Im Aufruf für den heutigen 1.Mai fordert der DGB vor allem eine « aktive nachhaltige Industriepolitik », weil « große (…) Zukunftsfragen – wie zum Beispiel Klimawandel, Ernährung der Weltbevölkerung, umweltgerechte Mobilität, (…) oder zukunftsfähige Energieversorgung – nur durch industrielle Innovationen zu lösen sind » (DGB-Regionsgeschäftsführerin Sigrid Wolf). Wir fragen Frau Wolf : Wie kann es sein, dass nach zwei Jahrhunderten industrieller Innovationen die genannten Probleme virulenter sind als vor der industriellen Revolution ? Wie ein ungebrochenes « Weiter so ! » ohne eine entscheidende Kursänderung da Lösungen schaffen soll, bleibt wahrscheinlich Frau Wolfs Geheimnis.
Angesichts des von den Besitzenden angezettelten (Klassen-) Kriegs gegen Mensch und Umwelt klingt das erschreckend. Eine endlose Austeritätskrise in Südeuropa – tote KollegInnen auf FIFA-Baustellen in Katar oder in Bangladeshs Textilfabriken – prekäre Beschäftigung in Wuppertal – und eine Einheitsgewerkschaft, die sich für eine gemeinsam mit der Regierung abgelieferte « gute Krisenbewältigung » abfeiert und weiter auf ungebrochenes Wachstum setzt…
Während der DGB in Wuppertal und in anderen Städten Deutschlands am 1.Mai ein paar hundert Menschen auf die Straße bringt und sich abschließend bei Bratwurst und Bier für einen geschwindelten Mindestlohn selbst auf die Schultern klopft, stemmen sich heute in Istanbul zehntausende ArbeiterInnen, StudentInnen und SchülerInnen gegen 35.000 Polizisten, die Erdogan zun Taksim schickt. Gleichzeitig gehen Hunderttausende in Spanien, Portugal, Griechenland oder Italien auch diesen 1.Mai wieder auf die Straße. Überall regt sich gegen die Demontage sämtlicher Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung Widerstand und Gewerkschaften nehmen in den Protesten ihre politische Verantwortung wahr. Der Protest ist beharrlich wie existentiell. Seit Jahren kämpfen Millionen Rentnerinnen, Schüler, Studierende, Erwerbslose und Arbeiterinnen gegen eine Politik, die zu Privatisierungen und Massenarbeitslosigkeit sowie zur Zerstörung ganzer Bildungs- und Sozialsysteme geführt hat. Sie stürzt die Menschen immer tiefer in die Misere, während das bei den Besitzenden angehäufte Kapital nach immer neuen Anlagemöglichkeiten sucht und dabei ganze Regionen und gewachsene Städte zerstört.
Wir sind nicht Volk – wir sind Klasse !
Entsetzlich still ist es dagegen in Deutschland, dem Land der Krisengewinnler, dessen Regierung die europäische Politik des Kürzens mit Unterstützung der Troika ohne Rücksicht auf ein würdiges Dasein der Menschen durchpeitscht. Sie bedient sich dabei der einem Importdefizit geschuldeten Stärke des « Standorts Deutschland », der in den letzten zehn Jahren unter erklärter Mithilfe der DGB-Gewerkschaften zum Billiglohnland sozialgepartnerschaftet wurde : Das « Bündnis für Arbeit » und die « Agenda 2010 » brachten den Arbeitenden in Deutschland niedrigere Löhne, mehr Leiharbeit und Lohnarbeitsdruck und verschafften den Unternehmen niedrigere Steuern und Sozialabgaben. Die heilige Kuh “Sozialpartnerschaft” erweist sich als Komplizentum einer aggressiven Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen, für die im Notfall auch demokratische Prinzipien in angegriffenen Ländern außer Kraft gesetzt werden : Erinnert sei an die Wahl in Griechenland, bei der es eine massive Einmischung Deutschlands gab.
Im Wettbewerb zwischen auf bloße Wirtschaftsstandorte reduzierten Ländern hat sich das deutsche Kapital an die Spitze gesetzt. Die großen deutschen Gewerkschaften konzentrierten sich in diesem Prozess auf die Interessenwahrung ihrer – männlich, weiß und deutsch dominierten – Stammbelegschaften – alle anderen müssen selber sehen wo sie bleiben. Auf europäischer Ebene schlägt sich diese Haltung in der fehlenden Bereitschaft zur ernsthaften politischen Einmischung nieder : Da ist nichts, was über schöne Worte, Appelle und absurde Forderungen nach einem europäischen « Marshallplan » hinausginge.
Which Side are U on ?
Der DGB macht nicht einmal den Versuch, das Recht auf politischen Streik zur Wahrung sozialer Errungenschaften und lebenswerter Bedingungen im gemeinsamen Wirtschaftraum auch nur in die Debatte zu bringen. Er lässt die verzweifelt kämpfenden KollegInnen Griechenlands oder Spaniens im Stich. Folgerichtig ist auch die offizielle Abwesenheit deutscher Gewerkschaften bei europaweiten Mobilisierungen gegen die Verelendungspolitik : Wie bei der EGB-Demonstration Anfang April 2014 in Brüssel, als die deutschen Gewerkschaftsorganisationen aus der Ferne zusahen, wie ihre KollegInnen niedergeknüppelt und von Wasserwerfern angegriffen wurden. Und außer lauen Solidaritätsadressen kam auch im November 2012 von den deutschen Gewerkschaften nichts, als in den südeuropäischen Krisenländern Millionen in einen « europäischen Generalstreik » traten. Der Vorsitzende der IG Metall gefiel sich lieber darin, seine spanischen KollegInnen zu verhöhnen, als er mitteilte, sie seien selbst schuld, weil sie Wettbewerbsvorteile durch hohe Tarifabschlüsse verspielt hätten.
