Das eigene politische Leben zurückholen ! Erklärung von Latife

Unsere Freundin Latife steht seit inzwi­schen sieben Monaten als Angeklagte in einem öffent­lich kaum beach­teten Terro­ris­mus­pro­zess vor Gericht und ein Ende des skanda­lösen Verfah­rens ist noch nicht absehbar. Am Donnerstag, den 28.1. wird sie nun eine umfang­reiche Erklä­rung zur Anklage und zur Beweis­auf­nahme abgeben – quasi als eine Zwischen­bi­lanz. Der persön­li­chen Erklä­rung vor dem OLG Düssel­dorf ist eine inter­es­sier­tere Öffent­lich­keit zu wünschen.

Wir fassen den bishe­rigen Verlauf des Verfah­rens gegen unsere Genossin aus diesem Grund hier nochmal zusammen (Ausführ­liche Infos gibt es auf der Website zum Prozess).

latife

Am 18.Juni des letzten Jahres begann vor dem OLG in Düssel­dorf ein Verfahren gegen unsere Freundin Latife. Die General­staats­an­walt­schaft beschul­digte sie, Mitglied in der DHKP-C zu sein, einer seit vielen Jahren in der Türkei gegen den Staat kämpfenden, militanten marxis­tisch-leninis­ti­schen Organi­sa­tion, die von der Türkei wie auch von der EU als « Terror­or­ga­ni­sa­tion » einge­stuft wird. Nach jetzt 22 Prozess­tagen ist die Staats­an­walt­schaft noch immer jeden Beweis dafür schuldig geblieben.

Um die Behaup­tung, dass eine seit Jahrzehnten ausschließ­lich in Deutsch­land lebende und nur hier politisch tätige Frau Teil des militanten Kampfes in der Türkei sei, nicht von vorne­herein als blanken Unsinn erscheinen zu lassen, bemüht die Staats­an­walt­schaft eine fragwür­dige Hilfs­kon­struk­tion. Demnach ist die migran­ti­sche Selbst­or­ga­ni­sa­tion « Anato­li­sche Födera­tion » ein wichtiger Bestand­teil der « Auslands­or­ga­ni­sa­tion », einer so ganannten « Rückfront », der DHKP-C. Latife, die 2012 in einer knappen Abstim­mung zur Vorsit­zenden der « Anato­li­schen Födera­tion » gewählt wurde, weil sie inner­halb des Vereins als entschlos­sene Anwältin sozialer und familiärer Inter­essen der Migrant*innen bekannt war, ist in der Logik der Anklage deshalb quasi automa­tisch eine Funktio­närin der 1994 aus der Dev-Sol hervor­ge­gan­genen DHKP-C.

Die meiste Zeit der Beweis­auf­nahme durch den 5.Senat des OLG ging daher auch für eine Beweis­füh­rung zum Charakter der DHKP-C und zu ihren angeb­li­chen Struk­turen in Europa drauf, die mithilfe einer auf politi­sche Weisung hin vom BKA geführten und laufend aktua­li­sierten so genannten « Struk­tur­akte » belegt werden sollen. In repete­tiven Aussagen bestä­tigten so immer wieder Beamt*innen von BKA und LKA, dass sie die in das Verfahren einge­führten Teile der « Struk­tur­akte » auch tatsäch­lich verfasst hatten. Zu Latife und zu ihren tatsäch­li­chen Tätig­keiten und Aktivi­täten war während der bishe­rigen Prozess­tage hingegen kaum etwas Handfestes zu hören oder zu sehen. Statt­dessen wurde Beobachter*innen eine fast unvor­stell­bare Kumpanei deutscher und türki­scher Sicher­heits­be­hörden und eine unkri­ti­sche Verwen­dung sehr fragwür­diger « Erkennt­nisse » vorge­führt, mit denen die allen deutschen DHKP-C-Verfahren zugrun­de­lie­gende « Struk­tur­akte » gefüt­tert wird.

In der Akte finden sich beispiels­weise Aussagen eines BND-Geheim­dienst­lers wie Alaattin Ateş, der es zeitweise zum « Deutsch­land-Verant­wort­li­chen » der DHKP-C brachte und der verdäch­tigt wird, auch für den türki­schen Geheim­dienst MIT tätig gewesen zu sein. Seine, auf ein Blatt Papier gekrit­zelte « Struktur » der DHKP-C ist bis heute eine wichtige Grund­lage der verschie­denen Anklagen gegen angeb­liche Mitglieder der DHKP-C. Ebenso werden haufen­weise « Erkennt­nisse » wieder­ge­kaut, die BKA und LKAs aus dem Internet, aus Publi­ka­tionen oder, schlimmer noch : aus türki­schen Ermitt­lungs­akten, abgeschrieben haben – ungeprüft und ohne jede kriti­sche politi­sche Bewer­tung der Situa­tion in der Türkei. So wird selbst das Gefängnis-Massaker an Gefan­genen im Dezember 2000 analog zur offizi­ellen türki­schen Darstel­lung als « Nieder­schla­gung eines Aufstands” geführt.

