Alles Terrorismus ! Prozessauftakt gegen Latife.

Der 1. Akt

Der 1. Akt

In Latifes Fall ist von den angeb­lich « konkreten » Vorwürfen nicht viel übrig geblieben. Das zeigte der Auftakt der Haupt­ver­hand­lung am 18.6., an dem durch die beiden Staatsanwält*innen eine Kurzver­sion der Anklage verlesen wurde. Hierin beschränkten sich die Anklagevertreter*innen im ersten Teil auf die Aufzäh­lung aller Aktionen der DHKP-C in der Türkei. Als müsse zunächst die Existenz der Terror­liste insge­samt und die Zuord­nung der DHPKP-C zu ihr quasi ritua­li­siert gerecht­fer­tigt werden, obwohl vor deutschen Gerichte Zuord­nungen auslän­di­scher Gruppen zur « Terror­liste » in der Regel ohnehin nicht disku­tabel sind. Einen stillen Lacher erntete die Anklage im Verlauf der Verle­sung der Liste mit Anschlags­daten mit der leicht einge­schnappten Bemer­kung, die DHKP-C habe « auch noch nach Inkraft­treten des Paragra­phen 129b mit ihren Aktionen weiter­ge­macht ». Mit Latife hatte das alles nichts zu tun. Im vollstän­digen Original der Anklage fällt ihr Name zum ersten Mal erst nach über einhun­dert Seiten.

Anschlie­ßend widmete sich die Anklage den Tätig­keiten von Latife für die « Anato­li­sche Födera­tion ». Mangels indivi­duell nachweis­barer Handlungen, die als direkte Unter­stüt­zung der DHKP-C gewertet werden könnten, unter­nimmt die General­staats­an­walt­schaft offen­sicht­lich den Versuch, eine Deckungs­gleich­heit zwischen der türki­schen Guerrilla und einem legalen migran­ti­schen Verein in der Wupper­taler Nordstadt zu konstru­ieren. Konse­quent daher, dass Latife in der Anklage auch direkt als « Funktio­närin der DHKP-C » bezeichnet wird. Beleg für die Gleich­set­zung des Wupper­taler Vereins mit der in der Türkei aktiven militanten Gruppe sind für die Staats­an­walt­schaft fast folge­richtig alle Anmel­dungen oder Teilnahmen an angemel­deten Demons­tra­tionen, die Durch­füh­rung von öffent­li­chen legalen Veran­stal­tungen oder auch die Prozess­be­ob­ach­tung in anderen Verfahren vor dem OLG Düssel­dorf.

Dabei wurde es teilweise noch absurder als sich das bereits anhört. So wurde beispiels­weise beson­ders Latifes Beglei­tung des Verfah­rens gegen Faruk Ereren hervor­ge­hoben, ungeachtet der Tatsache, dass das gleiche Gericht eben jenes Verfahren zuletzt hatte einstellen müssen, weil es auch nach mehreren Jahren keinen Beweis für einen angeb­lich von Faruk Ereren erteilten Auftrag zu einem Anschlag in Istanbul erbringen konnte. Gleich­wohl bleibt für die Düssel­dorfer Staats­an­walt­schaft auch die kriti­sche Beglei­tung dieses skanda­lösen Prozesses eine Latife zur Last zu legende « Tat ». Mit der wohl vollstän­digen Aufzäh­lung der Demons­tra­tionen, an denen Latife je teilge­nommen hat, kippte die Anklage vollends ins Surreale. So sollen nicht nur die Anmel­dung und Teilnahme an der Gedenk­demo in Solingen zum 20.Jahrestag des mörde­ri­schen Brand­an­schlags auf das Haus der Familie Genç, sondern auch Teilnahmen an den Wupper­taler Soli-Demons­tra­tionen für den « Gezi-Aufstand » 2013 Teil der Funktio­närs­tä­tig­keit Latifes für die DHKP-C gewesen sein.

Auf Partner*innen bei der Organi­sa­tion und Durch­füh­rung einiger der genannten Demos wirkte das, als ob die Kundge­bungen, die für die Staats­an­walt­schaft offenbar auf direkte Anwei­sung aus der Türkei statt­ge­funden haben, insge­samt krimi­na­li­siert und in Terror­nähe gerückt werden sollen. Eine Auffas­sung, die Verständ­nis­lo­sig­keit und Empörung auslöste. Die Kette der « Taten », die verlesen wurden, wurde abschlie­ßend noch um einige Betrugs­vor­wüfe erwei­tert. So soll Latife durch falsch abgerech­nete Seminare die ungeheure Summe von knapp 1.070 Euro ergau­nert haben, mit denen u.a. die Strom­rech­nung des Vereins­lo­kales der « Anato­li­schen Födera­tion » bezahlt worden sein soll. Der Kontrast zwischen den relevanten Vorwürfen und dem Hochsi­cher­heits­ge­bäude, in dem verhan­delt wird, könnte fast komisch sein, wäre nicht klar, dass es das Gericht ernst meint. Also nichts mit lustig. Zu düster sind die Emotionen, die kalte Archi­tektur, kalte Staats­an­wälte und allge­gen­wär­tige bewaff­nete Beamt*innen bei Besucher*innen und Beschul­digten auslösen.

