Vom 20. bis zum 22. Juni fand in Frankfurt die 2. Karawane-Flüchtlings-Frauenkonferenz statt, an der sich rund 90 Frauen – Flüchtlinge, MigrantInnen und einige Frauen mit deutschem Pass – beteiligten. Zwei Tage lang tauschten sie sich über ihre persönlichen Gewalt- und Fluchterfahrungen aus, über die Schwierigkeit, als Frau im Asylverfahren ernst genommen zu werden, über drohende Dublin-Abschiebungen und die Notwendigkeit, sich weiter auch lokal und regional zu organisieren. Wir dokumentieren hier den u.A. in der „Analyse&Kritik” veröffentlichten Bericht einer Karawane-Aktivistin.
Konferenzauftakt : Demo in Gedenken an Christy Schwundeck
Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen existiert seit ihrer Gründung 1998 als Netzwerk für die Selbstorganisierung von Flüchtlingen. Das Netzwerk ist prinzipiell offen und wird von allen Aktivisten und Aktivistinnen getragen, die sich im Rahmen der Ziele und Prinzipien der Karawane organisieren wollen, gleich welcher Herkunft, Sprache oder Geschlecht sie sind. Die Erfahrung der vielen Jahre – und nicht minder die Erfahrung mit dem Refugee-Protest der letzten Jahre, die Protestmärsche nach Berlin, München oder Brüssel, die Konferenzen oder Zeltaktionen - weisen aber eine gemeinsame Abwesenheit auf : Es nehmen zwar viele Frauen teil, aber auffällige wenige von ihnen haben eine eigener Fluchterfahrung. Dabei ist selbstverständlich weder die Lage der Flüchtlings-Frauen einfacher als die geflüchteter Männer – noch sind die Frauen weniger kämpferisch. Im Gegenteil. Es muss also eine Reihe anderer Hindernisse für Frauen geben, Teil einer Flüchtlings-Selbstorganisation zu werden.
Vor drei Jahren beschloss eine Gruppe von Karawane-Aktivistinnen, herauszufinden, was genau Flüchtlingsfrauen davon abhält, sich selbst zu organisieren, und wie man diese Hürden zumindest reduzieren kann. Beim Break-Isolation-Camp in Erfurt wurde beschlossen, gezielt Frauen in den Lagern anzusprechen ; seitdem traf sich bei jedem bundesweiten Karawanetreffen eine Frauen-Arbeitsgruppe, um die weiteren Aktivitäten zu koordinieren. Die organisierten Frauen besuchten viele andere Flüchtlingsfrauen in Lagern und tauschten sich aus.
Nach mehreren Lagerbesuchen wurde beschlossen, eine erste Flüchtlingsfrauenkonferenz durchzuführen. Diese erste Konferenz fand im April 2013 in Hamburg statt ; organisiert wurde sie von der Karawane und dem Sozialistischen Frauenbund (SKB). Anstelle der erwarteten 40 Teilnehmerinnen kamen 130 Frauen, die zwei Tage lang intensiv über ihre Fluchtgründe, die Situation in den Herkunftsländern und ihre Lage als Flüchtlingsfrauen in Deutschland sprachen.
Deutlich wurde bei der Konferenz und schon bei der Mobilisierung im Vorfeld, dass es vor allem für Frauen mit Kindern viel schwieriger ist sich zu organisieren und ihre Lager zu verlassen : Mit Kindern ist jede Zugreise, jede Schlafplatzkoordination, jede Autofahrt (Kindersitze!) und jede Teilnahme an Treffen oder Konferenzen (Kinderbetreuung!) einfach noch schwieriger zu organisieren. Die im Vergleich zur ohnehin schwierigen Mobilität der Flüchtlinge noch geringere Bewegungsfreiheit der Frauen bedeutet für sie auch eine noch stärkere Isolierung in den Lagern und Unterkünften. Die Isolation wiederum bringt sie in noch größere Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Viele andere Probleme hingegen teilen sie mit männlichen Lager-Nachbarn ; zum Beispiel kaum Geld für Fahrkarten zu haben, oder die immer noch bestehende Residenzpflicht.
