Am morgigen Samstag (10.November) findet in Köln-Chorweiler eine überregionale Demo statt, mit der die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert wird. Ein breites Bündnis aus über 100 Gruppen und Initiativen ruft dazu auf. Wir dokumentieren hier deshalb einen Artikel, der auf dem Aufruf des Kölner AKKU basiert, und in der Massenzeitung „Kein Ort für Nazis” anlässlich der Gegenaktivitäten zum ProNRW-Aufmarsch am 27.10. in Wuppertal erschienen ist.
Weitere Informationen zur Demo in Chorweiler finden sich hier und hier.
Der tiefe Staat – Verfassungsschutz und die NSU-Morde
Am 10.11.2012 findet unter dem Motto “Verfassungsschutz auflösen – Rassismus bekämpfen!” am Pariser Platz um 14 Uhr eine Demonstration in Köln-Chorweiler vor dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) statt. Wir unterstützen diese wichtige Demo, schon aus den leidvollen Erfahrungen mit der staatlichen Unterwanderung der Naziszene in Solingen in Zusammenhang mit der VS-finanzierten Kampfsportschule Hak Pao und dem Solinger Brandanschlag von 1993.
Der folgende Artikel, ist weitestgehend aus den Aufruf des Kölner AKKU übernommen er wurde lediglich leicht gekürzt und überarbeitet.
Im November 2012 jährt sich das Bekanntwerden der über sieben Jahre andauernden Mord- und Anschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) um Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt, welche ungehindert von Sicherheitsbehörden zehn Menschen ermorden und mindestens zwei Bombenanschläge verüben konnten. Fast täglich werden neue Details über die Verstrickungen der Geheimdienste mit dem NSU und seinem Unterstützer_innen-Netzwerk sowie über die rassistischen Praktiken der Polizei bekannt. Das tatsächliche Ausmaß des Beziehungsgeflechtes zwischen Staat und Neonazis ist bis heute noch nicht abzusehen. Es wird gelogen, verschwiegen und vertuscht.
Die Fakten
Die politische Sozialisation des NSU erfolgte in den neonazistischen Milieus der 1990er-Jahre in Thüringen, die sich verfestigen konnten, ohne nachhaltige Sanktionierungen fürchten zu müssen. Quasi unter dem Blick der Behörden machten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe ab 1998 in der Illegalität weiter. Unterstützung erhielten sie aus den Kameradschaftsstrukturen des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), mit denen sie sich an Aktionen der Naziszene beteiligt hatten. Im THS waren bis zu 40 Personen als V-Leute tätig, die dem Verfassungsschutz für Bares Bericht erstatteten. Über den V-Mann Tino Brandt, Kopf des THS, wurde offensichtlich versucht, Gelder an die terroristische Struktur weiterzuleiten. Ein anderer V-Mann, der in den Diensten des Berliner LKA stand, hatte dem NSU Sprengstoff übergeben. Und offenbar waren die Geheimdienste dem NSU immer wieder dichter auf der Spur als man es zunächst für möglich gehalten hatte : Als 2006 Halit Yozgat in Kassel erschossen wurde, war ein Mitarbeiter des VS (bekannt als „Klein Adolf“) am Tatort. Diese Liste ließe sich noch lange weiter führen. Öffentlich wurde jedoch verkündet, dass es Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik nicht gebe. Wie tief die Verstrickung des Verfassungsschutzes wirklich ging, wird wohl nie zweifelsfrei geklärt werden können. Denn die Geheimdienste tun alles dafür, eine Aufklärung zu verhindern. Akten werden geschreddert, der Untersuchungsausschuss belogen, Informationen werden zurückgehalten. Was sich allerdings definitiv sagen lässt : Es gibt wohl kaum eine neonazistische Organisation, in der nicht V-Leute für diverse Geheimdienste tätig waren. Dies führte jedoch nicht zu nennenswerten Maßnahmen oder zur Enttarnung des NSU. Vielmehr handelte es sich schlicht um eine staatliche Alimentierung für Neonazis, die ohne diese Gelder ihre Strukturen in der Form nicht hätten ausbauen können.
