Geöffnet bis Tumultbeginn”

 

Wupper Nachrichten vom 05.06.1993
Seite 3

Geöffnet bis Tumult­be­ginn”
Ausnah­me­tage in der Klingen­stadt : Riots nach Dienst­schluß

Unablässlg wird seit dem Mordan­schlag in Solingen demons­triert. Nur in den ersten Stunden bestimmten dabei Solinger Gruppen und Trauernde, was auf den Straßen passiert. Das von vielen Medien verbrei­tete Bild, es würden nur angereiste Rechts- und Links­ex­treme Krawall schlagen, ist aber falsch.

Als ich am Samstag mittags in Solingen ankomme, treffe ich sofort auf die erste Demons­tra­tion. Vor allem Solin­gerlnnen, Inlän­derlnnen und Auslän­de­rinnen, durch Telefon­an­rufe und das Radio alarmiert, hat es zu diesem Zeitpunkt auf die Straßen getrieben. Sie ziehen, zumeist schwei­gend, zum Tatort an der Unteren Werner­straße. Die großen „Schüs­seln” der Fernseh-Übertra­gungs­wagen fallen mir zuerst auf, dann erhasche ich einen ersten Blick auf das ausge­brannte Haus. Verkohlte Giebel­balken ragen in den Himmel, die Polizei verhin­dert mit einer Absper­rung den Zugang. „Nein du kannst jetzt nicht zu dem Haus gehen. Das macht die Kinder auch nicht wieder lebendig”, sagt eine deutsche Mutter zu ihrem Spröß­ling. Einzelne Solinger Familien bringen Blumen. Über Megaphon immer wieder die gleichen drama­ti­schen Klagen : Wie viele müssen noch sterben…

Einige tausende Menschen sammeln sich um 15 Uhr vor dem „lnter­treff” am Schlag­baum, viele Menschen aus Wuppertal und anderen umlie­genden Städten sind gekommen. Es gibt keine Reden, alles steht betroffen herum, dann erscheint auf der Kreuzung ein andere große Menge. Türki­sche Männer beten, weinen und rufen religiöse Formeln. Weil Innen­mi­nister Seiters am Haus sein soll, eilt ein Teil dorthin, die meisten brechen in Richtung Stadt auf. Die Religiösen, unter großen türki­schen Fahnen, laut ihre Parolen rufend und Fäuste schwin­gend, haben die Führungs­spitze übernommen. Wieder­holte Versuche linker Solinger Türkinnen und KurdInnen, mit ihren Trans­pa­renten die Führung­s­pitze zu erobern, schlagen fehl.

Es bildet sich die typische Choreo­gra­phie der nächsten Tage : Die Spitze der Demons­tra­tion bilden Kamera­leute und Fotografen, die mit dem Rücken zur Marsch­rich­tung beson­ders emotio­nale Szenen zu erhaschen suchen. Es folgen die „Dirigenten” des Zuges, die dafür sorgen, daß die ersten Reihen ein halbwegs geschlos­senes Bild abgeben. Dann der Pulk einer lautstarken und Fäuste schwin­genden Führungs­gruppe. Dahinter Einzel­gänger und linke Blocks, daneben Schau­lus­tige und Unschlüs­sige. Und überall dazwi­schen Jugend­liche aus Solingen und Umgebung.

An der Polizei­wache hält der Zug, bittere Vorwürfe werden gegen die Polizei erhoben, die Menge skandiert „Nazis raus”. Unver­mit­telt biegt die Spitze zum Mühlen­platz ein, der Hauptzug mit linken Deutschen und Nicht-Deutschen zieht weiter über die Haupt­straße. Auf dem Platz halten unter­dessen die abgespal­tenen Türklnnen eine kleine Kundge­bung ab. Die Aufgabe der völki­schen Staats­an­ge­hö­rig­keits-Politik wird gefor­dert. An diesem insge­samt fried­li­chen Samstag finden auch die bis heute einzigen gezielten Sachbe­schä­di­gungen der „Autonomen” statt. Die Deutsche Bank und das Auslän­deramt werden am Morgen „entglast”.

