Kriminelles Frühstück. Latife-Soli am Knast.

Unsere Freundin Latife, Muzaffer und die anderen, die am 26.Juni verhaftet wurden, befinden sich nun seit mehr als zwei Wochen in Haft. Während sich Latifes Haftbe­din­gungen in der letzten Woche etwas verbes­sert haben – sie wird bald Besuch ihrer minder­jäh­rigen Tochter und ihres Mannes haben dürfen und hat inzwi­schen auch Kontakt zu anderen Gefan­genen – befinden sich die anderen nach wie vor in Isola­ti­ons­haft. Auch Muzaffer Dogan, der sich im Hochsi­cher­heits­knast in Wuppertal-Vohwinkel befindet.

Einige Gruppen und Initia­tiven haben inzwi­schen Soli-Erklä­rungen für die Betrof­fenen veröf­fent­licht und es ist zu hoffen, dass die Aufmerk­sam­keit für diesen Fall nicht nachlassen wird. Die Infor­ma­tion der Öffent­lich­keit ist sehr wichtig, ebenso wie öffent­lich gezeigte Anteil­nahme. Am Samstag, den 13.07. fanden sich deshalb rund fünfzig Menschen an der JVA Gelsen­kir­chen ein, um Solida­rität mit Laftife zu zeigen. Die meisten waren aus Wuppertal in den Ruhrpott gefahren, unter ihnen waren Verwandte, Freunde und Freun­dinnen.

Es ist kein Vergnügen, sich vor einem Knast zu versam­meln. Speziell die in den letzten Jahrzehnten erbauten neueren Knäste machen es den Menschen schwer, die sich für die Gefan­genen einsetzen wollen. Weiträu­mige Einmaue­rung und große Freiflä­chen scheinen alle Rufe zu verschlu­cken. Eine kalte und distan­zierte Atmosphäre versucht alle mensch­li­chen Gefühle und jede Empathie zu ersti­cken. Wenig deutet darauf hin, dass hinter den Wasch­be­ton­mauern Menschen sind, die täglich, stünd­lich, minüt­lich darauf warten, wieder unter uns leben zu dürfen. Es bleibt nur, die Eingangs­halle anzubrüllen, die entfernt an das moderne Foyer eines Business-Hotels erinnert. Wäre es nicht allen sehr bewusst, wo die Kundge­bung statt­findet, könnte hinter der Glasfas­sade eine gedie­gene Rezep­tion vermutet werden. Wer um die in den 1970er Jahren mit viel öffent­li­chem Geld geför­derte, wissen­schaft­liche Entste­hungs­ge­schichte der Isola­ti­ons­haft­be­din­gungen weiß, ahnt, wieviel Mühe sich kolla­bo­rie­rende Psycho­logen und Archi­tekten geben, die Haftan­stalten zu diesen Monstern zu machen, die auf den ersten Blick zwar nur noch wenig mit  „Zucht­häu­sern” vergan­gener Tage, bei näherem Hinsehen aber viel mit brutaler Entmensch­li­chung zu tun haben.

Die Kundgebung steht sich selbst in der Glasfassade des Knasts gegenüber.

Die Kundge­bung steht sich in der Glasfas­sade des Knasts selbst gegen­über.

Die Kundge­bungs­teil­neh­me­rInnen waren sich am Samstag dennoch sicher, dass Latife mitbe­kommt, dass sie nicht alleine gelassen wird. Selbst eine Verle­gung in eine weit vom Eingangs­be­reich entfer­nete Zelle wäre für sie immerhin ein Zeichen, dass sich „da draußen” etwas tut. Etwas, was sie möglichst nicht mitbe­kommen soll. In verschie­denen Redebei­trägen ihrer Verwandten wurde deutlich, dass sich Latife auf ein stabiles soziales Netz verlassen kann, dass auch durch Einschüch­te­rung nicht zerreißen wird.

Und die Solida­rität mit Latife und den anderen ist breit in Wuppertal. Sollten der deutsche oder der türki­sche Staat gedacht haben, die repres­sive Aktion des 26. Juni ginge unbemerkt über die Bühne stiller zwischen­staat­li­cher Kompli­zen­schaft, haben sie sich getäuscht. Auch ein Blackout der lokalen Medien zu den Ereig­nissen erweist sich als untaug­lich. Im Gegen­teil : Die Verhaf­tung Latifes, Muzaf­fers und der anderen hat die Aufmerk­sam­keit vieler Menschen für die angewandten Sonder­straf­rechts-Paragra­phen 129 erhöht. So wurde am Samstag immer wieder darauf hinge­wiesen, dass die §§129a, bzw. 129b Willkür­pa­ra­gra­phen sind, die legale Tätig­keiten krimi­na­li­sieren, Solida­rität erschweren und Wider­stand brechen sollen.

