Prozess gegen Latife : Plädoyer der Verteidigung

Artikel übernommen von der Website zum Prozess

Andert­halb Jahre in a nutshell

Der 9. Februar war der Tag der Vertei­di­gung im § 129b-Verfahren gegen Latife vor dem Düssel­dorfer Oberlan­des­ge­richt. Es kam zu den Plädoyers der beiden Rechts­an­wälte Roland Meister und Yener Sözen. In den beein­dru­ckenden Vorträgen wurden die mehr als andert­halb Jahre seit denen der Prozess läuft, in drei Stunden seziert, bewertet und zusam­men­ge­fasst. Am Ende stand fast zwingend die Forde­rung nach einem Freispruch. Nicht zum ersten Mal brachten sie den Staats­schutz­senat unter dem Vorsit­zenden Richter Schreiber in Not, indem sie die Schwä­chen der nicht nachvoll­zieh­baren Anklage und die unsau­bere Beweis­füh­rung heraus­ar­bei­teten.

Wie schon häufiger, wenn Schreiber die durch den Prozess selbst von Beginn an nihilierte Würde des Gerichts infra­ge­ge­stellt sah, reagierte der Vorsit­zende Richter dünnhäutig und aggressiv. So endete der Verfah­renstag in einigen unschönen Szenen, nachdem ihm Prozess­be­su­che­rInnen während Latifes Schluss­wort die Gelegen­heit gaben, mit Ordnungs­strafen um sich zu werfen in deren Folge es vor dem Gerichts­saal zu einem Tumult kam. Der Senat bedankte sich dann auch in gewohnt postfak­ti­scher Manier artig dafür, dass so zunächst das ziemlich laute Ende des Prozess­tages und nicht die inhalt­liche Vorfüh­rung der Anklage im Gedächtnis haften blieb.

Dabei hatten die über dreissig Besuche­rInnen zuvor eine seltene Stern­stunde der Kritik an den gegen Migran­tInnen geführten 129b-Prozessen im Allge­meinen und am Verfahren gegen Latife im Spezi­ellen erleben dürfen. Die inhalt­lich abgegrenzten und geschickt aufein­ander bezogenen Vorträge von Roland Meister und Yener Sözen listeten noch einmal die ganze Palette der Ungeheu­er­lich­keiten des §129b und die diversen Schwach­stellen von Anklage und Beweis­füh­rung auf. Meister widmete sich vor der Mittags­pause erneut den grund­sätz­li­chen recht­li­chen Problemen der 129b-Prozesse, Sözen ging danach konkret auf die Latife gemachten Vorwürfe ein.

Roland Meister : „Paragra­phen 129a und 129b sind verfas­sungs­widrig“

Konzen­triert und kompri­miert schil­derte Roland Meister in seinem Vortrag zunächst die Fragwür­dig­keit des Paragraph 129 im deutschen Straf­ge­setz. Von den Alliierten nach dem Ende des Natio­nal­so­zia­lismus zunächst aufge­hoben, wurde er 1951 nach einer Vorlage der Nazis aus dem Jahr 1936 wieder einge­führt um hunder­tau­sende Mitglieder der KPD zu krimi­nia­li­sieren. Später um den Paragra­phen 129a (terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung) und nach „9/11“ um den §129b (terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung im Ausland) erwei­tert, dient er dem Staat bis heute zur willkür­li­chen Einschüch­te­rung, Ausspä­hung und Verfol­gung.

Insbe­son­dere der §129b, der „Unter­stüt­zung und Mitglied­schaft in einer auslän­di­schen terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung“ unter Strafe stellt, leidet unter der Tatsache, dass es keine inter­na­tio­nale Defini­tion des Begriffs „Terro­rismus“ gibt. Es obliegt daher der Regie­rung, „Terro­rismus“ im Einzel­fall zu definieren und ggf. gegen eine im Ausland agierende Gruppe eine „Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung“ auszu­spre­chen. Dadurch würde die Gewal­ten­tei­lung aufge­hoben, die Gerichte würden zum reinen Erfüller außen­po­li­ti­scher Vorgaben. Eine Überprü­fung der vorlie­genden Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung hatte der 5. Senat mehrfach abgelehnt, obwohl sich die Lage in der Türkei während des Prozesses gegen Latife beinahe wöchent­lich verschärfte. Er habe damit seine Rolle als „Sprach­rohr der Regie­rung“ in „dankens­werter Offen­heit“ einge­standen, wie Meister ausführte.