Vielleicht hundert Menschen halten am frühen Abend die Kreuzung Schlag­baum besetzt, in den nächsten Tagen Zentrum immer neuer Ausein­an­der­set­zungen. Die Busse stauen sich, in diesen Tagen läuft der Verkehr in Solingen nur ausnahms­weise ‚normal’, Die Polizei hält sich auffal­lend zurück.

Während die Solinger linken und antiras­sis­ti­schen Gruppen sich zurück­ge­zogen haben, pilgern am Sonntag weitere Menschen zu dem Haus an der Unteren Werner­straße. Gegen 21.30 Uhr errichten etwa 600 Leute eine Blockade auf der Kreuzung „Schlag­baum”. Die Stimmung ist aggressiv, die Polizei versucht vergeb­lich, eine Person festzu­nehmen. Später wird ein Polizei­wagen angegriffen, weitem Türklnnen aus dem Ruhrge­biet reisen an. Um 22.30 Uhr halten 500 Leute die Blockade aufrecht, entzünden Autoreifen. Andere 500 ziehen durch die Innen­stadt, entzünden auf den Straßen weitere Feuer. Nach Mitter­nacht beginnen die „Entgla­sungen” und Plünde­rungen. Die Polizei ist haupt­säch­lich mit ihrer eigenen Siche­rung beschäf­tigt. Immer wieder treffen neue Autokorsos ein. Bilanz der Krawall-Nacht : 50 geplün­derte oder „entglaste” Geschähe, 1 Million DM Sachschaden, 17 Festnahmen. Die Plünde­rungen und Zerstö­rungen erfolgen noch teilweise gezielt, richten sich gegen Banken, Kaufhäuser und öffent­liche Gebäude. Italie­ni­sche Eisdielen und Wohnhäuser werden weitge­hend verschont, aber auch das wird sich in den nächsten Tagen teilweise ändern.

Bereits am nächsten Mittag sind die Scherben aufge­fegt, die Fenster verklebt. Auf dem Mühlen­platz haben Solinger Künstler eine Bühne aufge­baut, Erst spät und unter Auflagen wurde das Benefiz-Konzert erlaubt. Es soll eine völlig unpoli­ti­sche Veran­stal­tung se!n. Die Familie Genc hat zugestimmt, betonen die Organi­sa­torlnnen. Für ein paar Stunden lauschen brave Bürger­kinder heimi­schen Klängen. Als es abends vor dem Haus an der Werner­straße zu Ausein­an­der­set­zungen zwischen Rechten und Linken kommt, wird Leuten, die die Menge darüber infor­mieren wollen, der Zutritt zur Bühne versagt. In den Medien heißt es später, „Autonome” hätten das Konzert gestört.

Während auf dem Mühlen­platz christ­liche Lieder erklingen, wird an mehreren Stellen in der Stadt demons­triert. Geführt von Trans­pa­renten linker türki­scher Gruppen ziehen die einen mit „Hoch die inter­na­tio­nale Solidarität”-Rufen durch die Stadt. Andere, viele junge Männer darunter, denen sich aber gleich­wohl auch andere Natio­na­li­täten und Deutsche angeschlossen haben, skandieren immer wieder „Türkiye Türkiye”, „Nazis raus” und schwingen dabei die Natio­nal­fahnen. Eine Führungs­gruppe ballt immer wieder die Fäuste zum Gruß der türki­schen Rechts­ex­tremen.

Ein türki­scher Mann aus Solingen : „Die betreiben da eine regel­rechte Hetzkam­pagne gegen Deutsche”. Viele der Mitlau­fenden verstehen nicht, was gerufen wird, oder sie können es nicht zuordnen. Kids aus der näheren Umgebung, Frauen mit Kinder­wagen, viele, auch ältere, Einzel­gänger haben sich diesem Zug angeschlossen, weil es hier ungleich emotio­naler zugeht, als bei der gleich­zei­tigen diszi­pli­nierten Demo unter Anfüh­rung der Linken.

