Endlose Gewaltspirale ? Veranstaltung mit Ismail Küpeli
Der Krieg in der Türkei, Kurdistan und Syrien
Aktuelle Informationen und Hintergründe
Donnerstag, 3.3., 20:00 Uhr, ADA, Wiesenstraße 6, Wuppertal-Elberfeld
Sechs Wochen nach der regulären türkischen Parlamentswahl kam es am 20. Juli 2015 im türkischen Grenzort Suruç, nahe Kobane im kurdischen Rojava in Nord-Syrien, zu einem Selbstmordattentat. Bei der Wahl hatte mit der kurdisch-türkischen HDP eine linke Partei die Zehnprozenthürde genommen, wodurch der Plan Tayip Erdogans per Verfassungsmehrheit eine Präsidialherrschaft zu etablieren, in weite Ferne rückte. Die 32 Todesopfer des Attentats waren mehrheitlich junge linke Aktivist*innen, die sich auf der Weiterfahrt ins zerstörte kurdische Kobane befanden, wo sie sich am Wiederaufbau der vom IS befreiten Stadt beteiligen wollten. Als Reaktion auf den Anschlag, für den viele den türkischen Staat in Gestalt des türkischen Geheimdienst MIT zumindest mitverantwortlich machten, wurden zwei Tage später zwei türkische Polizisten ermordet. Auf die Ermordung der Polizisten wiederum reagierte der Staat mit Luftschlägen gegen die kurdische PKK in den Kandilbergen. Der von AKP-Regierung und PKK eingeleitete Friedensprozess, der den seit über drei Jahrzehnten andauernden Krieg zwischen kurdischer Bewegung und dem türkischem Staat unterbrochen hatte geriet ernsthaft in Gefahr. Kurz darauf wurde er von Erdogan offiziell beendet. Die 2013 angehaltene Spirale der Gewalt in den kurdischen Gebieten der Türkei wurde wieder in Gang gesetzt.
Dennoch hätte im Sommer 2015 niemand das Ausmaß der inzwischen erreichten Gewalteskalation vorhergesehen. Der Friedenswille der Kurd*innen schien zu groß und die Erinnerung an den für beide Seiten nicht zu gewinnenden Krieg schien zu traumatisch – alleine in den 1990er Jahren hatte der Krieg zwischen Armee und PKK bis zu 30.000 Todeopfer gefordert. Viele der Beobachter*innen gingen daher im Sommer davon aus, dass sich die Lage nach einer von Erdogan gewonnenen Neuwahl im November 2015 beruhigen würde. Das hat sich als böser Irrtum herausgestellt. Mittlerweile ist der vermeintliche Feldzug gegen die PKK zum offenkundigen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung geworden, der im Gegensatz zur Vergangenheit diesmal hauptsächlich in kurdischen Großstädten ausgetragen wird. Ausgangssperren und Belagerungen von kurdischen Städten im Südosten der Türkei haben sich zu einem Dauerzustand entwickelt. In einigen dieser Städte, wie etwa Cizre, Silopi und Nusaybin, finden immer wieder Militäroffensiven statt », schreibt Ismail Küpeli bereits Anfang des Jahres auf seiner Homepage. Jede der Operationen von türkischer Armee und Polizei während der Ausgangssperren hinterließ viele getötete Zivilist*innen, auch Kinder und Alte. Zuletzt sorgte die Tötung von mehr als sechzig Menschen, die in Kellerräumen Cizres Schutz gesucht hatten, für weltweite Empörung.
