Der Druck steigt

Am Freitag, den 06.Juni fand in der Innen­stadt von Wuppertal-Elber­feld eine spontane Solida­ri­täts­be­kun­dung mit den protes­tie­renden Flücht­lingen statt. Am Tag zuvor war es sowohl in Luxem­burg als auch in Hamburg zu brutalen Angriffen der Polizei auf Geflüch­tete gekommen.

Angriff auf den March 4 Freedom in Luxemburg

Angriff auf den March 4 Freedom in Luxem­burg

In Luxem­burg traf es den trans­na­tio­nalen „March 4 Freedom”, mit dem Flücht­linge ihre Forde­rungen nach Bewegungs­frei­heit, dem Ende des Mordens an den EU-Außen­grenzen und einem würdigen Dasein mit Bleibe­recht zu Fuß von Straß­burg nach Brüssel tragen. Dort wird Ende dieses Monats ein EU-Migra­ti­ons­gipfel statt­finden. Der Protest­marsch verlief bis Luxem­burg trotz mehrfa­cher Überschrei­tung von Länder­grenzen absolut fried­lich und in teils sehr entspannter Atmosphäre, wie eine Aktivistin, die die erste Woche von Straß­burg bis Saarbrü­cken mitge­laufen war, bei der Wupper­taler Kundge­bung schil­derte. Am Donnerstag wurde er dann von der Polizei überfallen, als etwa 60 Teilneh­me­rInnen des Marsches ihr Anliegen bei der gerade statt­fin­denden Konfe­renz der EU-Innen­mi­nister vortragen wollten.

Die EU-Innen­mi­nister trafen sich in Luxem­burg, um die „Gefah­ren­ab­wehr” an den Außen­grenzen der Europäi­schen Union zu optimieren. Die beim Treffen bespro­chenen techni­schen Präven­tiv­maß­nahmen und Koordi­na­tionen - wie beispiels­weise ein besseres System zur Identi­fi­zie­rung Einrei­sender oder satel­li­ten­ge­stützte Aufklä­rung - werden aller­dings nicht nur zur „Terror­ab­wehr” einge­setzt. Sie dienen auch der Optimie­rung der europäi­schen Abschot­tung gegen Migra­tion. Der Wunsch der Flücht­linge, bei diesem Thema angehört zu werden, ist absolut nachvoll­ziehbar ; schließ­lich sind sie die Haupt­be­trof­fenen der Festung Europa. Die Politiker waren jedoch nicht gewillt, sich den Überle­benden des von der EU geführten Krieges gegen Migran­tInnen zu stellen. Statt­dessen schickten sie Polizisten gegen die vor dem Parla­ment protes­tie­renden Menschen.

Ohne jede Bereit­schaft, mit den Geflüch­teten zu reden und die Situa­tion eventuell zu deeska­lieren, hetzten diese ihre Hunde auf die Protes­tie­renden, griffen zu Schlag­stock und Handfes­seln und deckten die Menschen mit Pfeffer­spray ein. Am Ende waren mehrere Refugees und Unter­stü­zende verletzt und dreizehn von ihnen in Haft, unter ihnen mehrere „Sans-Papiers”. Erst nach vielen Stunden und einem weiterem, vor die Polizei­wache getra­genen Protest kamen sie wieder auf freien Fuß. Dieser Angriff auf unbewaff­nete und fried­lich demons­trie­rende Menschen durch die Polizei Luxem­burgs in Anwesen­heit der EU-Innen­mi­nister ist ein neuen Tiefpunkt europäi­schen Umgangs mit Flücht­lingen. Beim Verlesen der übersetzten Presse­mit­tei­lung zu den Vorfällen zeigten sich die zufällig an der Wupper­taler Kundge­bung vorbei­kom­menden und im Café nebenan sitzenden Menschen sicht­lich entsetzt.