Die Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung ist ‚globa­li­sierter Staats­schutz‘“

Er beantragte erneut eine Überprü­fung der gegen die „Anato­li­sche Födera­tion“ erteilten Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung. Dazu verwies er auf ein Gutachten, das für den vor wenigen Wochen ebenfalls in Düssel­dorf mit einer dreijäh­rigen Haftstrafe beendeten PKK-Prozess gegen Ahmet Çelik erstellt wurde. Demnach sei es in der Türkei in den letzten Jahren auch durch den Beitritts­pro­zess zur EU zu keinen Verbes­se­rungen der rechts­staat­li­chen Situa­tion und der Menschen­rechte gekommen. Insbe­son­dere bei der Nieder­schla­gung der fried­li­chen „Gezi-Proteste“ sei die Gewalt eindeutig vom Staat ausge­gangen. Meister äußerte sein Unver­ständnis dafür, dass die Staats­an­walt­schaft dennoch explizit die von Latife organi­sierte Gezi-Solida­rität in Wuppertal in ihrem Plädoyer erwähnt hatte.

Durch den im Paragraph 129b vorge­se­henen Straf­tat­be­stand der „Unter­stüt­zung einer terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung“ gehe der „Zusam­men­hang zwischen Tat und Rechts­ord­nung“ verloren und die rein politi­sche Entschei­dung über den Charakter einer politi­schen Gruppe im Ausland und die willkür­liche Defini­tion dessen, was ihre „Unter­stüt­zung“ in Deutsch­land ausmache, verletze das „Bestimmt­heits­gebot“. Verfol­gungs­er­mäch­ti­gungen seien somit ein „globa­li­sierter Staats­schutz”. Im Übrigen bestritt Meister, dass in Latifes Fall überhaupt eine gültige Verfol­gungs­er­mäch­ti­gung vorliege. Denn das Justiz­mi­nis­te­rium könne auch indivi­duell Personen von einer Straf­ver­fol­gung freistellen, wenn durch sie eine „Unver­hält­nis­mä­ßig­keit“ für die Angeklagten entstünde. Insbe­son­dere gelte dies bei „Unter­stüt­zungs­hand­lungen“, wie sie nach seiner Auffas­sung Latife vorge­worfen werden.

Türkei kein ‚schutz­wür­diger Rechts­staat‘“

Auch die „Schutz­wür­dig­keit“ des türki­schen Staates, wie sie im Paragraph 129b für die Straf­ver­fol­gung in Deutsch­land gefor­dert ist, bestritt Meister. Dazu schil­derte er die aktuellsten Entwick­lungen, nannte die Zahlen der entlas­senen Beamten und Beamtinnen, der verhaf­teten und bedrohten Journa­lis­tinnen, Anwälte und gewählten Politi­ke­rinnen. Die Unter­stüt­zung des türki­schen Staates für islamis­ti­sche Terro­risten bezeich­nete der Anwalt außerdem als völker­rechts­wid­riges Hindernis für die Behand­lung opposi­tio­neller Gruppen in der Türkei als „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gungen“ nach §129b. Vielmehr gebe es ein inter­na­tional anerkanntes Recht auf Wider­stand.