Die AKP-Regierung bezeichnet die Opfer ihrer Militäroperationen durchweg als « Terroristen » und « PKK-Kämpfer » – deutsche Medien haben diese Sprachregelung anfangs kritiklos übernommen. Die PKK behauptet jedoch, bislang noch gar nicht wirklich in die Kämpfe in den Städten involviert zu sein und besteht darauf, dass es sich bei den Opfern zumeist um Jugendliche handelt, die sich in den Vierteln in Selbstverteidigungsmilizen organisiert haben. Mittlerweile sind auch deutsche Medien zurückhaltender bei der Übernahme der offiziellen türkischen Darstellungen, nachdem auch große NGO’s wie Amnesty International von Kriegsverbrechen gesprochen haben. Die deutsche Regierung jedoch bleibt bei einer Haltung, nach der eine Kritik am NATO-Partner Türkei nicht opportun ist. Innenminister De Maiziére formulierte das im ZDF deutlich : „Alle, die jetzt sagen, man muss die Türkei von morgens bis abends kritisieren, denen rate ich mal, jetzt das nicht fortzusetzen. » Der von Innenminister De Maiziére in diesem Zusammenhang erwähnte bevorstehende « Interessensausgleich mit der Türkei », der nicht gefährdet werden dürfe, bezieht sich sich dabei auf den deutschen Wunsch, die Türkei möge nach Europa Flüchtende aufhalten.
In der lauten Stille des europäischen und deutschen Schweigens zum Krieg der Türkei gegen die Kurd*innen konnte sich die Spirale der Eskalation in der Südost-Türkei und in der gesamten Region immer schneller drehen – meist zu schnell für Proteste, für Veranstaltungsankündigungen oder Analysen. Auch jetzt ist nicht vorhersehbar, was am 3.3., dem Tag unserer Veranstaltung zum Thema, im Fokus stehen wird. Kaum, dass eine Orientierung möglich scheint, bedeuten neue Ereignisse weitere Verschiebungen des Möglichen. Zuletzt erschütterte erst vor wenigen Tagen ein Bombenattentat auf einen Militärkonvoi in Ankara die Türkei und die Kriegsbeteiligten. Zum Anschlag bekannte sich inzwischen die unabhängig von der PKK operierende kurdische TAK. Zuvor hatte die türkische Regierung die kurdischen Selbstverteidigungskräfte in Rojava/Nordsyrien (YPG) verantwortlich gemacht, was als Kriegserklärung an die syrischen Kurd*innen aufgefasst werden durfte.
Denn inzwischen richtet sich die türkische Aggression nicht mehr nur gegen den Süd-Osten des Landes und die dort lebenden Menschen, sondern auch gegen Gebiete in Rojava/Nordsyrien, die durch die kurdische YPG/YPJ oder durch die unter YPG-Kommando kämpfenden SDF-Milizen gehalten werden. Seit Mitte Februar liegen kurdische Stellungen unter Beschuss, offen wird mit einer Entsendung von Truppen nach Rojava (Nordsyrien) gedroht. Was die aktuellen Entwicklungen für die von vielen Linken aufmerksam und hoffnungsvoll beobachtete kurdische Selbstverwaltung in Rojava bedeuten werden, ist kaum absehbar. Längst ist es fast unmöglich, im Dickicht der Propaganda einigermaßen verlässliche Informationen darüber zu erlangen, wer mit wem welche Interessen verfolgt und was an einzelnen Orten tatsächlich passiert. In Zeiten eines allseitig wachsenden Nationalismus aus den verschiedenen Quellen ein zuverlässiges Bild zu generieren, entwickelt sich schnell zu einer Art Fulltime-Job.
Nur wenige Journalist*innen können das leisten um abseits der Agenturmeldungen aktuell und soweit wie möglich unvoreingenommen über die Geschehnisse zu informieren. Einer der wenigen, die sich mit großem Einsatz darum bemühen und einer der profiliertesten Beobachter des Geschehens in der Region ist der Journalist und Politikwissenschaftler Ismail Küpeli. Für Donnerstag, den 3.März haben wir ihn nach Wuppertal eingeladen, wo er im ADA in der Wiesenstraße über die aktuellen Geschehnisse und über die Hintergründe des Krieges berichten wird. Nach dem Vortrag wird Ismail Küpeli für Fragen zur Verfügung stehen. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei, eine Spende zur Finanzierung unserer Arbeit wird erbeten.
Eine Veranstaltung des ADA, und des so_ko_wpt mit Unterstützung durch « Arbeit und Leben - DGB/VHS Berg Mark » und welcome2wuppertal