Die Residenzpflicht wurde einer Reisegruppe von fünf Frauen auch zum Verhängnis, die sich am 20.Juni auf den Weg von Nürnberg zur diesjährigen Flüchtlings-Frauenkonferenz in Frankfurt gemacht hatten. Bereits beim Umsteigen in Würzburg gerieten sie in eine rassistische Polizeikontrolle. Drei von ihnen wurden aufgrund der Residenzpflicht gezwungen, ihre Reise abzubrechen und ins Lager zurückzugehen.
Sie waren leider nicht die einzigen, die die Residenzpflicht davon abhielt, in Frankfurt mit ihren Schwestern zusammenzukommen. Vor diesem Hintergrund ist es ein Mobilisierungserfolg, dass trotzdem an die 90 Frauen in Frankfurt waren. Viele hatten ihre Kinder mitgebracht, die von der Frankfurter Vorbereitungsgruppe und solidarischen Karawane-Männern zwei Tage lang betreut und bespaßt wurden.
Zum Auftakt der Konferenz fand eine kraftvolle Demonstration in Gedenken an Christy Omorodion Schwundeck statt, die drei Jahre zuvor im Jobcenter im Frankfurter Gallus-Viertel von der Polizei erschossen worden war. Anklage wurde seinerzeit gegen die Polizei nicht erhoben : Obwohl sie mehr als zwei Meter vom Todesschützen entfernt stand, wurde auf Notwehr erkannt.
Den folgenden Tag nutzten die Frauen, um sich in Ruhe auszutauschen und zu berichten, aus welchen Gründen sie nach Deutschland gekommen waren. Erstaunlich groß war das Bedürfnis, über Erlebtes zu reden, sich mitzuteilen, den anderen zuzuhören und immer wieder auch gegenseitig Mut zuzusprechen. Denn teilweise waren die Berichte nur schwer zu ertragen, denn die mutigen Frauen, die sich trauten zu sprechen, waren Zeuginnen von Kriegen, massiver politischer Repression, aber auch von familiärer und sexualisierter Gewalt gegen sie selbst und gegen ihre Kinder geworden. Eine junge Frau, die sich schon in ihrer Heimat Gambia gegen die Praxis der Genitalverstümmelung aufgelehnt hatte und daraufhin fliehen musste, widmet bis heute ihre ganze Energie diesem Kampf. Während sie das tut, kämpft sie an einer anderen Front gleichzeitig für die Anerkennung ihres Asylantrags, der bereits mehrfach abgelehnt wurde. Bei der Konferenz nahm sie ihre Kraft zusammen, um ihren Schwestern von ihren Erfahrungen zu berichten. Der Mut dieser jungen Frau ermutigte mehrere andere Frauen dazu, das erste Mal darüber zu sprechen, dass ihnen dasselbe angetan worden war. Für mehrere Frauen im Saal verbanden sich sehr traumatische Erinnerungen mit dem Thema.
Eine andere Schwester aus Lateinamerika brachte den anderen sehr eindrucksvoll die Lage der papierlosen Arbeiterinnen nahe ; die massive Arbeitsausbeutung, der sie als Hausangestellte einer reichen Familie unterworfen war, und der schwierige Prozess, sich aus dieser Ausbeutung zu befreien. Geholfen haben ihr dabei andere Frauen mit ähnlichen Erfahrungen, die im Netzwerk Respect organisiert sind. Andere Frauen berichteten von der Bedrohung durch die Familie ihres Mannes, von Kindesentführungen, Zwangsverheiratung, von politischer Verfolgung und sexualisierter Gewalt als Teil politischer Repression.
Die Atmosphäre von Gemeinsamkeit, Empathie und Solidarität erfuhr ihren Ausdruck auch darin, dass viele Rednerinnen immer wieder sinngemäß sagten : Der Schmerz, den wir Flüchtlingsfrauen erfahren, ist derselbe.