Die „Schutz­wür­dig­keit“ der Türkei sieht Meister aber auch durch den Einsatz von über 6.000 Agenten des Geheim­dienstes „MIT“ in der Bundes­re­pu­blik als nicht gegeben an. Bei deren Tätig­keiten handele es sich um Straf­taten und sie führten nicht zuletzt zu jenen „schwarzen Listen“ von in Deutsch­land lebenden Menschen mit türki­scher oder kurdi­scher Herkunft, auf denen sich nach Meisters Angaben auch der Name von Latife befände. Unter anderem mit diesen Listen führe der türki­sche Staat einen Krieg gegen religiöse und ethische Minder­heiten, was sogar der 5. Senat in seinem Beschluss vom 27. Oktober des letzten Jahres ausdrück­lich festge­stellt habe. Damals hatte Richter Schreiber die Einho­lung eines Gutach­tens zur Türkei abgelehnt. Dem Senat sei die „syste­ma­ti­sche Folter“ und die „Verlet­zung der Menschen­rechte“ in der Türkei schließ­lich durchaus bewusst.

Staats­schutz­ver­fahren werden zuneh­mend verschrift­licht“

Nach der Mittags­pause fuhr Meister mit einer grund­sätz­li­chen Kritik der Prozess­füh­rung fort. Er bedau­erte die zuneh­mende „Verschrift­li­chung“ von Staats­schutz­ver­fahren, in denen mithilfe von „Selbst­le­se­ver­fahren“ immer mehr nach Akten­lage entschieden werde. Darüber­hinaus bestünden die Erkennt­nisse zur DHKP-C fast ausschließ­lich auf Inter­net­quellen und vom BKA „ausge­wer­teten Selbst­be­kennt­nissen“. Nachfragen der Vertei­di­gung dazu würden immer wieder an fehlenden Aussa­gen­ge­neh­mi­gungen der BeamtInnen schei­tern. Eine angemes­sene Ausein­an­der­set­zung mit den einge­brachten Beweisen sei für die Vertei­di­gung so kaum mehr möglich.

Gleich­zeitig seien sämtliche Anträge der Vertei­di­gung durch den Senat zurück­ge­wiesen worden, auch bei Fragen, bei denen die Vertei­di­gung auf die Unter­stüt­zung des Senats angewiesen gewesen wäre. Etwa bei der Ermitt­lung von Namen, die es ihr ermög­licht hätten, Vorwürfe aufzu­klären nach denen im Jahr 2002 in der Türkei unter Folter gemachte Angaben Ausgangs­punkt der Ermitt­lungen in Europa gewesen seien. Diese hatten letzt­end­lich zur Beschlag­nahme von Daten­trä­gern im Amster­damer Presse­büro Özgürlük geführt, die bis heute Kern der zentralen „Struk­tur­akte“ zur DHKP-C sind. Hätte die Vertei­di­gung die Folter­vor­würfe erhärten können, gäbe es dafür ein Verwer­tungs­verbot.

Wesent­liche Teile der Anklage sind nicht bewiesen“

Abschlie­ßend ging Meister nochmals auf den zweifel­haften foren­si­schen Umgang mit den in den Nieder­landen sicher­ge­stellten Daten­trä­gern ein. Auch in diesem Fall wurden zahlreiche Beweis­an­träge gestellt und vom Gericht zurück­ge­wiesen, z.B. die Ladung des nieder­län­di­schen Experten, der für die Entschlüs­se­lung der Festplatten zuständig war. Nur dieser könne die Vorgänge schil­dern, die zur Auswer­tung der beschlag­nahmten Festplatten geführt hatten. Statt­dessen habe sich der Senat auf die Ladung einer „mittel­baren Zeugin“ beschränkt. Die Aussage der Bundes­an­wältin hätte aber weder zu den Wider­sprü­chen der Beschlag­nah­me­um­stände noch zum Umgang mit den Festplatten wesent­li­ches beige­tragen.

So stünden Zweifel an der Athen­zität der einge­brachten Daten und der Integrität der Beweis­mittel weiter im Raum, durch die Aussage der Zeugin seien diese eher noch größer geworden. Alleine die Tatsache, dass die 2004 sicher­ge­stellten und bis heute als Beweise einge­brachten Daten­träger „spurlos und ohne Quittung“ verschwunden seien – womit keine Überprü­fung der Origi­nal­be­weise mehr statt­finden könne – führe dazu, dass „große Teile der Anklage nicht bewiesen“ seien, so Rechts­an­walt Meister. Seine Mandantin müsse schon deswegen frei gespro­chen werden.