Wie um allen zu beweisen, dass sich die deutsche Polizei bei rassis­ti­scher Repres­sion gegen Geflüch­tete nicht in den Schatten stellen lässt, ging später am gleichen Tag die Hamburger Polizei gegen Angehö­rige der „Lampe­dusa in Hamburg”-Gruppe vor. Die Hamburger Lampe­dusa-Flücht­linge, die erst wenige Tage zuvor erfahren mussten, dass der SPD-Senat nicht daran denkt, seine eigenen Zusagen einzu­halten, als eine erste Abschie­be­an­kün­di­gung gegen einen Flücht­ling aus ihrer Gruppe bekannt wurde, harren noch immer perspek­tivlos in der reichen Hanse­stadt aus. Sie fordern seit Monaten ein Recht zu arbeiten und die Möglich­keit, irgendwo unter­zu­kommen. Diese Forde­rungen sollten durch einen fried­li­chen Sitzstreik vor dem Hamburger Rathaus bekräf­tigt werden. Gleich­zeitig wollten die in der Bevöl­ke­rung Hamburgs gut bekannten Aktivisten der « Lampe­dusa-Gruppe » ihre Solida­rität mit den am Mittag in Luxem­burg Angegrif­fenen zeigen.

Was bei der versuchten Räumung des Rathaus­platzes folgte, war ein selbst für die bekann­ter­maßen oft rassis­tisch agierende Polizei Hamburgs ungewöhn­lich gewalt­tätig. Die Bruta­lität ging sogar einigen Polizis­tInnen zu weit, die zum ungewöhn­li­chen Mittel der « Remons­tra­tion » griffen. Sie wider­spra­chen dem Einsatz­be­fehl zur Räumung der Treppe des Rathauses und machten dabei nicht mehr mit. Am Ende des Einsatzes waren mehrere der Refugees, die die ganze Zeit über fried­lich blieben, verletzt. Ihre Behand­lung durch Sanitäter vor Ort wurde von der Polizei behin­dert. Drei der Flücht­linge wurden zudem zwischen­zeit­lich inhaf­tiert. Die Solida­ri­täts­demo in Hamburg am gleichen Abend und einige Schar­mützel am Folgetag, bei denen es auch zu einem Angriff auf ein SPD-Büro kam, gehen eindeutig auf die Kappe des Hamburger Senats und der Polizei.

Beide Vorfälle zeigen, dass der Druck steigt und dass die EU-Innen­mi­nister, die in Luxem­burg ungestört bleiben wollten, zuneh­mend nervös werden. Wie groß der Druck inzwi­schen ist, wurde bei der Wupper­taler Soli-Kundge­bung in Redebei­trägen der Flücht­lings­selbst­or­ga­ni­sa­tion Karawane und des so_ko_wpt deutlich. Der sehr emotio­nale Beitrag der Karawane, bei dem u.a. auch das Schicksal geflo­hener Frauen und Familien thema­ti­siert wurde, zeigte den durchaus sehr inter­es­siert zuhörenden Passanten auf, dass es längst Zeit ist, zu handeln und die passive Rolle beim Anhören der Nachrichten aufzu­geben. Die Verant­wor­tung Deutsch­lands für den Druck auf Menschen, ihre Heimat verlassen zu müssen, wurde ebenso betont, wie die Tatsache, dass die meist unter riskanten Umständen in Deutsch­land angekom­menen Flücht­linge auch hier kein würdiges Leben haben. Oft sprechen sie von einer zweiten Hölle, nachdem sie die Hölle des Krieges oder der völligen Perspek­tiv­lo­sig­keit glück­lich verlassen konnten.

Der Redebei­trag des so_ko_wpt zeich­nete eine dunkle Perspek­tive. In ihm wurde auf die zuneh­mend katastro­phale Situa­tion in ganz Europa verwiesen, die überall zu Übergriffen auf Geflüch­tete und weiteren Entrech­tungen von Migran­tInnen führt. Wie im franzö­si­schen Calais, wo auf ihrem Weg zum Wunsch­ziel England gestran­dete Flücht­linge – zuletzt sind es immer mehr vor dem baraba­ri­schen Krieg in Syrien fliehende Familien – aus notdürf­tigen Camps geräumt und auf die Straße geworfen werden. Dort hält eine multi­na­tio­nale Notge­mein­schaft aus Afgha­ni­stan, Syrien oder Eritrea seit mehr als einer Woche das Zentrum der Essens­aus­gabe besetzt, um überhaupt noch einen Ort zu haben, an dem die Menschen ausharren können.