Das betrifft nicht allein die Erfahrungen der Frauen vor und während der Flucht, sondern auch das geteilte Schicksal, in Deutschland dazu verdammt zu sein, isoliert im Lager zu leben, ohne Deutschkurs, ohne Arbeitserlaubnis, ohne Rechte und mit dem Gefühl, unerwünscht zu sein.
Mehrere Frauen berichteten auch von dem grauenvollen Gefühl, bei der Begründung ihres Asylantrags im Bundesamtes nicht gehört und nicht ernst genommen zu werden. So erzählt eine Frau aus Nigeria, die ihre Tochter vor der Genitalverstümmelung schützen wollte : „Es hieß, wenn man wegen der Beschneidungsproblematik einen Asylantrag stellt, kann man in Deutschland Asyl bekommen. Mir wurde erzählt, ich würde Hilfe bekommen, und geriet in die Hölle. Wenn du bei der Anhörung beim BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) deine Geschichte erzählst, schaut dich jemand an und lacht dir ins Gesicht. Ich war jetzt dreimal vor Gericht, und drei Mal wurde ich abgelehnt. Eine Ablehnung ist nicht so schlimm, aber wenn du über dein Leben erzählst und siehst, die Person, die dir gegenüber sitzt, interessiert deine Geschichte überhaupt nicht – das ist unerträglich.“
Zwar soll frauenspezifische Verfolgung in Deutschland seit 2005 im asylrelevanten Sinne anerkannt werden. In der Praxis werden sie jedoch bis heute oft noch nicht im Sinne einer politischen Verfolgung bewertet, weder vom BAMF, noch von den Gerichten. Der Kampf der Frauen gegen patriarchale Gewalt wird als politischer Kampf nur in wenigen Fällen ernst genommen. Mit der Folge, dass die Frauen kein Asyl und auch keinen Status als Flüchtling bekommen, sondern bestenfalls einen so genannten Aufenthalt aus humanitären Gründen. Dieser „subsidiäre Schutzstatus“ beinhaltet zwar auch einen (prekären) Abschiebeschutz, zieht aber einen deutlich schlechteren rechtlichen Status mit sich. Er eröffnet zum Beispiel im Gegensatz zum Flüchtlingsstatus keine Möglichkeit einer Familienzusammenführung.
Eine Frau aus Kamerun bringt auf den Punkt, was genau das für die Frauen bedeutet, die ihre Kinder in der Heimat zurücklassen mussten : „Diese Gesetze behandeln uns nicht nur rassistisch, sondern erniedrigen uns vor unseren Kindern, die wir nicht zu uns holen und denen wir kein Geld schicken können“. Eine Frau aus Pakistan musste ihre achtjährige Tochter bei deren Onkel lassen und lebt jetzt seit sechs Jahren in Deutschland. Sie war selbst zwangsverheiratet worden und hat jetzt Angst, dass die Tochter auch zwangsverheiratet wird, weil sie keine Möglichkeit hat, sie zu sich nach Deutschland zu holen : „Das Gesetz zwingt mich zu entscheiden, ob ich zurückgehe und mein Gesicht mit Säure überschütten lasse, oder ob ich egoistisch bin und ertrage, dass das Leben meiner Tochter zerstört wird.“
Wie so oft sind auch für die Flüchtlingsfrauen ihre Kinder - und vor allem die Töchter - nicht nur Grund für Sorge, sondern auch die Kraftquelle, aus der die Frauen ihren Kampfeswillen ziehen. Nach einem an Emotionen und Tränen reichen ersten Konferenztag wurde abends im Park gegessen, gesungen und Halay getanzt, bis die Anspannung und der Kummer aus den Körpern und Gesichtern wich.
Im Verlauf des ersten Konferenztages wurde mehr und mehr deutlich, dass es neben den „klassischen“ Herrschaftsverhältnissen und Unterdrückungsformen, die stets benannt werden, wenn es um Flucht und Asyl geht – Kolonialismus, Imperialismus, Ausbeutung von Rohstoffen, Kriege – auch noch das Patriarchat gibt. Auch, wenn sich diese Herrschaftsform nicht ohne weiteres in die Parole der Karawane „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“ einfügen lässt : Das Patriarchat und die gewaltsame Zurichtung von Frauenkörpern im Sinne patriarchaler Werte und Bedürfnisse ist unbedingt mit zu benennen, wenn man die Flüchtlingsfrauen und ihre Geschichten ernst nehmen möchte.
