Alles, was uns fehlt, ist die Solidarität (mit den Mineiros)

Der verzwei­felte Streik der nordspa­ni­schen Bergar­beiter verweist auf den Beginn des Total­an­griffs auf Arbei­te­rInnen : Thatchers Vernich­tungs­krieg gegen die engli­schen Miners 1985.

Vor einer Woche, am letzten Mittwoch­abend, sind einige Hundert strei­kende nordspa­ni­sche Bergar­beiter nach einem langen Marsch von Asturien in der Haupt­stadt Madrid angekommen und dort von Zehntau­senden solida­risch empfangen worden. Die Ankunft des von den Minen­ar­bei­tern so genannten « Schwarzen Marsches » – « Marcha Negra » – stellte nicht nur für die Bergleute, sondern für einen großen Teil der spani­schen Bevöl­ke­rung einen Aufbruch im Kampf gegen die Politik der spani­schen Regie­rung dar. Die spätabend­liche Begeg­nung der Strei­kenden und der auf sie Wartenden war ein sehr emotio­nales Ereignis. Jemand schrieb am nächsten Tag : « Die Gruben­lampen der im nächt­li­chen Madrid ankom­menden Bergleute wirkten wie ein Licht der Hoffnung. »

Der Anlass des Marsches auf Madrid ist ein, auch militant geführter Abwehr­streik der Bergleute im Norden Spaniens. Er dauert nun bereits seit mehr als sechs Wochen an, und die rechts-konser­va­tive Regie­rung Rajoy beant­wortet ihn mit immer mehr Einheiten der Guardia Civil zur Aufstands­be­kämp­fung. Die parami­li­tä­ri­schen Einsätze der Sicher­heits­kräfte, in deren Verlauf ganze Dörfer in den Revieren « besetzt » und Straßen « befreit » wurden, machten dabei keinen Unter­schied zwischen Kombat­tanten und Unbetei­ligten. Daher kämpfen die betrof­fenen Menschen der nordspa­ni­schen Provinz auch mit brennenden Autoreifen oder mit Stein­schleu­dern und dem Mut der Verzweif­lung gegen die drohende Vernich­tung ihrer Existenz­grund­lage. Denn es ist kein Streik um Arbeits­zeiten oder höhere Löhne – es ist ein Streik zur Erhal­tung der Arbeits­plätze.

Die konser­va­tive spani­sche Regie­rung, die nur einen Tag nach Ankunft der Minen­ar­beiter in Madrid eine neue Kürzungs­welle und eine Erhöhung der Mehrwert­steuer verkündet hat, bricht im Norden des Landes eine Verein­ba­rung mit den Gewerk­schaften aus dem letzten Jahr. Im Kern sicherte diese Verein­ba­rung einen Fortbe­stand des Bergbaus bis 2018 ohne Zechen­schlie­ßungen zu. Bis dahin sollten in den betrof­fenen Regionen Struk­tur­maß­nahmen neue Arbeits­plätze schaffen – auch mit Mitteln der EU.

Die Regie­rung Rajoy kürzt nun unter Verweis auf die Krise die verein­barten Zuschüsse um 290 Millionen jährlich. Laut Gewerk­schaften sind von dieser Maßnahme bis zu 25.000 Arbeits­plätze mittel- und unmit­telbar betroffen. Es ist die gleiche Regie­rung, die gerade einen dreistel­ligen Milli­ar­den­be­darf zur Banken­ret­tung verkündet hat. Die Wut der Bevöl­ke­rung in der Region Asturien ist enspre­chend groß – und die Entschlos­sen­heit der strei­kenden Kumpels auch. Die große Menge, die die Strei­kenden in Madrid empfing, zeigt, dass auch landes­weit der Zorn der Menschen zunimmt – die Demons­tra­tionen haben entspre­chend eine neue Qualität erreicht.

Umso härter fiel die Reaktion der postfran­quis­ti­schen Regie­rung aus. Von der Leine gelas­sene Polizei­ein­heiten zur Aufstands­be­kämp­fung griffen am Tag nach der Ankunft des « Marche Negra » eine fried­liche Großde­mons­tra­tion der Mineros und der madri­le­ni­schen Bevöl­ke­rung an. Unter den mehr als siebzig Verletzten des Angriffs waren viele, die von den in Spanien exzessiv einge­setzten Gummi­ge­schossen getroffen wurden. Blutige Bilder gingen um die Welt, aller­dings vornehm­lich im Internet – wie in den arabi­schen Despo­tien berich­teten die Mainstream-Medien nur wenig über die Polizei­ge­walt. Die Attacken auf die Menschen in den Straßen der Stadt hielten bis zum Abend an. Menschen flüch­teten panisch vor den unifor­mierten Schlä­gern in die Geschäfte und Restau­rants, alle konnten zum Ziel der parami­li­tä­ri­schen Sicher­heits­kräfte werden – egal, ob sie ledig­lich vor einem Kino warteten oder ob sie von der Demons­tra­tion kamen.

