BLOCKUPY-Aufruf der IL

Der Blockupy-Aufruf der Inter­ven­tio­nis­ti­schen Linken (IL) zu den Krisen­pro­testen in Frankfurt/M vom 16. bis 19.05. im Wortlaut :

Take the square ! Weltweit gegen Krise, Krieg & Kapital

Auf nach Frank­furt. Betei­ligt euch massen­haft an den Aktions­tagen vom 16. bis 19. Mai 2012 : Gegen das Krisen­diktat der Troika aus EU-Kommis­sion, Europäi­scher Zentral­bank (EZB) und Inter­na­tio­nalem Währungs­fonds (IWF).

An diesen Tagen gilt : Rien ne va plus ! Denn wir werden mit Tausenden zusammen einen der bedeu­tendsten europäi­schen Finanz­plätze blockieren und dicht­ma­chen und damit ein deutli­ches Zeichen globaler Solida­rität setzen - gegen Krise, Krieg und Kapital.

Wir stellen unsere Aktionen und unsere Proteste ganz bewusst in den Zusam­men­hang der sich überall auf der Welt entwi­ckelnden neuen Kämpfe für Selbst­be­stim­mung, Freiheit und Würde. Von den Revolten und Revolu­tionen des „Arabi­schen Frühlings“, über die sozialen Kämpfe und General­streiks in Griechen­land oder die Bewegung der Indignados in Spanien bis hin zu den weltweiten Protesten der Occupy-Bewegung : Wir sind längst nicht allein und werden hörbar immer mehr.

Es ist offen­sicht­lich : Seit ein paar Jahren durch­lebt der Kapita­lismus eine der schwersten Krisen seiner Geschichte und die Mutter aller Fragen steht wieder im Raum : Wie viele Jahre kann und wie viele Jahre will sich die Welt noch dieses System leisten ? Auch hierzu­lande wird die Zeit langsam reif für eine kraft­volle rebel­li­sche Mobili­sie­rung : laut, entschlossen, offensiv und antika­pi­ta­lis­tisch.

There is no such thing as society“

Momentan erfährt die EU das Ende ihrer Ideologie von grenzen­losem Wachstum und Wettbe­werb. Doch als Antwort auf die grassie­rende Insta­bi­lität des EU-Systems fallen IWF, EZB und EU-Kommis­sion nicht viel mehr ein als eine Kampf­an­sage an jede soziale Solida­rität. „There is no such thing as society“, behaupten mit der langjäh­rigen briti­schen Premier­mi­nis­terin Margret Thatcher alle Neoli­be­ralen. Es gibt keine Gesell­schaft, sondern nur eigen­nüt­zige Individuen.Diese strate­gi­sche Linie reicht vom chile­ni­schen Putsch Anfang der 1970er Jahre bis zum aktuellen EU-Diktat gegen Griechen­land.

Aus herrschender Sicht ist das nur konse­quent. Denn das EU-Projekt war von Anfang an als imperiales Projekt konzi­piert – integrativ und zugleich autoritär nach innen, aggressiv nach außen in dem Abbau von Handels­schranken und der Entwick­lung militä­ri­scher Handlungs­fä­hig­keit im globalen Wettbe­werb. Die Abschot­tung an den EU-Außen­grenzen, verbunden mit einer repres­siven Flücht­lings­po­litik, war und ist integraler Bestand­teil einer europäi­schen Apart­heid, die die Freizü­gig­keit der Mobilität ledig­lich ihren eigenen Staatsbürger/innen zubil­ligt. Wie krisen­haft sich die europäi­sche Formie­rung von Anfang an gestal­tete, zeigte schon der Zerfall Jugosla­wiens. Auch wenn der Ausgangs­punkt der jugosla­wi­schen Krise hausge­macht war, waren die sogenannten postkom­mu­nis­ti­schen Übergangs­pro­zesse gleich­zeitig Expan­si­ons­phasen westli­chen Kapitals mit den bekannten Konse­quenzen von zuneh­mender Armut und der rigorosen Zerstö­rung gesell­schaft­li­cher Struk­turen.