Anläss­lich des offen­sicht­li­chen Schei­terns der europäi­schen Strategie der Abschot­tung stehen Länder wie Spanien, das seine Grenz­zäune um Melilla und Ceuta immer mörde­ri­scher aber gleich­wohl « erfolglos » aufrüstet oder Italien, dessen Marine fast täglich eine vierstel­lige Anzahl von Boots­flücht­lingen aus dem Mittel­meer rettet, aber auch Griechen­land vor der Heraus­for­de­rung, Änderungen der von Deutsch­land bestimmten EU-Flücht­lings­po­litik herbei­zu­führen. In Griechen­land werden in Kürze die ersten der während der « Säube­rungs­ak­tionen » vor zwei Jahren in EU-finan­zierten Inter­nie­rungs­la­gern « unter­ge­brachten » Flücht­linge frei gelassen, nachdem ein griechi­sches Gericht die Dauer der Inter­nie­rung auf 18 Monate begrenzte.

Diese gesamt­eu­ro­päi­sche Situa­tion lässt für den Ende Juni statt­fin­denden EU-Gipfel, der sich schwer­punkt­mäßig mit der europäi­schen Flücht­lings­po­litik beschäf­tigen wird, nichts Gutes erwarten – vor allem im Hinblick auf die Erfolge rechter Parteien bei der Europa­wahl vor zwei Wochen. Umso wichtiger erscheint es, den Druck für eine Öffnung der europäi­schen Politik jetzt zu erhöhen, und nicht erst nach den zu erwar­tenden Verschär­fungen des Grenz­re­gimes zu reagieren. Die Flücht­linge in Hamburg, Würzburg, Hannover, Berlin oder des Protest­mar­sches und die geflo­henen Menschen in Calais, Athen, auf Sizilien und Lampe­dusa tun, was sie tun können. Es ist jetzt notwendig, ihren Kampf für ein menschen­wür­diges Hiersein überall, auch von außer­halb der Lager, und auf allen Ebenen zu verstärken. Eine Kundge­bung wie am Freitag kann da nur ein Anfang sein und darauf aufmerksam machen, dass jede und jeder Möglich­keiten hat, den Flücht­lings­pro­test zu unter­stützen : In jeder Stadt gibt es Büros der großen Parteien, in jeder Stadt gibt es rassis­ti­sche Polizei­kon­trollen, bei denen ledig­lich hinge­schaut werden muss. Und überall wächst die Notwen­dig­keit, sich infor­mell zu organi­sieren und ganz konkrete Angebote für Illega­li­sierte auf die Beine zu stellen.

Auch beim EU-Gipfel selber lässt sich der Druck auf die Politik erhöhen : Die Aktivis­tInnen des « March 4 Freedom » werden in der belgi­schen Haupt­stadt vom 22. bis zum 28.06. eine ganze Woche lang aktiv sein, zum Abschluss planen sie eine Großde­mons­tra­tion im Herzen der Festung Europa. Damit ihr 500 Kilometer langer Fußweg von Straß­burg nach Brüssel nicht umsonst war, ist eine Unter­stüt­zung der Proteste zum EU-Gipfel in Brüssel dringend notwendig.

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Hamsterrad verlassen. Bericht zu #14n in Wuppertal.

Vor dem 14.November, für den das erste Mal ein trans­na­tio­naler, europäi­scher General­streik gegen die neoli­be­rale Auste­ri­täts­po­litik geplant war, haben wir uns den Kopf darüber zerbro­chen, wie das Wupper­taler Soli-Komitee an diesem Tag eine wirkungs­volle solida­ri­sche Aktion durch­führen kann. Die vor dem Hinter­grund mehrerer in der Vergan­gen­heit durch­ge­führter Kundge­bungen und Demons­tra­tionen erfolgte Einschät­zung der Situa­tion in Deutsch­land sprach gegen einen erneuten Aufruf zu einer Solida­ri­täts­de­mons­tra­tion oder -Kundge­bung.