In ihren Verlaut­ba­rungen, die sie via Internet und Video öffent­lich machen, betonen die strei­kenden Bergleute den Kampf ums Ganze. Sie stellen ihren Kampf um die Einhal­tung von Verein­ba­rungen bewusst in eine Reihe mit den Kämpfen anderer Branchen und anderer Länder. Die kampf­erprobten spani­schen Kumpel verweisen dabei zu Recht auf ihre immer geleis­tete Solida­rität mit anderen Kämpfen und auf die Vorrei­ter­rolle der « Mineros » im Kampf gegen Franco – sie waren die ersten die im Faschismus einen Streik wagten. Ein spani­scher Minero bezieht sich in einem Brief (siehe hier) ausdrück­lich auf den Streik der engli­schen Bergar­beiter in den achtziger Jahren, bei dem sie die briti­schen Kumpel finan­ziell und ideell unter­stützt hatten. Nun sind sie es, die Solida­rität einfor­dern.

Der Streik der nordspa­ni­schen Mineros wird teilweise auch militant geführt.

Doch vor allem in Deutsch­land ist die Bereit­schaft, sich mit der verschärften Situa­tion in Spanien zu beschäf­tigen, kaum vorhanden. Dass nach dem letzten General­streik am 29.März bereits Gewerk­schaf­te­rInnen verhaftet worden waren, fand hierzu­lande kaum Beach­tung, und nur langsam kommt auch der Streik der Bergleute in den Kanälen an.
Kaum verwun­der­lich, dass unter diesen Umständen keine fünzig Menschen bei einer Solida­ri­täts­kund­ge­bung am letzten Freitag vor dem spani­schen Konsulat in Düssel­dorf gewesen sind. Dabei sind es momentan die « Mineros », die für uns alle gegen ein neoli­beral zugerich­tetes Europa auf den Barri­kaden sind.

Im Ringen um die weitere Entwick­lung könnte ihr Streik ein zentraler Kampf sein. Nachdem der griechi­sche Wider­stand – aufge­rieben im tägli­chen « Struggle of Life » und im Kampf gegen die immer aggres­siver auftre­tenden Faschisten – gebro­chen scheint, kommt den spani­schen Protesten eine vielleicht vorent­schei­dende Bedeu­tung zu. Ließe sich die « Troika-Politik » auch in Spanien durch­setzen – sogar, ohne dass es dort einer « EU-Troika » bedarf – dürften für Gesamt­eu­ropa die Weichen auf die Zerschla­gung sozialer Rechte gestellt sein. Wer will nach einer auch in Spanien mögli­chen Resigna­tion vor der allum­fas­senden « Alter­na­tiv­lo­sig­keit » dann noch auf entschei­denden Wider­stand aus Italien oder sonstwo hoffen ? Auch das erklärt die Entschlos­sen­heit, mit der Rajoy beschlos­sene Kürzungen durch­prü­gelt. Es wird die Bedin­gung gewesen sein für die in der EU zu beschlies­senden Hilfen bei der Banken­ret­tung, die – anders als bei der Zurich­tung Griechen­lands – bekann­ter­maßen ohne direkte EU-Eingriffe in die spani­sche Haushalts­po­litik fließen sollen.

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Brief eines spanischen Kumpels : Organisiert euch !

Über den Kampf der Bergar­beiter in Spanien 2012. Ein Kumpel schreibt.
Juan José Fernández – 14.06.2012

Socio­logía crítica – Articulos y textos para debate y análisis de la realidad social

Quelle des Origi­nal­textes
Ausgangs­basis der Überset­zung

BRIEF ÜBER DEN BERGBAU-KONFLIKT

25 Jahre habe ich in der Mine gearbeitet. Als ich 18 Jahre alt war, stieg ich zum ersten Mal in eine Grube hinab. Viele Kommen­tare, die ich über den Bergbau und die Frühver­ren­tung in dieser und in anderen Branchen lese, erstaunen mich. Ich will versu­chen, ein paar Zweifel auszu­räumen, die es, wie ich sehe, gibt.

1. Bei dem Kampf, den meine Genossen momentan führen, geht es nicht darum, um Geld zu bitten, sondern darum, die Verein­ba­rung zwischen dem Indus­trie­mi­nis­te­rium und den Bergbau-Gewerk­schaften vom letzten Jahr einzu­halten, die zugewie­sene Beihilfen bis 2018 zum Inhalt hatte.

