Mittenwald musste zur Kenntnisnahme der eigenen Geschichte gezwungen werden.
• Du hast den Todesmarsch nach Mittenwald schon angesprochen. Wie geht die Stadt denn mit der Geschichte um ?
Den Todesmarsch haben wir, wie gesagt, auch thematisiert, z.B. haben wir Maurice Cling eingeladen, der auf dem Todesmarsch in die « Alpenfestung » in Mittenwald befreit worden ist. Mit dem waren wir z.B. auf dem Friedhof, wo auf dem Marsch Verstorbene liegen. Die Mittenwälder selber sind sehr zurückhaltend. Einmal kennen die natürlich auch Soldaten der Gebirgsjäger persönlich, also « Burschen », die klettern wollen und dann bei dieser Truppe landen, dann ist das natürlich auch ein touristischer « Hotspot », mit vielen Touris, die kommen, um die Lüftelmalerei zu bestaunen und das bayrische Klischee erleben zu können. Für die meisten Mittenwälder*innen hat der Einzug der « linken Chaoten » da einfach den Tourismus gestört und bedroht. Teilweise kam es sogar zur Beschimpfung unserer Demo durch Anwohner*innen aus den Fenstern, wie es das sonst nur in Dessau gibt… Aus ökonomischen Gründen sollte das Gedenken am « Hohen Brendten » auch mal um eine Woche verschoben werden. Damit Pfingst-Touristen nicht länger durch Proteste verstört werden.
• Obwohl die Proteste 2009 nach der Einweihung des Mahnmals für die Opfer der Gebirgsjäger aufgehört haben, findet das Traditionsgedenken aber immer noch statt ?
Ja, soweit ich weiß. Aber es werden immer weniger Teilnehmer. Es sterben ja auch viele der Täter. Doch die restlichen treffen sich noch immer da am Berggipfel, dem « Hohen Brendten ». Da ist eine große Wiese mit dem riesigen Steinklotz, dem Mahnmal für die Gefallenen der Gebirgsjäger. Das Ding ist bestimmt so 15-20 Meter hoch…
• Wie gehen die denn selber mit ihrer Geschichte um ? Kannst du dazu etwas sagen ?
Die zelebrieren das als Gottesdienst, so richtig mit Predigt, Kommunion und allem. Das führt ein Militärpfarrer durch. So 2007 habe ich es selber mal geschafft, an einem der Gedenkgottesdienste am « Hohen Brendten » teilzunehmen. Da war es so, dass zu diesem Zeitpunkt die Pfarrerin schon eher vorsichtig geredet hat. Der Diskurs war da schon zurückhaltender als er früher wohl war. Da wurde des Öfteren mal betont, dass allen Opfern gedacht werden müsse und so weiter. Freundlich sind wir trotzdem nicht behandelt worden. Das war teilweise absurd. Als uns das « USK » beispielsweise dazu aufgefordert hat, wegzugehen, hat eine Freundin empört darauf bestanden, « den Laib Jesu » empfangen zu dürfen. Dann durfte sie tatsächlich bleiben und an der Kommunion teilnehmen.
• Gab’s vom « Antifa e.V. » ne Erschwerniszulage für die Teilnahme an dem ekligen Gedenken ?
Leider nein, weil ich vergessen habe, den Antrag zu stellen. Verdient hätte ich sie gehabt (lacht). Denn weil zu diesem Zeitpunkt der « AK » ja schon seit einigen Jahren offen mobilisierte, waren da natürlich sehr viele Polizisten, die bereits auf den Zuwegen alle abgefangen haben. Deshalb mussten wir « hintenrum » auf den « Hohen Brendten », zu Fuß, über Wanderwege. Erst beim Gottesdienst haben wir dann unsere Klamotten gewechselt. Als wir dann unsere vorbereiteten T-Shirts mit den Zahlen der Opfer der Gebrigsjägertruppe offen trugen, gab es natürlich zornige Reaktionen der an der Gedenkfeier Teilnehmenden.
• Die eigene Geschichtserählung der Gebirgsjäger basiert im Wensentlichen auf dem Märchen von der « Partisanenbekämpfung », oder ?