Der Aufwand, eine solche Demons­tra­tion durch­zu­führen, steht derzeit in keinem Verhältnis zum erreich­baren Mobili­sie­rungs­er­folg. Selbst­kri­tisch müssen wir feststellen, dass wir über einen sehr einge­grenzten Rahmen hinaus, momentan nicht viele Menschen für solida­ri­sche Aktionen gegen die EU-Krisen­po­litik in Bewegung setzen können. Die vorher­seh­bare Folge des Anren­nens gegen Desin­ter­esse ist nicht nur verschwen­dete politi­sche Energie, sondern auch das Festsetzen eines ratlosen Gefühls der Nieder­lage.

Das Hamsterrad verlassen

Unsere offenen Themen im Überblick

Wir wollten an „#14n” das Hamsterrad wenig erfolg­rei­cher Mobili­sie­rungen verlassen und von vornherein eine auf weniger Teilneh­me­rInnen angelegte Aktion durch­führen. Eines der Ergeb­nisse unserer Beratungen der letzten Monate wurde damit verknüpft, indem wir uns dafür entschieden, den 14.November ganztägig und öffent­lich Themen zu bespre­chen, die viele Fragen zur Krise, ihren Ursachen und Folgen aufwerfen – nicht zuletzt auch für uns selbst. Denn angesichts eines fast vollstän­digen Black­outs der Medien erscheint uns ohne Hinter­grund­wissen und ohne eine öffent­liche Vermitt­lung verschie­dener Aspekte der Krisen ein breiteres Verständnis für syste­mi­sche Ursachen und die Notwen­dig­keit, diese zu bekämpfen, nicht erreichbar. Am letzten Mittwoch sollte die Solida­rität mit den Strei­kenden in Europa daher mit „politi­scher Bildung” im weitesten Sinn verbunden werden.

Dafür organi­sierten wir offene Themen­runden, in denen wir mit verschie­denen Gästen versuchten, Teilas­pekte der Krisen auf lokale Ebenen herun­ter­zu­bre­chen. Denn es ist uns bewusst, dass Solida­rität nur auf der Basis nachvoll­zieh­barer Umstände entstehen kann. Gleich­zeitig sollte damit auch das Märchen vom deutschen Wirtschafts- und Jobwunder entzau­bert werden, dass für die Lethargie der deutschen Bevöl­ke­rung mitver­ant­wort­lich sein dürfte. An lokalen Krisen­themen, die auf vielfäl­tige Weise mit den Anliegen der Menschen in den bestreikten Ländern verkop­pelt sind, besteht in Wuppertal und Umgebung schließ­lich kein Mangel.

Ein neuer, erfolg­rei­cher Tag”

Unser Kundge­bungs­pa­villon war ab acht Uhr morgens im kleinen Wupper­taler Banken­viertel, zwischen Deutscher Bank, Commerz­bank und Finanzamt und direkt am von der Sparda-Bank gespon­sorten Denkmal des glück­li­chen Bankers („Ein neuer erfolg­rei­cher Tag”) aufge­baut. Vor dem Zelt fand zunächst eine gut besuchte öffent­liche Sozial­be­ra­tung des Erwerbs­losen- und Sozial­hil­fe­ver­eins „Tacheles” statt,  mit der die Probleme von Hartz IV -Bezie­he­rInnen zwischen die Filialen der Banken geholt wurden. Parallel dazu begann die erste offene Themen­runde, die sich mit dem Drama massen­hafter Zwangs­räu­mungen in Spanien und der Lage in Deutsch­land zwischen steigenden Mieten und priva­ti­sierten Wohnungs­ge­sell­schaften beschäf­tigte.

