Der 1.Mai in Wuppertal erlebt anscheinend eine Bedeutungsverschiebung. Während sich die zum drittenmal durchgeführte Vorabend-Nachttanzdemo, die diesmal unter dem Motto « Schöner Wohnen » durch die Innenstadt zog, über eine wachsende Beteiligung freuen darf, leidet die traditionelle autonome 1.Mai-Demonstration etwas unter Teilnehmendenschwund. Ein Nachdenken über den 1.Mai in Wuppertal erscheint sinnvoll.
Am Abend des 30.04. trafen sich zum inzwischen dritten Mal vor allem junge Menschen, um im Rahmen der Wuppertaler Vorabend-Nachtanzdemo für ein « Recht auf Stadt für alle » zu tanzen und zu demonstrieren. Das Spektrum der Forderungen deckte nahezu alle Bereiche urbanen Lebens ab : Freiräume, Mobilität und Schwarzfahren, Energie und Mieten, Gängeleien und Ordnungsdienst. Im Zentrum der Demo standen allerdings diesmal zwei Themen : Ein ganz klares Bekenntnis zum Autonomen Zentrum an der Gathe und eine eindeutige Positionierung gegen die Pläne des ECE-Konzernes, den ohnehin schon geschwürartigen Konsumtempel « City-Arkaden » weiter auszubauen und den Platz am Kolk, sowie weite Teile der östlichen Innenstadt Elberfelds, weiter zu privatisieren.
Die Demo, die zwischenzeitlich von bis zu 450 Menschen begleitet wurde, lief in diesem Jahr erstmals durch die Luisenstraße. Dort stand zum vierzigjährigen Bestehen autonomer Freiräume in Wuppertal die alte Parole « Kein Tag ohne Autonomes Zentrum » im Mittelpunkt. Eine Parole, die durch die Pläne zum Neubau der Moschee an der Gathe durchaus Aktualität für das Tal besitzt. Vor allem war sie aber auch als solidarische Adresse an andere Städte gemeint, wo vergleichbare Häuser massiv bedroht, oder gar schon geräumt sind. So liegt dem AZ in Köln eine Kündigung des Nutzungsvertrages zum 30.06. vor, und wenige Tage vor dem 1.Mai wurde in Frankfurt das jahrelang genutzte « Institut für vergleichende Irrelevanz » mit einem großen Polizeiaufgebot geräumt. In ganz Europa stehen autonome und selbstverwaltete Freiräume unter massivem Druck. In Athen und Thessaloniki gab es mehrere Räumungen wichtiger linker Strukturen, wie auch in Madrid und Barcelona, in Wien sind Strukturen bedroht.
Bei der Zwischenkundgebung am Kasinokreisel, landete die Demonstration in unmittelbarer Nähe des von der « Sparda-Bank » gesponsorten Denkmals des « glücklichen Bankers ». Wie jedes Jahr erschien sie dort vielen, die später einfach « in den Mai » feiern wollten, und in den dortigen Cafés und Bars saßen, wie ein Alien, das in ihre sortierte Welt gefallen ist. Als wichtiges Zeichen, dass auch dieser Teil der Innenstadt allen gehört, ist die Zwischenkundgebung am « Banksterdenkmal » ein unverzichtbarer Bestandteil der Vorabenddemo geworden. Sie bot auch diesmal wieder den unterstützenden DJs von « HeadsConnected » viel Raum für ihren ganz eigenen Beitrag zur Demo. Am Kasinokreisel wurde auch zur Teilnahme am mittlerweile 27. « Autonomen 1.Mai » in Wuppertal aufgerufen.
Nach dem leider immer kälter werdenden Weg über den Wall und am Neumarkt vorbei, bog der Demonstrationszug schließlich auf die Morianstraße, wo er bei einem kleinem Umweg unter die Konsumbrücke der City-Arkaden seinem Ende am Platz am Kolk entgegentanzte. Dabei wurden in der gesperrten Morianstraße sogar auf die Weiterfahrt wartende Busfahrer von den satten konsumkritischen Beats des Soundsystems angesteckt. Mitwippend neben ihren Bussen stehend, wirkten sie ganz erfreut über die Pause, die ihnen die Vorabenddemo verschaffte. Eine Pause, die im knochenharten, prekären WSW-Arbeitsalltag der FahrerInnen häufig gar nicht mehr vorgesehen ist.
Am Platz am Kolk gab es abschließend zwei kurze, knackige Redebeiträge, in denen zum einen für eine Teilnahme an der bundesweiten Demo zum zwanzigsten Jahrestag des Solinger Brandanschlages am 25.05. geworben wurde, und zum anderen nochmals die Ablehnung der ECE-Pläne betont wurde. Applaus erhielt die Ankündigung, zukünftige Tanzparties so lange in die Hallen der City-Arkaden zu verlegen, bis ECE die Lust aufs Tal verliert.
