Griechenland : Solidarität in der Krise

Flücht­lings­auf­nahme in Lesvos in Bürge­rIn­nen­hand

Die meisten Nachrichten über die Lage von Migran­tInnen, die uns in den letzten Monaten aus dem krisen­ge­schüt­telten Griechen­land erreichten, malen ein äußerst düsteres Bild : von Razzien, Elend und Obdach­lo­sig­keit, von Übergriffen durch Polizei und die faschis­ti­sche Chrysi Avgi (Goldene Morgen­röte), von Ertrun­kenen und trauma­ti­sierten Neuan­kömm­linge, vom Ausbau des Grenz­re­gimes und überfüllten Knästen.

Aber wie so häufig findet man gerade da, wo die Not groß ist, auch die beein­dru­ckendsten Zeichen von Hoffnung und Solida­rität. Ende November haben engagierte antiras­sis­ti­sche Bürge­rInnen in Mytilini / Lesbos ein selbst organi­siertes Aufnah­me­zen­trum eröffnet. Hinter­grund sind die wieder steigenden Zahlen von obdach­losen Migran­tInnen auf Lesvos sowie Übergriffe von Faschis­tInnen auf die Migran­tInnen.

Seit die Landgrenze in der Evros-Region im Rahmen der Opera­tion „Gastfreund­li­cher Zeus“ immer undurch­dring­li­cher wird, verla­gern sich die Migra­ti­ons­routen wieder stärker Richtung Ägäis. Viele sind auf der Flucht aus den Kriegs­ge­bieten Syriens und Afgha­ni­stans. Während FRONTEX und die Küsten­wache versu­chen, die Schlauch­boote zu stoppen, riskieren die Flücht­linge bei den immer riskan­teren Überfahrten ihr Leben. Üblicher­weise werden die neu angekom­menen Flücht­linge in Griechen­land über Monate hinweg inter­niert und dann völlig mittellos, ohne Obdach, Kleidung oder Nahrung, wieder freige­lassen. In Mytilini / Lesvos jedoch waren die Behörden seit August diesen Jahres mit der schieren Anzahl der neu ankom­menden Flücht­linge vollkommen überfor­dert ; die Verhaf­tungen wurden einge­stellt, weil die Gefäng­nisse bereits überfüllt waren. Die Behörden stellen den Leuten aber auch keine tempo­rären Ausweis­pa­piere aus, die ihnen erlauben würden, die Insel zu verlassen. Daher sammeln sich immer mehr Migran­tInnen, die auf der Insel quasi in der Falle sind, auf den öffent­li­chen Plätzen und in den Parks von Mytilini, der größten Stadt auf Lesvos.

Obdach­lose Flücht­linge im Park von Mytilini

Im November wurde die Situa­tion für die Migran­tInnen dann täglich schwie­riger : Nicht allein, dass sie schutzlos dem Regen und sinkenden Tempe­ra­turen ausge­lie­fert waren - auch die Faschis­tInnen machten Jagd auf die in den Parks und auf den Plätzen übernach­tenden Flücht­linge. Eine ganze Reihe Bürge­rInnen aus Mytilini konnte dieses Elend, dass sich vor ihren Augen abspielte, nicht länger ertragen. Bereits im September fand sich ein zivil­ge­sell­schaft­li­ches Netzwerk von Freiwil­ligen, NGOs sowie sozialen und politi­schen Gruppen zusammen, um Unter­stüt­zung zu leisten angesichts einer Krise, unter der, wie sie sagen, alle – Migran­tInnen wie Nicht-Migran­tInnen – leiden.