Naja. In ihren Augen waren sie Soldaten, die nur „Befehle ausgeführt” haben, was auch « nicht immer schön » gewesen sei und auch für sie waren es angeblich « harte Zeiten ». Wie sie wirklich mit ihren eigenen Taten leben, musst du sie schon selber fragen. Bis zum Zeitpunkt der ersten Intervention durch uns war ihr Gedenken von eigenen Zweifeln jedenfalls wenig getrübt.
• Was hälst du, als Teilnehmerin der »Alten Folge » der Proteste von der für dieses Jahr angekündigten « Neuen Folge » der « Angreifbaren Traditionspflege » zum « G7»-Gipfel ? Begründet wird sie ja mit der Erweiterung des Mahnmals am « Hohen Brendten » und mit den offenen Reparationen an Griechenland.
Vor dem Hintergrund des « G7»-Treffens und vor dem Hintergrund der Entschädigungs-, bzw. Reparationsforderungen Griechenlands, finde ich das total sinnvoll. Diese Verbindung soll ja mit der Teilnahme von u.a. Manolis Glezos unterstrichen werden. Dass jetzt auch die Bundeswehr ihrer « Gefallenen » mit dem Mahnmal gedenken will, finde ich – zynisch gesehen – nur offen und ehrlich. Deutschland ist eben immer noch ein imperialistisches Land und steht da eben auch in einer Kontinuität.
• Die Initiator*innen der « Liberation-Tour » hoffen ja diesmal auf einen warmherzigeren Empfang als damals. Sie hoffen, das Bewusstsein in der Region habe sich gewandelt. Teilst du diesen Optimismus ?
Nö. Mittenwald musste zur Kenntnisnahme der eigenen Geschichte gezwungen werden und musste auch erst dazu gezwungen werden, die Demos zuzulassen. Ein echter Wandel würde mich doch wundern. Ich rechne mit Schikanen, trotz der sicher schwierigen Situation für die Behörden, die sich durch die Teilnahme der Zeitzeugen an der Tour ergibt. Ich wünsche den Teilnehmenden jedenfalls gutes Gelingen und viel Glück.
* Name geändert
HintergrundDie „Liberation-Tour 2015”
An diesem Wochenende findet bei Garmisch-Partenkirchen nicht nur ein G7-Gipfel und der Protest gegen das Treffen einiger Politiker*innen in Schloss Elmau statt : Im Vorfeld wurde u.a. von Wuppertal aus auch zur « Liberation-Tour 2015 » mobilisiert. Mit einem straffen Programm und internationalen Gästen – darunter auch Zeitzeugen nationalsozialistischer Verbrechen wie Manolis Glezos aus Griechenland oder Maurice Cling aus Frankreich – soll die « Liberation-Tour » nicht nur eine Intervention zum G7-Gipfel sein, sondern auch eine Fortsetzung der kritischen Auseinandersetzung mit der besonderen Traditionspflege, die rund ums Gipfelschloss Elmau gepflegt wird.
Traditionstreffen der Mörder
Denn im benachbarten Mittenwald treffen sich einmal jährlich Angehörige der 1. Gebirgs-Division der deutschen Wehrmacht – kurz « Gebirgsjäger ». Diese Truppe war für monströse Massaker und Gemetzel und Zivilist*innen vor allem in Griechenland berüchtigt. Namen wir Kommeno oder Lingiades haben sich tief ins Gedächtnis der Griech*innen eingegraben. Während jedoch andere Einheiten vor allem der SS und der Waffen-SS, die sich schwerster Kriegsverbechen schuldig gemacht hatten, nach der Remilitarisierung Deutschlands meist nur im Verborgenen in den Traditionskanon der Bundeswehr aufgenommen wurden, sind die « Gebirgsjäger » bis heute ein Bestandteil der Truppe. Bis heute verstehen sie sich dabei auch als soldatische Elite.