Knut Unger vom Mieter­verein Witten erläu­terte zunächst die Initi­al­zün­dung der Immobi­li­en­krise : Nachdem die IT-Blase um die Jahrtau­send­wende geplatzt war, suchte das Kapital verzwei­felt nach alter­na­tiven und profit­träch­tigen Anlage­mög­lich­keiten, und konnte diese aufgrund der Libera­li­sie­rung der Kapital­märkte weltweit finden. Das Zusam­men­treffen von Speku­la­ti­ons­ka­pital mit neuen (De-)Regulierungen der Immobi­lien- und Invest­ment­branche und mit natio­nalen Wohnei­gen­tums-Förder­pro­grammen für einkom­mens­arme Gruppen, führte zur so genannten Immobi­li­en­blase. Diese platzte 2006/2007, als nach und nach klar wurde, dass die Kredite massen­haft ausfallen würden („Subprime-Krise”).

In der Folge verloren in den USA -zigtau­sende ihre Häuser. Und in Spanien werden inzwi­schen täglich (!) hunderte Wohnungen zwangs­ge­räumt. Diese hohe Zahl liegt zum Teil an den Beson­der­heiten des spani­schen Insol­venz­rechts. Gegen den massen­haften Verlust der eigenen Wohnungen wehren sich landes­weit Basis­or­ga­ni­sa­tionen wie die Platt­form der Hypothe­ken­opfer, die bereits Hunderte von Zwangs­räu­mungen durch prakti­sche Solida­rität der Nachba­rInnen und von Aktivisten und Aktivis­tinnen verhin­dert haben. Trotz der Beson­der­heiten des spani­schen Hypothe­ken­rechts, das Hypothe­ken­banken beinahe risiko­lose Geschäfte auf Kosten der Kredint­nehmer ermög­licht (anders als in den USA), sind die spani­schen Zwangs­räu­mungen natür­lich nicht von der Banken­krise und zuneh­mender Erwerbs­lo­sig­keit infolge drasti­scher Kürzungs­pro­gramme zu trennen.

In der Runde wurden dann Schwie­rig­keiten inter­na­tio­naler Zusam­men­ar­beit erörtert, beispiels­weise im Rahmen einer mögli­chen Kampagne für eine europa­weites Räumungs­mo­ra­to­rium. Viel Hoffnung bestand angesichts der zuletzt wieder zuneh­menden Hausbe­set­zungen. Einige Gesprächs­teil­nehmer plädierten für eine „Renais­sance” der Beset­zungen leerste­hender Objekte, gerade auch in Deutsch­land. Unsere Strate­gien müssen in die Richtung zielen, dass Immobilien/Grund und Boden (wieder) zu verge­sell­schaf­tetem Gut wird.

In der folgenden Runde beschäf­tigten wir uns gemeinsam mit Gunhild Böth (Landes­spre­cherin der Partei DIE LINKE in NRW und Bildungs­ex­pertin) mit der Krise der Bildung für alle in Europa. Gunhild Böth berich­tete u.a., dass die Bundes­re­gie­rung versucht, mit der Krise ihren (angeb­li­chen) Fachkräf­te­mangel durch Brain-Drain auszu­glei­chen. So war die deutsche Arbeits­mi­nis­terin kürzlich in Italien und sagte dort mehrere Millionen aus dem Bundes­haus­halt für eine ganz spezi­elle Bildungs­maß­nahme zu : für Deutsch­kurse ! Auf dass die gut ausge­bil­deten Italie­ne­rInnen, die nach ihrem Studium keinen Job finden, die Wettbe­werbs­fä­hig­keit deutscher Unter­nehmen verbes­sern indem sie möglichst schnell nach Deutsch­land kommen.

Im Rahmen der weiteren Diskus­sion wurde klar, dass der bildungs­bür­ger­liche Anspruch auf Ausbil­dung aller auch zu früheren Zeiten nur Schimäre gewesen ist : Inves­ti­tionen in Bildungs­sys­teme erfolgen nur, wenn das kapita­lis­ti­sche System entspre­chenden Bedarf an Arbeits­kräften hat. Das „Recht auf Bildung” war zunächst ein Inter­esse der Indus­trie - heutzu­tage, mit einer immer stärkeren Tendenz zur Spezia­li­sie­rung und zuneh­menden Ausschlüssen auch gut ausge­bil­deter Menschen aus dem Verwer­tungs­pro­zess wird dieses „Recht” zuneh­mend zu einer Pflicht, die das neoli­be­rale Subjekt markt­förmig zurichtet : Alle müssen sich anstrengen, in die eigene Bildung inves­tieren und die richtigen (Bildungs-) Entschei­dungen treffen - zwar ohne jede Garantie, aber wenigs­tens als Chance auf Teilhabe am Karrie­re­wett­lauf.