Für die Menschen in Griechen­land wie überall kann und wird es unter solchen Voraus­set­zungen keine Perspek­tive geben. Selbst die Herrschenden ahnen, dass die techno­kra­ti­schen Versuche, die Krise zu bewäl­tigen, keine Lösung bringen. Neue soziale und politi­sche Perspek­tiven können nur aus der Bewegung des Wider­spruchs kommen, überall dort, wo sich die Gesell­schaft sozusagen neu erfindet. In Griechen­land wird die Strom­ver­sor­gung selbst organi­siert, in Spanien schließen sich von der Zwangs­räu­mung bedrohte Hausbe­sit­ze­rInnen zusammen, in Mexiko produ­ziert die Beleg­schaft in Eigen­regie Autoreifen. Aber da muss noch mehr gehen. Die kapita­lis­ti­sche Markt­logik muss aus allen Lebens­be­rei­chen verdrängt werden, nur unter gesell­schaft­li­cher Kontrolle werden das Gesund­heits­system, die Energie­pro­duk­tion, der ÖPNV, die gesamte Güter­pro­duk­tion die Bedürf­nisse aller Menschen berück­sich­tigen. Alle diese Bereiche gehören verge­sell­schaftet – dem Markt und dem Staat entzogen. Die Lösung wäre, nicht nur in Griechen­land, die aufstän­di­sche Kommune.

Die Euro-Krise ist auch ein Lehrstück über die Dominanz des deutschen Staates inner­halb der EU. Uns ist es deswegen wichtig, dass die Aktions­tage massiv den Wider­spruch zu Stand­ort­logik und natio­nalem Konsens ausdrü­cken. Deutsch­land ist schließ­lich direkt verant­wort­lich für die knall­harten Spar- und Sanie­rungs­pro­gramme gegen die Länder der europäi­schen Peripherie – und profi­tiert von ihnen. So wie beispiels­weise der griechi­sche Staats­bank­rott auch auf massive Rüstungs­ge­schäfte, nicht zuletzt mit Deutsch­land, zurück­geht, ist die Beglei­chung dieser Schulden Bedin­gung für die „Euro-Hilfen“. Von diesen Milli­arden sehen die Menschen gar nichts.
Und mehr noch. Deutsch­land ist nicht nur die ökono­mi­sche Super­macht in der Mitte Europas und infor­meller Chef der EU, sondern es lässt diese Tatsache auch alle anderen EU-Länder perma­nent spüren. Entspre­chend gibt es seit Monaten eine nicht abebbende natio­na­lis­ti­sche Hetze gegen Griechen­land, allen voran die BILD-Zeitung. Aber nicht nur sie. Im Februar 2012 verlangten der Chef von Bosch und weitere deutsche Manager den Rauswurf Griechen­lands aus der Europäi­schen Union, weil Griechen­land „marode und in einer Solidar­ge­mein­schaft eine untrag­bare Belas­tung“ sei.

Globale Krise – globale Solida­rität

Aber es geht um mehr als Euro-Krise und galop­pie­rende Staats­ver­schul­dungen. Die gesamte globale Entwick­lung ist von einer tiefge­henden Krise geprägt und zwingt schon seit Jahrzehnten immer mehr Menschen insbe­son­dere in den südli­chen Ländern eine katastro­phale Lebens­per­spek­tive auf. Wenn Menschen verhun­gern, an heilbaren Krank­heiten sterben, auf der Straße leben oder im Müll hausen müssen, dann ist das unmit­tel­barer Ausdruck davon, dass der Kapita­lismus die existen­zi­ellen Bedürf­nisse der Mehrzahl der Menschen nicht befrie­digt und ihnen ein Recht auf ein Leben in Würde verwei­gert. Zur Zerstö­rung der Lebens­per­spek­tiven der Menschen gehören auch die Verwüs­tungen der Natur : der Klima­wandel mit dem Anstieg der Meeres­spiegel und der Ausbrei­tung der Wüsten, die Enteig­nung riesiger Lände­reien und die Abhol­zung ganzer Wälder für die Biosprit­pro­duk­tion, die drama­ti­schen Folgen der Monokul­turen.

Zur Zerstö­rung der Lebens­per­spek­tiven gehört aber auch, wenn sich den Jugend­li­chen in Tunis und Kairo wie in Santiago de Chile, Washington, Madrid, Athen, Rom oder Frank­furt nach Abschluss oft langjäh­riger Ausbil­dung keine andere Option mehr bietet als die entfes­selte, für immer mehr Menschen dennoch hoffnungs­lose Konkur­renz aller gegen alle : um Jobs, die immer weniger werden, die einen zugleich rund um die Uhr und an jedem Ort des eigenen Lebens einspannen. Die gerade deshalb keiner Zukunft mehr Raum lassen. Die obendrein immer schlechter bezahlt, jeder Sicher­heit und aller Rechte beraubt werden. Die letzt­lich jede freie soziale Bezie­hung angreifen und im selben Zug die ältesten Herrschafts­ver­hält­nisse des Alltags vertiefen : Verhält­nisse vor allem patri­ar­chaler oder rassis­ti­scher Herrschaft.