Häufig sind nach § 129b Beschul­digte unter abenteu­er­li­chen Umständen aus ihrer Heimat vor Tod oder vor Folter geflohen. Manchmal leisten sie aus dem Exil Solida­ri­täts­ar­beit, weil sie nicht vergessen haben, wovor und warum sie geflohen sind. Die Folge kann für sie sein, hier einge­knastet zu werden. Regel­mäßig verschwinden Menschen in Hochsi­cher­heits­trakten, die absolut legale Öffent­lich­keits­ar­beit machen oder finan­zi­elle Mittel aufbringen, die dem Wider­stand in ihrer Heimat helfen sollen. Oft ersetzen Behaup­tungen konkrete Beweise, etwa wenn von vermu­teten Geldern ausge­gangen wird, deren Verbleib die Beschul­digten nachweisen müssen. In der Praxis bedeutet das dann nichts anderes als die wider­recht­liche Umkehr der Beweis­last.

Die §§129 werden gerne totge­schwiegen, und mit ihnen die Gefan­genen, die wegen ihnen in der weißen Hölle der Isola­ti­ons­zellen verschwinden. Manche „Grüne”-PolitikerInnen, die die Sonder­ge­setze heute staats­tra­gend in allen Regie­rungs­zeiten mitver­ant­worten, erinnern sich nur ungern an die eigene Geschichte. An die inter­na­tio­nale Solida­rität mit den Sandi­nisten oder an „Waffen für El Salvador” beispiels­weise. Würden sie sich erinnern, wüssten sie, dass sie an einer Verur­tei­lung nach „129b” nur vorbei­ge­schrammt sind, weil die „Unter­stüt­zung einer terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung im Ausland” erst nach 2001, nach den Anschlägen auf das WTC, zum Straf­tat­be­stand wurde.  Auch das Wupper­taler „Infobüro Nicaragua”, das inzwi­schen ebenfalls eine Solida­ri­täts­er­klä­rung für Latife und Muzaffer veröf­fent­licht hat, wäre in seiner Gründungs­zeit wohl als „Vorfeld­or­ga­ni­sa­tion” einer „terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung” verfolgt worden und der dort vertrie­bene „Nica-Kaffee” hätte das Frühstück zum krimi­nellen Akt gemacht.

Mit zuneh­mender Notwen­dig­keit trans­na­tio­naler solida­ri­scher Kämpfe steigt propor­tional auch die staat­liche Angst vor ihnen. Die „Terror­pa­ra­gra­phen” 129 gehören zu den wirkungs­vollsten, willkür­lich einsetz­baren Waffen der Staaten bei zukünf­tigen Konflikten. Denn nicht nur die konkrete Anwen­dung der Straf­tat­be­stände, auch die dem § 129b zugrun­de­lie­gende „schwarze Liste” „terro­ris­ti­scher Verei­ni­gungen” ist willkür­lich zusam­men­ge­stellt und basiert nicht auf konkreten Defini­tionen. Die „Terror­liste” und der Paragraph wurden nach dem 11.09.2001 ebenso in Zeiten eines gefühlten Notstands geschaffen, wie drei Jahrzehnte zuvor das ganze, durch den Bundestag gepeitschte 129er-Spezi­al­recht, als Schmidt und Strauss einen „überge­setz­li­chen Notstand” ausriefen weil einige der BRD militant entge­gen­traten.

Seit der von Schröder und Schily ausge­ru­fenen „bedin­gungs­losen Solida­rität” entscheiden die Innen­mi­nister der Staaten, welche Gruppen inter­na­tional als „terro­ris­tisch” gelten. Es ist Sache staat­li­cher Wunsch­listen nach dem Motto : „Erkennst du meinen Gegner als terro­ris­tisch an, helfe ich dir auch gegen deine!” Niemand kann sagen, ob nicht schon bald auch die Fußball­fans des Istan­buler Clubs „Besiktas”, Netzak­ti­visten und -aktivis­tinnen  von „Redhack”, oder parkschüt­zende Akteure der „Taksim-Solida­rität” auf inter­na­tio­nalen Terror­listen auftau­chen.

