Massaker im Wuppertaler Burgholz

Während im Burgholz mögliche weitere Massen­gräber entdeckt wurden, führt eine neue Broschüre zu « verges­senen Orten » entlang der Nordbahn­trasse.

Ende 1944 zeigten sich auch im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Wuppertal erste Auflö­sungs­er­schei­nungen. Eine der Folgen : Zwangsarbeiter*innen entkamen aus ihren zerstörten Sklaven­la­gern und tauchten in den Trümmern der Stadt unter. Im Osten der Stadt fand sich so beispiels­weise eine Gruppe sowje­ti­scher Zwangs­ar­beiter zusammen, die sich auch bewaff­nete. Zur Siche­rung des eigenen Überle­bens verübten sie Überfälle und requi­rierten Lebens­mittel. Bei einem Überfall auf Güter­wa­gons in der Nacht vom 21. auf den 22.Januar 1945 kam es zu einem Schuss­wechsel am Bahnhof Wichling­hausen. Ein sowje­ti­scher Zwangs­ar­beiter und ein Beamter der « Reichs­bahn­fahn­dung » starben. In der Folge kam es im Ortsteil Hecking­hausen zu einer Razzia, bei der weitere Menschen ums Leben kamen.

In der Haft wurden die inhaf­tierten Zwangs­ar­beiter schwer gefol­tert, Kripo und Gestapo nahmen weitere russi­sche Zwangsarbeiter*innen fest. Insge­samt 80 Menschen wurde vorge­worfen « sich von der Arbeit entfernt [zu haben], um vom Stehlen zu leben ». Dreissig von ihnen wurden schließ­lich Ende Februar 1945 von der Wupper­taler Kripo zum Schieß­stand ins Burgholz gefahren und dort erschossen. Der Vorgang ist als das « Massaker vom Burgholz » Teil der oft unerzählten Lokal­ge­schichte.

burgholz

Der Schieß­stand der Wupper­taler Polizei im Burgholz

Nachlesen lässt sich diese Geschichte in einer neu erschienen Broschüre des « AK Verges­sene Orte », die zur Eröff­nung der Nordbahn­trasse erschienen ist und den Feier­lich­keiten zur (Teil-) Fertig­stel­lung des « Jahrhun­dert­bau­werks » einen notwen­digen histo­ri­schen Blick hinzu­fügt. Denn die alte, Anfang der 1990er Jahre still­ge­legte Bahnlinie auf Wupper­tals Nordhöhen weist bedeu­tende Orte der Erinne­rung an die Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus in Wuppertal auf.

Die in der Broschüre vorge­stellte Tour von Westen nach Osten (vom Bahnhof in Vohwinkel bis zum Schee-Tunnel an der Stadt­grenze zu Nächs­te­breck) führt Spaziergänger*innen und Radfah­rende am ehema­ligen Durch­gangs­lager Giebel vorbei, in dem tausende Zwangsarbeiter*innen gequält und wie auf einem Sklaven­markt an Wupper­taler Unter­nehmer und Bauern verteilt wurden, erzählt von den Depor­ta­tionen aus Wupper­taler Alters­heimen gegen Kriegs­ende, weist auf eine unfass­bare Kinder­sterb­lich­keit im Kinder­lager der noch heute existie­renden Firma « Kolb & Co » hin, und schil­dert die Verfol­gung der Sinti und Roma aus Wuppertal – ohne zu verschweigen, dass speziell dieses Kapitel der NS-Verbre­chen noch lange nicht komplett erforscht ist. Die Tour endet am « Schee-Tunnel », in dem eine unter­ir­di­sche Produk­ti­ons­stätte für die Me 262 unter­ge­bracht war, in der unzäh­lige Zwangs­ar­beiter schuften mussten.

Doch das Heft zeigt auch auf Orte und Quartiere des Wider­stands entlang der Bahntrasse : Den Ölberg und den Osters­baum, aber auch den Kling­holz­berg in Barmen. Die ehema­lige « Notsied­lung » östlich der Schwarz­bach – deren Geschichte des Elends und der Ausgren­zung bis in die 1970er Jahre reicht und die tradi­tio­nell Wohnquar­tier von Roma und Sinti war – ist heute aus der Geschichts­schrei­bung der Stadt fast vollständig getilgt. Es gibt wenige Orte der Stadt, bei denen eine « Google»-Suche zu so wenigen Ergeb­nissen führt. Gäbe es nicht engagierte ehema­lige Bewohner, die einen Teil ihrer privaten Geschichte zugäng­lich machen, ließe sich die Geschichte des Kling­holz­berg kaum noch erzählen.

Der etwas andere Trassen­führer ist Beginn eines Projektes, das durch histo­ri­sche Beschil­de­rungen und Instal­la­tionen entlang der Route bedeut­same « verges­sene » Orte markieren will. Welche Lücken das Wissen zur Geschichte Wupper­tals in der NS-Zeit 70 Jahre nach Kriegs­ende noch immer aufweist, legt eine andere Recherche des Geschichts­ver­eins offen, die passender als zur Heraus­gabe der Broschüre nicht hätte publik werden können : Bei einer Begehung des Schieß­stands der Polizei im Burgholz, bei der das ehema­lige Massen­grab der dort exeku­tierten russi­schen Zwangsarbeiter*innen besucht werden sollte, wurde eine Anzahl weiterer Gruben der gleichen Art entdeckt, wie jener, in der die Opfer der Tat vom Februar 1945 begraben waren.