Doch diese Wider­sprüche waren nie Ausgangs­punkt herrschender Politik. Im Gegen­teil : Was durch IWF, Weltbank, EU, G8 oder NATO exeku­tiert wird, ist zuerst einmal Krisen­ma­nage­ment und Sicher­heits­po­litik, weil die globale Krise auch eine Krise imperialer Dominanz und Hegemonie ist. So betrachtet geht es in der Euro-Krise wie im Krieg gegen den Terror um System­er­hal­tung, damit die Maschine läuft, egal wer dabei unter die Räder kommt. Und so können wir das eine nicht ohne das andere denken. Nicht den Krieg in Afgha­ni­stan ohne das Projekt der europäi­schen Formie­rung, nicht das Camp X-Ray in Guanta­namo ohne die Flücht­lings­ab­wehr im Mittel­meer, nicht die Zitadellen des Wohlstands ohne die Zonen völliger Preka­rität und Recht­lo­sig­keit und nicht die kapita­lis­ti­sche Verschwen­dungs­wirt­schaft ohne die Zerstö­rung sozialer, politi­scher und ökolo­gi­scher Werte durch das Konti­nuum des Marktes. Die Sackgasse dieser Gegen­wart ist überall wahrnehmbar.

Aber machen wir uns nichts vor : Wenn die Ursache der Krise in falscher Wirtschafts­po­litik, in der nackten Gier von Speku­lanten oder in den bösen Machen­schaften ameri­ka­ni­scher Rating-Agenturen gesehen wird, bleibt die Kapita­lis­mus­kritik nur Schein­kritik, die glaubt ein guter Kapita­lismus sei machbar. Ebenso wenig hilfreich ist die schon fast beruhi­gende Formel einer „normalen“ Krise kapita­lis­ti­scher Verwer­tung, so als würden politi­sche Entschei­dungen wie Krieg und imperiale Expan­sion da nicht genau hinein­wirken. Insoweit muss die radikale Kritik auch die Kritik an unzutref­fenden und immer wieder auch mit antise­mi­ti­schen Stereo­typen aufge­la­denen Erklä­rungs­ver­su­chen der Krise sein.

Wer vom Kapita­lismus spricht, sollte ihn global denken. Der Kapita­lismus in der Metro­pole ist die Synthese des ganzen Terri­to­riums, von indus­tri­eller Landwirt­schaft, Autobahnen, seelen­losen Wohnstädten bis hin zu Jobagen­turen, vermark­teten Natur­parks und Event­ma­nage­ment : Der Mensch als Ich-Agentur ohne Nahbe­zie­hungen. Weltweit bedeutet der gleiche Kapita­lismus immer noch : Vertei­lungs­kriege, Unter­drü­ckung, Entmün­di­gung, Festpressen ganzer Regionen im Status des perma­nenten Ausnah­me­zu­stands. Wer also die Verfü­gungs­ge­walt über das eigene wie das gesell­schaft­liche Leben erobern will, wer dies nicht nur für sich und seine Freund/innen, sondern für alle fordert, muss die System­frage stellen. „Echte Demokratie“ geht nur ohne Kapita­lismus. Drunter ist heute nichts mehr zu haben. Mit dem „Arabi­schen Frühling“ wurde die Frage der Revolu­tion nach langen Jahren der Stagna­tion wieder Tages­po­litik. Nicht nur die politi­schen Verhält­nisse in Tunesien und Ägypten wurden umgestoßen, es wurde eine Dynamik freige­setzt, die für viele ganz subjektiv die Möglich­keiten grund­le­gender gesell­schaft­li­cher Verän­de­rungen erfahrbar macht : Freiheit und Würde, wieder eine Wahl über die eigene Zukunft haben zu können. Und wir sind sicher : Das war erst der Anfang.

Wir sehen uns in Frank­furt und freuen uns nach dem G8-Gipfel in Heili­gen­damm 2007 und dem NATO-Gipfel Stras­bourg 2009 auf eine weitere inter­na­tio­nale Mobili­sie­rung. Die Frank­furter Tage des Wider­stands stehen in der trans­na­tio­nalen Wider­stands­be­we­gung, schließen an den Global Action Day des 12. Mai an. Wir sammeln uns vom Donnerstag, dem 17. Mai auf den Plätzen und in den Anlagen rund um das Banken­viertel. Am Freitag, dem 18. Mai wird das ganze Banken­viertel, wird der Alltag der Metro­pole blockiert, das Betrieb­system still­ge­legt. Am Samstag, dem 19. Mai wird eine große und inter­na­tio­nale Demons­tra­tion direkt vor die EZB ziehen.

Die Sache der Emanzi­pa­tion kommt nur durch massen­haften Ungehorsam und kollek­tiven Wider­spruch voran, durch Ereig­nisse, in denen unsere Kräfte und Ideen zusammenwirken:Auf die Plätze ! Fertig ! Los ! Take the square !

inter­ven­tio­nis­ti­sche Linke (iL), April 2012

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