Rassistische Ermittlungen der Polizei
Auch die Polizei tat alles dafür, dass die Taten des NSU nicht aufgeklärt werden konnten. Bei fast allen Anschlägen und Morden wurden rassistische Hintergründe von Anfang an negiert, obwohl die Angehörigen der Opfer immer wieder auf ein solches Motiv verwiesen hatten. Die Ermittler*innen waren fest davon überzeugt, es mit migrantischen Täter*innen im Bereich Schutzgelderpressung und organisierter Kriminalität zu tun zu haben. Nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004, bei dem 22 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, schlossen der damaligen Innenminister Otto Schily (SPD) und sein NRW-Kollege und Parteifreund Fritz Behrens einen „fremdenfeindlichen Hintergrund“ sogleich kategorisch aus. Stattdessen ließen die Behörden die Telefone der Opfer und ihrer Angehörigen abhören, setzten verdeckte Ermittler*innen ein, und luden die Anwohner*innen immer wieder zu Verhören vor. So standen die Betroffenen jahrelang unter dem Verdacht, selbst schuld daran gewesen zu sein, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden waren.
Nach dem Mord an Ismail Yasar am 5. Juni 2005 in Nürnberg hatten Zeugen zwei Männer auf Fahrrädern gesehen. Es gab ein Phantombild, das große Ähnlichkeiten mit dem 2004 in Köln erstellten Bild aufwies. Ein möglicher Zusammenhang wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Alle Hinweise, die auf ein rassistisches Tatmotiv deuteten, wurden nicht verfolgt . Dabei handelt es sich nicht um eine Serie von Versäumnissen, reine Blindheit oder Ignoranz. Vielmehr steckt dahinter ein Apparat, der Kriminalität zuerst bei den als „fremd“ definierten Menschen vermutet und dabei weit verbreiteten rassistischen Deutungsmustern folgt.
Verfassungsschutz und der Kampf gegen Links
Genauso wenig wie bei der Polizei kann das Agieren des Verfassungsschutzes allein mit Informationsdefiziten, Inkompetenzen oder Schlampereien erklärt werden. Die Kumpanei mit Neonazis rührt aus einer autoritären undemokratischen Behörde mit einem entsprechend strukturierten Beamtenapparat. Zum Ersten lässt sich dies mit historischen Kontinuitäten des Inlandsgeheimdienstes begründen, dessen Aufbau maßgeblich von ehemaligen Gestapo-Beamten und anderen Nazis mit betrieben wurde. Ihren Auftrag sahen die Staatsdiener dementsprechend vornehmlich in der Abwehr einer Gefahr von Links. Zum Zweiten war in Zeiten des Ost-West-Gegensatzes den Geheimdiensten nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern, so gut wie jedes Mittel recht. Dazu gehörten die Finanzierung, Ausrüstung und Ausbildung rechtsterroristischer Gruppen. Diese führten beispielsweise Bombenanschläge durch, die dann linken Gruppen in die Schuhe geschoben wurden. Trauriger Höhepunkt dieser „Strategie der Spannung“ war der Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna im August 1980, bei dem 85 Menschen starben. Keine zwei Monate später verloren beim Oktoberfest-Attentat, dem schwersten Terroranschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, 13 Menschen ihr Leben. Auch bei diesem von Neonazis durchgeführten Anschlag gibt es deutliche Hinweise, dass Geheimdienste und Sicherheitsbehörden von der Tat gewusst haben, wenn nicht sogar an der Planung beteiligt waren. Aktuelle Beispiele, wie die offene Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsorganen und militanten Neofaschist_innen in Griechenland, zeigen zudem, wie im Zeichen schwerer wirtschaftlicher und sozialer Krisen solche Allianzen schnell an Bedeutung gewinnen können.
Verfassungsschutz und Rassismus als gesellschaftliches Problem
All das aber reicht als Erklärung noch nicht aus. Entscheidend ist, dass sich in den Behörden das in die bundesdeutschen gesellschaftliche Strukturen eingewobene Denken widerspiegelt : die Hierarchisierung verschiedener Gruppen anhand ethnischer Trennlinien, die Ausgrenzungen, die ungleiche Verteilung von Rechten und die weite Verbreitung rassistischer und nationalistischer Einstellungsmuster. So wurde den als „Türken“ wahrgenommenen Opfern und Angehörigen der NSU-Verbrechen beispielsweise wie selbstverständlich ein kriminelles Verhalten zugeschrieben, eben weil der Verdacht bestand, dass sie als Migrant*innen zu Kriminalität neigten. Ihren Ausdruck findet diese Diskriminierung in Bezeichnungen wie „SOKO Bosporus“ oder dem durch Polizeikreise kolportierten und von den Medien aufgenommenen Begriff der „Döner-Morde“. Die „Blindheit“ und „Ignoranz“, die im Fall des NSU zutage traten, sind also nicht nur individuelles Fehlverhalten, sondern ein gesellschaftliches Problem.