Disku­tiert wurde im weiteren Verlauf darüber, ob es vor diesem Hinter­grund eigent­lich ein gesell­schaft­li­ches Problem darstellt oder schlicht folge­richtig, rational und auf eine Art „befreiend” ist, wenn die „Überflüs­sigen” beschließen, aus einem Bildungs­system einfach auszu­steigen, das sein Integra­ti­ons­ver­spre­chen schon längst nicht mehr hält.

Streiks statt Stärkungs­pakt und Rettungs­paket

Nach einer kurzen Pause, in der Passanten über die aktuelle Entwick­lung der General­streiks infor­miert wurden, trafen wir uns mit Gerd-Peter Ziele­zinski (Stadtrat Wuppertal, DIE LINKE). Mit ihm sprachen wir über die Haushalts­krisen der Kommunen. Die Lage der verschul­deten Städte – insbe­son­dere auch Wupper­tals – erinnert dabei fatal an die ausweg­lose Situa­tion der Haushalte in den Krisen­län­dern. Die für Wuppertal angekün­digten Kürzungen und Einspa­rungen, die Voraus­set­zung eines ausge­gli­chenen Haushalts im Jahr 2016 sein sollen, betreffen hier wie dort vitale Bedürf­nisse der Einwoh­ne­rInnen, führen jedoch genauso wenig wie dort zu einer abseh­baren Erholung der öffent­li­chen Budgets.

Streik­posten sind schonmal vorhanden…

Am Beispiel Wupper­tals ließ sich sehr gut aufzeigen, dass ohne eine drasti­sche „Umver­tei­lung von oben nach unten” und eine Einnah­me­stei­ge­rung der Gemein­schaften keine Lösung in Sicht ist – allen verkün­deten „Stärkungs­pakten” und „Rettungs­pa­keten” zum Trotz. Fazit der Diskus­sion : „Haushalten” bedeutet im eigent­li­chen Sinne weit mehr als nur Kürzungs­zielen hinter­her­zu­rennen.  Ein nachhal­tiger Haushalt muss zunächst in den Blick nehmen, was in einer Gesell­schaft - der Kommune, dem Land … - gebraucht wird, um die sozialen, kultu­rellen und ökono­mi­schen Bedürf­nisse der Menschen zu decken. Ausge­hend davon muss dann der Finanz­be­darf ermit­telt und mit den Einnah­me­mög­lich­keiten in Gleich­ge­wicht gebracht werden - in Bezug auf die Verschul­dung öffent­li­cher Haushalte würde das Prinzip notwen­di­ger­weise auf ein Schul­den­mo­ra­to­rium hinaus­laufen (Tragfä­hig­keits­prinzip).

Klar ist aber auch, dass ein solcher Paradig­men­wechsel sich inner­halb der engen Grenzen techno­kra­ti­schen Verwal­tungs­han­delns nicht vollziegen wird. Diese Aufgabe wird nicht mit, sondern nur gegen Stadt­käm­merer, Bezirks­re­gie­rung und EU-Troika angegangen werden können.