Bei einem Zwischen­stop am Busbahnhof skandiert ein Mann mit Megaphon kurze Sätze auf türkisch, die Menge spielt den Chor. Dann taucht am Rande ein auffal­lend gut geklei­deter junger Mann auf einem Schalt­kasten auf, ohne Megaphon, aber von riesigen türki­schen Fahnen umgeben. Er redet laut, eindring­lich und in tadel­losem Deutsch : „Es sind zu viele gestorben. Ab jetzt wird kein Türke mehr sterben.” Er erntet großen Beifall. Der bishe­rige Anführer muß ihm sein Megapon überlassen. Ohne Unter­lass schleu­dert der Anzug­mann seine kurzen Sätze in die Menge. Mal wendet er sich an die „Solinger Bürge­rinnen”: „Ihr seid keine Verbre­cher, aber es sind zu viele gestorben”. Dann versteigt er sich in Gewalt­phrasen : „Städte werden brennen”. Er erntet Pfiffe, der frühere Anführer entwindet ihm das Megaphon, distan­ziert sich Der gut geklei­dete Agitator erhält die Gelegen­heit, sich zu entschul­digen, peitscht dann aber weiter auf die Menge ein.

Es geht weiter zur Polzei­wache, Zögernd, begleitet von immer wieder aufkom­menden Uneinig­keiten über die Demons­tra­ti­ons­taktik, nähert sich der Zug dem von Polizisten geschützten Betonbau. Der Gutge­klei­dete : „Wir werden die Polizisten nicht angreifen, aber fordern, daß endlich etwas geschieht”. Vor dem Gebäude angekommen heißt es dann : „Mein Herz hat geweint als ich von den Opfern hörte, aber es hat gelacht, als ich von davon hörte, daß die jungen Türken hier gestern Scheiben einge­schlagen haben.” Eine Spontan-Rednerin fordert die Freilas­sung der Verhaf­teten, andere fordern Verant­wort­liche, um mit ihnen zu debat­tieren. Unter­dessen hat eine linke Demons­tra­tion das Haus in der Werner­straße erreicht. An der ausge­brannten Fassade hängt eine türki­sche Natio­nal­flagge und ein Trans­pa­rent der linken Gruppe Dev Sol. Zwischen den verkohlten Resten eine Unmenge von Blumen. Kinder haben ihre Teddys hier her gebracht. Hochzeits­fotos, gar ein angek­okeltes Album der Familie Genc werden herum­ge­reicht. Ein Freund der Familie sammelt die persön­li­chen Gegen­stände unter Beifall wieder ein. Kinder haben ihre Teddys hier her gebracht. Hochzeits­fotos, gar ein angek­okeltes Album der Familie Genc werden herum­ge­reicht. Ein Freund der Familie sammelt die persön­li­chen Gegen­stände unter Beifall wieder ein.