Infor­ma­tionen, die diesen « Erkennt­nissen » entge­gen­stehen könnten, wie sie zum Beispiel in den so genannten « Ergenekon»-Ermittlungen zum « tiefen Staat » in der Türkei ans Tages­licht kamen, werden schlicht ignoriert oder gleich ganz mit nicht erteilten Aussa­ge­ge­neh­mi­gungen für die Beamt*innen ausge­blendet. Selbst das Bundes­kanz­leramt ist sich nicht zu schade, mit « Geheim­nis­verrat » zu drohen, wenn die Verbin­dungen zwischen deutschem und türki­schem Geheim­dienst thema­ti­siert werden könnten. Doch das betrifft nicht nur offen­sicht­liche Angele­gen­heiten der Geheim­dienste. Auch die regel­mä­ßigen « Konsul­ta­tionen » der Sicher­heits­be­hörden, die teilweise in merkwür­diger zeitli­cher Nähe zu anschlie­ßenden Razzien und Inhaf­tie­rungen in Deutsch­land standen, dürfen nicht angespro­chen werden, obwohl sie durchaus ein Licht auf die Umstände deutscher Ermitt­lungen werfen könnten – auch die Verhaf­tung von Latife erfolgte unmit­telbar nach einer solchen « Konsul­ta­tion » auf dem Höhepunkt des « Gezi-Aufstandes » in der Türkei.

Diese ganz spezi­elle « Freund­schaft » deutscher und türki­scher Behörden wird um jeden Preis geschützt. Wie die Türkei sie nutzt, ist im Krieg der türki­schen Armee gegen die kurdi­sche Bevöl­ke­rung aktuell in Echtzeit zu beobachten, z.B. wenn Bundes­in­nen­mi­nister De Maiziére einfor­dert, die « übermä­ßige » Kritik an der Türkei müsse nun endlich aufhören. Auch der 5.Senat des Düssel­dorfer OLG unter dem Vorsit­zenden Richter Schreiber tut seinen Teil dazu, etwa, indem er sämtliche Versuche der Vertei­di­gung, politi­sche Hinter­gründe und Entwick­lungen in den Prozess einzu­führen, torpe­diert. Haften bleibt deshalb ledig­lich die politi­sche Beweis­füh­rung der General­staats­wan­walt – politi­sche Erwide­rungen wurden bislang unmög­lich gemacht. Latifes tatsäch­liche Arbeit bleibt so hinter einem Vorhang aus staat­li­cher Verschwö­rungs­theorie fast unsichtbar.

Dabei hat sich der Staat alle Mühe gegeben. Am Auto angebrachte Peilsender, eine umfas­sende Telekom­mu­ni­ka­ti­ons­über­wa­chung von Dezember 2012 bis zum Juni 2013, die auch Gesprächs­in­halte erfasste, und schließ­lich Durch­su­chungen von Wohnung, Klein­garten und Vereins­lokal erbrachten jedoch keinerlei Belege für illegale Tätig­keiten unserer Freundin. Mit den in den Prozess einge­brachten Beweis­mit­teln wird deshalb versucht, die Arbeit Latifes auf einen einzigen Teilas­pekt ihres umfäng­li­chen politi­schen Lebens zu beschränken, wozu Bücher, Broschüren, DVDs oder die Teilnahme an legalen Veran­stal­tungen heran­ge­zogen werden, sofern sie sich mit der Arbeit für politi­sche Gefan­gene oder mit Entwick­lungen des Wider­stands in der Türkei beschäf­tigten. Alles andere bleibt ausge­blendet.

Das ist nicht nur juris­tisch schwach. Es ist auch mensch­lich und politisch unwürdig, wenn ein politi­scher Mensch auf einen derart kleinen Ausschnitt seines Engage­ments reduziert wird. Latifes unersetz­liche Arbeit für Frauen, Migrant*innen oder in antifa­schis­ti­schen Struk­turen in Wuppertal und Umgebung erscheinen in der Konstruk­tion der General­staats­an­walt ledig­lich als Beiwerk einer angeb­li­chen « terro­ris­ti­schen Tätig­keit ». Die Erzäh­lung der Anklage ist bereit, ein wider­stän­diges Leben auf einen ledig­lich behaup­teten Kern zu reduzieren, der es ihr ermög­lichten soll, einen kriti­schen Menschen zu brechen. Inwie­weit dies aus deutschem Eigen­in­ter­esse oder „nur” der türki­schen Regie­rung zuliebe geschieht, bleibt unklar. Die Paral­lelen zur Türkei, die derzeit ausnahmslos alle Kritiker der AKP-Regie­rung als „Terro­risten” verfolgt, sind jeden­falls unüber­sehbar.

Um dieser paranoiden und wahnhaften Erzäh­lung der Staats­an­walt­schaft endlich etwas entge­gen­zu­setzen, hat Latife sich entschlossen, am 28.1. eine eigene Erklä­rung zu den Vorwürfen abzugeben. Am für nächsten Donnerstag angesetzten 23.Prozesstag wird sie damit versu­chen, sich ihr politi­sches Leben zurück­zu­holen. Es wäre schön, wenn viele sie dabei unter­stützen würden. Der 23. Prozesstag am 28.1.2016 : OLG Düssel­dorf, Cecili­en­allee 3, 10:00 Uhr – Besucher*innen müssen sich am Eingang ausweisen, Parkmög­lich­keiten gibt es am gegen­über­lie­genden Rhein­ufer (bezahlter Parkplatz).

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