Dieses Geld hat die EU zur Verfü­gung gestellt und nicht die spani­sche Regie­rung. Damit will ich sagen, dass es nicht die Spanie­rInnen bereit­ge­stellt haben, wie viele der Leute glauben, die uns so sehr kriti­sieren.

Im Hinblick auf dieses Geld frage ich mich, wie fast alle Bergbau-Familien : Wo ist der Teil der finan­zi­ellen Mittel für den Bergbau, der angeb­lich für die Schaf­fung alter­na­tiver Indus­trien nach der Schlie­ßung der Minen in den Kohle­re­vieren bestimmt sein sollte ? Nun ja, wie so oft sind es die Politiker und die Gewerk­schaften, die die Mittel managen. Mit einem Teil dieses Geldes, könnte ich euch zum Beispiel erzählen, hat Gabino de Lorenzo, (der Ex-Bürger­meister von Oviedo), die Straßen­la­ternen, den neuen Messe- und Kongress­pa­last und viele andere Bauten bezahlt. Die Ex-Bürger­meis­terin von Gijón (Frau Felge­roso) hat das Geld in das Gebäude der Fachhoch­schule inves­tiert und, wie der Erstge­nannte, auch in andere Bauten.

In meinem Heimatort Valle de Turón (der zur Region Cuenca del Caudal gehört), starben zwischen 1889 bis zur Schlie­ßung im Jahr 2006 mehr als 600 Menschen in den Minen (soweit wir wissen, denn im Bürger­krieg sind
alle vorhe­rige Archive verbrannt). Als die Minen geschlossen wurden, hat man ein Sport­zen­trum errichtet, ohne aller­dings zuvor den Schutt wegzu­räumen. Dieser liegt bis heute hier. Es gibt bloß einen schmalen Fußpfad, um hindurch­zu­ge­langen. Unsere komplette Umgebung ist voller Trümmer, die man nach und nach aufzu­räumen versucht. Aber von Reindus­tria­li­sie­rung, die sichere Arbeits­plätze schaffen würde, damit das Leben weiter­gehen könnte, keine Spur.

2. Es irrri­tiert mich, dass viele Leute die Subven­tionen (in den Bergbau) nicht richtig finden. Ich schreibe das ungern, aber es gibt auch Subven­tionen für andere Branchen wie Viehzucht, Ackerbau, Fisch­fang und viele andere, die ich nicht erwähnen werde. Persön­lich bin ich froh darüber, dass die Beihilfe den Arbei­tern gewährt wird und nicht den Chorizos, die uns täglich ausrauben.

3. Es scheint auch, dass viele von euch nicht wissen, dass die spani­schen Bergar­beiter nach dem Ende des Bürger­krieges in diesem Land viele Jahre lang eine Stunde am Tag gratis arbei­teten, um das wieder­auf­zu­bauen, was der Franquismus zerstörte, während wir zuhause nichts zu essen hatten.

4. Im Jahr 1962 fingen die Bergar­beiter einen Streik an, der sich in ganz Spanien ausbrei­tete, womit viele der Rechte gewonnen wurden, die wir Spanier heutzu­tage haben, und die sie uns jetzt wegzu­nehmen versu­chen. In diesem Streik 1962 gab es viele Schläge, viele Festnahmen, Hunger und Vertrei­bungen in andere Provinzen Spaniens. Die Bergleute wurden von ihren Familien getrennt. Sie begannen erst 1980 zurück­zu­kehren.

5. Im Bezug auf die Frühver­ren­tungen ist es nicht wahr, dass die Bergar­beiter mit 40 Jahren in Frührente gehen, und ihr redet über unsere Euros, als ob wir im Lotto gewonnen hätten. Die Realität ist eine andere : In der monat­li­chen Summe, die Frührentner erhalten, ist auch der Teil ihrer Extra­zah­lung einge­schlossen und die Summe is abhängig vom Beschäf­ti­gungs­status. Ein Picador verdient nicht dasselbe wie ein Spreng­meister oder ein Spreng­meister-Assis­tent usw. Der Beitrag beträgt 50%, das heißt, damit zahlen wir alle zwei Jahre der Sozial­ver­si­che­rung ein Jahr mehr. So habe ich zum Beispiel – als jemand, der 25 Jahre lang gearbeitet hat – der Sozial­ver­si­che­rung in Wahrheit Beiträge für 37,5 Jahre bezahlt. Glaubt jemand von euch, jemals so viel in die Sozial­ver­si­che­rung einzahlen zu können ?