Die Haupt­for­de­rung der Initia­tive „ Das Dorf von ‚Allen Zusammen´“ («Village of all-together») bezog sich vor allem auf eine menschen­wür­dige Unter­kunft für die obdach­losen Migran­tInnen. Die Behörden jedoch blieben eine Antwort schuldig. Mitte November sah sich die Initia­tive im Hafen von Mytilini einer Gruppe von sechs­und­zwanzig Migran­tInnen gegen­über, die dringend Unter­stüt­zung brauchten, darunter auch zwei Schwan­gere, Klein­kinder und ältere Menschen. Sie berich­teten, dass die Polizei sie dort zurück­ge­lassen habe, und nicht bereit wäre sie zu verhaften, weil die Knäste überfüllt seien. Die beiden schwan­geren Frauen wurden später ins Kranken­haus gebracht ; die eine aufgrund gesund­heit­li­cher Probleme und die andere, weil sie im Hafen­ge­biet von Neonazis mit Steinen beworfen worden und am Kopf verletzt worden war. Die restliche Gruppe wurde schließ­lich aufgrund des öffent­li­chen Drucks in einem öffent­li­chen Schwimmbad beher­bergt, bevor sie ins Haftcenter der Hafen­po­lizei gebracht wurden.

PIKPA

Daraufhin nahm am 28.11.2012 das Netzwerk die Aufgabe der Flücht­lings­auf­nahme, die der griechi­sche Staat derzeit nicht übernehmen will oder kann, in die eigene Hände : Auf einem leerste­henden kommu­nalen Sommer­fe­ri­en­ge­lände, genannt PIKPA, wurde – toleriert von Polizei und Stadt­re­gie­rung - ein „Willkom­mens­zen­trum“ einge­richtet. Noch während sie dabei waren, das Gelände rudimentär instand zu setzen und bspw. die Wasser­ver­sor­gung wieder ans Laufen zu bekommen, kamen inner­halb eines Tages – begleitet von der Polizei oder von Bürge­rInnen aus Lesvos – bereits an die siebzig Flücht­linge dort an. Unter ihnen sind auch schwan­gere Frauen, Klein­kinder und Babys. Die Bürge­rIn­nen­In­itia­tive begann daraufhin sofort, unter tatkräf­tiger Mithilfe von Nachba­rInnen, der örtli­chen Univer­sität, von kirch­li­chen Einrich­tungen und Restau­rants, Essen zu besorgen und die Basis­ver­sor­gung der neuen Bewoh­ne­rInnen zu organi­sieren. Ärzte ohne Grenzen richtete auf dem Gelände eine mobile Gesund­heits­sta­tion ein.

Dabei betont die Bürge­rIn­nen­in­itia­tive, dass sie keines­falls die Politik und die Behörden aus dem Spiel lassen will, und dass diese Lösung nur eine provi­so­ri­sche ad hoc Lösung sein kann. So schreiben sie sehr eindeutig : „ Wir erwarten vom Staat eine klare Selbst­ver­pflich­tung zum Aufbau von Struk­turen für humane Lebens­be­din­gungen unserer Mitmen­schen. Wir bieten an, dass wir uns weiterhin freiwillig engagieren, aber wir werden nicht die Rolle des Staates übernehmen. Als aktive Bürge­rInnen (…) erlauben wir von nun an keine Nachläs­sig­keit seitens der Verant­wort­li­chen.“

Die Initia­tive verlangt, dass PIKPA offiziell als offenes Aufnah­me­zen­trum (im Gegen­satz zu den geschlos­senen Inter­nie­rungs­la­gern) von den Behörden übernommen und weiter­be­trieben wird. Eine griechi­sche Journa­listin, die das Projekt unter­stützt, schreibt optimis­tisch :
„Das Beispiel hier könnte den Weg ebnen hin zu eine politi­schen Lösung von Willkom­mens­zen­tren, die eine mensch­liche Aufnahme von in Griechen­land ankom­menden Flücht­lingen garan­tieren. Und es ist eine kraft­volle Antwort auf alle rassis­ti­schen und faschis­ti­schen Demago­gien und Praktiken. Unser Ziel ist, dass die Einmi­schung der Bürge­rInnen zum Schutz­schild für die Flücht­linge, aber auch für unsere Gesell­schaft insge­samt wird.”

Das „Dorf von ‚Allen Zusammen´“ kämpft nun einen tägli­chen Kampf um die grund­le­gende Versor­gung der Bewoh­ne­rInnen mit Essen, Kleidung, Recht­hilfe und Medizin. Ohne die massive Solida­rität hunderter Mitbür­ge­rInnen, die kochen, warme Kleidung und anderes mehr bringen, wäre das nicht denkbar. Beein­dru­ckend vor dem Hinter­grund, dass viele von ihnen die Krise am eigenen Leib spüren und selbst nicht gerade im Überfluss leben.

