Vor zwei Jahren wurde unsere Mitstreiterin und Freundin Latife durch ein SEK-Rollkommando frühmorgens in ihrer Wohnung überwältigt und festgenommen. An dieser Stelle wurde mehrfach über die Sache berichtet. Vorgeworfen wurde ihr, als Vorsitzende des Vereins „Anatolische Föderation” die Mitgliedschaft und Unterstützung in/von einer „ausländischen Terrorroganisation”, gemeint ist die türkische DHKP-C. Nach 41 Tagen, die sie teilweise in Isolationshaft verbringen musste, kam die zweifache Mutter und Ladenbesitzerin wieder frei. Seither wartete Latife auf den Prozessbeginn.
Letzten Donnerstag begann nun das §129-Verfahren am OLG Düsseldorf im Hochsicherheits-Gebäude Kapellweg 36. Die Staatsanwaltschaft wirft Latife eine „Funktionärstätigkeit” für die DHKP-C vor und versucht, die gesamte Vereinstätigkeit der „Anatolischen Föderation” zu kriminalisieren. Vorgeworfen werden Latife daher auch einige Demos, die sie zusammen mit dem so_ko_wpt organisiert hat. Darunter sind die große Gedenkdemonstration in Solingen anlässlich des 20.Jahrestags des mörderischen Brandanschlags in der Unteren Wernerstraße, und die wöchentlichen Solidemos für den türkischen Gezi-Aufstand im Sommer 2013. Sollte sich die Generalstaatsanwaltschaft durchsetzen, droht nicht nur eine weitere Ausweitung des Paragraphen 129b, sondern auch eine bis zu zehnjährige Haftstrafe für Latife.
Wir veruteilen den Versuch, politische und antifaschstische Arbeit zu kriminalisieren und werden den Prozess auch hier kritisch begleiten. Für eine regelmäßige Berichterstattung haben „Freunde und Freundinnen von Latife” eine eigene Website eingerichtet, von der wir im Folgenden auch den Bericht zum ersten Prozesstag übernommen haben.
Der erste Prozesstag im Verfahren wegen §129 gegen unsere Freundin Latife
Vorspiel
Das « Nebengebäude » des Ober-Landesgerichts Düsseldorf im Kapellweg 36 tut das, was das ganze Verfahren nach §129 gegen Latife tun soll : Es schüchtert ein. Schon das Betreten des Hochsicherheitsbaus mit der Beton-Ästethik der bleiernen Zeit fordert von Besucher*innen und mehr noch von Beschuldigten ab, sich nicht beeindrucken zu lassen. Nach Durchschreiten von hörbar in den Verschluss fallenden Zugangstüren, peniblen Kontrollen und konfrontiert mit an seiner Bewaffnung herumfingerndem Personal, das schon bloßes Interesse am Verfahren für potentiell gefährlich hält, wird sofort deutlich, worum es in diesem Gebäude geht : Um Unschädlichmachung erkannter Feinde. Aufrechterhalten wird unter diesen Umständen eine Minimalvariante von Rechtsstaatlichkeit, die dem Staat die Legitimation geben soll Angeklagte zu isolieren, zu brechen und wegzusperren. Erwartungen an echte Beweisführung und Ergebnisoffenheit eines Verfahrens werden in den kalten Räumen des OLG von Anfang an zurechtgestutzt.
Ganz verschiedene « Feinde des Rechtstaats » durchlaufen diese Prozedur seit Jahren. Zuletzt sind unter ihnen auch radikalreligiöse Fanatiker, die als Unterstützer*innen des « islamistischen » Terrors angeklagt sind, seit Jahren jedoch sind es meistens Linke verschiedener Gruppen, die hier abgeurteilt werden sollen. In den wenigsten Fällen wird ihnen der Prozess wegen konkreter Verbrechensvorwürfe gemacht : Kaum eine/r der hier Angeklagten hat je Dinge getan, die irgendwen in Deutschland geschädigt oder gar verletzt hätten. Die Anklagen beziehen sich zumeist auf den §129b, der 2003 eingeführt wurde, vorgeblich als Reaktion auf die Anschläge am 11.9.2001 in New York. « 129b » bedeutet, durch eine willkürlich definierte Tätigkeit von hier aus eine auf der ebenso willkürlich ausgewählten internationalen Terrorliste befindliche Organisation in irgendeinem Winkel der Welt unterstützt zu haben.
« Unterstützung » heißt dabei « Propaganda », « Geldsammlung » oder auch etwas ganz anderes – im Kern wird den Beschuldigten immer eine internationalistische solidarische Handlung vorgeworfen. Die kann z.B. aus Zeitschriftenverkauf, der Organisation von Veranstaltungen oder Konzerten oder auch ganz anderen legalen « Taten » bestehen. Generationen deutscher « Internationalist*innen » wären im Knast gelandet, wenn es zur Zeit von « Waffen für El Salvador » oder anderen Kampagnen den Paragraphen 129b bereits gegeben hätte. Heute sind von den Anklagen zumeist Migrant*innen betroffen, die oft genug nach einer Flucht vor faschistischen Regierungen in Deutschland gelandet sind. Ihnen wird eine Unterstützung von Organisationen wie zum Beispiel der PKK vorgeworfen, die trotz der veränderten Kriegslagen in Syrien und im Irak ihren Eintrag auf der Terrorliste nicht verloren hat. Angeklagt sind aber seit Jahren auch immer wieder lange in Deutschland lebende türkische Linke, denen alternativ zur PKK eine aktive Unterstützung etwa der TKP oder der DHKP-C vorgeworfen wird, die in der Türkei – teilweise seit den Zeiten des Militärdiktatur – militant für ihre Ziele kämpfen.