Wenige Minuten später wird die von den Rechten angeführte Demo den Ort errei­chen, es wird zu einer Ausein­an­der­set­zung zwischen rechten und linken Gruppen kommen. Vor laufenden Fernseh­ka­meras wird der gutge­klei­dete Agitator Rache für die Toten fordern, zum Entsetzen für Zuschauer und Politiker. Sind die Solinger Ausschrei­tungen, die auch in der Nacht zum Dienstag wieder viele Solinger Fenster­scheiben in Mitlei­den­schaft gezogen haben, das ausschließ­liche Werk rechts­ex­tremer „Grauer Wölfe”, herum­rei­sender türki­scher Links­ra­di­kaler und deutscher Autonomer, wie die Medien immer wieder behaupten ? Offen­sicht­lich nicht, die Suche nach den „Rädels­füh­rern” verstellt wieder einmal den Blick auf die komple­xere Realität. Zwar gibt es geschlossen anrei­sende natio­na­lis­ti­sche und religiöse Gruppen, die dann auch zufällig Anwesende in ihren Bann ziehen. Ohne Zweifel gibt es auch zugereiste Agita­toren der „Graue Wölfe” genannten türki­schen Rechts­gruppen. Die Masse der Leute aber hier ist politisch kaum vorbe­lastet, für viele sind es die ersten Demons­tra­tionen in ihrem Leben. Es sind vor allem jüngere türki­sche Männer und Jugend­liche, die immer wieder von nah und fern anreisen, manche erst gegen Abend nach Dienst­schluß, um zu dem Tatort zu pilgern und dann irgendwo in der Stadt nach einem Ausdruck für ihre Wut suchen, wenn sie nicht auf den umlie­genden Autobahnen den nächt­li­chen Verkehr stoppen. Einwan­de­rer­kids ohne tradi­tio­nelle Bindungen haben in Solingen einen Raum entdeckt, wo man die Parolen der Rapsongs mal direkt ausleben kann : „Don’t believe the Hype”. Manche kommen auch mit dem Vorsatz, zu plündern.

Kreuz­berger Nächte in der Klingen­stadt.

Am wenigsten zu der Atmosphäre des Aufruhrs tragen organi­sierte linke Gruppen bei. Linke Demons­trantlnnen reisen geschlossen und diszi­pli­niert an, um ebenso wieder zu verschwinden. Die linke Solinger Szene ist seit Tagen um den Schlaf gebracht. Aber nicht, weil sie auf den Straßen randa­lieren würde, sondern weil sie in irgend­wel­chen Räumen hockt, Infor­ma­tionen sammelt, Inter­views gibt und die großen Demons­tra­tionen organi­siert. Der Sünden­bock „vermummte Autonome” ist auf den Solinger Straßen dieser Tage nicht präsent. Ahnli­ches gilt für die türki­schen und islami­schen Vereine, die immer wieder mitein­ander und mit der Stadt konfe­rieren und beraten, was zu tun ist. Die Solinger Straßen sind nicht mehr in der Gewalt der Solinger. Natür­lich erzeugt das Ängste, aber viele tragen es mit Gelas­sen­heit. „Ich habe ja Verständnis für die Leute, aber diese Krawalle sind doch Unsinn”, solche und ähnliche Sätze hört man oft. „Helmut Kohl ist ein Nazi-Kanzler”, ruft ein betrun­kener Rentner in eine Gruppe vor Polizei­autos flüch­tender Kids. „Ihr dürft nicht rennen », rät ihnen ein türki­scher Zaungast. „Bruder, schieb Wache, ob die Bullen absitzen”, fordert einer der Kids von mir und verschwindet hinter der Ecke. Ein Fernseh­team rast heran, aber schon gibt es keine Bilder mehr zu schießen. „Und hier soll also der Bär los sein?” schreit ein Videot wütend. Die Glaser machen das Geschäft ihres Lebens und freuen sich schon auf den nächsten Urlaub. Ein Kiosk­be­treiber, bei dem einge­bro­chen wurde, verteilt an die Kids Coladosen. Später werden sie vielleicht festge­nommen, nicht an den Brenn­punkten in der Solinger City, aber irgendwo an der Peripherie. Am Montag­abend waren es 16 Jugend­liche aus dem bergi­schen Land, die es in Ohligs erwischte. Sie waren zumeist aus Neugier in der Riots-Stadt, die Nacht verbrachten sie in der Elber­felder Haupt­wache.

Die zugena­gelten Schau­fens­ter­scheiben in der Innen­stadt werben mit manchmal humor­vollen Graffitis : „Geöffnet von 15 Uhr bis Tumult­be­ginn.”