6. Die Kohle, die man von anderswo herbringt, ist eurer Meinung nach billiger als die einhei­mi­sche. Ich bezweifle das, aber nehmen wir an, das stimmt : Wollt ihr uns als Sklaven sehen wie die Arbeiter in solchen Länder ? Ich will, dass kein Arbeiter auf der Welt ein Sklave ist.

Ich habe schon mit tsche­chi­schen und polni­schen Kollegen gearbeitet. Als sie in Asturien ankamen und hier in den Märkten einkauften, waren sie beein­druckt, weil sie soviel einkaufen konnten, wie sie wollten – in ihren Ländern konnten sie das nicht tun. Sie feierten ihr erstes Weihnachten mit uns und brachten in jeder Hand eine Nougat­stange mit. Wir fragten, warum sie das machten, und sie sagten uns, dass sie sich das in ihrem Land nicht leisten konnten, da ihr Einkommen nur für schlechtes Essen reichte. Damit will ich sagen, dass mit uns dasselbe geschehen wird, wenn wir unsere Rechte nicht einfor­dern.

7. Im Bezug auf die Blockaden der Autostraßen will ich denje­nigen antworten, die sich so sehr beschweren, weil die Minen­ar­beiter sie daran hindern, zur Arbeit oder zum Unter­richt zu gehen, und die sagen, dass auch sie, wenn sie mal Probleme in ihrem Unter­nehmen haben, in Zukunft andere “beläs­tigen” werden.

Ich muss euch sagen, dass wir Bergar­beiter immer, wenn Kollegen anderer Sektoren uns um Hilfe beim Kampf um die Vertei­di­gung ihrer Arbeits­plätze baten, 24 Stunden-Streiks gemacht, und von hier und von außer­halb jede Unter­stüt­zung gegeben haben. Auch als die Streiks der engli­schen Bergar­beiter statt­fanden, hörten wir auf zu arbeiten und es wurde eine Kollekte organi­siert, um denen Geld zu schicken, damit sie ihre Familien ernähren konnten.

Zweifelt irgend­je­mand daran, dass wir uns jedem betrof­fenen Sektor anschließen würden ? Aber es scheint, dass es heute sogar andere um Hilfe zu bitten Arbeit kostet.

Uns gegen­seitig zu unter­stützen ist funda­mental, was wir jedoch machen, ist das Gegen­teil, und so werden die da oben immer mit Vorsprung spielen.

Wenn alle spani­sche Arbeiter so vereint wären wie die Bergleute, würden die Regie­renden dieses Landes dreimal überlegen, ob sie solche Kürzungen vornehmen, wie sie es jetzt tun. Ihr solltet reflek­tieren, wer euch wirklich daran hindert, zur Arbeit oder zum Unter­richt zu gehen. Wer euch behin­dert, sind unsere Politiker mit den heutzu­tage legalen Kündi­gungen und den Kürzungen im Bildungs­wesen.

Ich würde auch gerne denje­nigen, die glauben, dass wir uns in Madrid vor den Türen der Minis­te­riums beschweren, und “die anderen in Ruhe lassen” sollten, sagen, dass wir da tatsäch­lich hinge­gangen sind. Aber aufgrund der Zensur der Medien, kann es sein, dass man darüber nicht infor­miert.

Schließ­lich glaube ich, dass der Arbeiter, der seine Rechte vertei­digt, kein Terro­rist ist – so, wie man uns nun bezeichnet, weil wir für das Wohlbe­finden unserer Familien kämpfen. Ich fordere euch auf, eure Häuser zu verlassen, um eure Rechte zu vertei­digen. Wenn ihr Zuhause bleibt, lasst ihr zu, dass sie den Hunger in euer Leben bringen.

Bleibt infor­miert und prüft alles, was ihr im Fernsehen seht. Ihr habt jetzt Internet und Mobil­te­le­fone, um immer im Kontakt bleiben zu können. Organi­siert euch, in welcher Form ihr auch wollt – fried­lich oder aber auch direkt in den Barri­kaden, aber organi­siert euch ! Legt Ziele fest, die in einem kurzen Zeitraum zu errei­chen sind. Die Regie­rung handelt schnell, wenn die Dinge zu ihren Gunsten stehen, das wisst ihr. Wir sollten das Wort “Angst” oder den Satz “es nützt sowieso nichts” aus unserem Verstand verbannen und die Kontrolle über unsere Zukunft übernehmen.

Vielen Dank an alle, die uns aus anderen Provinzen und Ländern unter­stützen. Juan José Fernández. Asturien.

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