In diesem Umfeld darf auf Beiteiligung der Öffentlichkeit nicht gehofft werden
Wenn heute also gesagt wird, « Solingen habe an der Wiege des NSU-Terrors » gestanden, gibt es dabei noch eine Wahrheit hinter der Wahrheit. Der Satz trifft nämlich nicht nur auf die Täter, sondern auch auf die staatlichen Strukturen zu, die den Terror ermöglicht haben.
Auch was die Folgen des Brandanschlags von Solingen betrifft, hielten sich die Medien in ihren Beiträgen überraschend zurück. Immerhin unterschied sich die Reaktion der Menschen auf den fünffachen Mord deutlich von vergleichbaren Situationen zuvor, etwa nach den Pogromen von Hoyerswerda oder Rostock, oder dem Brandanschlag in Mölln. Türkische Migranten und Migrantinnen und ihre deutschen Nachbarn setzten deutliche Zeichen. Auf der Straße, bei tagelangen militanten Aktionen und Protesten, aber auch im Alltag, in den Wohnquartieren und Betrieben. Kaum ein Medium erinnerte an die antifaschistische Selbstorganisation und Reaktion der Bevölkerung. Wurde sie doch erwähnt, erschöpfte sich die Erzählung in jenen Stereotypen von « türkischen Nationalisten » und « deutschen Autonomen », die schon 1993 nur einem Zweck dienten : Die hochpolitischen Ereignisse in den Städten des Bergischen Landes und des Ruhrgebietes zu entpolitisieren. Auffällig ist, dass die gewöhnlich gut bestückten Video-Plattformen im Netz kaum bewegte Bilder der damaligen Proteste bereithalten. Verwunderlich, angesichts des damals neuen Privatfernsehens und einer Dauerpräsenz auch von öffentlich-rechtlichen TV-Journalisten. Fast stellt sich der Eindruck ein, bestimmte Bilder seien bewusst im „Giftschrank” gelandet um keine schlafenden Hunde zu wecken.
Schließlich ist da noch die « repräsentative » Öffentlichkeit. Die Menschen, die denen nachfolgten, die sich 1993 bestürzt zeigten (wie der damalige NRW-Ministerpräsident Johannes Rau), oder auch jenen die 1993 sofort begannen, zu vertuschen und alle Verantwortung wegzuschieben (wie Bundeskanzler Helmut Kohl, der von « Asozialen » faselte und es nicht für nötig hielt, zum Brandort zu kommen). Sie, die sich auch dieses Jahr wieder in wohlfeilen Worten um « Integration » bemühen werden, oder sich, wie der Solinger Oberbürgermeister auf die eigene Schulter schlagen, schafften es in zwanzig Jahren nicht, die damaligen Versprechungen eines kommunalem Wahlrechts für alle oder einer doppelten Staatsbürgerschaft zu erfüllen. Sie werden in diesen Tagen wieder Hand in Hand mit WirtschaftsvertreterInnenn und migrantischen Organisationen durch die Gegend ziehen, von weltoffenen Städten und einem weltoffenen Deutschland reden und ansonsten Probleme mit aktueller Nazi-Gewalt klein reden. Dabei haben sie, wie aktuelle Äußerungen fast aller Parteien zur so genannten « Armutseinwanderung » zeigen, rein gar nichts an ihrem Verhalten geändert, das auch mal rassistische Klischees bedient um politische Ziele durchzusetzen. Sie setzen die Hetze gegen bestimmte Gruppen von Migranten und Migrantinnen wie die Roma einfach fort ; so, als dienten ihnen die Hetze gegen « Asylanten », die Pogrome und Anschläge und die anschließende Grundgesetzänderung in den Neunzigern als Blaupause für ihr aktuelles Handeln.
In einem derartigen Umfeld kann auf die Beteiligung einer großen « Öffentlichkeit » an einer antifaschistischen Gedenkdemonstration nicht gehofft werden.
Demonstrationen sind jedoch auch immer ein Akt der Selbstvergewisserung und ein Symbol von (hoffentlich vorhandener) Stärke. Sie dienen auch dazu, die vorhandene Wut und den aufgestauten Zorn zu artikulieren. Und – wie in Solingen – die desinteressierten Menschen mit dem Zorn zu konfrontieren, sowie Tätern und Politik zu zeigen, dass nicht nachgelassen wird, dass ihre Strategien nicht bei allen verfangen. Weichgespülte Inhalte, nur um eine vermeintlich schwankende « Öffentlichkeit » zu mobilisieren, sind dabei kontraproduktiv. Das Suchen nach öffentlicher Beachtung führt manchmal in Sackgassen der Beliebigkeit, und weniger Beteiligung ist manchmal mehr Klarheit. In diesem Sinne war die Demonstration am 25.05.2013 ein Erfolg. Auch wenn der Anlass – fünf von Rassisten getötete Menschen – mindestens die zehnfache Menge Menschen auf die Straße bringen sollte : Für die Klarheit die von der Solinger Demonstration ausging, waren wir ganz schön viele.
Ein Nachtrag muss leider noch sein : Eine Demonstration ist auch keine Plattform für Eigenwerbung um jeden Preis. Das zunächst erwartungsvoll beobachtete Herablassen eines großen Transparents in der Unteren Wernerstraße war instinktlos und hat viele geärgert. War anfänglich davon auszugehen, dass das Banner eine dem antirassistischen Thema der Demo angemessene Botschaft enthielt, entpuppte es sich nach dem Entrollen als « Blockupy » Mobilisierungsplane. An jeder anderen Stelle der Demo-Route wäre es wahrscheinlich wohlwollend registriert worden, dort, am mit düsteren Erinnerungen belasteten Tatort, war es eher eine Demobilisierung.
Ein ausführlicher Bericht zur Demo von Rassismus tötet ! findet sich bei indymedia linksunten.
Update : Am frühen Abend des 29.05. gab es in Solingen eine weitere antifaschistische Demo. Am eigentlichen Jahrestag des Brandanschlages sollte mit einer eigenen Gedenkdemonstration ein Kontrapunkt zu den offiziellen Veranstaltungen am 28.05. und 29.05. gesetzt werden.
Bei kühlem Novemberwetter und Dauerregen beteiligten sich trotzdem bis zu 200 Menschen am Gedenkmarsch zum Tataort in der Unteren Wernerstraße und an den Kundgebungen.
In Redebeiträgen wurde nochmals besonders auf die Rolle des NRW-Verfassungsschutzes bei der Brandstiftung im Zusammenhang mit der Kampfsportschule « HakPao » eingegangen und der anhaltende Alltagsrassismus herausgestellt. Besondere Erwähnung fand dabei die andauernde Hetze der Politik und der Medien gegen die Roma, die erschreckend an die Hetze im Vorfeld des Anschlages erinnert.
Die Gedenkdemo, die ohne Zwischenfälle verlief, endete gegen 21 Uhr im strömenden Regen am Ausgangspunkt, dem Rathausplatz in Solingen.

Untere Wernerstraße : Die Lehre aus 20 Jahren anhaltendem Rassismus – Antifaschistischen Selbstschutz organisieren.
Beitrag der WDR-Lokalzeit Bergisches Land vom 25.05. zur Großdemo am Samstag :
- Inhaltsverzeichnis
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