Staatliche Reaktion
Als Konsequenz aus dem NSU geben Politik und Behörden nun ein „striktes Vorgehen gegen Rechts“ vor : Bei der Polizei wurden Sonderkommissionen eingerichtet, gegen das Aktionsbüro Mittelrhein (Rheinland-Pfalz) leitete die Staatsanwaltschaft ein § 129-Verfahren ein. Die Kameradschaft Köln wurde verboten, es folgten Razzien und Verbote des Nationalen Widerstand Dortmund (NWDO), der Kameradschaft Hamm und der Kameradschaft Aachener Land (KAL). Reichlich spät, denn die Angriffe auf Linke und Anderen, die nicht in das Weltbild von KAL oder NWDO passten, wurden zuvor jahrelang ignoriert oder verharmlost.?Dieses öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzte staatliche Handeln geschieht jedoch weiterhin auf der Folie der Extremismusdoktrin. Dieser Logik zufolge wird eine angeblich demokratische Mitte durch einen „Rechtsextremismus“, einen „Linksextremismus“ und einen „Ausländerextremismus“ bedroht. Trotz NSU betreibt man nach diesem Muster weiter Politik. Einen aktuellen Höhepunkt stellt die „Vermisst“-Kampagne des Innenministeriums dar, die im Stil von Vermisstenanzeigen vor der Gefahr warnt, dass Muslime „an religiöse Fanatiker und Terrorgruppen“ verloren gehen. Entsprechende Postkarten wurden kartonweise dort verteilt, wo der NSU 22 Menschen verletzt und viele weitere traumatisiert hatte : auf der Keupstraße in Köln-Mülheim. Vermisst würden vor allem Sensibilität und die Bereitschaft zur Aufklärung der NSU-Taten, so empörte Kritiker*innen der Kampagne. Erneut werde Muslim*innen pauschal unterstellt, mit dem Islamismus zu sympathisieren.?Antifaschistische Gruppen und Bündnisse werden durch eine Gleichsetzung mit Neonazis nicht nur ideologisch diskreditiert ; sie verspüren den Repressionsdruck gleichsam praktisch. Das konnten im Januar 2011 in Wuppertal erlebt werden, wo ein Nazi Aufmarsch von einem riesigen Polizeiaufgebot durch gepeitscht wurden, oder im März diesen Jahres in Münster , wo auf Gegendemonstrant*innen eingeprügelt wurde. Oder auch beim Antifa-Camp in Dortmund, das – trotz Zusammenarbeit der Veranstalter*innen mit Stadt und Behörden – kurzerhand verboten wurde.
Gesellschaftliche Verhältnisse aufbrechen
In Köln haben das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) ihren Sitz. Jene Einrichtungen, welche die Offenlegung aller Informationen über den NSU und seine Beziehungen zu V-Leuten verweigern und eine Strategie des Verheimlichens, Vertuschens und Verleugnens verfolgen. Es wird deutlich, dass der Umgang mit dem NSU keine Panne im System ist, es ist vielmehr das System, das versagt. Deswegen sei es „erfreulich, dass die Forderung „Verfassungsschutz – Auflösen!“ nun auch Befürworter*innen von Gewerkschafter*innen bis ins bürgerliche Spektrum hinein findet”, so das Bündnis “Verfassungsschutz auflösen!” . Es könne aber nicht bei der Kritik an einer einzelnen Behörde bleiben. Die Auflösung aller Geheimdienste, aufgrund ihrer grundsätzlich antidemokratischen Verfasstheit müsse angestrebt werden. Köln ist die Stadt , in der in den Jahren 2001 und 2004 Bombenanschläge durch den NSU verübt wurden. Köln ist auch die Stadt, in der die rassistischen Ermittlungen der Polizei die Opfer und ihre Angehörigen (wie in anderen Städten auch) ein zweites Mal zu Opfern machten. Deshalb mobilisiert die Kölner Initiative zur einer großen Demonstration, gegen den Verfassungsschutz. Gefordert wird nicht seine Reformierung, sondern die Abschaffung aller Geheimdienste. Die Initiatoren*innen abschließend : „Wir wollen nicht die Polizei etwas weniger rassistisch machen, sondern die rassistischen Verhältnisse überwinden“.