Wie umstritten diese Liste ist, bemerken ab und an sogar deutsche Gerichte. Vor wenigen Tagen erging ein Urteil gegen zwei junge Männer vor dem OLG Stutt­gart : Ridvan Ö. und Mehmet A. Sie waren beschul­digt worden, der PKK-Jugend­or­ga­ni­sa­tion „Komalen Ciwan“ (KC) anzuge­hören und für sie Spenden gesam­melt und Schulungen organi­siert zu haben. Beschul­di­gungen, wonach die beiden mögli­cher­weise Straf­taten im Ausland begangen hätten, gab es nicht. Die jetzt, nach fast einem Jahr Prozess­dauer ausge­spro­chenen Freiheits­strafen von jeweils drei Jahren und sechs Monaten sind drastisch – die Vertei­di­gung wird Revision einlegen. Und doch bewegten sie sich noch unter dem Antrag der Staats­an­walt­schaft.

In der bemer­kens­werten Urteils­be­grün­dung wurde vom OLG Stutt­gart als straf­mil­dernd anerkannt, dass die Angeklagten nicht eigen­nützig gehan­delt haben, selbst Opfer der Unter­drü­ckung waren, und dass dem türki­schen Staat eine erheb­liche Mitschuld an der Zuspit­zung des Konflikts gegeben werden muss (siehe die weiter unten dokumen­tierte Presse­mit­tei­lung des  Rechts­hil­fe­fonds für KurdInnen in Deutsch­land, AZADÎ e.V.). Bei dem Prozess ging es hinter­gründig eben auch um die Frage, inwie­weit die PKK und ihre Jugend­or­ga­ni­sa­tion „terro­ris­ti­sche Verei­ni­gungen” sind – etwas das deutsche Gerichte in der Regel mit allen Mittel zu vermeiden suchen, berühren sie damit doch den rein politi­schen Gestal­tungs­raum der „Terror­listen” und der §§129. Die Paragra­phen 129a und b müssen verschwinden !

Am Mittwoch, den 17.07. findet im Autonomen Zentrum Wuppertal eine Info- und Diskus­si­ons­ver­an­stal­tung zu den Paragra­phen 129a und b statt. Beginn ist um 19:00 Uhr. (Mehr Infos zu der Veran­stal­tung)

Die angespro­chene Presse­er­klä­rung von AZADÎ e.V.:

Presse­mit­tei­lung – 12. Juli 2013

OLG Stutt­gart verhängt mehrjäh­rige Freiheits­strafen gegen kurdi­sche Aktivisten

Heute endete der am 13. September 2012 begon­nene Prozess gegen zwei kurdi­sche Aktivisten nach § 129b i.V.m. § 129a StGB („Mitglied­schaft in einer auslän­di­schen terro­ris­ti­schen Verei­ni­gung“).  Die Richte­rInnen des 6. Straf­se­nats des OLG verur­teilten Ridvan Ö. und Mehmet A. jeweils zu einer Freiheits­strafe von drei Jahren und sechs Monaten.

Damit ist der Senat deutlich unter den von der Bundes­an­walt­schaft gefor­derten Haftstrafen von 5 Jahren und 3 Monaten bzw. fünf Jahren geblieben, unter anderem deshalb, weil er im Gegen­satz zur Anklage von einem kürzeren Tatzeit­raum ausge­gangen ist. Als straf­mil­dernd erkannte das Gericht an, dass die Angeklagten nicht eigen­nützig gehan­delt haben, selbst Opfer der Unter­drü­ckung gewesen sind und dem türki­schen Staat eine erheb­liche Mitschuld an der Zuspit­zung des Konflikts gegeben werden muss.
Gegen die Urteile wird die Vertei­di­gung Revision einlegen.

Ridvan Ö. wurde am 17. Juli 2011 am Düssel­dorfer Flughafen und Mehmet A. am gleichen Tag in Freiburg festge­nommen. Seitdem befinden sie sich in Unter­su­chungs­haft.

Die Anklage

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich die beiden Kurden als Führungs­kader der PKK-Jugend­or­ga­ni­sa­tion „Komalen Ciwan“ (KC) insbe­son­dere im Zeitraum von März 2010 bis Juli 2011 bzw. von Oktober 2009 bis Juli 2011 im Bundes­ge­biet und in Frank­reich betätigt hätten und sie die in dieser Funktion üblichen Tätig­keiten (Spenden­sam­meln, Demons­tra­tionen und Schulungen organi­sieren sowie Rekru­tie­rung von Nachwuchs für die Guerilla) ausgeübt hätten.