Artikel teilen

Der Vandalismus war notwendig”

 

Wupper Nachrichten vom 05.06.1993
Seite 4

Der Vanda­lismus war notwendig”
In Solingen entladen sich die Wider­sprüche zwischen Natio­na­lismus und multi­kul­tu­reller Gesell­schaft

Die Bilder aus der Solinger Innen­stadt erinnern an die Unruhen von Los Angeles, wo der Freispruch von gewalt­tä­tigen, rassis­ti­schen Polizisten Auslöser für Szenen war, die vom Bürger­krieg nicht weit entfernt waren. Nach der Trauer um die fünf toten Türkinnen am Samstag wurde In Solingen deutlich, wie tief der Hass auf Neofa­schisten und die Erbit­te­rung über AusIän­der­feind­lich­keit sitzt. In zwei aufein­an­der­fol­genden Nächten haben in Solingen Jugend­liche und junge Erwach­sene beinahe jede Schau­fens­ter­scheibe zerstört. Autos wurden umgeworfen oder „entglast”. Gerhard Hausmann sprach mit Jugend­li­chen und Erwach­senen.

Giacomo G., ein italie­ni­scher Jugend­li­cher aus Solingen, war in beiden Nächten in der Innen­stadt unter­wegs. Er hatte unmit­telbar nach dem Brand­an­schlag das ausge­brannte Haus besucht, was ihn tief erschüt­terte. Die Zerstö­rungen in der Innen­stadt hält er für weniger schlimm als Ausein­an­der­set­zungen, wo Menschen drauf­gehen können. Dennoch hält er die Auschrei­tungen im Nachhinein nicht für die richtige Lösung. Franco R., ein Bekannter von Giacomo, findet den Vanda­lismus richtig. Auch er war in den Nächten in der Stadt. Plünde­rungen und das Einschlagen von Scheiben seien notwendig, weil nur so die „Jungs in Bonn” aufwa­chen würden. Der Tod der Frauen aus Solingen zeige, daß die bishe­rigen Verschär­fungen der Gesetze gegen neofa­schis­ti­sche Aktivi­täten nicht ausge­reicht haben. Franco bringt so das Gespräch auf politi­sche Themen. Das Wahlrecht für die sogenannten Auslän­de­rinnen sei notwendig, weil sie so dem Rechts­ruck in der Bundes­re­pu­blik besser entge­gen­treten könnten. Als Ausländer fühlt er sich nicht. „Meine Heimat habe ich dort, wo ich lebe” pflichtet ihm Giacomo bei. Er wurde in Paris geboren, lebte dann in Italien und seit 1982 in Solingen. Trotz seines italie­ni­schen Passes fühlt er sich eher als Europäer denn als Franzose, Italiener oder Deutscher. Nicht alle, die nachts durch die Straßen zogen, stellen unmit­telbar politi­sche Forde­rungen. Mustafa, ebenfalls seit etlichen Jahren Solinger, von seiner Kultur her ein Türke, kann nachts nicht schlafen und zieht trotz der Verbote seines Vaters los. Auch er hat an dem abgebrannten Haus mit den Angehö­rigen der toten Frauen und Mädchen getrauert, in den Nächten danach zog er durch die Innen­stadt.

Bei den Krawallen regis­trierte er genau, welche seiner Bekannten in der ersten Reihe standen und welche sich zurück­hielten. Die Gewalt ist ein Geschäft der jungen Männer, bei dem es auch um den Beweis von vermeint­li­cher Stärke geht. Frauen sind nachts in der Minder­heit. Mustafa störte das Auftreten der türki­schen Rechten, der Grauen Wölfe, die von weither anreisten und mitmischten. Die meisten von seinen Freunden sind Kurden. Mustafa erlebte Ausein­an­der­set­zungen zwischen türki­schen Rechten und Kurdlnnen. Auch das Verhalten kurdi­scher Kommu­nis­tinnen stört ihn.

