Punkt wird der Erfah­rungs­aus­tausch der Flücht­lings­ge­mein­schaften über die rassis­ti­sche Politik und Praxis im deutschen Lager- und Abschie­be­system sowie unsere Praktiken der Gegen­wehr und der Selbst­or­ga­ni­sie­rung sein. Die konkreten Erfah­rungen des Wider­stands und der Solida­rität durch­bre­chen den Kreis der Angst und der Ohnmacht. Hierzu gehört auch die Vermitt­lung von techni­schem und organi­sa­to­ri­schem Wissen.

Wir wollen uns auf dem Camp Zeit nehmen, um in Refle­xionen und Analysen über die gegen­wär­tige Situa­tion – sowohl hier wie auch in unseren Herkunfts­län­dern – die daraus resul­tie­renden Anfor­de­rungen und Bedin­gungen für unseren Wider­stand heraus­zu­ar­beiten und dabei unser politi­sches Bewusst­sein zu stärken. Die Kampagne „Krieg gegen Migra­tion – Krieg gegen Flucht“ wird ein Haupt­schwer­punkt des Camps sein. Alle Flücht­linge und Migran­tInnen sind dazu einge­laden, ihre Erfah­rungen zu diesem Thema vorzu­be­reiten und einander mitzu­teilen.

Das ganze Camp wird auf dem Prinzip der Solida­rität aufbauen, denn wir haben gelernt, dass die Solida­rität der Unter­drückten unter­ein­ander unsere schärfste Waffe und unseres Gegners größte Angst ist. Das KARAWANE Festival gegen koloniales Unrecht in Jena 2010 wurde als Bastion der Solida­rität bezeichnet und von allen, die sich dort einfanden, auch so empfunden. Das Camp 2012 will das Prinzip der Solida­rität auf die Ebene der alltäg­li­chen und konti­nu­ier­li­chen Praxis heben. Nach wie vor existiert das Netzwerk der KARAWANE in ursprüng­li­cher Form und bietet Raum für aktive Teilnahme und den Aufbau lokaler Gruppen und Initia­tiven, die den Prozess der Selbst­or­ga­ni­sie­rung und Selbst­er­mäch­ti­gung von Flücht­lingen und Migran­tInnen voran­treiben wollen.

Das Camp wird die Planungen und Konkre­ti­sie­rungen für das Tribunal gegen die Bundes­re­pu­blik Deutsch­land im Sommer 2013 in Berlin auf die Tages­ord­nung setzen und alle Flücht­linge als Zeugen und Betrof­fene für die syste­ma­ti­schen Menschen­rechts­ver­let­zungen einladen. Dazu gehört auch die Ermuti­gung von Flücht­lings­frauen, deren Situa­tion im deutschen Lager­system oft am schwersten ist. Unsere gemein­same Dokumen­ta­tion wird in Zukunft ein unumstöß­li­cher Beweis gegen alle Versuche der Leugnung der Verbre­chen sein, die gegen uns verübt wurden und werden.

Das Camp wird der Raum unserer kultu­rellen Vielfäl­tig­keit und Ausdrucks­mög­lich­keit sein. Wir laden euch alle dazu ein, eure Talente in Musik, Malerei, Lyrik, Tanz, Sport und Spiel mit in das Camp zu tragen. Eine Kinder­be­treuung vor Ort wird organi­siert.

Wartet nicht auf irgendwen, der Euch eine Lösung verspricht. Er oder Sie wird nicht kommen. Wartet nicht, bis das eigene Problem so groß ist, dass es euer Handeln erzwingt - es wird dann zu spät sein. Glaubt nicht, ihr seid nicht betroffen, wenn ihr kein Flücht­ling (mehr) seid. Wir alle sind verbunden mit der Kette des kolonialen Unrechts.

Stoppt den Krieg gegen Flucht !
Solida­rität mit dem Flücht­lings­wi­der­stand in Deutsch­land undSo­li­da­rität mit der inter­na­tio­nalen Bewegung der Flücht­linge und Migran­tInnen gegen Ausbeu­tung und Unter­drü­ckung ! Organi­siert euch gegen das deutsch-europäi­sche Lager- und Depor­ta­ti­ons­re­gime ! Verei­nigt euch gegen koloniales Unrecht ! Brecht die Isola­tion, überwindet alle Barrieren der Trennung, verei­nigt Euch im Kampf !

Infor­ma­tionen zum Sommer­camp und zur Organi­sa­tion :
refugeecamp2012@​riseup.​net
Sommer­camp Koordi­na­ti­ons­netz­werk :
Karawane Netzwerk und Flücht­lings­in­itia­tiven in Thüringen, Wuppertal, Hamburg, Berlin, Stutt­gart, Möhlau, Hannover, Ausburg and Rostock
Kontakt : The VOICE Refugee Forum, Schil­ler­gaes­schen 5, 07745 Jena,
Tel.: ++49 (0) 176 24568898, Email : thevoice­forum (ät) gmx​.de

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