Eine erste Kritik

Die Strategie der Anklage erscheint bei näherer Betrach­tung wie ein Vabanque-Spiel, bei dem mit dem Leben unserer Freundin gespielt wird, denn Latife drohen bei einer Verur­tei­lung zwischen drei und zehn Jahren Haft. So entstand der Eindruck, dass der Aufwand, der 2013 für die Jagd auf Zeitungs- und Ticketverkäufer*innen betrieben wurde – das syste­ma­ti­sche Ausfor­schen, das Abhören von Telefonen und politi­schen Treffen, die wochen­lange Bespit­ze­lung und hunderte Polizist*innen bei den Razzien und Verhaf­tungen – durch die Gleich­set­zung eines migran­ti­schen Vereins mit einer militanten Gruppe in der Türkei nachträg­lich gerecht­fer­tigt werden soll. Zudem erhofft sich die Düssel­dorfer General­staats­an­walt­schaft offen­sicht­lich eine Verschie­bung der Grenze dessen, was in Deutsch­land möglich ist.

Ihr Versuch, die verant­wort­liche (Vorstands-) Tätig­keit in einem bis heute legalen Verein insge­samt und nachträg­lich zu krimi­na­li­sieren und aus der « Anato­li­schen Födera­tion » quasi so eine beim Amtsge­richt einge­tra­gene Terror­gruppe zu konstru­ieren, war bisher auch beim jetzt schon extensiv ausge­legten §129b nicht üblich. Die Staats­an­wälte verlassen damit den bislang weidlich ausge­nutzten Rahmen, in dem Angeklagten zumin­dest eine konkrete Unter­stüt­zung « auslän­di­scher Terror­gruppen » nachge­wiesen werden musste, sei sie auch so absurd, wie der Vorwurf, Latife habe rezept­frei zu erwer­bende « Vitamin B1»-Tabletten in die Türkei geschickt. Mit dieser Anklage versucht die Bundes­an­walt­schaft die gesamte Tätig­keit für einen legalen Verein als Terro­rismus auszu­legen, selbst wenn die « Taten » zuvor ordnunsg­gemäß bei der Polizei angemeldet werden, wie die erwähnten Demons­tra­tionen.

Der Einsatz beider Seiten bei diesem Vabanque-Spiel ist also sehr hoch. Die Ankla­ge­be­hörde hofft darauf, zukünftig nachträg­lich auch legale Struk­turen krimi­na­li­sieren zu können und gleich­zeitig einer Frau, die sie durch viele Prozess­be­ob­ach­tungen jahre­lang nervte, etwas « heimzahlen » zu können ; sie kann aber durchaus auch die gesamte Anklage verlieren. Zu wackelig erscheint der Turm der Vorwürfe, der von ihr am ersten Prozesstag aufge­schichtet wurde. Ein weiterer Fehlschlag nach dem einge­stellten Prozess gegen Faruk Ereren könnte da für manche einen Karrie­re­knick bedeuten. Latifes unfrei­wil­lige Einsatz bei diesem juris­ti­schen Poker ist hingegen ihr ganzes bishe­riges Leben als Frau und Mutter, Laden­be­sit­zerin und politisch aktive Wupper­ta­lerin. Doch außer einer Klarstel­lung eigent­lich selbst­ver­ständ­li­cher Rechte, wie bspw. dem Recht, Demons­tra­tionen anzumelden, kann sie jedoch nichts weiter gewinnen. Das macht das Ganze unerträg­lich.

Für linke Struk­turen in Wuppertal und darüber­hinaus heißt das, Latife in diesem für sie existen­zi­ellen Kampf vor Gericht spektren­über­grei­fend nicht alleine zu lassen. Denn bei diesem Verfahren geht es, wie beschrieben, nicht nur um sie, und auch nicht um mögli­cher­weise diffe­rie­rende politi­sche Positionen. Es geht für uns alle um eine weitere, drasti­sche Einschrän­kung der Möglich­keiten, politisch zu arbeiten. Eine Verur­tei­lung Latifes bedeu­tete, dass sich niemand mehr vor einer Straf­ver­fol­gung sicher fühlen kann, der heute in einem Verein, einer Flücht­lings­in­itia­tive oder einer anderen legalen Struktur migran­ti­sche und solida­ri­sche Arbeit leistet – auch wenn der entspre­chende Verein und seine Ziele zu keinem Zeitpunkt verboten waren. Ungeachtet aktueller Legalität, hieße es z.B., keine Veran­stal­tungen zum kurdi­schen Wider­stand in Syrien mehr durch­führen zu können, ohne Gefahr zu laufen, in ein paar Jehren dafür angeklagt zu werden.

Wenn aus legalen Struk­turen rückwir­kend terro­ris­ti­sche Verei­ni­gungen werden können, werden die sowieso schon sehr weit gedehnten Gummi­pa­rag­rahen 129a und 129b endgültig zu umfas­senden und unkon­trol­lier­baren Instru­menten staat­li­cher Willkür, Einschüch­te­rung und Ausfor­schung von Opposi­tion. An dieser Stelle werden wir weiter vom Prozess gegen Latife berichten. Solida­ri­sche Beglei­tung der Verhand­lung ist ausdrück­lich erwünscht. Die nächsten Verhand­lungs­tage sind Donnerstag, 25.6. und Freitag, 26.6., jeweils ab 10:30 Uhr im OLG Düssel­dorf (Neben­ge­bäude), Kapellweg 36. Lasst Telephone und Rechner daheim und stellt euch auf die Feststel­lung eurer Perso­na­lien und eine Durch­su­chung eurer Taschen und Kleidung am Eingang ein – kommt also etwas früher.

Freunde und Freun­dinnen von Latife

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