Vor diesem Hintergrund erzählten die Angehörigen der « Gebirgsjäger » bis Ende des letzten Jahrhunderts ihre eigene Geschichte von legitimer Bekämpfung der griechischen Partisanen und eigenen Heldentaten – weitgehend ungestört und von Angehörigen der heutigen Bundeswehrtruppe, Politiker*innen und einer Kirche, die für die « gefallenen Gebirgsjäger » des Zweiten Weltkriegs gerne die Hände zum Gebet faltete, tatkräftig unterstützt. Das Gedenken an die Täter fand jedes Jahr zu Pfingsten vor der gleichen malerischen Kulisse statt, in der sich am 7.Juni die Gipfelteilnehmer*innen auf Schloss Elmau fotografieren lassen werden. Nur wenige Kilometer von Elmau entfernt, am « Hohen Brendten », errichtete die « Selbsthilfegruppe von Kriegsverbrechern » am Ort des jährlichen Gedenkgottesdienstes ein wuchtiges Mahnmal.
Widerstand gegen die „Traditionspflege”
Erst Anfang des Jahrhunderts regte sich Widerstand gegen die Heldenverehrung durch altgewordene Mörder und ihre Bewunderer. Mit dem « AK Angreifbare Traditionspflege » betraten erstmals 2002 einige Demonstrant*innen die Alpenbühne und sorgten für viel Zorn bei Offiziellen und alten und neuen Gebirgsjägern. Nach einem ersten unangemeldeten Besuch Mittenwalds folgten bis 2009 jedes Jahr größere Demonstrationen und eigene Veranstaltungen. Das führte zu einem allmählichen Wandel des öffentlichen Bewusstseins, auch Dank umfangreicherer medialer Beachtung der Verbrechen der « Gebirgsjäger ».
Für die bayrischen Lokal- und Landespolitiker*innen und für den Tourismus in der Region erwiesen sich die Traditionstreffen schließlich zunehmend als eher kontraproduktiv – offiziell rückten viele von den Gedenkfeiern ab. Als im Jahr 2009 auf dem Marktplatz von Mittenwald schließlich ein Mahnmal für die Opfer der « Gebirgsjäger » aufgestellt wurde, bei dessen Einweihung der CSU-Bürgermeister dem « Arbeitskreis » für seine Bemühungen um ein korrigiertes Geschichtsbild dankte, endeten die Proteste am Fuß der Zugspitze. Die Treffen der « Gebirgsjäger » gingen freilich weiter.
Rückkehr des „Arbeitskreises” nach Mittenwald
In diesem Jahr kehrt der « AK Angreifbare Traditionspflege » nach Mittenwald zurück, betitelt mit « Neue Folge ». Ausschlaggebend dafür sind die allen Distanzierungen zum Trotz weitergehenden Traditionstreffen, an denen sich auch nach wie vor die Bundeswehr beteiligt, die Tatsache, dass es noch immer einige unerkannt in Bayern lebende Kriegsverbrecher gibt und – mit Bezug auf das Treffen der « G7 » – bis heute nicht erfüllten Forderungen Griechenlands zur Entschädigung der Opfer der « Gebirgsjäger » und die durch die deutsche Regierung verweigerten Reparationen.
Wie weit die Identifikation der heutigen « Gebirgsjäger » mit ihren Vorgängern geht, lässt sich daran ablesen, dass das diesjährige Gedenken auf den Herbst verschoben wurde, weil dann das Mahnmal am Hohen Brendten eine Erweiterung erfahren soll : In ungeahnten Offenheit möchte die Bundeswehr ihre bei weltweiten Einsätzen getöteten Soldat*innen zukünftig gemeinsam mit den Mördern der Wehrmacht ehren. Die alten « Gebirgsjäger » wiederum erhoffen sich durch die Erweiterung offenbar eine Art Rehabilitation.
Weiterführendes : Eine Vielzahl von Links zu Presseartikeln findet sich u.a. bei nadir.org in einer Sammlung zu den Protesten im Jahr 2007
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Interview zur G7-Liberation-Tour 2015
- Seite 2 : Mittenwald musste zur Kenntnisnahme der eigenen Geschichte gezwungen werden.