Erfreulich, dass abschließend noch viele den Weg zurück zur « Homebase » mitmachten, obwohl die in der Nachbarschaft vom Kundgebungsplatz gelegene « Beatbox », in der die beteiligten DJs später weitermachten, allen Teilnehmenden der Vorabenddemo für die Nacht einen freien Eintritt versprochen hatte. So wurden am AZ auch noch viele ZeugInnen der farben- und feuerfrohen Begrüßung durch Unbekannte. (Videoclip von der Begrüßung)
Das eigentliche « Herzstück » des Autonomen 1.Mai in Wuppertal, die nachmittägliche, aus Tradition unangemeldete Demo durch die Nordstadt, litt in diesem Jahr unter einer nach hinten verschobenen Uhrzeit. Mit dem Start um 17 Uhr sollte eigentlich möglichst vielen ermöglicht werden, am Mittag in Dortmund die wieder einmal provokativ am 1.Mai marschierenden Nazis zu stören und danach nach Wuppertal zu kommen. Ein Plan, der nicht aufging. Nur wenige trudelten nach und nach im Tal ein – auch, weil sich das Theater in Dortmund länger als erwartet hinzog. Doch auch andere Faktoren spielen für die leicht schrumpfende autonome 1.Mai-Demonstration eine Rolle.
So wurden in diesem Jahr erfreulicherweise auch in anderen Städten revolutionäre und widerborstige 1.Mai-Demos durchgeführt – etwa in Bonn. Eine Dezentralisierung der Aktivitäten zum 1.Mai führt sicher zu einem Schrumpfen zentraler Demos, es ist jedoch zu begrüßen, wenn an vielen Orten Menschen sichtbar für eine andere Gesellschaft auf die Straße gehen. Auch fehlte es in diesem Jahr sicher etwas am « zündenden » Anlass, um echtes Feuer zu entfachen. Inzwischen finden Aktionen und Demonstrationen auch Wuppertal immer häufiger statt, sodass die 1.Mai-Demonstration auch in dieser Hinsicht eine weniger zentrale Bedeutung hat. Auch war dem 1.Mai diesmal das Festprogramm des AZ vorausgegangen.
Schließlich leidet die Wuppertaler Demo seit ein, zwei Jahren unter einer gewissen Vorhersehbarkeit. Die Staatsmacht hat sich auf Start- und Zielpunkt inzwischen gut eingestellt. So ist es ihr möglich, zwar alle Überraschungen am Weg zu verpfropfen und die eigentliche Demo (fast zu) entspannt zu begleiten – was auch für die Vorbanddemo galt. Die alte Gleichung, nach der mit Erreichen des Kerngebiets des Oelbergs Helmpflicht gilt, scheint nicht mehr gültig. So fällt dem abschließenden Schusterplatzfest eine immer größere Bedeutung zu, vor allem im Hinblick auf die dort wohnenden Menschen. Eine schöne, entspannte Atmosphäre bei VoKü und Livemusik war auch diesmal ein guter Abschluss des 1.Mai.
Es ist zu überlegen, wie auf die Entwicklungen mit Sicht aufs nächste Jahr reagiert werden kann. Einige Teilnehmende waren jedenfalls zunächst nicht allzu glücklich mit der Situation. Da gab es Frust über das eher defensive Reagieren auf die Nazis und viele Vorschläge zur Veränderung. Von denen die meisten aber einer genaueren Überprüfung der Umstände erstmal standhalten müssten. Wie auch immer : Möge die Diskussion zum 1.Mai in Wuppertal für das Jahr 2014 zeitig beginnen ! Und wer weiß, in einem Jahr kann viel passieren. Die Entwicklung rund um das Autonome Zentrum dürfte im nächsten Jahr eine große Rolle spielen. Wie viele Menschen sich für den Erhalt des Hauses am gegenwärtigen Ort mobilisieren lassen, hat die Vorabenddemo in Ansätzen schon dieses Jahr gezeigt.
Das Fazit der beiden Demonstrationen in Wuppertal zum 1.Mai 2013 fällt insgesamt positiv aus. Eine laute und volle Vorabenddemo, und ein 27. Autonomer 1.Mai, der erneut das Ziel am Schusterplatz erreichte. Nur die grunddämliche Laufschrift, mit der die Polizeiführung den Weg der 1.Mai-Demo anzeigen lässt, sollte mal umprogrammiert werden.
Da wir jedes Jahr zum 1.Mai versuchen einen groben Rundumschlag über alle unsere Auseinandersetzungen und Kämpfe zu vollziehen, darf das Thema (Atom-)Energie nicht fehlen. Nach dem Schock von Fukushima im März 2011 und den folgenden Massenprotesten gegen Atomenergie, entschied die schwarz-gelbe Bundesregierung zunächst aus der Nuklearenergie „auszusteigen“. Konkret heißt das leider nur, dass in 10 Jahren alle AKWs runter gefahren sein sollen. Dieser sogenannte Ausstieg ist keineswegs konsequent, weder wird die Urananreicherung der Firma Urenco in Gronau eingestellt, noch werden die Exporte von Atomtechnologie von Firmen wie Simens gestoppt. Zudem ist völlig unklar, wie in einigen Jahren über den Ausstieg entschieden wird. Möglicherweise ist Atomenergie dann wieder opportuner. Deshalb sind wir sehr froh, dass die Anti-Atom-Bewegung sich nicht befriedigen lies und dies mit einem beeindruckend lebhaften und vielfältigen Widerstand im Wendland unter Beweis stellte. Auch die Atom-Transporte im Westen, vermutlich noch in diesem Jahr, werden wieder Ansatzpunkt für Widerstand gegen die menschenfeindliche Atompolitik sein. West-Castoren stoppen ! Für eine Welt, in der Atomanlagen unmöglich sind !