Die Wellen der Repression gegen hier lebende vermeintliche Sympathisant*innen einzelner Organisationen haben dabei eine eigene Konjunktur. Je nach Lage in der Türkei und je nach Lage für die dort jeweils Regierenden, erwischt es mal die eine, mal die andere Struktur exiltürkischer und -kurdischer Menschen. Derzeit steht besonders die TKP im Fokus der Bundesanwaltschaft, vermutlich, weil sie eine besondere Rolle im Kampf an der Seite der syrischen Kurd*innen im Krieg gegen die von der Türkei unterstützten IS-Milizen einnimmt. Erst im April kam es in diesem Zusammenhang zu einer Welle von Razzien gegen linke Türk*innen in Deutschland. Im Sommer 2013 – während des Gezi-Aufstands in vielen türkischen Städten – waren hingegen hauptsächlich Menschen im Visier, denen deutsche Ermittler*innen Sympathien für die DHKP-C unterstellten. Kampferfahrene, militante Strukturen dieser Organisation waren u.a. damals nicht unwichtig bei der Verteidigung bestimmter Stadtteile und Viertel gegen die Truppen Tayip Erdogans. Soviel sollte man wissen.
Ouvertüre
In jenem Sommer 2013 kam es auch zur Verhaftung unserer Freundin Latife als Vorsitzende des eingetragenen Vereins « Anatolische Föderation », mit der uns eine langjährige gemeinsame antifaschistische und linke Arbeit in Wuppertal verbindet. Am Morgen des 26. Juni stürmte ein SEK ihre Wohnung und verhaftete die unbewaffnete Frau vor den Augen ihrer 14-jährigen Tochter. Weitere Beamt*innen durchsuchten zur gleichen Zeit ihr kleines Einzelhandelsgeschäft und ihren Kleingarten sowie die Räume der « Anatolischen Föderation », die ihren Sitz in Wuppertal hat. Der Verein, der sich für Rechte in Deutschland lebender Migrant*innen und geflüchteter Menschen und immer wieder auch gegen Faschismus und Nazis einsetzt, war und ist auf dem Wuppertal-Elberfelder Ölberg ein Akteur, der sich gerne an den Festen im Quartier und an anderen nachbarschaftlichen Aktivitäten beteiligt. Viele kannten und kennen Latife daher als immer solidarische und zuverlässige Freundin ; ihre Mitarbeit in antifaschistischen Initiativen und Bündnissen war selbstverständlich.
Besonderes Interesse der Bundesanwaltschaft hatte 2013 das Konzert der in der Türkei sehr populären « Grup Yorum » in Oberhausen geweckt. « Grup Yorum », die in der Türkei selber oft Repressionen ausgesetzt sind, gelten für viele linke Kurd*innen und Türk*innen spektrenübergeifend als Flaggschiff glaubwürdigen kulturellen Widerstands. Ihr großes Konzert in Oberhausen fand auf dem Höhepunkt des « Gezi-Widerstands » statt und war daher ein zentrales Ereignis auch der Solidaritätsbewegung, die sich im Sommer 2013 fast täglich auch in NRW auf der Straße einfand, um gegen die Repression der AKP zu protestieren. Es kamen schließlich mehr als 10.000 Menschen zum « Grup Yorum » Konzert, die Stimmung in der « Arena » war sehr euphorisch. Die General-Staatsanwaltschaft in Düsseldorf warf Latife vor, Tickets für den Abend verkauft zu haben – mit dem angeblichen Ziel, durch den Erlös die DHKP-C zu unterstützen.
41 Tage lang wurde Latife in der Folge eingesperrt – zu Beginn unter den Bedingungen der Isolation, später unter leicht gelockerten Umständen. Wegen zweier minderjährigen Töchter und ihres fest in Wuppertal verankerten Lebens kam sie schließlich auf Kaution frei. Sie erlebt den nun im OLG Düsseldorf stattfindenden Prozess auf freiem Fuß, wenn auch mit teilweise erheblichen Auflagen. Das ist ein seltenes Glück, müssen andere Beschuldigte doch oft jahrelang in Haft auf ihr Verfahren und dessen Abschluss warten : Die am selben Tag wie Latife Inhaftierten sitzen so seit Juni 2013 im Knast. Bei anderen, wie dem schwer erkrankten, wegen Mordes angeklagten und vor kurzer Zeit nach einer für die Staatsanwälte unrühmlichen Verfahrenseinstellung freigelassenen Faruk Ereren, kann das dann auch schonmal sieben Jahre dauern.