Es stellt sich die Frage, ob im Burgholz noch deutlich mehr Opfer als jene dreissig des bekannt­ge­wor­denen Massa­kers verscharrt worden sind. Der Verdacht wird dabei nicht zuletzt durch das mauernde Verhalten des im ehema­ligen Gestapo-Haupt­quar­tier ansäs­sigen Wupper­taler Polizei­prä­si­diums verstärkt, das sich auf Nachfragen außer­stande sah, alte Perso­nal­akten auszu­hän­digen. Dass die angefragten Akten entgegen der Beteue­rungen – zumin­dest teilweise – noch existieren, kam eher zufällig ans Licht, als für eine TV-Dokumen­ta­tion die allzu rührende Geschichte eines « zivil-coura­gierten » Beamten erzählt werden sollte.

Der Geschichts­verein hat wegen der entdeckten Gruben im Burgholz inzwi­schen eine mit Quellen fundierte Auffor­de­rung an den Leiter der Zentral­stelle für die Bearbei­tung von natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Massen­ver­bre­chen in NRW gerichtet, sich mit den gefun­denen Gruben zu befassen. In diesem Brief finden sich neben der Geschichte von der « zufällig » aufge­tauchten Perso­nal­akte auch Origi­nal­zi­tate von an den Erschies­sungen Betei­ligten. Sie legen nahe, dass es im Wald auf Wupper­tals Südhöhen weitere Massaker gegeben hat.

Die Broschüre « Verges­sene Orte » als pdf-Download (4,3 MB)
Die Auffor­de­rung zur Einlei­tung eines Ermitt­lungs­ver­fah­rens im Wortlaut (pdf)

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Trauer, Scham - und dichte Grenzen für Roma

Am 18.Oktober fand die letzte Sammel­ab­schie­bung nach Kosovo statt. Am 13.November startet der nächste Abschie­be­flieger nach Serbien. Zwischen beiden Terminen eröffnet die Bundes­kanz­lerin am heutigen 24.Oktober zwischen Reichstag und Branden­burger Tor das Denkmal für die ermor­deten Sinti und Roma. „Jedes einzelne Schicksal dieses Völker­mordes erfüllt uns – erfüllt mich – mit Trauer und mit Scham.“ So heuchelt Frau Merkel in die zahlrei­chen aufge­bauten Kameras.

Während­dessen arbeitet ihr Innen­mi­nister darauf hin, die Enkel und Ur-Enkel der Opfer schnell loszu­werden, bezie­hungs­weise sie möglichst fern zu halten. Das Recht, einen Asylan­trag zu stellen und ihn umfas­send prüfen zu lassen, soll für die Roma – und um die geht es, auch wenn das niemand gern betont – nur noch einge­schränkt gelten. Die Bundes­re­gie­rung droht inzwi­schen offen damit, wegen den vielen Asylan­trägen von Roma die Visum­frei­heit für Mazedo­nien und Serbien wieder aufzu­heben, und die EU-Kommis­sion sekun­diert ihr wie gewöhn­lich. Die serbi­schen und mazedo­ni­schen Behörden ihrer­seits haben den drohenden Zeige­finger verstanden ; sie verschärfen ihre Grenz­kon­trollen und hindern ihre eigenen Bürger - zumeist Roma - in den Schen­gen­raum auszu­reisen. Wer bereits abgeschoben wurde, dem droht der Verlust des Reise­passes. Und auch das trifft vor allem die Roma.

Und dabei gibt es nicht nur in Deutsch­land, sondern auch in Mazedo­nien, Serbien oder dem Kosovo, so gut wie keine Roma-Familie, die keine Angehö­rigen hat, die von den Nazischergen ermordet wurden. So gut wie keine Roma-Familie ist wirklich frei von dem Trauma der deutschen Vernich­tung.

Frau Merkel beteu­erte heute, dass die deutsche Erinne­rungs­kultur nicht rückwärts­ge­wandt sei, und dass die Bundes­re­gie­rung sich für die Rechte der europäi­schen Sinti und Roma einsetzen würde.

Man möchte ihrer selbst­ge­fäl­ligen deutschen Geläu­tertheit entge­gen­schleu­dern, was eine junge Romni während der Abschie­bung ihrer Familie mit einer Mischung aus Wut und Resigna­tion dem Mitar­beiter der Auslän­der­be­hörde ins Gesicht sagte : „Wenn wir Juden wären, dann würdet ihr euch das nicht trauen.“

Es ist Heribert Prantl hoch anzurechnen, dass auch er bei so viel Heuchelei die Wände hoch geht. In der Süddeut­schen kommen­tiert er dementspre­chend :

sueddeut​sche​.de - denkmal fuer sinti und roma damals ermordet heute verfolgt

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