Beschul­di­gungen, wonach die Kurden mögli­cher­weise Straf­taten im Ausland begangen hätten, gab es nicht. Muss es auch nicht, weil jedes tatsäch­liche oder mutmaß­liche Mitglied einer als terro­ris­tisch einge­stuften Organi­sa­tion automa­tisch für deren gesamten Aktivi­täten im In- und Ausland mitver­ant­wort­lich gemacht wird. So auch für die zahlrei­chen Anschläge, die die seit 2004 bestehende Stadt­gue­rilla „Freiheits­falken Kurdi­stans“ (TAK) in der Türkei verübt haben soll.

Die Bundes­an­walt­schaft hatte in ihrer Ankla­ge­schrift die These vertreten, dass TAK der PKK zuzurechnen sei, was beweise,  dass die Organi­sa­tion als eine auf „Totschlag“ ausge­rich­tete Gruppe nach § 129a einge­ordnet werden müsse, obwohl beide in den vergan­genen Jahren mehrmals gegen­sei­tige Distan­zie­rungs­er­klä­rungen abgegeben haben, was wiederum von den deutschen – wie türki­schen – Behörden als takti­sches Vorgehen uminter­pre­tiert wurde. Dieses Element der Ankla­ge­be­grün­dung der BAW ist im Verlaufe dieses Verfah­rens mangels Beweis­kraft fallen­ge­lassen worden.

Vertei­di­gung : § 129b StGB ist verfas­sungs­widrig - Wider­stand gegen Unter­drü­ckung legitim

Wie in den vorher­ge­henden § 129 b-Prozessen, war auch in diesem Verfahren die entschei­dende Frage, ob es sich bei der PKK um eine terro­ris­ti­sche Verei­ni­gung oder um eine legitime Befrei­ungs­be­we­gung in einem bewaff­neten Konflikt handelt. Für die Vertei­di­gung stand außer Zweifel, dass der bewaff­nete Kampf der Guerilla der PKK – Volks­ver­tei­di­gungs­kräfte HPG -  hinsicht­lich des Selbst­be­stim­mungs­rechts des kurdi­schen Volkes im Sinne von Artikel 1 Abs. 4 Zusatz­pro­to­koll I der Genfer Abkommen legal sei. Gedeckt werde dies zudem durch die Charta der Vereinten Nationen sowie durch die Erklä­rung über Grund­sätze des Völker­rechts. Einer Bevöl­ke­rung, der regel­mäßig schwer­wie­gende Menschen­rechts­ver­let­zungen zugefügt und die ihrer Kultur beraubt werde, sei unzwei­deutig in ihrem Recht auf Selbst­be­stim­mung verletzt. Hieraus ergebe sich das Recht auf kollek­tiven bewaff­neten Wider­stand sowie ein Kombat­tan­ten­pri­vileg des humani­tären Völker­rechts. Dies treffe auf die HPG zu.  Die Vertei­di­gung hält es für unzulässig und unerträg­lich, die §§ 129 und 129a auf „Verei­ni­gungen irgendwo und überall im außer­eu­ro­päi­schen  Ausland“ pauschal und unver­än­dert zu übertragen. In § 129b fehle hingegen ein vergleich­bares Äquiva­lent vollkommen.

Die Vorschrift sei „uferlos weit“ und müsse hinsicht­lich ihrer Verfas­sungs­mä­ßig­keit zur grund­sätz­li­chen Entschei­dung dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt vorge­legt werden.

Weiter kriti­siert die Vertei­di­gung die Ertei­lung von Ermäch­ti­gungen zur straf­recht­li­chen Verfol­gung nach § 129b durch das Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­rium. Weil es seine Entschei­dungen nicht begründen müsse und sie weder anfechtbar noch richter­lich überprüfbar seien, trügen sie das „Merkmal der Willkür­lich­keit“ und führten zu einer „Politi­sie­rung der Justiz“. Aus diesen Gründen hatte die Vertei­di­gung die Ausset­zung des Verfah­rens beantragt.