Yener Sözen : „Andere bekommen für sowas das Bundes­ver­dienst­kreuz“

Rechts­an­walt Sözen ging in seinem Vortrag vor allem auf die Latife zur Last gelegten Handlungen und die Inten­tion seiner Mandantin ein. Bei Latife handele es sich um eine „selbst­be­wusste, politisch handelnde und denkende Person“, die sich immer für andere, Hilfs­be­dürf­tige und Schwä­chere einge­setzt habe. Für das, wofür sie sich engagiert habe, erhielten andere schonmal das Bundes­ver­dienst­kreuz, ihr jedoch würden Terror­vor­würfe gemacht, weil sie sich zur Vorsit­zenden der Anato­li­schen Födera­tion habe wählen lassen.

Deshalb fokus­sierte Sözen auf die Frage, was über die Anato­li­sche Födera­tion für den „Tatzeit­raum“, also von 2009 bis 2013 überhaupt bekannt sei. Bekannt sei demnach, dass es sich bei der Anato­li­schen Födera­tion um eine Art „Dachver­band“ verschie­dener legaler Einzel­ver­eine gehan­delt habe, der selber auch bis zum heutigen Tag legal sei. Laut der von den Mitglie­dern verab­schie­denten Satzung der Anato­li­schen Födera­tion habe sie jedem antifa­schis­ti­schen und jedem antiras­sis­ti­schen Verein offen gestanden.

Keine durch die DHKP-C gesteu­erten Programm­in­halte“

So, wie es seine Mandantin in ihrer Erklä­rung gesagt habe, seien Inhalte der Arbeit und des Programms der Anato­li­schen Födera­tion zu keiner Zeit durch die DHKP-C festge­legt worden, die Anato­li­sche Födera­tion hätte ledig­lich als Schnitt­stelle der in ihr organi­sierten Vereine gedient. Über den Aufbau der DHKP-C im für das Verfahren relevanten Zeitraum sei im Übrigen nichts bekannt. Die einge­brachten Beweise, mit denen die Tarnfunk­tion der Anato­li­schen Födera­tion belegt werden sollten, beträfen allesamt andere Zeiträume als die zu betrach­tenden Jahre von 2009 bis 2013.

Das beträfe einge­führte andere Urteile aus DHKP-C-Verfahren, wie auch die durch Roland Meister in Zweifel gezogenen Daten aus den Nieder­landen oder die höchst merkwür­digen Aussagen des BND-Mitar­bei­ters und DHKP-C-Funktio­närs Alaatin Ates. Sie stammten aus Zeiten die lange vor dem „Tatzeit­raum“ lägen. Das von Ates angeb­lich gezeich­nete und nachträg­lich um die Anato­li­sche Födera­tion ergänzte Organi­gramm, das im Prozess nur durch den BKA-Mitar­beiter Kröschel belegt sei, müsse als unglaub­würdig angesehen werden. Immerhin bestünde bei Geheim­dienst­in­for­manten jeder­zeit die Gefahr, dass sie ihren Führungs­per­sonen gefäl­lige Aussagen machen, zumal es im Fall von Ates auch um viel Geld gegangen sei, dass dieser vom BND erhalten habe.

Latifes Erklä­rung ist unwider­legt“

Statt dieser, sich nicht auf den „Tatzeit­raum“ bezie­henden, selbst­re­fe­ren­ti­ellen und unglaub­wür­digen Beweise müsse vielmehr die Erklä­rung Latifes gewür­digt werden, die durch nichts wider­legt worden sei. Trotz inten­sivster Überwa­chung ihrer Kommu­ni­ka­tion und einer langfris­tigen Erstel­lung von Bewegungs­pro­to­kollen sei kein einziger Beweis erbracht worden, der die Erklä­rung Latifes, nach der sie sich aus eigenem Entschluss und mit eigener Inten­tion zur Vorsit­zenden der Anato­li­schen Födera­tion habe wählen lassen, zweifel­haft erscheinen lasse.