Den vierten Themen­block widmeten wir den stetig verschlech­terten Arbeits­be­din­gungen in ganz Europa wie auch in Wuppertal, sowie der Schwie­rig­keit, darauf gewerk­schaft­lich zu reagieren. Am Beispiel der unter­be­zahlten und teilweise übel ausge­beu­teten Busfah­re­rInnen in Wuppertal beleuch­teten wir die zuneh­mend prekären Jobs auch in öffent­li­chem Auftrag. Anläss­lich der wenige Tage zuvor statt­ge­fun­denen Ausein­an­der­set­zungen am Werkstor bei FORD Köln bespra­chen wir anschlie­ßend die Probleme, Beleg­schaften in den Betrieben für inter­na­tio­nale Solida­rität zu mobili­sieren. Dabei machte unser Gast – ein Aktivist der gewerk­schaft­li­chen Basis­or­ga­ni­sa­tion BaSo – klar, dass es nicht nur an betrieb­li­cher politi­scher Bildung (Wie verhalte ich mich in bestimmten Situa­tionen ? Wie schaffe ich solida­ri­sche Situa­tionen mit meinen Kolle­ginnen und Kollegen ? Welchen Inter­essen sehe ich mich gegen­über ? usw.) mangelt, sondern auch an einer Auswei­tung gewerk­schaft­li­cher Tätig­keit auf Nicht-Erwerbs­tä­tige. Erfolg­reiche Kämpfe können immer nur von bewussten Beleg­schaften in konkreten Situa­tionen gemeinsam mit Außen­ste­henden geführt werden – etwas, das in Spanien „Volks­streik” genannt wird, und sich nicht darauf beschränkt, die Arbeit einzu­stellen, sondern bewusst und organi­siert das gesamte öffent­liche Leben lahmlegt, das also auch Schulen und Univer­si­täten, Kultur- und Sport­ver­an­stal­tungen, Gastro­nomie und Medien betrifft.

Ein Ziel, das in einer Zeit, in der jede und jeder zum „Unter­nehmer in eigener Sache” gemacht worden ist, natur­gemäß immer schwerer fällt. Umso wichtiger ist es, den „gewerk­schaft­li­chen Grund­ge­danken” nicht aufzu­geben, und gegen den neoli­be­ralen Zwang zur Konkur­renz inner­halb der Beleg­schaften und zwischen den Stand­orten am Prinzip (selbst-) organi­sierter Solida­rität festzu­halten.

Volxküche und positives Fazit

Die Gespräche dauerten bis zum Abend

Nach dem – aufgrund der voran­ge­schrit­tenen Zeit leider auch letzten – Themen­block krochen Kälte und Dunkel­heit langsam unter unsere „Streik­westen”. Für das Auftau­chen der AZ-VoKü, die einen Streik­ein­topf zum Kundge­bungs­zelt brachte, waren wir deshalb sehr dankbar. Nach dem gemein­samen Essen, bei dem die Gespräche weiter­gingen – zu diesem Zeitpunkt drehten sich viele Diskus­sionen bereits um die zuneh­menden Berichte von Polizei­ge­walt in Spanien, Portugal und Italien – gab es abschlie­ßend noch zwei Redebei­träge, in denen um Solida­rität mít den im Hunger­streik befind­li­chen kurdi­schen Aktivisten und Aktivis­tinnen in der Türkei, sowie mit dem antifa­schis­ti­schen Kampf in Griechen­land geworben wurde.

Unser Fazit des langen Solida­ri­täts­tages in Wuppertal war zunächst ein positives. Wir haben inten­sive und erhel­lende Gespräche geführt und  „politi­sche Bildung” betrieben. Erheb­lich getrübt wurde die Freude über die richtige Entschei­dung im Vorfeld jedoch von den einlau­fenden Berichten brutaler Übergriffe aus Valencia, Madrid, Barce­lona oder Rom. Demge­gen­über hatten wir den ganzen Tag eine beinahe gemüt­liche Ruhe vor der Polizei.

Wie Recht wir hatten, nicht auf allzu­viele solida­ri­sche Menschen in Wuppertal zu bauen, zeigte jedoch auch die Ruhe vor unserem Kundge­bungs­zelt, an dem die meisten Wupper­ta­le­rInnen zumeist vorbei­eilten. Nur wenige waren an den Flugblät­tern inter­es­siert und noch weniger wollten weiter­ge­hende Infor­ma­tionen aus den strei­kenden Ländern. Solida­rität fühlt sich anders an. Die Eises­kälte, die einige der Angespro­chenen ausstrahlten, wurde aber wenigs­tens durch das schöne Herbst­wetter und einige wenige, die ehrli­ches Inter­esse zeigten, immer wieder aufge­bro­chen.

Von den offenen Themen­runden gibt es die Streams noch online : bambuser/NoTroika

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