Weitere Anträge der Vertei­di­gung

In ausführ­li­chen Darle­gungen hat die Vertei­di­gung zu weiteren Aspekten des türkisch-kurdi­schen Konflikts die Ladung sachver­stän­diger Zeugen und die Erstel­lung von Gutachten beantragt, so zur Praxis der türki­schen Sicher­heits­kräfte gegen die kurdi­sche Bevöl­ke­rung, insbe­son­dere gegen kurdi­sche Jugend­liche, zur Zerstö­rung von nahezu 4 000 kurdi­schen Dörfern und der massen­haften Vertrei­bung der Bewoh­ne­rInnen, zur Geschichte des Verbots der kurdi­schen Mutter­sprache sowie zur syste­ma­ti­schen Anwen­dung von Folter und unmensch­li­cher Behand­lung. Mit einem weiteren Gutachten sollte bewiesen werden, dass seit dem Jahre 1984 bis zum in der Ankla­ge­schrift genannten Tatzeit­raum zwischen der kurdi­schen Guerilla einer­seits und der türki­schen Armee, Gendar­merie und den Polizei­kräften anderer­seits Kampf­hand­lungen organi­sierter Verbände auf beiden Seiten auf dem Terri­to­rium der Türkei und des Nordiraks statt­ge­funden haben, bei denen Kriegs­waffen zum  Einsatz gekommen sind. Damit seien die Voraus­set­zungen eines bewaff­neten Konflikts im Sinne des humani­tären Völker­rechts gegeben.

Teilweise hat der Senat die Anträge der Vertei­di­gung abgewiesen und zum Teil auch als wahr unter­stellt.

Erklä­rung von Ridvan Ö.

Im Laufe des Prozesses sagte Ridvan Ö. u.a., dass er seine politi­sche Haltung nicht von den „histo­ri­schen Reali­täten“ trennen könne : „Dort, wo Krieg ist, hat man nicht den Luxus, unabhängig von den hierdurch gegebenen Bedin­gungen zu leben. Man ist unmit­tel­barer Teil, man ist Partei und muss Partei ergreifen.“ Er schil­derte seine Kindheit, die geprägt war von den Grausam­keiten eines Krieges. Er berich­tete, dass er als Jugend­li­cher zur „Zielscheibe parami­li­tä­ri­scher Einheiten und der Conter­gue­rilla“ wurde und als 13-Jähriger erstmals gefol­tert  worden ist und dass nach seiner Flucht nach Europa sein Freund und sein Onkel auf einer Polizei­sta­tion des Dorfes umgebracht worden sind. Seine Trauma­ti­sie­rungen habe er während einer Theater­aus­bil­dung in Italien verar­beiten können, wohin er nach seiner Entlas­sung gerne zurück­kehren wolle.
Die europäi­schen Staaten rief Ridvan Ö. dazu auf, den Friedens­pro­zess zwischen türki­schem Staat und der PKK „mit allen Kräften“ zu fördern und beide Seiten zu „unter­stützen, damit es nicht zu Störungen kommt.“

Mit zweierlei Maß

AZADÎ kriti­siert, dass das Gericht, auch wenn es unter dem von der BAW gefor­derten Strafmaß geblieben ist, die beiden kurdi­schen Aktivisten verur­teilt hat und auf eine objek­tive Beurtei­lung des türkisch-kurdi­schen Konflikts mit Blick auf sein histo­risch-politi­sches und völker­recht­li­ches Ausmaß verzichtet hat, was angesichts der weitrei­chenden Anklage nach § 129b unerläss­lich wäre. Während die Bundes­re­gie­rung direkt oder indirekt unter Einschluss von Menschen­rechts­ver­bre­chen militä­risch agierende Aufstands­be­we­gungen im arabi­schen Raum unter­stützt, die nicht unbedingt eine freiheit­liche und menschen­wür­dige Ordnung anstreben, setzt sie die Stigma­ti­sie­rung  der kurdi­schen Befrei­ungs­be­we­gung PKK fort. Und dies ungeachtet der Tatsache, dass in der Türkei seit längerem Friedens­ver­hand­lungen zwischen der türki­schen Regie­rung und der PKK statt­finden. Für die politisch Verant­wort­li­chen liegt die allei­nige Unter­schei­dung darin, ob ihnen die politi­schen Ziele von Organi­sa­tionen genehm sind und den eigenen Inter­essen entge­gen­stehen oder nicht.

Krimi­na­li­sie­rung beenden !

Vor dem Hinter­grund dieser politisch motivierten Verfahren, der ausufernden und mehr als fragwür­digen Verfol­gungs­kri­te­rien staat­li­cher Insti­tu­tionen gegen kurdi­sche Politiker und Aktivisten können die Forde­rungen nur lauten, den § 129a/b ersatzlos zu strei­chen, das nunmehr seit 20 Jahren bestehende PKK-Betäti­gungs­verbot aufzu­heben, die Verfahren einzu­stellen und die Gefan­genen freizu­lassen.

AZADÎ e.V., Rechts­hil­fe­fonds für Kurdinnen und Kurden in Deutsch­land, Köln

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