Die Behaup­tung der Staats­an­walt­schaft, Latife sei als „Aushän­ge­schild“ der DHKP-C „einge­setzt“ worden, wies Sözen energisch zurück. An einer einzigen Stelle der einge­brachten umfang­rei­chen Telekom­mu­ni­ka­tions-Proto­kolle war der Vereins­vor­sitz ein Thema. Und in diesem abgehörten Gespräch zweier später wegen Mitglied­schaft in der DHKP-C Verur­teilter wurde im Gegen­satz zur Behaup­tung der Staats­an­walt­schaft darüber geredet, dass es Wider­stände gegen Latifes Wahl zur Vorsit­zenden gebe. Das würde auch das äußerst knappe Ergebnis der Wahlen in der Anato­li­schen Födera­tion belegen : Mit nur einer Stimme Vorsprung wurde Latife zur Vorsit­zenden gewählt.

Es gibt keine Sippen­haft in Deutsch­land!“

Wann und wo soll sich Latife eigent­lich in die DHKP-C ‚einge­glie­dert‘ haben“, fragte Sözen, und stellte fest, dass auch keine der aufge­zählten Aktivi­täten seiner Mandantin eine Unter­stüt­zung der DHKP-C belege. Es handele sich vielmehr um normale Aufgaben einer Vereins­vor­sit­zenden und um politi­sche Tätig­keiten in Zusam­men­ar­beit mit vielen verschie­denen Initia­tiven und Gruppen. Yener Sözen forderte entschieden eine im Verfahren völlig vernach­läs­sigte „Gesamt­wür­di­gung“ von Latifes Aktivi­täten wozu auch z.B. die Mitor­ga­ni­sa­tion des Gedenk­de­mons­tra­tion für die beim Solinger Brand­an­schlag 1993 getöteten türki­schen Frauen und Mädchen gehöre oder ihre frühzei­tigen Hinweise auf einen rechten Hinter­grund bei den später als „NSU“-Taten bekannt gewor­denen Morde.

Das alles sei in und mit einem sehr weit gefächerten „sozialen Umfeld“ geschehen. Das hatte die Staats­an­wältin ausdrück­lich als Hinweis auf eine „DHKP-C-Nähe“ bezeichnet. Unter Verweis auf die hetero­genen Zuhörer­schaft im Saal zeigte sich Sözen darüber befremdet, dass die im Saal anwesenden „Nachba­rinnen, Freunde und Kollegen“ von der Staats­an­walt­schaft als Ausweis einer terro­ris­ti­schen Gesin­nung gewertet würden. Dass Latifes Ehemann als „angeb­li­cher ehema­liger Dev Sol-Funktionär“ ins Plädoyer der Staats­an­wältin Eingang gefunden hatte, machte den Anwalt geradezu fassungslos. „Meines Wissens nach gibt es in Deutsch­land keine Sippen­haft!“ so Sözen.

Ein Urteil hätte schwer­wie­gende Folgen für Latife“

In seinen abschlie­ßenden Worten stellte Sözen nochmals die Latife konkret gemachten Vorwürfe wie die Zuberei­tung von Essen, antifa­schis­ti­sche, Familien- und Bildungs­ar­beit, Hilfe bei Asylver­fahren oder Teilnahmen an angemel­deten Kundge­bungen und Demons­tra­tionen den mögli­chen Folgen einer Verur­tei­lung gegen­über. Eindring­lich schil­derte Sözen die wirtschaft­li­chen Folgen eines Schuld­spruchs in einem solchen Verfahren, das hundert­tau­sende Euro kosten könne.

Sözen erwähnte auch mögliche auslän­der­recht­liche Konse­quenzen einer Verur­tei­lung für seine seit 35 Jahren in Deutsch­land lebende Mandantin. Vorwürfe und Folgen müssten beim Urteil gegen­ein­ander abgewogen werden. Vor dem Hinter­grund, dass eine behaup­tete Mitglied­schaft Latifes in der DHKP-C nicht nachge­wiesen sei und die Folgen einer Verur­tei­lung für sie immens wären, kann das Resultat des Verfah­rens für Sözen nur ein glatter Freispruch sein.

