Inszenierte Konflikte auf Nebenkriegsschauplätzen
Inszenierte Konflikte auf Nebenkriegsschauplätzen
In diesem Zusammenhang ist sehr interessant, über was hierzulande geredet und berichtet wird und über was nicht. Während Massenentlassungen und Verhaftungen in der Türkei es in die vorderen Sendeminuten der Hauptnachrichten und manchmal indirekt auch in die Bundespressekonferenz schaffen, sind die Bombardierungen kurdischer Städte und Dörfer beispielsweise keine Randnotiz wert. Auch die Aussagen zur Manipulation des Referendums waren eher zurückhaltend. Dieses Missverhältnis interpretiert Ismail Küpeli als ein ausschließlich wirtschaftliches und geostrategisches Interesse Deutschlands an der Stabilität der Türkei ; durch Verhaftungen und Entlassungen geschwächte staatliche Institutionen gefährden in den Augen Deutschlands die Stabilität des NATO-Partners. Allein die innere Stabilität und nicht Sorgen um die Demokratie und um Rechtsstaatlichkeit sei es, was deutsche PolitikerInnen und die Wirtschaft beunruhige. Ähnliches ließe sich zum Beispiel auch bei der Zusammenarbeit mit Ägypten oder Aserbaidschan feststellen.
Die oft angesprochenen EU-Beitrittsverhandlungen sieht Küpeli lediglich als Spielball, den beide Seiten zwecks eigener Gesichtswahrung gerne zu opfern bereit wären. Niemand glaube mehr an einen EU-Beitritt und es gäbe auch kein echtes Interesse daran. Die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kooperation würde unter dem Abbruch der Verhandlungen auch nicht leiden. Die ökonomische Krise in der Türkei, die tatsächlich das Potential hätte, in eine Hegemoniekrise der herrschenden Partei zu münden, würde auch in Zukunft sicher über deutsche Hilfsgelder und Investitionen abgemildert. Der Öffentlichkeit würde durch inszenierte Konflikte ein Zerrbild auf Nebenschauplätzen vermittelt, wonach die deutsche Regierung vor Konsequenzen nicht zurückschrecke. In Wirklichkeit aber liefe das Business “as usual” einfach weiter.
So vermeldeten die Medien vor wenigen Wochen, dass Waffenexporte in die Türkei angeblich 2016 durch die Kontrollgremien zunehmend unterbunden worden seien. Tatsächlich waren in elf Fällen Exportlizenzen zwar nicht erteilt worden, die Gesamtzahl der Waffenexportanträge hatte aber zugenommen. Exporte und Volumen des Waffenhandels haben also insgesamt zu- und nicht abgenommen. Die Kooperation wird ungebrochen fortgesetzt, allerdings eher leise und möglichst ohne zuviel Aufsehen. Deshalb dürfte es der Regierung peinlich gewesen sein, als ein aufgetauchtes Video dokumentierte, dass Panzerfahrzeuge und Waffen aus Bundeswehrbeständen, die, um die Yeziden vor Daesh zu schützen, an die Peshmerga der türkeifreundlichen KDP-Regierung unter Barzani im Nordirak geliefert wurden, nun durch Peshmerga-Milizen gegen eben diese Yeziden eingesetzt werden. (Über die Unmöglichkeit, ein deutsches Leit-Medium für Berichte darüber zu gewinnen, hat das LowerClass Magazine einen verzweifelten und sarkastischen Artikel verfasst.)
In Deutschland stellt sich in erster Linie die Aufgabe der Solidaritätsarbeit auf der Straße oder am Schreibtisch, wenn es um die Thematisierung der Repression in der Türkei geht, aber auch in konkreter Solidarität mit hierhin geflüchteten türkischen und kurdischen Menschen. Es sind immer mehr Genossen und Genossinnen, oft auch Künstler oder Journalistinnen, die ihr Leben und ihre Arbeit hier fortsetzen möchten. Dabei wird es ihnen von den deutschen Behörden zur Zeit nicht leicht gemacht, einer Quasi-Einladung zur Stellung eines Asylantrags durch die deutsche Regierung nach dem versuchten Putsch zum Trotz. Ihnen müssen hier Wege gezeigt und Kanäle, Plattformen und Strukturen zur Verfügung gestellt werden. Vor allem muss es uns darum gehen, die notorische Kooperation Deutschlands auf allen Ebenen bekannt zu machen und zu skandalisieren. Wenn die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sich nicht länger darüber echauffierte, dass Recep Tayip Erdogan Angela Merkel Nazi nennt, sondern darüber, dass die Düsseldorfer Rheinmetall AG mit Zustimmung eben jener Angela Merkel Waffen aller Art liefert und gar eine Panzer- und Munitionsfabrik in der Türkei bauen will, hätten wir unseren Job gut gemacht. Denn auch bei Rheinmetall werden nicht alle Arbeiter und Arbeiterinnen damit glücklich sein. Die deutsche Linke sollte sie mit ihrem Unbehagen nicht alleine lassen.
- Inhaltsverzeichnis
- Seite 1 : Nie überwundener Nationalismus
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