Auch für die FORD-ArbeiterInnen aus dem belgischen Genk fand die IG Metall kein Wort der Solidarität und Unterstützung : Diese hatten im November 2012 vor der Konzernzentrale in Köln gegen die Werksschließung in Belgien demonstriert. Sie wollten ihre deutschen KollegInnen warnen und um Solidarität werben. Dabei waren sie von der deutschen Polizei brutal angegriffen, gekesselt und einige auch verhaftet worden. Der größte Teil der Kölner Belegschaft und die IG Metall ließen das zu, ohne einen Finger für sie zu rühren. Nun stehen dreizehn der FORD-ArbeiterInnen ab Juni wegen « besonders schweren Landfriedensbruch » in Köln vor Gericht. Bislang findet man auf der Website der IG Metall dazu keinen Hinweis – geschweige denn eine Zusage, die anfallenden Prozesskosten zu übernehmen.
Alles was uns fehlt ist die Solidarität !
Doch die erhoffte Solidarität bleibt nicht nur in Hinsicht auf die Kämpfe in anderen Ländern aus : Sie fehlt auch hier. Die DGB-Gewerkschaften lassen prekär Beschäftigte und Erwerbslose allein. Wir vermissen beispielsweise eine unmissverständliche Parteinahme von gewerkschaftlicher Seite für diejenigen, die sich gegen ihre beschissenen Arbeitsbedingungen, gegen Prekarisierung oder die Verfolgungsbetreuung der Jobcenter zur Wehr setzen. Das Zeichen, dass die Gewerkschaften damit setzen, ist verheerend : Sie signalisieren dass ihre Solidarität endet, sobald ihre Mitglieder den Arbeitsplatz verlieren. Dadurch machen sie sich auch in diesem Punkt zu Mittätern einer erpresserischen Unternehmerpolitik, die Massenarbeitslosigkeit als Mittel der Disziplinierung nutzt. Auf ein Wort des DGB zu hoffen, wenn es um die skandalösen Arbeitsverbote für Flüchtlinge geht, oder um Solidarität mit europäischen WanderarbeiterInnen, haben wir ohnehin schon aufgegeben.
Wir wundern uns jedoch über ein ausbleibendes klares gewerkschaftliches Statement zur kommunalen Austeritätspolitik, zur gewollten Verarmung der Kommunen und gegen die fortgesetzten Kürzungen der städtischen Haushalte. Schließlich werden Hunderte von Stellen im Öffentlichen Dienst abgebaut und die Arbeitsdichte für die verbliebenen Angestellten wird ins Unerträgliche geschraubt. Dies gilt für die städtischen Angestellten ebenso wie für Busfahrer und Busfahrerinnen bei WSW mobil, die beim Subunternehmen „Rheingold” für niedrigste Löhne und unter katastrophalen Bedingungen Überstunden bis zum Abwinken einfahren.
Doch anstatt das als Angriff auf kommunale ArbeiterInnen zu benennen und andere Prioritäten einzufordern, applaudiert die Funktionselite in Gestalt des Ver.di-Bezirksgeschäftsführers Daniel Kolle noch dem Beschluss zur Kostensteigerung des Stadtumbaus am Döppersberg : Er sieht in dem vom Investor avisierten Kaufhaus des für die Textilfabrik-Katastrophe in Bangladesh mitverantwortlichen Billiganbieters « Primark » einen « Baustein für die Aufwertung des Standorts Wuppertal », weshalb ein Kostendeckel abzulehnen sei.
Fordert ein politisches Mandat ! Mischt euch ein !
Bei aller Fassungslosigkeit über die nationalistische und aggressive Standortlogik der angeblichen RepräsentantInnen der ArbeiterInneninteressen : Wir glauben, dass es in Belegschaften und in den gewerkschaftlichen Ortsgruppen immer noch viele Menschen gibt, die eine solidarische und kämpferische Grundhaltung haben, und dass sie diese in ihren Betrieben, Nachbarschaften und sozialen Netzen praktizieren. Wir glauben aber genauso, dass es völlig unnütz ist, darauf zu warten, dass die Funktionseliten von DGB und Einzelgewerkschaften umdenken – zu sehr sind sie in einer Illusion der Gestaltungsmacht und ihrer vorgeblicher Relevanz verfangen.
Angesichts eines bei den bevorstehenden Europawahlen drohenden Rechtsrucks im Kriseneuropa und von mittlerweile demoralisierten Gesellschaften in den Krisenländern, und angesichts eines immer offener agierenden deutschen Expansionismus, darf nicht mehr gewartet und geschwiegen werden : Wer unter Verweis auf Sozialpartnerschaft im eigenen Land diese Entwicklung geschehen lässt, macht sich mitschuldig. Wir fordern deshalb diejenigen, die sich solidarischem und internationalistischem Handeln verpflichtet fühlen, dazu auf sich neu und autonom zu organisieren.
Ihr seid nicht so machtlos, wie euch eure Funktionäre glauben machen wollen. Schafft Räte oder Assambleas in den Betrieben und in der Nachbarschaft ! Organisiert konkrete Solidarität, etwa durch eine Prozessbeobachtung beim anstehenden Verfahren gegen die belgischen KollegInnen aus Genk. so_ko_wpt am 1.Mai 2014
Infos zum Prozess gegen die Ford-ArbeiterInnen aus Genk
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