Der letzte Konferenztag sollte ausschließlich der weiteren Planung und der Konkretisierung von Kooperation gewidmet werden. Erfreulich war, dass mit den Women in Exile, dem Migrantinnennetzwerk Respect und dem International Women Space aus Berlin bereits organisierte Frauenzusammenhänge Teil der Konferenz waren und von ihren Kampagnen berichteten. So reflektierte die Konferenz die existierenden, selbstorganisierten feministischen Flüchtlingsfrauenkämpfe in Deutschland recht umfassend. Dass diese autonomen Strukturen weiter auf- und ausgebaut und in verschiedenen Bundesländern verankert werden müssen, wurde überdeutlich, als es zu der Frage konkreter Unterstützungsmöglichkeiten kam. Einige Frauen waren sehr verzweifelt, weil sie und ihre Familien akut von Abschiebung – meist auf Grundlage der Dublin-Verordnung - bedroht sind.
Selbstverständlich kann eine bundesweite Struktur nicht das leisten oder ersetzen, was an lokaler gegenseitiger Unterstützung und Organisierung erst noch aufgebaut werden muss.
So blieb bei vielen auch zum Ende der Konferenz hin das Gefühl von Hilflosigkeit und Wut, aber auch der große Wunsch, dieses Asyl-System wirklich von Grund auf zu verstehen, um gegen das Unrecht in diesem System besser gewappnet zu sein und angehen zu können. Die zahlreichen Proteste und Kampagnen, die von einigen Teilnehmerinnen der Konferenz selbst getragen werden, waren anderen Frauen vor der Konferenz noch überhaupt nicht bekannt – genauso wenig, wie die jahrelangen Kämpfe und Kampagnen gegen die Residenzpflicht.
Vereinbart wurde daher, dass die lokalen Frauengruppen Workshops organisieren, um sich und andere Frauen mit mehr Wissen und Strategien auszustatten. Die bundesweite Struktur der Karawane-Frauenbewegung wird versuchen, dies in den kommenden Monaten möglichst an vielen Orten zu koordinieren. Vereinbart wurde auch, etwa im 6-Monats-Rythmus jeweils ein Wochenende lang zusammen zu kommen, um sich auszutauschen und fortzubilden. Hier steht die Flüchtlingsbewegung insgesamt vor der nicht ganz einfach zu lösenden Aufgabe, historisches Bewegungswissen an Menschen weiterzugeben, die zum Teil erst (und evt. auch nur) sehr kurz in Deutschland sind.
Als Fazit der 2. Konferenz lässt sich mitnehmen : Es gibt sehr viel Kapazitäten, Bereitschaft und Power bei den Flüchtlingsfrauen. Und : Es ist durchaus möglich, die strukturelle Isolation von Frauen zu durchbrechen – wenn man sich die Mühe macht und sich darauf einlässt, dass einige Hürden aus dem Weg geräumt werden müssen.
Es gibt zugleich sehr viele Probleme, die für die einzelnen jeweils Vorrang haben und noch ungelöst sind. Die bundesweite Vernetzungsstruktur wird bei der Unterstützung der einzelnen Frauen jedoch höchstens unterstützend tätig werden können ; die Hauptarbeit wird lokal und regional stattfinden müssen. Eine bundesweite Flüchtlings-Frauenbewegung mit einer eigenen Agenda und Kampagnenfähigkeit ist etwas, was in den nächsten Jahren erst aufgebaut werden muss, und zwar von einem stabilen Kern von Aktivistinnen, die in der Lage sind, den Grundimpuls der Flüchtlings-Frauenkonferenz in einem Aufbauprozess von unten zu verankern.
Diesen Grundimpuls formulierte eine Freundin in dem wunderbaren Satz : „Die Würde ist das, was uns zusammengebracht hat.“