Applaus aus Respekt für die Anwälte und Latife

Die Anwälte erhielten nach dem gemein­samen dreistün­digen Plädoyer ehrli­chen spontanen Applaus fast aller im Saal befind­li­cher Zuhöre­rInnen. Wenig überra­schend besaß der Vorsit­zende Richter Schreiber jedoch erneut keine Souve­rä­nität. Anstatt das einfach hinzu­nehmen, kündigte er umgehende Ordnungs­strafen für weitere „Störungen“ an. Perfide und in Verdre­hung der Tatsa­chen argumen­tierte er mit „fehlendem Respekt für die Angeklagte“, der sich durch die Beifalls­be­zeu­gung zeige.

Dass Schreiber dann während der Schluss­worte Latifes glaubte, eine weitere Störung ausge­macht zu haben als ein Zuschauer bei einer Passage „zu laut kommen­tierte“, war dann wenig überra­schend. Obwohl die angeb­liche „Störung“ weder durch die Anwälte noch durch den Rest des Publi­kums wahrge­nommen wurde, wurde der Besucher zum Richter­tisch zitiert und des Saales verwiesen. Die Justiz­an­ge­stellten sollten den „Störer“ zudem bis zum Ende des Prozess­tages inhaf­tieren.

Tumult im Gerichts­flur

Zu diesem Zeitpunkt war klar, wohin Schreiber steuern wollte – seine Suche nach Eskala­ti­ons­mög­lich­keiten war offen­sicht­lich ; vielleicht war die Scham eines immerhin formal unabhän­gigen Juristen über eine andert­halb Jahre in politi­schem Auftrag geführte Phantom­jagd auf eine engagierte Migrantin zu groß.  Einige Besuche­rInnen taten ihm dann während Latifes Schluss­rede den Gefallen. Lautstark und unter Rufen von Parolen versuchten sie, dem aus dem Saal Verwie­senen zu Hilfe zu kommen.

Als sie mit Gewalt von mehreren Justiz­be­am­tInnen aus dem Gerichts­saal gebracht wurden, entwi­ckelte sich auf dem Flur vor dem Saal ein Tumult. Schreiber unter­brach Latifes Schluss­wort und die Sitzung als die Abgeführten draußen gefes­selt und zu Boden gebracht wurden. Einer der Aktivisten geriet dabei in akute Atemnot und das Sicher­heits­per­sonal brauchte bedenk­lich lange um einen Kranken­wagen zu rufen, was die lautstarke Aufre­gung im Flur weiter steigerte. Einige Personen wurden während der Ausein­an­der­set­zung bedrängt – selbst die zur Hilfe eilenden Rechts­an­wälte wurden von den BeamtInnen körper­lich angegangen.

Kundge­bung an der Cecili­en­allee, Urteil am Kapellweg

Die Fortfüh­rung des Schluss­wortes durch Latife war im Anschluss nicht mehr möglich. Schreiber verkün­dete ledig­lich noch die Verle­gung der Urteils­ver­kün­dung am 16.2. auf 14:00 Uhr ins Hochsi­cher­heits­ge­bäude am Kapellweg – dann wird auch Latife ihren Schluss­vor­trag nochmals halten. Die Entschei­dung zur Verle­gung wird bereits am Morgen gefallen sein, nachdem der Senat durch die Düssel­dorfer Polizei über die Kundge­bung an der Cecili­en­allee infor­miert wurde. An der Solida­ri­täts­kund­ge­bung vor dem Haupt­ge­bäude wird festge­halten, ledig­lich ihr Beginn wurde um eine Stunde auf 11:00 Uhr verlegt. Im Anschluss soll die Urteils­ver­kün­dung am Kapellweg gemeinsam verfolgt werden.

Unsere Solida­rität gegen ihre Repres­sion !

Artikel teilen