Zurück zu Giacomo und Franco. Beide geben zu, daß sie sich nicht beson­ders für Politik inter­es­sieren, aber ihre Forde­rungen sind eindeutig politisch. Eine recht­liche Gleich­stel­lung mit deutschen Staats­an­ge­hö­rigen durch eine doppelte Staats­bür­ger­schaft wollen sie, aber sie sehen auch Nachteile. Als Soldaten wollen beide nicht für Deutsch­land eintreten, aller­dings auch nicht für Italien oder einen anderen Staat. Am Beispiel des Krieges im ehema­ligen Jugosla­wien erläu­tern sie ihre Abnei­gung gegen militä­ri­sche Ausein­an­der­set­zungen. Als Bürger der Europäi­schen Gemein­schaft haben beide wenig Schwie­rig­keiten mit dem Auslän­deramt. Franco, dessen Mutter Deutsche ist und der in Solingen geboren wurde, entschied sich erst mit 18 Jahren für die italie­ni­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit. Danach galt er als Ausländer.

Mehmet Yildiz ist Vorsit­zender des türki­schen Volks­ver­eins am Solinger Schlag­baum, wo allabend­lich die Kreuzung blockiert wurde. Der Verein hat dort einen großen Raum im Erdge­schoß eines Gebäudes. Von hier aus hat er die Ereig­nisse aus nächster Nähe beobachtet. Hier bekomme ich eine Chrono­logie neofa­schis­ti­scher Aktivi­täten in Solingen inner­halb des letzten Jahres. Auch der türki­sche Volks­verein wird telefo­nisch bedroht, eine Scheibe wurde einge­worfen, vermut­lich von Neofa­schisten. Mit Toten hat jedoch auch Mehmet Yildiz nicht gerechnet. Der Verein hat von Skinhead-Aktivi­täten in Solingen gewußt und auch versucht, die Aufmerk­sam­keit hierauf zu lenken, damit etwas dagegen geschieht. Kaum jemand wollte davon wissen.

Mehmet Yildiz kann nicht verstehen, daß Menschen angesichts der Ereig­nise in Solingen nicht wütend werden. Aber er weiß auch, daß die Wut allein nicht weiter hilft. Insbe­son­dere die Steue­rung der Ausschrei­tungen durch bestimmte Organi­sa­tionen akzep­tiert er nicht, beispiels­weise durch religiöse oder faschis­ti­sche Organi­sa­tionen. Er sah Graue Wölfe in den Straßen, eine faschis­ti­sche Organi­sa­tion.

Die Mitglieder des türki­schen Volks­ver­eins wollen die Ereig­nisse verstehen. Viele von ihnen sind Kurdlnnen, die nicht nur das Wahlrecht fordern, sondern die recht­liche Gleich­stel­lung mit den deutschen Staats­an­ge­hö­rigen. Die  Auslän­der­ge­setze hätten die natio­na­lis­ti­sche Gewalt angeheizt. Politiker hätten mit auslän­der­feind­li­chen Parolen von Überfrem­dung Deutsch­lands den Neofa­schisten Signale gegeben.Ausländergesetze hätten die natio­na­lis­ti­sche Gewalt angeheizt. Politiker hätten mit auslän­der­feind­li­chen Parolen von Überfrem­dung Deutsch­lands den Neofa­schisten Signale gegeben. Die doppelte Staats­an­ge­hö­rig­keit habe nichts mit natio­naler Identität zu tun. Es gehe nicht darum, sich mit einer Nation zu identif­zieren, es gehe um die recht­liche Gleich­stel­lung. Das unein­ge­schränkte Wahlrecht sei notwendig, damit für alle Menschen in der Bundes­re­pu­blik Politik gemacht wird. Ein schwe­di­scher Journa­list, der mit uns am Tisch sitzt, sagt uns, daß es in Schweden ein einge­schränktes, kommu­nales Wahlrecht für Auslän­de­rinnen längst gibt. Mehmet Yildiz ist Kurde, hat einen türki­schen Pass und lebt schon lange in der Bundes­re­pu­blik. Auch wenn die Verhält­nisse hier nicht gut sind, er will endlich als Staats­bürger dazuge­hören. Auch in der Türkei sei es für ihn gefähr­lich, irgendwo müsse er bleiben können, nicht nur als Mensch zweiter Klasse.

(Namen redak­tio­nell geändert)

Artikel teilen