Finan­zi­elle Unter­stüt­zung des Projektes ist daher gewünscht und notwendig. FreudInnen vom Welco­me2­Eu­rope-Netzwerk halten Kontakt zu der Initia­tive in Mytilini und können Spenden direkt weiter­leiten.

Konto­ver­bin­dung :
Wohnschiff­pro­jekt Altona e.V.
*/Spendenstichwort : Infomobil-Lesvos/*
Hamburger Sparkasse
BLZ : 200 505 50
Konto : 1257 122 737

Für Überwei­sungen außer­halb Deutsch­lands :
IBAN : DE06 2005 0550 1257 1227 37
BIC : HASPDEHHXXX

Und hier noch ein Blog zur aktuelle Situa­tion auf Lesvos :
lesvos​.w2eu​.net

Artikel teilen

Trauer, Scham - und dichte Grenzen für Roma

Am 18.Oktober fand die letzte Sammel­ab­schie­bung nach Kosovo statt. Am 13.November startet der nächste Abschie­be­flieger nach Serbien. Zwischen beiden Terminen eröffnet die Bundes­kanz­lerin am heutigen 24.Oktober zwischen Reichstag und Branden­burger Tor das Denkmal für die ermor­deten Sinti und Roma. „Jedes einzelne Schicksal dieses Völker­mordes erfüllt uns – erfüllt mich – mit Trauer und mit Scham.“ So heuchelt Frau Merkel in die zahlrei­chen aufge­bauten Kameras.

Während­dessen arbeitet ihr Innen­mi­nister darauf hin, die Enkel und Ur-Enkel der Opfer schnell loszu­werden, bezie­hungs­weise sie möglichst fern zu halten. Das Recht, einen Asylan­trag zu stellen und ihn umfas­send prüfen zu lassen, soll für die Roma – und um die geht es, auch wenn das niemand gern betont – nur noch einge­schränkt gelten. Die Bundes­re­gie­rung droht inzwi­schen offen damit, wegen den vielen Asylan­trägen von Roma die Visum­frei­heit für Mazedo­nien und Serbien wieder aufzu­heben, und die EU-Kommis­sion sekun­diert ihr wie gewöhn­lich. Die serbi­schen und mazedo­ni­schen Behörden ihrer­seits haben den drohenden Zeige­finger verstanden ; sie verschärfen ihre Grenz­kon­trollen und hindern ihre eigenen Bürger - zumeist Roma - in den Schen­gen­raum auszu­reisen. Wer bereits abgeschoben wurde, dem droht der Verlust des Reise­passes. Und auch das trifft vor allem die Roma.

Und dabei gibt es nicht nur in Deutsch­land, sondern auch in Mazedo­nien, Serbien oder dem Kosovo, so gut wie keine Roma-Familie, die keine Angehö­rigen hat, die von den Nazischergen ermordet wurden. So gut wie keine Roma-Familie ist wirklich frei von dem Trauma der deutschen Vernich­tung.

Frau Merkel beteu­erte heute, dass die deutsche Erinne­rungs­kultur nicht rückwärts­ge­wandt sei, und dass die Bundes­re­gie­rung sich für die Rechte der europäi­schen Sinti und Roma einsetzen würde.

Man möchte ihrer selbst­ge­fäl­ligen deutschen Geläu­tertheit entge­gen­schleu­dern, was eine junge Romni während der Abschie­bung ihrer Familie mit einer Mischung aus Wut und Resigna­tion dem Mitar­beiter der Auslän­der­be­hörde ins Gesicht sagte : „Wenn wir Juden wären, dann würdet ihr euch das nicht trauen.“

Es ist Heribert Prantl hoch anzurechnen, dass auch er bei so viel Heuchelei die Wände hoch geht. In der Süddeut­schen kommen­tiert er dementspre­chend :

sueddeut​sche​.de - denkmal fuer sinti und roma damals ermordet heute verfolgt

Artikel teilen